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Ein Opfer als Kanzler

Ein Opfer als Kanzler

Robert Habeck wirbt damit, Bündniskanzler sein zu wollen — was immer das bedeuten mag. Zutreffender ist wohl, dass er Opferkanzler würde, wenn es denn wirklich für seine Grünen reichte.

Es ist erstaunlich, dass die projizierten Worte weniger über den Spitzenkandidaten auszusagen vermögen als jene, die schon seit längerer Zeit dort angebracht sind — seit 1958 nämlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte man diese drei kurzen Sätze an. Das Tor selbst steht seit 1850. Vor einigen Jahren schien der Ort für städtische Grüne noch als Ort pazifistischer Kundgebungen geeignet. Heute wirbt dort in Guerillamanier der grüne Bundesmessias, der seinen Kriegseifer gerne unterstreicht. Und das, wie man hernach erfuhr, vermutlich sogar ohne Genehmigung für die Wahlkampfaktion; Habeck lachte sich Tage später in einem Interview für Focus Online ins Fäustchen, als sei ihm die genialste Aktion aller Zeiten gelungen.

Habeck, ein Schattenspiel

Die Aufregung war natürlich groß: ein Grüner auf dem Siegestor. Merken die noch was? Dabei war vieles an der Aktion richtig. Allein schon der Umstand der Projektion — denn Robert Habeck ist exakt eine solche. Er ist ein Lichtspiel. Etwas, das mittels Beamer an eine Leinwand geworfen wird. Man fühlt sich an Platons Höhlengleichnis erinnert, Habeck kommt darin als Schatten vor – der Körper, der den Schatten wirft, ist für den Betrachter zuweilen nicht erkennbar. Wer ist dieser Robert Habeck eigentlich?

Die profanen Daten: 1969 in Lübeck geboren, aufgewachsen in der Nähe von Kiel, die Eltern hatten eine Apotheke. Studium. Später war er Autor — von Kinderbüchern, was ihm heute viele Kritiker spöttisch vorwerfen, aber an sich keine Substanz hat. Denn auch Erich Kästner schrieb Kinderbücher und war dennoch ein politisch ernst zu nehmender Mensch. Habeck ist verheiratet, und er identifiziert sich als Mann. Diese Datenlage verrät wenig über Habeck — wie sie über jeden Menschen wenig verraten würde. Politisch trat er erst spät in Erscheinung. Ab 2009 findet man ihn in der Landespolitik — damals noch eher langhaarig, weit aufgeknöpftes Hemd. Er sieht aus wie ein Existenzialist, der nicht viel auf gepflegtes Aussehen setzt, wie ein schlampiger Kaffeehaus-Denker. Ab 2012 ist Habeck Energiewendeminister in Schleswig-Holstein. In der Bundespolitik muss man ihn zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennen. Erst 2018 wird er Bundesvorsitzender der Grünen und damit in ganz Deutschland bekannt.

Habeck wirkt damals wie jemand, den man eben bei den Grünen vermutet: Er ist in jenen Jahren der Versuch eines politischen Popstars, den das Biedere, das Saturierte einfach nicht auszutreiben ist. Er ist einer für Schwiegermütter, versucht den „guten Kerl“ zu geben — hemdsärmelig packt er die großen Probleme der Zeit an, weiß ganz genau, wie es werden muss, damit es gut werden kann. Habeck spricht leise, bis heute tut er das. Er flüstert manchmal. In seiner Stimme schwingt immer etwas mit, das seinen Zuhörern glauben lässt, dass er es nur sagt, weil es ihn empört. Ob das Berechnung ist oder Charakterzug: Man kann es nicht genau sagen. Habeck ist aalglatt, als Mensch kaum fassbar. Dass er je gute Laune haben könnte, ausgelassen lacht, eine Party bereicherte: kaum vorstellbar für die Außenwelt.

