„Rechte“ sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Der Begriff hat sich mit der Zeit stark gewandelt. Heute kann es auch einem Menschen wie Alexa Rodrian passieren, als „rechts“ beschimpft zu werden. Sogar als „Nazischlampe“ wurde sie wegen der Teilnahme an einer friedlichen Demonstration gegen die Coronamaßnahmen 2020 von „antifaschistischen“ Gegendemonstranten betitelt. In eine derartige Ecke gestellt zu werden, hätte sie sich noch wenige Jahre zuvor nicht träumen lassen. Alexa sang als Jazzsängerin den antirassistischen Billy-Holliday-Klassiker „Strange Fruit“, dessen Text sie selbst auch ins Deutsche übersetzt hatte. „Dein dunkler Körper riecht verbrannt, du fremde Frucht im fremden Land.“ Die „Frucht“ — damit ist der am Baum hängende Körper eines Schwarzen gemeint, der in Zeiten der Sklaverei der Lynchjustiz zum Opfer fiel.
Sie singt den Song eindringlich mit einem etwas rauen, „dreckigen“ Timbre, wie wir es von großen Sängerinnen der Jazz- und Soulsparte kennen. Alexa und Jens sind weltoffene Künstler, die mit Menschen aus verschiedenen Ländern befreundet sind und zusammen musiziert haben. So beschreibt Alexa Rodrian in einem Kapitel aus ihrem Buch „Anders als es einmal war“ auch ihren durchaus internationalen Weg, der sie unter anderem in die USA führte. Und sie nimmt Migranten vor zu einseitigen Vorwürfen seitens fremdenfeindlicher Deutscher in Schutz.
„Ich persönlich habe viele Übergriffe von Männern aus meinem Kulturkreis erfahren und weigere mich daher, vor den Türen anderer zu kehren, um vielleicht sogar noch abzulenken von den unglaublichen Straftaten, die in diesem unserem Lande, im Namen unserer Religion, von ‚unseren‘ Männern an ‚unseren‘ Kindern und Frauen begangen und zur Scham unserer ganzen Justiz und unserer Gesellschaft nicht einmal geahndet werden.“
Plötzlich Nazi
Mit einer solch „weltfraulichen“ Einstellung sowie einer wirklichen Hammerstimme hätte man sich für Alexa Rodrian eine beachtliche Karriere auch im „Mainstream“ vorstellen können. Tatsächlich fühlte sich die Künstlerin aber in den letzten Jahren oft wie eine Aussätzige behandelt — beleidigt, missachtet, ausgeladen, gecancelt. Der Grund war wohl, dass ihr Gewissen und ihr Scharfsinn sie dazu brachten, in allen wichtigen politischen Fragen der Gegenwart stets mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit die „falsche“ Position einzunehmen. „Falsch“ — das meint hier: anders als es die Mehrheit jener Politiker und Presseerzeugnisse vorgeben, die sich grundsätzlich auf der Seite des Guten wähnen.
Während alle sich mit geradezu selbstquälerischem Eifer menschenrechtswidrigen Coronamaßnahmen unterwarfen, äußerte sie Bedenken; während alle auf „den Russen“ herumhackten, warb sie für Verständnis und gab Friedenskonzerte.
Auch das Gaza-Bombardement ließ Alexa Rodrian keine Ruhe, und natürlich war „bedingungslose Solidarität mit Israel“ nicht ihr Ding, wenn sie mit Achtlosigkeit gegenüber Zehntausenden ermordeten Palästinensern einherging. In einem erst 2024 entstandenen Lied appelliert sie leidenschaftlich gerade an die Frauen beider verfeindeter Lager:
Mütter da lässt mich was nicht los
Es ist voller Emotion und ganz schön groß
Wie können wir’s ertragen den Gedanken
Kinder anderer Mütter werden gefoltert und erschlagen
Im Namen des eigenen Clans welch grausamer Wahn
Mütter erhebt eure Stimmen
Steht auf und trefft eine Wahl
Wie können wir’s ertragen den Gedanken
Kinder anderer Mütter in solch einer Qual
Im Namen der Selbstverteidigung
Lassen sie ihre tödlichen Schwerter klingen
Rhythmisierte Darstellung des Innen und Außen
In solchen Liedern ist Politik mehr als eine Angelegenheit verkopfter Analyse, sie ist erlebte, erlittene Herzensangelegenheit. Wie es auch Salomea Genin, 92 Jahre alte jüdische Autorin des Buches „Ich folgte den falschen Göttern“, gesagt hat, mit der Alexa Rodrian ein Interview führte: „Es gibt nichts Persönliches, was nicht auch politisch, und nichts Politisches, was nicht auch persönlich ist.“ Und Alexa fügt hinzu: „So verstehe ich die Poesie: als die kurz gefasste, rhythmisierte Darstellung des Innen und des Außen.“
Und poetisch ist ihr Buch ohne Zweifel – auch dort, wo sie Prosatexte aus Journalistentätigkeit der Jahre 2020 bis 2024 veröffentlicht. Ihre Sprache ist auf das Wesentliche konzentriert — schnörkellos und nicht „dunkel“, was die Verständlichkeit betrifft. Jedoch emotional geladen, eindringlich, unbequem.
