Das Gespräch von Elisa Gratias mit Sven Böttcher löste ein Bauchgefühl aus: Wie in der berühmten Nussschale kristallisiert sich hier das ganze Drama von Team Mensch heraus. Was ist ein Mensch und wann ist ein Mensch ein Mensch? Was ist menschlich? Wieso sind die anderen wie Team Bill beziehungsweise Team Zombie so unmenschlich? Wo liegt das gelobte Land der Menschlichkeit? Gibt es das im Kleinen, zum Beispiel in Tamera, und kann das auch im größeren Maßstab, das heißt auf Staats- oder sogar Menschheitsebene/Menschheitsfamilie funktionieren? Wer führt uns aus der Bill'schen Gefangenschaft in das Land, in dem Biomilch und selbstgemachter Honig fließen? Welches Meer muss auf dem Weg dorthin geteilt werden?
„Am Ende stehen mehr Fragen als Antworten im Raum — und die Übereinkunft, dass die Debatte und Idee von Team Mensch nicht nur möglich, sondern wichtiger ist denn je“, heißt es im Teaser zum Gespräch. Machen wir uns also an die Arbeit.
Versuch einer Analyse
Wenn wir das Gespräch zwischen Elisa Gratias und Sven Böttcher als selbsternannter Küchentisch-Psychologe auf die Couch legen und analysieren, stoßen wir sofort auf zahlreiche Schwierigkeiten und Dilemmata, wie zum Beispiel auf das berühmte Gefangenen Dilemma. Da wir es mit großen Menschheitsproblemen und mit Problemstellungen der Spieltheorie zu tun haben — auf diesem komplexen Spielfeld kann man sich schnell auch einen Nobelpreis verdienen — erscheint es eher unwahrscheinlich, auf wenigen Seiten einen nennenswerten Beitrag zur Problemlösung leisten zu können. Um theoretischen Höhenflügen vorzubeugen — der mit heißer Luft gefüllte Ballon könnte bei der ersten Nagelprobe zerplatzen, falls er nicht von Team Bill oder Joe abgeschossen wird — soll dieser Beitrag mit ganz konkreten Team-Mensch-Projekten geerdet werden, an denen der Autor beteiligt war.
Für den ausführlichen theoretischen Teil der Analyse beziehe ich mich auf meine Trilogie Sanierungsfall Megamaschine, die 2019 in der Neuen Debatte veröffentlicht wurde. Bezugnehmend auf das Buch „Das Ende der Megamaschine“ von Fabian Scheidler widmete ich mich dort folgender Fragestellung, die der von Team Mensch gleicht:
Wie können wir eine dezentral organisierte (siehe Selbstorganisation) Plattform aufbauen, die eine tragfähige Basis für die Zivilgesellschaft darstellen kann?
In der Zwischenzeit gab es die Corona-Krise und aktuell können wir den Konflikt in der Ukraine mitverfolgen, was uns die Möglichkeit gibt, die Aussagen dieser Abhandlung auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen. Gut dazu eignen sich die 4 Tyrannen, von den Fabian Scheidler spricht:
- Physische Macht
- Strukturelle Gewalt
- Ideologische Macht
- Tyrannei des linearen Denkens
Was die Tyrannei des linearen Denkens angeht, würde ich eine Modifikation vornehmen wollen. Mittlerweile wäre ich froh, wenn ich hin und wieder eine konsistente und nachvollziehbare Form von Denken wahrnehmen könnte. Allzu oft fühle ich mich wie im Prozess von Kafka, bei dem keinerlei Regeln mehr erkennbar sind. Denken wird durch Willkür ersetzt beziehungsweise verboten: „Diese Maßnahmen dürfen nicht infrage gestellt werden.“
Versuch eines pragmatischen Ansatzes
Zur Vorbereitung dieses Beitrages habe ich zahlreiche weitere Rubikon-Texte gelesen. Auf der einen Seite ist dies ein großes Vergnügen, vor allem auch dank des technisch, ästhetisch und inhaltlich hochwertigen Gesamtpakets, auf der anderen Seite meldet ein schwaches Gedächtnis irgendwann „Information Overflow“, Speicherkapazität am Ende. Was hängen bleibt, sind oft spitze Bemerkungen, wie die von Sven Böttcher, der Tamera mit Regentanz und Gruppensex verbindet oder der sich an weitere derartige Vorzeigeprojekte herantastet: Gibt es da nicht noch Siebeneichen oder war es Siebenlinden, womit wir dann sehr schnell bei der Handvoll von Gemeinschaftsprojekten sind, die viele von uns aufzählen können: Tempelhof, Schloss Blumenthal, Mondragon, Cecosesola, Sekem.