Sein Flüstern imitiert aber auch Nachdenklichkeit. Es soll deutlich machen, dass es sich bei ihm um einen Philosophen handelt. Als dieser wurde er noch betrachtet, als er das Amt des Wirtschafts- und Klimaschutzministers und des Vizekanzlers antrat. Als er die Posten erst einmal innehatte, fiel das Philosophische schnell von ihm ab. Seine blanke Ahnungslosigkeit wurde offenbar. Es reichte nicht mehr, Sätze leise und gedrungen hervorzupressen: Nun mussten Antworten, mussten Lösungen her. Habeck bot dergleichen nicht. Er schwadronierte stattdessen. In dieser Zeit entwickelte sich etwas an diesem Mann, das mittlerweile mit ihm verschweißt zu sein scheint: sein Opferstatus.

Habeck, das Opfer

Der Kanzlerkandidat der Grünen fühlt sich seit 2021 gehetzt und verfolgt. Er glaubt, man setze ihm ungerechterweise zu, behandle ihn unfair, würde ihn verlachen. Alle haben sich gegen ihn verschworen, Bürger wie Medien. Politiker anderer Parteien auch. Immer wieder betont er öffentlich, wie ihm und seiner Familie gedroht wird — man muss daran nicht zweifeln, auch wenn es bei den Grünen mitunter schon vorkam, Morddrohungen zu erfinden. So wie vor zwei Jahren, als ein grüner Lokalpolitiker sich über die Medien als Kämpfer gegen rechte Drohgebärden ihm gegenüber positionierte und nach einer Weile herauskam, dass es solche Drohungen nie gab. Habeck wäre ja ein Schwachkopf, wenn er dergleichen erfände. Wir wissen aber, durch die freundliche Mithilfe willfähriger Staatsanwälte, dass der Bundesminister keiner ist. Nur sollte man diese Drohungen nicht zu hoch hängen: Jedem im politischen Betrieb widerfahren sie.

Das mag freilich nicht richtig sein, moralisch verwerflich ist die konkrete Bedrohung von Leib und Leben und Familie ohnehin. Aber Robert Habeck ist beileibe nicht der einzige Politiker, den so ein Schicksal ereilt. Nur nutzen die Vertreter anderer Parteien diese Bedrohungslage nicht, um sich als Opfer zu positionieren und in der öffentlichen Wahrnehmung zu etablieren. Als Habeck nach seinem Halligen-Urlaub Anfang letzten Jahres nicht von einer Fähre konnte, weil sich ihm demonstrierende Landwirte in den Weg stellten, um mit ihm zu sprechen, inszenierte er mit tatkräftiger Unterstützung der Medien eine gravierende Bedrohungslage für sich.

Habeck ist es gelungen, die eigene Wehleidigkeit politisch zu vermarkten. Heute fungiert er als Geschädigter, der sich nicht beirren lässt. Jede Kritik an seiner Person ist Teil seiner Darbietung, seiner Profilierung. Ohne die Reaktionen auf sein Auftreten, seine Politikversuche und seine Gesetzesstümpereien ist der grüne Superstar schier unsichtbar — erst durch sein zorniges Umfeld bekommt er Kontur, wird die Projektion eines angeblich politischen Urviechs sichtbar. Aus der Wut der anderen bezieht er seine politische Substanz. Mit ihr übertüncht er das blasse Unwissen, das sich besonders auch ökonomisch bei ihm offenbarte — so tüftelte sich Habeck aus seiner Insolvenz-Aussage, die er im September 2022 in der Sendung von Sandra Maischberger traf, einen Angriff auf ihn, seine Person, seine Arbeit — einen, der unter die Gürtellinie geht. Und prompt zog er daraus Nektar, denn die schallende Kritik aktivierte abermals seinen Opferstatus. Und nur dieser befähigt ihn, das Gesicht einer Partei zu sein, die für sich beschlossen hat, sich zu opfern.