So ist „Anders als es einmal war“ auch eine Liebeserklärung an den Typus des engagierten Künstlers in Zeiten des abnehmenden politischen Lichts. An jene, die unbeugsam blieben trotz aller niedrigschwelligen Angebote, sich doch ein bisschen zu beugen, um durch das Tor zum Gehege der Wohlanständigen zu passen.
Durchhalten, Aufbegehren über Jahre — das ist etwas, was man nicht allein schaffen kann, weiß Alexa.
„Wichtig ist aber auch, dass ich bei diesem ganzen Prozess das große Glück hatte, von Menschen umgeben zu sein, die mich lieben, wie ich bin — aber mich sicher nicht immer so hinnehmen. Nun sind Texte dazugekommen, die ich in jenen Jahren geschrieben habe, weil ich mich mit dem Geschehen auseinandersetzen musste, weil es so viele Fragen gab, die gestellt werden mussten — und weil ich Widerstand leisten musste. Gleiches gilt heute nicht mehr, Kontroversen auszuhalten steht nicht mehr hoch im Kurs. Wer nicht den allgemeingültigen Narrativen folgt, anders denkt, Widerspruch äußert, wird schlicht gemieden oder aber vertrieben, ausgegrenzt, er wird gecancelt und verleumdet, und das nicht erst seit der Coronakrise. Eingeschlichen hat sich das schon vorher und ganz allmählich, denn Totalitäres kommt meist auf leisen Sohlen daher.“
Enttäuschende „Schwestern“
Dies war mit einer Reihe schmerzlicher persönlicher Enttäuschungen verbunden.
„Auch ich habe diese Entwicklung viel zu spät erkannt. So hatte ich Begriffe wie Meinungs- und Redefreiheit, Pazifismus oder Diskursoffenheit ganz selbstverständlich all meinen meist linksliberalen Freunden und Bekannten zugeschrieben und musste mit Entsetzen feststellen, dass viele sie neu und ganz anders interpretierten. Das, was sie einmal bedeuteten, scheint vergessen zu sein.“
Alexa Rodrian merkte das vor allem, als sie die damals als sakrosankt geltende „Impfung“ verweigerte:
„Dass ich ‚my body, my choice‘ für meine Tochter, meinen Mann und mich gewahrt haben wollte, stieß nicht nur auf Unverständnis, sondern löste manchmal sogar Aggression aus. Kurz gesagt: Völlig unerwartet geriet ich stark an meine Grenzen — denn wem das Gespräch verweigert wird, der kann nicht seine Sicht der Dinge darlegen, er kann nicht kommunizieren, und das zerstört unweigerlich das Miteinander.“
Ein Herzstück von Alexa Rodrians Buch sind Berichte über verlorene Freundschaften. Man spürt, wie diese Erfahrung der Künstlerin an die Nieren gegangen ist. So schreibt sie in einem Gedicht aus den Coronajahren:
Liebe Schwestern
wie Nadeln unter meiner Haut
ich konnte mich nicht fügen
und ihr wolltet sie nicht sehen die vielen Lügen
für mich ergab das niemals Sinn
Liebe Schwestern wo seid ihr bloß hin
Liebe Schwestern
gerne hätte ich mit euch so viel geklärt
die Zeit war längst so reif dafür
Liebe Schwestern früher mal
habt ihr’s so abgefeiert mein Gespür
Ich suche immer noch nach einem Sinn
wo ihr seid ihr bloß hin
Verpisst habt ihr euch ohne ein Wort
weil ich anderer Meinung war
Die wärmende Herde der Ängstlichen
In ihrem Artikel „Souverän und jetzt hilflos“ geht sie fast verzweifelt auf die „unerträgliche Stille“ im Kreis ihrer früher so engagierten Künstlerkollegen ein. Sie ringt mit der Frage, ob sie nunmehr zur „Hilflosigkeit“ verdammt sei. Aber:
„Ich denke, wenn ich hilflos wäre, würde ich keine Fragen mehr stellen. Und wenn ich es doch täte, würde ich keine Antworten mehr haben wollen. Es könnte sein, dass ich Menschen, die ich lange kenne, Tendenzen unterstellen würde, von denen sie so weit entfernt sind, dass ich mich im Nachhinein sehr dafür schämen müsste. Vielleicht wäre meine Angst um das eigene Leben so groß, dass ich sie anderen überstülpen müsste, um mich stärker, weniger einsam und der Gemeinschaft der Ängstlichen zugehörig zu fühlen. Ein neues Narrativ würde mich eventuell so manipulieren, dass ich meine Fähigkeit zum eigenständigen Denken aufgäbe. Wenn dies passierte, könnte ich wahrscheinlich keinen Diskurs mehr führen und schon gar keinen Dissens mehr ertragen.“
Damit zeichnet Alexa Rodrian haarscharf die Charakterentwicklung beziehungsweise den Verfall vieler ihrer Künstler-Kolleginnen und -Kollegen währen der Coronajahre nach. Sie wirft aber auch dem Publikum vor, dass ihm Kultur in der Zeit der Angriffswellen auf die künstlerische Integrität nicht wichtig genug gewesen sei:
„Wir sind ein guter Zeitvertreib, im besten Falle bereichernd und inspirierend, aber auf keinen Fall sind oder waren wir jemals relevant. Dementsprechend wird kaum nach uns gefragt, geschweige denn für uns gekämpft.“
Immer wieder ist die Erfahrung kritischer Künstler — speziell beim Thema Corona — die Verweigerung des Dialogs von der anderen Seite. Alexa Rodrian vermag energisch und scharfsinnig zu argumentieren, hört Meinungsgegnern aber auch zu — in der Annahme, die Kraft des Arguments würde sich letztlich durchsetzen und man käme gemeinsam zu Lösungen. Wer es einmal versucht hat, weiß aber: Solche Hoffnung erweisen sich im Nachhinein dann meist als naiv.
Corona-Linientreue fühlen sich wohler mit vertrauten Unwahrheiten als mit unbekannten Wahrheiten. Sie sparen sich lieber die Energie, die solche Debatten kosten würden, da sie sich in der großen Zahl Gleichgesinnter aufgehoben wissen. Die Wärme der Herde. Gar nicht erst zu diskutieren, ist immer die beste Absicherung gegen mögliche schmerzliche Niederlagen in Diskussionen.
Deshalb machten sich viele, denen Alexa ein Gesprächsangebot gemacht hatte, auch mit windelweichen Bemerkungen wie „Nee du, ich glaub, da kommen wir nicht zusammen“ aus dem Staub.
Ein Ex-Idealist geht auf Tauchgang
An einigen Stellen im Buch werden verlorene Freunde auch mit Namen genannt. Konstantin Wecker etwa, der einmal Alexas Mentor und Vorbild gewesen ist und mit dem sie schon auf der Bühne gestanden hatte. Ihm widmete sie einen offenen Brief, den Manova veröffentlichte. Wecker ist in gewisser Weise die Symbolfigur des Scheiterns einer linken Kulturszene in der Stunde der Bewährung. Denn im Gegensatz zu anderen Liedermacher- und Deutschrockstars hatte sich der Münchner eben nicht nur als sozial engagiert, sondern explizit auch als Anwalt der Freiheit und sogar als „alter Anarcho“ positioniert. Als Corona über uns kam, knickte Konstantin Wecker dann rasch ein. Er kämpfte durchaus, aber nur gegen jene unter seinen Freunden und Mitarbeitern, die nicht auf der Linie von Regierung und Süddeutscher Zeitung waren und die er nun als „rechts“ abkanzelte. Dabei kämpfte der oft mit seiner eigenen „Unkorrektheit“ Kokettierende auch gegen seinen eigenen Schatten. „Ach, es gibt so viele Schliche, um sich selbst zu hintergehen“, hatte er in einem Lied aus den 1980er-Jahren selbst gesungen. Alexa Rodrian schrieb Wecker ins Stammbuch:
„Nun aber stellt sich die Frage, was ist aus ‚deiner oiden‘ Alexa geworden? Über mich wird in den letzten Jahren gesagt, ich sei rechtsoffen, Querdenkerin, Antisemitin und so vieles mehr, welches aufzuzählen nicht wirklich nötig ist, da die drei ersten Lügen ja schon genügen, um ein Leben lang diskreditiert zu bleiben. Sag, lieber Konstantin, warst du nicht eigentlich auch immer ‚rechtsoffen‘?