Und schon sind wir bei einem weiteren Dilemma. Oft kennen wir nur die Namen und auf dieser Ebene erreichen wir nicht die erforderliche Tiefe, um etwas Sinnvolles zum gewünschten Systemwechsel sagen zu können. In diesem Spagat zwischen oberflächlichen spitzen Bemerkungen und einer tief schürfenden Analyse will ich durchaus Zuflucht zu Zuspitzungen nehmen und die Sache auf die Spitze treiben.
Auf die Spitze treiben beziehungsweise über den Rubikon gehen
„Es kommt immer anders, wenn man denkt“, behauptet der Rubikon. Hier möchte ich eine kleine Einschränkung einfügen: Es kommt immer anders, wenn man die Dinge von Spitze zu Spitze durchdenkt, wobei man die eine Spitze als Wurzelspitze, radikales Denken, die andere als Blattspitze, Impact/Wirkungsdenken, bezeichnen kann. Potenzialität gerinnt zu Realität, sagte Hans-Peter Dürr. Ein in die Zukunft gerichteter Gedanke beschreibt eine potenzielle Realität. Der Baum wird zwar nicht an die Blätter denken, die er ausbilden will, aber in der Eichel dürfte bereits die Blattform einer Eiche angelegt sein, die dann in einem komplexen organischen Prozess entwickelt wird. Von daher kann man durchaus von einer Blaupause Blatt sprechen. Gibt es analog dazu etwa eine Blaupause für den Menschen und damit auch für Team Mensch, so etwas wie eine Platon´sche Idee oder eine Urform Goethes?
Im Gespräch zwischen Elisa Gratias und Sven Böttcher über das Team Mensch geht es um Aussichten der Menschheit auf eine lebenswerte Zukunft.
„Die ‚alte Normalität‘ ist Geschichte und kehrt nicht zurück. Wie aber wird die ‚neue‘ aussehen? Wer gestaltet die neue Welt?“
Bleiben wir bei der Metapher des Baumes, der seine Blätter oder Früchte ausbildet, dann könnten wir versucht sein, uns die neue Welt als Blatt oder Frucht vorzustellen. Und tatsächlich erlebe ich in den verschiedenen „Team Mensch Projekten“ immer wieder die Aufforderung, malt doch ein Bild eurer Vision für eine bessere Welt. Regelmäßig landen diese Bilder dann in der Schublade oder in der Papiertonne. Eine echte transformierende Wirkung stellt sich nicht ein. Das schöne Bild reicht doch nicht bis zur Wirklichkeit, wie es bei Ludwig Wittgenstein heißt: Tractatus 2.12: Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit. 2.1511 Das Bild ist so mit der Wirklichkeit verknüpft; es reicht bis zu ihr.
Hier fällt mir folgende sinngemäß zitierte Aussage ein, die ich leider keinem Autor mehr zuordnen kann: „Die Tragik des Menschen besteht darin, dass er die Dinge nicht tief genug durchdenkt sondern kurz vor dem letzten Schritt stehen bleibt.“ In meiner Interpretation: Das Gedankenmodell hält der Wirklichkeit nicht stand. Auf die Metapher des Baumes übertragen: Unser Denken muss nicht nur von der Wurzel bis zur Frucht reichen, es muss auch das ganze umliegende und sogar das globale Ökosystem mit einbeziehen.
Tiefe des Denkens wird oft genug durch Hinweise auf die Systemtheorie, die Quantentheorie oder das Nennen berühmter Namen ersetzt. Immer häufiger ist dabei auch von der Weisheit des Waldes die Rede und auch das Bild mit der Raupe, die sich zum Schmetterling wandelt, ist recht beliebt. Aber mit schönen Metaphern und Sprüchen allein — stellt dir vor es ist Krieg und keiner geht hin — kann man die Welt nicht ändern.