Denn dass er Politik mache, so gaben er und seine Partei den Bürgern nach und nach zu verstehen, sei ein großes Opfer, das er für die Wahlberechtigten im Lande erbringe. Habecks Strategie — besonders jetzt im Wahlkampf — ist die Opferung. Er tut das nicht für sich selbst — er tut es für uns alle. Er bringt den Wählern seinen Leib dar. Trotz Häme und Spott, trotz Angriffen und Bedrohungen: Der Bundesminister setzt sich als pure Selbstlosigkeit in Szene. Er bringt ein Opfer — weil er das Opfer ist.

Habeck, der Heiland

Das erinnert fatal an eine Gestalt, die jedem bekannt vorkommen sollte, egal ob er sich dem christlichen Glauben zugehörig fühlt oder nicht. Ja, hier lugt die Figur eines Heilandes hervor, ja eines Messias, der ahnt, dass sein Opfer eine schwere Bürde ist, die er sich aber dennoch auferlegt. Deutet darauf sein Wahlkampfmotto hin? Es lautet: „Ein Mensch. Ein Wort.“ Will man dem Bürger damit, ganz der Heilandfigur zupass, vermitteln, dass auch Habeck nur ein Mensch ist, aber dem höchsten Wohl ergeben, so wie Jesus nur ein Mensch war, bevor er sich dem Christus hingab?

Robert Habeck ist der Kanzlerkandidat einer Partei, die, anders als andere Parteien, keine Wählerinnen und Wähler hat, sondern Gläubige und Fanatisierte, die aus einem wohligen Bauchgefühl kleinbürgerlicher Fasson heraus ihr Votum abgeben. Politische Inhalte sind dabei einerlei, wie man in den letzten knapp vier Jahren sehen konnte. Krieg oder Frieden, Umweltschutz oder kerosinschluckende Kampfflieger, harmonische Gesellschaft oder Sozialabbau: ganz egal, alles dasselbe für jene „true believer“, die dieser Partei allein deshalb ihre Stimme geben, weil sie zu ihrem Image passt und ihnen eine gute Aura verleiht. Zuweilen liest man, dass die Grünen eine pragmatische Partei seien und Habeck pragmatische Politik mache. Nichts davon stimmt, denn auch Pragmatismus setzt eine Leitlinie voraus, um die herum man Kompromisse eingehen muss. Aber für Habeck und die Seinen gibt es keinen thematischen Kern, sie sind beliebig heute dafür und morgen dagegen — und übermorgen dafür, während sie synchron dazu dagegen sind.

Robert Habeck wäre der erste deutsche Bundeskanzler, der nicht auf einer Woge der Beliebtheit oder durch die Früchte des eigenen Karrierismus ins Kanzleramt schlittern würde: Er wäre dorthin gelangt, weil er das Opfer der öffentlichen Debatte war. Jemand, dem man böse mitgespielt hat — und der daher ein Opfer brachte und trotzdem Kanzler werden wollte. Ganz anders beispielsweise Gerhard Schröder, der als junger Mann mal nachts am Zaun des Kanzleramte, damals noch in Bonn, gerüttelt haben soll, dabei rufend, dass er eines Tages dort reinwolle. Habecks Geschichte ginge anders: Es wäre die Geschichte inszenierter Bescheidenheit, vorgebracht mit Leichenbittermiene und pietistischer Lebensverzagtheit. Er wäre der Opferkanzler.

„Wäre“ — Konjunktiv also. Denn vermutlich geht dieser Kelch an den deutschen Wahlbefugten vorüber, die Prognosen weisen etwas anderes aus. Es wird wohl ein anderer Kelch werden. Wir werden nie erfahren, was ein Bündniskanzler ist. Als dieser verkauft sich Habeck dieser Tage den Wählern. Vielleicht hätten wir dann erfahren, dass Habeck einen neuen Bund eingeht, so wie jener Gottessohn, von dem er aktuell so inspiriert scheint. Amen!


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