So las ich es in deinem Buch ‚Mönch und Krieger‘ — du weißt schon, die Umarmung des Neonazis. Mein Gott, habe ich dich abgefeiert dafür, dass du diesen Menschen mit Zuwendung entwaffnet und wahrgenommen hast für das, was er war — enttäuscht und vergessen; du hast doch gewusst, wo er zum Teil herkommt, der Rechtsruck, und dass es nichts bringt, diese Menschen noch mehr zu ignorieren, noch mehr an den Rand zu schieben und ihnen das Wort zu verbieten. Du wolltest doch immer reden, die Menschen und ihr Handeln verstehen — oder habe ich da etwas missverstanden?“
Damit hat Alexa Rodrian zugleich eine Anregung gegeben, wie wir mit Andersdenkenden umgehen könnten: sie nicht beschimpfen, nicht ignorieren, ihre Motive aus dem biografischen Hintergrund heraus zu verstehen versuchen, sie wie Menschen behandeln und als Teile eines gesellschaftlichen Ganzen, zu dessen Dynamik nicht zuletzt auch die Auswüchse eines verkrampften Gut-sein-Wollens beigetragen haben.
Sie gerade deshalb vielleicht auch „zurückholen“ zu können, sie gewinnen zu können für eine menschliche Haltung gegenüber Flüchtlingen, indem man selbst Menschlichkeit vorlebt. Konstantin Wecker hatte das früher intuitiv verstanden, ist dann aber unter dem Druck der gelenkten Meinung auf den Kurs eines einseitig verstandenen, vielfach Unschuldige diffamierenden „Antifaschismus“ eingeschwenkt. Damit steht er natürlich nicht nur für sich selbst, sondern für eine ganze Kultur der etablierten, eingebetteten Linken. Dieses Milieu erlitt in den letzten Jahren einen massiven Glaubwürdigkeitsverlust, verdrängt dies aber bis heute durch eine Kultur gegenseitigen Schulterklopfens unter Einknickern, verbunden mit einer dem Selbstschutz dienenden Gesprächsverweigerung gegenüber Abweichlern.
Die wirklichen Helden
Der Kritik an öffentlichkeitswirksamen Vorzeige-Rebellen, die im Ernstfall erstaunlich stumm geblieben sind, stellt die Autorin die wirklichen Helden dieser herausfordernden Epoche gegenüber: Menschen, die sich unter schwierigsten Umständen treu geblieben sind.
„Ihr, die ihr uns, meist höchst bescheiden, über euren Widerstand in den letzten drei Jahren erzählt. Da ist die ungeimpfte Krankenschwester, die jetzt einen Burn-out hat, weil sie permanent für ihre mehrfach geimpften Kollegen, die dauernd krank sind, einspringen musste und das für das Wohl der Patienten selbstredend tat, obwohl die Kollegen ihr gegenüber keinerlei Solidarität aufwiesen. Da ist der Gynäkologe, der seine Praxisbeteiligung aufgeben musste, da er sich geweigert hat, schwangere Frauen zu boostern. Da sind die Cafébesitzer, die ihren Angestellten, die sich nicht impfen lassen wollten, ‚besondere‘ Hilfe leisteten, damit sie weiter bei ihnen arbeiten konnten, ohne in Schwierigkeiten zu geraten.“
All diese Begegnungen mit aufrechten Menschen in der Zeit der Anfechtungen waren es auch, die Alexa und ihren Mann Jens immer wieder ermutigten weiterzumachen. Den vielen Fällen schmerzlicher Enttäuschungen standen andere gegenüber, in denen sie unverhoffte Integrität und Unterstützung erlebte. Das Erlebnis des Ausgegrenztseins schweißt zusammen. „Es scheint, dass das Teilen der ähnlichen Erfahrungen ein Energiefeld kreiert, in dem sich Gleichgesinnte leichter finden.“
Im Duo widerständig
An erster Stelle unter ihren Weggefährten ist natürlich Jens Fischer Rodrian zu nennen — im Duo mit seiner Frau immer Stütze und Gestützter zugleich.