Auch an dieser Stelle ist kein Platz, um hier in die Tiefe der anstehenden Großen Transformation einzusteigen, siehe auch die Gutachten des WBGU dazu. Aber im Prozess des Schreibens hat sich ein neuer Gedanke eingeschlichen. Zunächst wollte ich das Bild der neuen Welt auf der anderen Seite des Rubikons ansiedeln und fragen, wer teilt nicht das rote Meer, sondern den Rubikon um uns in das neue gelobte Land führen. Aber wenn man in die Geschichte der zahlreichen Utopien zurückblickt, dann hat es sich nicht bewährt, die bessere Welt in einem anderen Land anzusiedeln. Alternativ gibt es den Begriff der Uchronie. Wäre es nicht angebracht, die gegenwärtige Zeitenwende zu nutzen, um die bessere Welt in der nahen Zukunft aufzubauen? Sagte nicht schon Antoine de Saint Exupéry:
„Man kann nicht in die Zukunft schauen, aber man kann den Grund für etwas Zukünftiges legen — denn Zukunft kann man bauen.“
Was bedeutet diese gedankliche 90 Grad Wende für die Metapher vom Rubikon? Was bedeutet es für Team Mensch, über den Rubikon zu gehen? Julius Cäsar überschritt 49 v. Ch. mit seinen Truppen den Rubikon und erklärte damit Rom den Krieg. Jetzt gab es kein zurück mehr, alea jacta est, die Würfel sind gefallen.
Überschreitet Team Mensch den Rubikon und zieht gegen Team Bill in den Krieg oder gibt es Alternativen? Kennzeichnet der Rubikon die viel zitierte Spaltung der Gesellschaft, die jeder von uns mehr oder weniger intensiv erfahren hat?
Auf welche Truppen könnte sich Team Mensch stützen? Sind diese stark genug, um die neue Gesellschaft aufzubauen oder lösen sich die schönen Wunschvorstellungen in Luft auf, wenn jemand ruft: Hic Rhodus, hic salta! Zeig doch, was du kannst!
Der Rubikon war der Grenzfluss zwischen der römischen Provinz Gallia cisalpina und dem eigentlichen Italien. Er fließt von der Quelle in den Apenninen bis in die Adria. Müssen wir diesen Fluss überschreiten oder könnte er nicht als Lebensader unserer schönen neuen Welt dienen, die sowohl Team Bill wie auch Team Mensch ernährt? Ursprung und Gegenwart heißt das Hauptwerk von Jean Gebser. Brauchen wir nicht den Ursprung, die Quelle des Lebens, und den Fluss als Lebensprozess oder permanent acting process, wie es Roland Ropers in Übereinstimmung mit Hans-Peter Dürr ausdrückt? Dieser Prozess steht für die eigentliche Wirklichkeit, das heißt für das, was über die Realität hinausgeht. In diesem Zusammenhang hat Hans-Peter Dürr auch den Begriff der Wirks geprägt:
„In meiner Sprache nenne ich es ein ‚Wirks‘ oder ‚Passierchen‘. Es ist eine winzige Artikulation der Wirklichkeit, etwas, das wirkt, das passiert, das etwas auslöst.”
Dieser Satz erinnert mich schmerzlich an meine Erfahrungen mit „Team Mensch Projekten“. Dort passiert häufig nichts — es wirkt nichts - zumindest nichts, was auch annähernd mit den Zielen zu tun hat, mit denen diese Teams angetreten sind.
Lets flip — Lasst uns die Dinge vom Kopf auf die Füße stellen
Vom Wahnsinn der Normalität (Arno Gruen) zur Normalität des Sinns (Viktor Frankl)
Am Beispiel der Plattform Flip will ich von der Theorie zur Praxis wechseln. Wie können wir ganz real etwas für die bessere Gesellschaft tun, die wir uns wünschen?
So beschreibt Flip die Mission der Plattform.
Wie wir mit Flip etwas bewirken wollen
Wir wollen mit Euch etwas Neues schaffen. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber Schritt für Schritt. Die Grundlage von allem sind für uns verlässliche Fakten. Deshalb machen wir sorgfältigen und kritischen Journalismus. Darauf aufbauend bündeln wir in einer starken Community die Macht der Verbraucher und entwickeln mit ihnen perspektivisch auch innovative Lösungen für eine bessere Wirtschaft. Das Flip-Prinzip beruht also auf drei Säulen: Journalismus, Community, Innovation.
