Veränderung ist einfach, wenn man sie wirklich will. Das fand Gerald Hüther in seinen Forschungen über die Funktionsweise unseres Gehirns heraus (1).
„Aber das mit dem Wollen ist eben so ein Problem. Das wissen ja die wenigsten Leute, aber das Gehirn ist ja nicht so sehr zum Denken da. (…) Das große Anliegen des Hirns besteht darin, möglichst viel Energie zu sparen. (…) Schon einen Gedanken daran zu haben, dass wir uns verändern könnten, da fangen die Nervenzellen kräftig an zu feuern, dann geht der Energieverbrauch in die Höhe. Und dann macht man das, was man meistens macht, dass man in die alten Muster zurückfällt und dann hat man wieder Ruhe“ (1).
Um das Gehirn zu motivieren, müsste man also auf der Bewusstseinsebene ein Bild entwickeln, das größer ist, als dass man jetzt einfach nur den nächsten Tag überstehen will.
„Das heißt, man müsste eine Vision haben“ (1).
Wenn es bisher also an konkreten Maßnahmen zum Schutz unseres Planeten mangelt, liegt das vielleicht daran, dass uns nichts Positives dazu motiviert?
In der aktuellen Klimadebatte fällt es schwer, in Visionen zu denken, da das Narrativ durch die Vermeidung des Negativen („der Öko-Katastrophe“) bestimmt ist. Diese Denkweise würde zum Beispiel beim Fußball bedeuten, dass man nur spielt, um nicht zu verlieren. Wie motivierend wäre das für ein Team? Anstatt immer nur gegen etwas zu kämpfen, könnten wir uns fragen:
Wofür engagieren wir uns? Was möchten wir gewinnen? In welcher Welt möchten wir leben?
Wir brauchen Klarheit darüber, wohin die Reise gehen soll. Demonstrieren, diskutieren, „Wir müssten“-Reden schwingen bringen uns nicht weiter. Das liegt in der Natur unseres Gehirns. Deshalb höre ich jetzt an dieser Stelle auch damit auf.
Wenn Sie sich nach etwas Erholung von der Klima-Debatte und von den verwirrenden Informationen über das Klima sehnen, empfehle ich Ihnen, die Trilogie von Dirk C. Fleck um das Tahiti-Projekt zu lesen. Vielleicht kann es auch in Ihnen den Funken entfachen, ergebnisorientiert und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.
Nach einem hektischen Tag nehme auch ich mir heute endlich die Freiheit, einfach mal wieder auf meiner Terrasse zu lesen. Vor allem, weil ich diesen Artikel für unsere Rubikon-Sonderausgabe zum Thema Umwelt schreiben möchte und dabei sofort an ebendiese Bücher von Dirk C. Fleck dachte, die ich vor einem Jahr verschlungen hatte.
Seit einer Stunde lese ich wieder darin und es fühlt sich heilsam an. Die von Dirk C. Fleck beschriebene Welt der Ökologischen Föderation Polynesien — wie Tahiti hier im Jahr 2022 nach einem neunjährigen Umweltschutzprogramm heißt, das die Infrastruktur der Insel und das Leben der Menschen vollständig umwälzte — füllt mich mit neuer Lebenskraft auf. Sanft strömt das Blut durch meine Adern und ich tauche in eine Welt ein, die sich lebendig, stimmig und hoffnungsvoll anfühlt:
Nach einer dreißigstündigen Anreise von Hamburg über London und Auckland nach Tahiti kam der von seinen Reportagen in den am schlimmsten vom Ökokollaps betroffenen Gebieten des Planeten gebeutelte Journalist Cording endlich in seinem Hotel auf der Insel an.
„Er streifte die Schuhe von den Füßen, zog die Socken aus und lief durch das feuchte Gras Richtung Meer. Der Rasen war von gänzlich anderer Konsistenz als daheim. Es waren keine Halme, die seine Sohlen kitzelten, sondern ein dichtes Geflecht flacher, kleeblattähnlicher Pflänzchen, die einen federnden, weichen Untergrund ergaben. Er blieb stehen und lauschte den Wellen, die hinter der Natursteinmauer leise gurgelnd den schwarzen Sand beleckten.