Beide haben sie verändert was es zu verändern galt
Beide geben sie nie auf
und werden nun gemeinsam mit der Liebe alt
Als Held teils schwärmerischer, aber auch realitätsnaher Liebesbekundungen ist Jens sozusagen das Pendant von Hella Mey, Reinhard Meys immer aufs Neue besungener Gattin. Aber auch andere Personen, die in ihrem Leben wichtig waren, bekommen Streicheleinheiten — wie die ehemalige Leiterin einer Kindertagesstätte, die vor Jahren von Alexas Tochter besucht wurde:
So ist’s im Leben Menschen kommen
und Menschen gehen
Wir sind geblieben konnten Anteil nehmen
an deinem Sinn für die Freiheit und den Frieden
unseren Kindern bist du ein ganz besonders starkes Fundament denn
nie hast du verraten wofür dein Herz
und deine Seele brennt
Mit Worten „verbrannt“
Interessant ist Alexa Rodrian auch als eine weibliche Stimme im Widerstand gegen Coronapolitik und Krieg. Als solche ist sie auch innerhalb der kritischen Minderheit in der Minderheit. In ihrem auch vertonten Gedicht „Hexenstunde“ etabliert sie die Hexe als doppelte Symbolfigur: die von den Medien verbal „verbrannte“ Rebellin, die sich in einer männerdominierten Welt behaupten muss. Das Gedicht ist auch die Utopie einer neuen, wirklich gleichberechtigten Nähe zwischen Mann und Frau, über die Gräben naturgegebener Fremdheitsgefühle hinweg.
Hexenstunde kurz vor Zwölf
zugegeben unsere Kirche ist noch nicht so voll
Denn nicht jede Frau findet Frauen wirklich toll
Die Wahrheit ist zu viele von uns werten unaufhörlich ab
Es wird gelästert und gelacht und viel zu misogyn gedacht
Hexenstunde kurz vor Zwölf
anders soll das sein es ist noch früh in dieser Nacht
Hexenstunde hört uns zu denn dies ist nicht nur Weiberkram
die Männer geht das ganz genauso an
denn sie lästern mit uns ohne Scham
Sündenböcke wieder voll en vogue
Die Ausgrenzung schlicht ohne Dialog
Die Opfer aber werden kaum beklagt
Das Menschsein wird schlechthin vertagt
Hexenstunde ist für alle da
kommt herein bei uns werdet ihr nicht gejagt
Hexenstunde hier stehen wir Hand in Hand
Nur deshalb wird hier niemand mehr verbrannt
Das Buch „Anders als es einmal war“ ist auch ein Dokument der dunklen Jahre und einer „Hexenjagd“, für die sich zu entschuldigen bisher fast allen Tätern die nötige Größe fehlt.
Ein Stück Erinnerungshilfe
So ist Alexa Rodrians Werk auch eine Erinnerungshilfe und das Porträt einer Gesellschaft, die zum großen Teil ihre Integrität verloren hat und nun — hätte sie dafür das nötige Rückgrat — den schmerzlichen Rückweg zum Erkenntnisstand vor der großen Verdunkelung antreten müsste. Im Gedicht „Somnambul“ schreibt sie:
An der Kasse dann man denkt ja öfter mal
es könnt nicht schlimmer kommen
wünscht die Kassiererin mir zusätzlich noch das Virus und den Tod
und gleichzeitig kommt ein Vater neben mir in große Not
Sein Kind versucht die Maske ihm zu ziehen vom Gesicht
Mit strenger Stimme sagt er nein nein nein
das darfst du nicht das ist hier Pflicht
Verzweifelt wendet sich das Kindlein ab und schaut auf mich —
erstaunt scheint es zu sein
Nicht lang denn dann beschließen wir zu lachen und
Grimassen miteinander zu machen
Dem Vater aber dem gefällt das nicht
er dreht das Kindlein weg von mir
denn schließlich bin ja ich die die die Regel bricht
Verdruckster Verrat