Nach der Fairtalk-Sendung MACHEN ALTERNATIVE MEDIEN DEN BESSEREN JOURNALISMUS? schrieb ich den Mitdiskutanten Tom-Oliver Regenauer an. Auch mich trieb die Frage um: Sind „wir“ als Alternative — über den reinen Journalismus hinausgedacht — wirklich besser? Wie können wir von der Erkenntnis unserer traurigen Lage zur Tat schreiten? Wie vermeiden wir in diesem Tsunami von Horrormeldungen Depression, Verzweifelung oder Schlimmeres? Könnten sich die alternativen Medien nicht dadurch vom Mainstream unterscheiden, dass sie in Verbindung mit ihrer Leserschaft so etwas wie eine echte vierte Gewalt darstellen, eine Gewalt, die tatsächlich vom Volke ausgeht und die etwas bewirkt?
Ein derartiges Selbstverständnis geht über das Bild des klassischen Journalismus hinaus, aber warum sollten wir nicht mit Tom-Oliver Regenauer sagen:
Also lasst uns realistisch sein und das Unmögliche versuchen.
Vor diesem Hintergrund gefällt mir das Modell von Flip, das Journalismus mit Aktion verbindet. Auch an dieser Stelle bietet es sich an, die Erfahrungen mit zahlreichen Initiativen einzuflechten. Projekte, die nur gegen etwas gerichtet sind, werden sich schnell zu reinen Plauderrunden entwickeln oder schnell zerfallen. Die gemeinsame Tat, die dann auch zu einem sichtbaren, sinnvollen Ergebnis führt, die wirkt, ist das, was wirklich verbindet, siehe auch das Spiel Wirkraft, das, was Wirklichkeit schafft.
Aber! Das Problem mit der kritischen Masse.
Der Rubikon ist das Magazin für die kritische Masse, was man zumindest in doppelter Bedeutung sehen kann. Zweifellos wird sich die Leserschaft des Rubikon aus dem kritischeren Teil der Bevölkerung rekrutieren, aber reicht dieser Teil aus, um die kritische Masse für die angestrebten Veränderungen auf die Waagschale zu legen?
Der oben angeführte Fairtalk über die alternativen Medien gibt einen ersten Hinweis. Dort wurde die Frage aufgeworfen, ob sich die alternativen Medien zu einer übergeordneten Plattform zusammenschließen sollten. Sofort regte sich Widerstand nach dem Motto: Wir wollen doch nicht den Teufel mit dem Belzebub austreiben.
Einerseits handelt es sich hier um einen berechtigten Einwand, andererseits wird es dann natürlich schwierig, die erforderliche kritische Masse zu mobilisieren. Somit stehen wir auch hier vor einem weiteren Dilemma. Vielfalt und Diversität — als Kontrast zu Monokulturen — kennen wir als Stabilitätsfaktor aus dem Bereich von Ökosystemen. Außerdem haben wir zu oft erlebt, dass zu erfolgreiche Akteure abgeschaltet wurden, als sie sich einer kritischen Masse annäherten. Trotzdem scheint ein „weiter so“ in einem mittelalterlichen Flickenteppich an alternativen Kanälen wenig zielführend. Das Prinzip divide et impera wird dann freiwillig praktiziert. Und sind wir dann nicht auch bei der Bemerkung von Sven Böttcher: Tamera und all die anderen Insellösungen mögen im Kleinen funktionieren, sie haben aber keinerlei Auswirkung auf das große Ganze. Die angestrebte neue Gesellschaft kann so nicht erreicht werden.
In China gab es 1956/57 die Hundert Blumen Bewegung. Jeder war aufgerufen, sich kritisch dem Staat gegenüber zu äußern. Als diese Bewegung zu erfolgreich wurde, schnitt man die Blumen ab, die sich zu weit vorgetraut hatten. Heute blühen die alternativen Medien auch ungefragt. Aber geht es nicht jedem erfolgreichen alternativen Kanal ebenso und sterben nicht viele dieser Medien mangels kritischer Masse von alleine ab?
Schon wieder scheint die Lage hoffnungslos zu sein, schon wieder haben wir uns in einen Gordischen Knoten verstrickt. Brauchen wir schon wieder einen griechischen Helden, wie damals Alexander der Große, der diesen Knoten mit seinem Schwert durchtrennt oder nehmen wir dafür gleich das Damoklesschwert, das drohend über uns schwebt? Die Geschichte von Team Mensch scheint ein einziges griechisches Drama zu sein, ist es doch eher eine göttliche Komödie oder sind wir auf dem Narrenschiff von Reinhard Mey, das in Kürze das Riff oder den Eisberg rammt.