Zwei Meter neben ihm klatschte eine Kokosnuss zu Boden. Sie hätte ihn erschlagen können, aber eigenartiger Weise beunruhigte ihn das nicht. Er fühlte sich frei in dieser herrlichen duftenden Nacht, er würde den Tod in diesem Augenblick so klaglos akzeptieren wie das Leben. Das Bedürfnis des verbildeten Menschen, alles und jedes zu hinterfragen, erschien ihm lächerlich in dieser unendlichen Weite, in der man Sterne pflücken ging, anstatt sein Gottvertrauen zu untergraben.“
In den folgenden drei Monaten entdeckte er die Innovationen und Umwälzungen, die der Inselstaat umgesetzt hatte, um darüber zu berichten.
Die Ausgangssituation beschreibt Dirk C. Fleck so:
„Nach dem Abzug der Franzosen explodierten die Energiekosten, die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft an, das Müllproblem geriet außer Kontrolle, die Infrastruktur drohte zusammenzubrechen und der Tourismus tendierte gegen null. Zu allem Überfluss machte sich ein kriminelles Milieu breit, das man auf Tahiti so noch nicht kannte. Die Entschädigungszahlungen der Franzosen hatten eine Kluft in die Gesellschaft geschlagen, das Gefälle zwischen Arm und Reich war einfach zu groß geworden. (…)
Kurz vor seiner Machtergreifung hatte der junge Rebellenführer (Omai) die Bekanntschaft zweier Reisender gemacht, einem Elsässer und einem Deutschen, die ein sozioökologisches Wirtschaftsmodell entwickelt hatten, das sie ‚Equilibrismus‘ (2) nannten. Omai war fasziniert gewesen von den aufgezeigten Möglichkeiten, die für eine autarke Inselgesellschaft wie geschaffen schienen.
Grundgehalt für jeden Bürger, Arbeitsplatzgarantie, ein preiswertes Transportsystem, billige Energieversorgung auf regenerativer Basis — das waren die Eckpunkte seines Programms. Sie klangen utopisch, doch da die Lage prekärer kaum noch werden konnte, stellte er das Projekt in einer Volksabstimmung zur Wahl. Mit dem Ergebnis, das er zum Präsidenten der neu ausgerufenen ‚Ökologischen Konföderation Polynesiens‘ gewählt worden war, ausgestattet mit allen Vollmachten auf zehn Jahre.“
Jede große Umwälzung und jeder Fortschritt der Menschheit begann mit einer Utopie. Mit dem Mut zu träumen, trotz Widerstand an unsere Träume zu glauben und nach Möglichkeiten zu suchen, diese Schritt für Schritt geduldig umzusetzen. Uns auch von Rückschlägen und vermeintlicher „Unmöglichkeit“ nicht abbringen zu lassen. Weiterzumachen, auch wenn es unbequem wird. Kritik dazu zu nutzen, Schwachstellen zu beheben. Wir sind schöpferische Wesen und haben die Anlage, gänzlich Neues zu erschaffen.
Oder wie Oscar Wilde sagte:
„Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien“.
Doch das Eintauchen in eine kraftspendende Vision ist nicht alles, was dieses Buch so besonders macht. Die heilsame Kraft dieser „Utopie“ liegt darin, dass die Erfindungen und das Konzept bereits real existieren und in einem Glossar am Ende des Buchs belegt sind und erklärt werden.
Hier einige Beispiele:
- Alle Journalisten auf der Insel erhielten „ein G-Com-Mobiltelefon (3), wie es bisher nur in Polynesien benutzt wird. Diese neuartige Telekommunikation ist gesund und kostenfrei. Sie produziert keinen Elektrosmog und benötigt weder Sendemasten noch Satelliten, Verstärker oder Provider. Sie nutzt die in der Natur vorhandenen, stehenden Gravitationswellen.“
- „Uupa klärte ihn darüber auf, dass alle Autos auf Tahiti inzwischen solar-elektrisch (4) betrieben wurden.