Als auftretende Künstler hatten Jens und Alexa mit Widrigkeiten zu kämpfen, die sich jemand, der nur im geschützten heimischen Büro gegen das Unrecht anschreibt, kaum vorstellen kann. Ihr Beruf bringt es ja mit sich, sich stets exponieren zu müssen, und funktioniert nur in Abhängigkeit von Veranstaltern und Publikum. So wurde das Aktivistenpaar geballt mit Cancel Culture — konkret also: mit der verletzenden Feigheit vieler vermeintlicher Weggefährten konfrontiert. Zu Konzertabsagen aufgrund der damals grassierenden Virusangst kamen solche, die offensichtlich politische Gründe hatten. Viele, die Jens und Alexa zuvor gern eine Bühne geboten haben, zuckten nun aus Angst vor weltanschaulicher Beschmutzung zurück – letztlich also aus Sorge, Menschen, von denen sie abhängig waren, könnten sich ebenso rückgratlos von ihnen abwenden, wie sie sich selbst gegenüber Dritten verhalten haben. So erzählte Alexa Rodrian in einem Brief an Freunde:
„Gestern erhielt Jens die Absage für seinen vor Monaten gebuchten Auftritt dort — interne Gründe, so die Erklärung —, letzte Worte: ‚Sei nicht böse‘ —echt jetzt? Wo sind wir hier eigentlich, im Kindergarten? Wirklich — denn jedes Kind hat mehr Mut in der Hose als diese miesen Feiglinge. Ich überlasse es Jens, den Namen der Veranstalter in die Öffentlichkeit zu tragen, euch möchte ich nur eines sagen: Wir leben nicht mehr in einem freien Land — wir werden gecancelt, geframt, gedemütigt, ausgeschlossen und ausgegrenzt!“
Journalismus im Niedergang
Dem Journalismus in Zeiten des Freiheitsabbaus stellte Alexa Rodrian in einem Leserbrief an die taz ein verheerendes Zeugnis aus:
„Wann haben Sie aufgehört, Fragen zu stellen? Warum sprechen Sie nicht mit den Menschen, über die Sie schreiben? Wann genau haben Sie angefangen, Meinungsmache vor neutralen Journalismus zu stellen? Wie kann es sein, dass Sie und einige Ihrer Kollegen nicht verifizierte, schlecht recherchierte und höchst tendenziöse Artikel an die Öffentlichkeit bringen, die unschuldigen Menschen enormen Schaden zugefügt haben und immer noch zufügen? Ich denke, Ihr Tun gefährdet die Meinungsfreiheit und unsere Demokratie.“
Das alles lässt nichts Gutes für die politische und kulturelle Zukunft Deutschlands hoffen.
Wer verstanden hat, worum es in den anstehenden Auseinandersetzungen geht, sollte sich jetzt dringend ein Herz fassen. Denn wenn man mit dem Mutigsein immer nur wartet, bis es sich irgendwo anders zeigt, gibt es irgendwann überhaupt keinen Mut mehr im Land.
Und in diese Richtung geht es im Moment. Alexa Rodrian stellt Deutschland in ihrem empfehlenswerten Buch, das jedoch nicht unbedingt als „Feelgood-Book“ konsumiert werden kann, jedenfalls kein sehr schmeichelhaftes Zeugnis aus:
„In Deutschland geht alles so weiter wie gehabt — wer sich für Frieden und Verhandlungen statt Waffenlieferungen einsetzt, ist ein gefallener Engel aus der Hölle, wer sich für Palästina einsetzt, ist Antisemit, wer nicht gegen rechts auf die Straße geht, ist rechts, und das alles, während in Israel eine rechtsextreme Regierung einen Völkermord begeht — fast schon zum Lachen, wäre es nicht so albtraumhaft.
Desillusioniert ja — gebe ich deshalb auf — nein — niemals — warum — weil ich Mutter bin — weil ich Mensch bin — weil meine geliebten Freunde Vater, Mutter und Menschen sind — weil wir es unseren Kindern und unserem Menschsein schuldig sind. Als Künstlerin habe ich das Privileg des kreativen Ausdrucks, und ein kleiner Funke in mir hofft immer noch, dass ich damit meine Botschaft in die Welt tragen und die Menschen in ihren Herzen erreichen kann.
We will see — love and peace“
So ist die letzte Botschaft, die die Leser aus diesem Buch mitnehmen, auch keine Botschaft in Worten. Es ist ein Bild: Alexa Rodrian zündet eine Kerze an. Übersetzen könnte man das vielleicht so: Wenn es dunkel wird, sei selbst das Licht.
Hier können Sie das Buch bestellen: „ Anders als es einmal war: Lyrik, Songs, Essays“
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