Die Triangulation als Rettung in der Not?!
In der Seefahrt war und ist eine präzise Triangulation die Methode zur exakten Bestimmung der Position. Früher verwendete man dafür einen Sextanten, heute übernimmt das GPS-gestützte Navigationssystem diese Aufgabe.
Tom-Oliver Regenauer benutzt den Begriff der Triangulation in seinem Buch Homo Demens in folgender Bedeutung:
„Ich möchte Information und Wissen teilen, um jedem Leser zu ermöglichen, über Triangulation aller verfügbaren Daten seine eigene Position zu bestimmen. Denn nichts ist wichtiger für eine faire, inklusive und eigenverantwortlich organisierte Gesellschaft als offene Debattenräume. Nur in konstruktiver Auseinandersetzung mit allen verfügbaren Informationen, Ideen und Meinungen entstehen nachhaltige, holistische Denkmodelle.“
Das Magazin Rubikon steht für so einen offenen Debattenraum. Allerdings scheint es mir noch ein weiter Weg von der offenen Debatte zum holistischen Denkmodell zu sein. Für Homo Demens wird es nicht einfach sein, den evolutionären Schritt zum ganzheitlichen und weisen Homo Integralis zu bewältigen.
Um auf das Magazin Flip zurückzukommen, scheint mir ein erster viel versprechender Schritt in der „Triangulation“ der drei Segmente Journalismus, Community und Innovation zu liegen.
Der Rubikon steht für das Segment Journalismus, der sich für eine bessere Welt einsetzt.
„Die Redaktion bemüht sich, die Welt ein wenig besser zu machen und einen möglichst großen Ausschnitt der Realität zu beleuchten.“
Als Beispiel für eine Community will ich die von Tom-Oliver Regenauer gegründete Plattform the natwork nennen.
Bleibt noch das Segment Innovation. Hier verweise ich wieder auf die Plattform Flip, die dazu schreibt:
„Wir benennen nicht nur Probleme, sondern suchen mit Euch auch nach innovativen Lösungen. Was dabei herauskommt? Wissen wir noch nicht! Gemeinsam finden wir es heraus.“
Nach diesem langen Monolog wäre das eigentlich ein gutes Schlusswort. Suchen wir gemeinsam nach innovativen Lösungen. So schnell gibt Team Mensch nicht auf. Vielleicht können wir ja bei einem möglichen Folgebeitrag bereits über konkrete Projekte berichten.
Offen bleibt nur noch die Einlösung der Eingangsthese — Die Tragik von Team Mensch liegt in der Unternutzung des menschlichen Potenzials — was noch ein paar Worte zur vollmundig angekündigten Analyse des Gespräches von Elisa Gratias mit Sven Böttcher und zur Erdung mit realen „Team Mensch Projekten“ bedingt.
Das Gespräch über Team Mensch auf der Couch
Aus dem Teaser zum Video:
„Sven Böttcher möchte ein neues Land gründen, und Elisa Gratias spricht von kleinen Schritten im Alltag. Anstelle von Weltfrieden also wieder erst einmal eine Meinungsverschiedenheit.“
„Am Ende stehen mehr Fragen als Antworten im Raum — und die Übereinkunft, dass die Debatte und Idee von Team Mensch nicht nur möglich, sondern wichtiger ist denn je.“
Mit diesen beiden Sätzen ist fast schon alles gesagt. Das Gespräch startet unter guten Voraussetzungen. Wir haben ein hochkarätiges Team Mensch, das durch das Buchprojekt von Sven Böttcher „Wer, wenn nicht Bill?“ und die begleitenden Beiträge über das Team Mensch Projekt im Rubikon gut vorbereitet ist, aber schnell stellte es sich heraus, dass der Spannungsbogen zwischen dem Weltfrieden oder der Weltrettung und den kleinen Schritten im Alltag zu groß war. Jeder positive Ansatz konnte durch ein Gegenbeispiel zerlegt werden. Die Sache mit dem Kartoffelhof, der Selbstbedienung, würde funktionieren, wenn dann nicht jemand mit dem Lastwagen käme und die ganze Ernte mitnimmt, ohne zu bezahlen. Gegen die bekannten Inselprojekte wie Tamera et cetera ist nichts einzuwenden, aber sie haben NULL Einfluss auf das große Ganze. So kann man ein Land mit 84.000.000 Millionen Einwohnern nicht umwandeln. Die persönliche Weiterentwicklung ist ganz nett, aber auch hier gilt das Gleiche: Für ein Land ist es völlig gleichgültig, wie ich mich fühle und wie weit ich mit meiner Traumabehandlung fortgeschritten bin.