- „Die rechte Spur ist bedeutend heller. (…) Was ist das?“, fragte er. Asphalt war es jedenfalls nicht. „Reiskleie (5). Reiskleie fällt beim Mahlen und Polieren von Naturreis an und besteht aus Samenschale und Keimlingen. Sie lässt sich zu einem besonders abriebfesten Straßenbelag verarbeiten. Zudem ist das Fahren darauf deutlich geräuschärmer (…)“
- „Für die Wände benutzen wir Hanfbeton (6) oder Lehm (7), die Dächer sind aus Pandanus (8) und die tragenden Säulen aus Holz oder Bambus“ (9).
Als ich abends im Bett liege, flanieren meine besänftigten Gedanken noch ein wenig durch meine Erinnerungen und offenbaren mir, dass ich selbst schon Zeugin solcher utopisch anmutenden Verwandlungen der Umwelt geworden bin:
- Opa ist seit sechs Jahren tot. Jedes Jahr, wenn ich zu Besuch war, fuhren wir zusammen mit dem Fahrrad zum neuen See von Großräschen in Südbrandenburg, der das klaffende, schwarze Loch des ehemaligen Tagebaus langsam füllte. Jetzt ist er fast voll. Wo einst die Erde aufgerissen war, entstehen heute Seenlandschaften.
- Angewidert stand ich als kleines Mädchen beim Fahrradausflug neben meiner Mama auf der Brücke über die Saale und blickte auf den gelben Schaum und die toten Fische herab. Heute baden meine Freundinnen mit ihren Kindern im sauberen Flusswasser und picknicken am grünen Ufer der vielen Parks, die sich weitläufig entlang der Ufer durch die Stadt ziehen. Die triste Industriestadt von einst hat sich verwandelt.
Vielleicht treten wir trotz verschiedener Meinungen zu den Ursachen für unsere heutigen Umweltprobleme gemeinsam aktiver für die Umsetzung der Equilibrismus-Ideen ein, schauen unseren Politikern auf die Finger, um zu sehen, ob sie in unserem Sinne abstimmen (10) und agieren im Privatleben im Einklang mit unserem Willen nach Veränderung.
Träume und Visionen sind unser Treibstoff für Veränderung. Kultivieren wir sie und unterstützen wir diejenigen, die dabei sind, Lösungen zu suchen und umzusetzen.
Omai sagt dazu im Roman:
„Es geht nicht darum, wer recht hat, wer gewinnt oder verliert. Es geht darum, dass entzweite Parteien wieder zueinanderfinden und Frieden schließen. Es geht um das Vergnügen, Frieden zu schließen! (…) Es macht Spaß, die Welt zum Besseren zu wenden! Die Menschen werden die gemeinsame Anstrengung lieben, sie werden es lieben, auf ihrer beschmutzten Erde aufzuräumen und sich neu und gerecht einzurichten in der heiligen Schöpfung.“
Quellen und Anmerkungen:
(1) Die sanfte (R)evolution — Veit Lindau im Gespräch mit Gerald Hüther
(2) Equilibrismus: „Das sozioökologische Wirtschaftskonzept des Equilibrismus ist ein zukunftsfähiger Ausweg aus unserem heutigen Dilemma, weil er konsequent alle Ursachen der bisherigen Fehlentwicklungen angeht und somit nicht nur die Ökokalypse abwenden, sondern der gesamten Menschheit Wohlstand, Arbeit und soziale Sicherheit bringen könnte.