Irgendwann stellt Elisa Gratias fest: Dann ist doch eigentlich alles hoffnungslos. Warum sitzen wir dann eigentlich hier?
Und täglich grüßt das Murmeltier, möchte man an dieser Stelle sagen. Genau das habe ich in den verschiedenen „Team Mensch Projekten“ erlebt. Man trifft sich einmal im Monat, dann gibt es eine Einführungsrunde, die oft durch eine meditative Übung eingeleitet wird — wir verbinden uns mit dem Universum — und jeder schildert dann sein Anliegen oder seine Motivation, um mitzumachen. Und auch hier reicht der Spannungsbogen von der beispielsweise im Programm der Transition Town Bewegung und der Gemeinwohl Bewegung angestrebten gesellschaftlichen Transformation bis hin zu kleinen Einzelaktionen wie dem Aufstellen einer Mitfahrbank oder dem Anlegen eines Hochbeetes. In der Regel aber beschränkt man sich auf das Zeigen von aufklärenden oder Mut machenden Filmen oder auf sonstige Informationsveranstaltungen. Verstärkt durch den durch die Corona-Krise ausgelösten Digitalisierungsschub kann man jetzt fast täglich irgendeinem digitalen Summit beiwohnen, auf dem sich dann die bekannten Stars der Manege tummeln. Dort werden dann auch altbekannte oder neue Methoden propagiert, die irgendwie an die von Sven Böttcher erwähnten Regentanz-Rituale erinnern, zum Beispiel beim Social Presencing Theater bei Otto Scharmer.
Wenn ein Forscher entdeckt hat, dass Lachen Glückshormone ausschüttet oder die Gehirnwellen verändert, dann folgen viele dem Lachguru und brechen in schallendes Gelächter aus. Gerade habe ich erlebt, dass Schütteln angesagt ist, und wenn jemand sagt, stellt euch auf den Kopf und schlagt euch auf das linke Ohr, das fördert die Gammawellen, dann werden viele auch diesem Rat folgen. Irgendwie erinnert das an die unsäglichen Maßnahmen der vergangenen Jahre, die ebenso unhinterfragt befolgt wurden. Und ähnlich wie bei den Corona-Maßnahmen könnte sich später die Unwirksamkeit der einen oder anderen gerade angesagten Methode herausstellen.
Die Kurzform einer Analyse könnte so aussehen: Die Physiker beherrschen gerade noch das Zweikörper-Problem, das heißt, sie können die Wechselwirkung dieser Körper berechnen. Bereits das Dreikörper-Problem ist unlösbar. Wie wir in dem Gespräch zwischen Elisa Gratias und Sven Böttcher sehen, ist bereits das Zweimenschen-Problem unlösbar. Beim mehrmaligen Ansehen kam ich mir vor wie bei meinen ersten Navigationsflügen, bei denen ich meine aktuelle Position ständig mit dem Finger auf der Karte triangulieren musste. Wichtig waren dabei Fixpunkte, das heißt eindeutig identifizierbare Bodenmerkmale wie ein Fernsehturm, eine Burg und dergleichen. Wenn man einmal die Position verloren hatte, war es extrem schwierig, sich neu zu orientieren, und dann konnte sich leicht Panik einstellen. Die Rettung bestand darin, auf dem vorgesehenen Kurs bis zu einer Auffanglinie — etwa einem größeren Fluss oder einem Gebirge — weiterzufliegen.
Auch in dem Gespräch verlor ich ziemlich rasch die Orientierung, vermeintliche Orientierungspunkte wie der Kartoffelhof zerplatzten wie die 99 roten Luftballons von Nena und selbst vermeintliche Fixpunkte wie die Leuchtturmprojekte Tamera oder Siebenlinden halfen für das große Ganze nicht weiter. Es war interessant zu sehen, wie sich Elisa Gratias und Sven Böttcher zu ihrer Auffanglinie retteten. Diese Bestand in der Anerkennung der jeweiligen guten menschlichen Absicht; Sven zu Elisa: Du bist ein großartiger Mensch, du reagierst auf ein Lächeln, ich bin eher der im Schützengraben, ich reagiere, wenn ich angebrüllt werde. Aber im Grunde sind wir nicht weit auseinander.
Zum Schluss spendete ein Gedicht von Rainer Maria Rilke Trost. Es besteht ja die Hoffnung, dass wir uns eines fremden Tages in die Antworten auf unsere drängenden Fragen hineinleben. Somit endete das Gespräch versöhnlich mit der Erkenntnis: Wir brauchen weitere Debatten und mit der Aufforderung, schickt uns doch eure Visionen.
Meine Vision habe ich in der Trilogie in der Neuen Debatte beschrieben. Auslöser für diesen Text war ein Kitchentalk Video mit dem Herausgeber Gunther Sosna, auf das hin ich mich bei ihm meldete. Ähnlich war es mit dem Rubikon-Gespräch über das Team Mensch, das dem aktuellen Artikel zugrunde liegt oder das Fairtalk-Gespräch über die alternativen Medien, nach dem ich Kontakt mit Tom-Oliver Regenauer aufnahm.
An diesen drei Beispielen sieht man die potenzielle Wirkung der alternativen Medien — sie können etwas auslösen — wobei es allerdings noch ein weiter Weg von der Vision hin zum Impact ist. Oft genug verpuffen schöne Ansätze wie der heiß ersehnte Regen in der Wüste, der nicht einmal den Boden der Tatsachen erreicht.
Im Management gibt es den Dreiklang von Vision, Mission, Strategie. Aber sofort könnte sich hier eine neue Spannung aufbauen. Um es überspitzt auszudrücken, den Regen-, Bauch- und Traumtänzern der alternativen Bewegung kann ich nicht mit Management kommen. Auch das Bild einer Blaupause/Strategie für die angestrebte neue Gesellschaft scheint tabu zu sein.
An dieser Stelle fällt mir meine Eingangsthese ein:
Die Tragik von Team Mensch liegt in der Unternutzung des menschlichen Potenzials.
Trotz aller spöttischen Bemerkungen über die großen Stars der Manege im alternativen Zirkus und über das Fußvolk, das allzu leichtgläubig den Versprechungen von irgendwelchen Gurus folgt, gibt es da überall auch die echten Macher, die in aller Öffentlichkeit oder auch im Stillen hervorragende Arbeit leisten. Das Potenzial, das Team Mensch für sein herausforderndes Projekt der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft zur Verfügung steht, dürfte also vorhanden sein, es wird aber viel zu wenig genutzt. Wie aber können wir das tägliche Drama vermeiden, das sich dann einstellt, wenn sich „Team Gutmensch“ etwas naiv und unterkomplex den schwierigen Fragestellungen annähert oder wenn es im Team Mensch menschelt, weil auch hier egoistische Ziele über das propagierte Gemeinwohl gestellt werden?
Der Worte sind nun genug gewechselt. Schreiten wir zur Tat und unterziehen wir uns der härtesten aller Prüfungen: Nehmen wir uns ernst. Folgen wir der Aufforderung: Hic Rhodus, hic salta, springen wir aus der virtuellen Realität des Bildschirms, vor dem wir sitzen, in das echte Leben. Dazu müssen all die schönen Worte anschlussfähig sein, um hier mit diesem Konzept von Niklas Luhmann einen weiteren berühmten Namen zu zitieren. Unsere Triangulation muss vom Wort bis hin zum harten Boden der Realität reichen. Der Gedankenpfeil muss sein Ziel erreichen und nicht vorher zu Boden fallen.
Nach dieser Runde durch ein Labyrinth mehr oder weniger wilder Gedankengänge gehen wir auf Start und drücken den Reset Button. Wie gesagt, das Potenzial für unser scheinbar utopisches Vorhaben ist vorhanden, nutzen wir die Angebote, die ich exemplarisch am Beispiel des Rubikon Autors Tom-Oliver Regenauer verdeutlichen will. Er stellt uns das Netzwerk The Natwork zur Verfügung.
„The Natwork: Was wollen wir erreichen?
Helft uns dabei, aus versprengten Netzwerken und Bewegungen eine bessere, offene und unabhängigere Gesellschaft zu formen. Denn wir brauchen einen Neustart — einen People´s Reset.“
Wenn wir dieses Mission-Statement als eine Art Lastenheft betrachten, dann wäre es doch spannend, daraus ein Pflichtenheft zu gestalten und dieses in ganz realen Projekten umzusetzen. Aber das ist dann der Stoff für einen weiteren Artikel.
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