Der Equilibrismus e.V. wurde 1997 in München gegründet. Er setzt sich ein für eine Gleichgewichtung der Bereiche Ökologie, Wirtschaft, Politik, Kultur, Recht und Soziales. Im Unterschied zu anderen Organisationen erwartet der Equilibrismus die Umsetzung seines Konzeptes nicht von oben, von den politisch und wirtschaftlich Mächtigen, sondern von unten: ausgehend von einem regionalen Modellprojekt, das zur Nachahmung anregt — wie in diesem Roman anschaulich dargestellt“, Das Tahiti-Projekt, S. 329; „Equilibrismus — Neue Konzepte statt Reformen für eine Welt im Gleichgewicht“, Signum-Verlag 2005; equlibrismus.org
(3) G-Com: „Diese neue Form der Telekommunikation bedient sich der in der Natur bereits vorhandenen stehenden Gravitationswellen. Darauf wird mithilfe von Oszillatoren Information (z.B. Sprache) aufgebracht. So kann ohne künstlich erzeugte Wellen, ohne einen herkömmlichen Sender, ohne Sendemasten und ohne Elektrosmog übertragen werden“, Das Tahiti-Projekt, S. 330; mbi-mh.de
(4) Organische Solarzellen: „Solarfolien aus Kunststoff gewinnen — ähnlich wie Pflanzenblätter — Energie aus Licht. Sie sind so dünn, dass sie überall aufgedruckt und auch in Stoffe (z.B. Kleidung) eingebaut werden können. So gewinnt man eine überall einsatzfähige, billige Stromquelle“, Das Tahiti-Projekt, S. 338; www.ipp.mpg.de
(5) Reiskleie: „Sie fällt beim Mahlen und Polieren von Reis an und besteht aus Samenschale und Keimling. Bisher wurde Reiskleie eher als Nebenprodukt betrachtet und als Viehfutter verwendet. In einem Gemisch mit Naturharzen wird daraus eine poröse, abriebfeste Substanz, die sich hervorragend als Straßenbelag eignet und noch dazu ein guter CO2-Speicher ist. Sie ist zudem leiser und verhindert Aquaplaning und ließe sich sogar elektrisch leitend machen, wodurch ohne zusätzliche Einbauten eine elektronische Verkehrsleitung denkbar wäre“, Das Tahiti-Projekt, S. 337; wissenschaft.de
(6) Hanfbeton: „Die Hohlblocksteine werden aus einem Hanf- und Kalkgemisch gegossen. Sie sind so leicht, dass beim Bau kein Kran benötigt wird, und isolieren gut (thermisch wie auch akustisch). Entsorgt werden kann Hanfbeton in Form von Dünger“, Das Tahiti-Projekt, S. 332/333; chanvre-info.ch
(7) Lehm: „Lehm ist leicht zu verarbeiten, meist regional verfügbar und weist hervorragende Eigenschaften für das Raumklima auf (er reguliert die Luftfeuchtigkeit, wirkt wärmedämmend und wärmespeichernd)“, Das Tahiti-Projekt, S. 327; dachverband-lehm.de
(8) Pandanus: „Diese Pflanze gehört zu den Schraubenbäumen. Sie wird bis zu sechs Meter hoch und treibt Luftwurzeln. Ihre Früchte dienen als Nahrungsmittel, ihre Blätter als Gewürz. Die Fasern der Blätter eignen sich auch hervorragend zum Flechten größerer Flächen und werden u.a. beim Bau von Dächern verwendet“, Das Tahiti-Projekt, S. 336
(9) Bambus: „Diese äußerst widerstandsfähige und schnell wachsende Pflanze (in einem Monat bis zu 12 Meter) gehört zu den Gräsern. Es gibt über 1.300 Arten; manche werden bis zu 30 Meter hoch. Geerntet werden kann Bambus bereits nach 4-5 Jahren. Bambus speichert die vierfache Menge CO2 wie ein gleich großes Waldstück und setzt ein Drittel mehr Sauerstoff frei. (…) Bambus ist leicht, besitzt die Druck- und Zugfestigkeit von Stahl und ist äußerst langlebig“, Das Tahiti-Projekt, S. 326/327.
(10) Die kostenlose und gemeinnützige Democracy-App zeigt Ihnen alle aktuellen Gesetzesentwürfe direkt auf dem Smartphone an und lässt Sie sehen, wie unsere Politiker abstimmen, um zu prüfen, ob die von Ihnen gewählten Vertreter auch Ihre Interessen vertreten, damit Sie in Zukunft bessere Wahlentscheidungen treffen können.
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