„Du kannst doch gut schreiben, aber schreib doch nicht immer so schlimme Sachen“ — wenn ich meine Mutter Elisabeth (1927 bis 2016) in den späten Jahren ihres Lebens besuchte, habe ich diese Mahnung öfter gehört. Denn eines meiner Bücher oder Artikel, die gerade erschienen waren, hatte ich meistens für sie dabei.
Im Oktober 2001 war ich auch wieder ein paar Tage bei ihr und wir schauten die „Tagesthemen“ über die Bombardierung der Höhlen von Tora Bora, wo sich Osama Bin Laden versteckt halten sollte. Ich steckte gerade in den Recherchen zu den Anschlägen vom 11. September 2001 und schrieb an der „WTC-Conspiracy“-Serie auf telepolis — und begleitete die Aussagen in dem TV-Bericht mit meinen Kommentaren. Dass die Tora-Bora-Bunker von der CIA gebaut wurden, dass Bin Laden einer ihrer Agenten war, dass die 19 „Hijacker“ gar nicht richtig fliegen konnten, und so weiter …
Mutti runzelte die Stirn und schaute mich an: „Stimmt das, was du da erzählst?“ — „Es ist, glaube ich, näher an der Wahrheit als das, was sie da im Fernsehen erzählen“, antwortete ich. „Wirklich? … Ach, mir wird das zu kompliziert, Mathias, da halte ich mich lieber an das, was sie im Fernsehen sagen. Und der junge Herr Bush scheint doch eigentlich ganz in Ordnung.“
Ich unternahm keine missionarischen Versuche, sie zur 9/11-Skepsis zu bekehren, nahm ihre Aussage aber pars pro toto für den mentalen Zustand der Republik nach den Anschlägen: So wie meine damals 74-jährige Mutter, die morgens die lokale Tageszeitung las, die Nachrichten im Deutschlandfunk hörte und abends Tagesschau und Talkshows im Fernsehen schaute, tickten einfach die allermeisten. Nicht nur ältere Damen, sondern auch die Kollegen bei den Zeitungen und Radiosendern, für die ich arbeitete. Osama Bin Laden stand als „Mastermind“ ebenso fest wie die 19 von ihm ausgesandten „Hijacker“ als Täter — Kontext, Geschichte, Hintergründe waren nicht erwünscht. Sie machten die Sache „zu kompliziert“, zumal jeder Zweifel an den offiziellen Verlautbarungen der US-Regierung einer Unterstützung des Terrorismus gleichkam: „Mit uns oder mit den Terroristen!“, hatte Präsident Bush verkündet.
Wer aber die „Terroristen“ waren, war noch gar nicht ermittelt und die Beweise für eine Täterschaft Bin Ladens und der von ihm angeleiteten „Hijacker“ mehr als fragwürdig. Allen voran der Koffer des angeblichen Anführers der „Hijacker“, Mohamed Atta, der als Einziger nicht befördert worden und hängen geblieben war und dann sämtliche Beweisstücke für die „islamistischen“ Motive der Täter enthielt, in Form von Koranversen und seines Testaments.
Die Frage, warum der „Todespilot“ seinen letzten Willen im Gepäck für das Flugzeug mitgenommen hat, mit dem er dann ins World Trade Center krachte, oder warum sich dort auch noch das Handbuch „Wie fliege ich eine Boeing?“ fand und ob es sich bei diesem hängen gebliebenen Koffer nicht um eine gelegte, falsche „Elefantenspur“ handelt — solche bei einer kriminalistischen Ermittlung eigentlich selbstverständlichen Überlegungen waren in den Großmedien nach 9/11 tabu.
Nicht nur in der Schockstarre nach dem unfassbaren Terroranschlag mit 3.000 Opfern, sondern auch in den Wochen und Monaten danach hatte die Berichterstattung über 9/11 mit klassischem, kritischem Journalismus kaum mehr etwas zu tun. Statt Nachrichten wurden Narrative verbreitet und statt zur Aufklärung des Verbrechens auf allen Kanälen zum Krieg getrommelt.
Zwei Jahre zuvor hatte ich das „Lexikon der Verschwörungstheorien“ von und mit Robert Anton Wilson herausgegeben und saß seit dem Sommer 2001 an einer Fortsetzung, in der ich historische und aktuelle Strukturen von Verschwörungen und der entsprechenden Hypothesen, Theorien, Legenden darüber untersuchen wollte.
Am Morgen des 11. September hatte ich gerade notiert: „Verschwörungstheorien reduzieren komplexe Zusammenhänge auf einen einfachen Sündenbock“, und schrieb über diese „Komplexitätsreduktion“, als mein Telefon klingelte und ein Freund mich aufforderte, den Fernseher einzuschalten: „Da ist was in New York passiert.“
Etwa eine Stunde später, die beiden WTC-Türme standen noch, hörte ich zum ersten Mal den Namen Osama Bin Laden als möglichen Verdächtigen, der dann im Lauf des Abends und der Nacht immer häufiger genannt wurde und dann quasi schon feststand — als einziger, denn andere Verdächtige wurden gar nicht genannt. Auch am nächsten Morgen nicht — auf allen Kanälen war nur noch von Bin Laden die Rede.
Da fiel mir meine Notiz wieder ein und ich schrieb dazu einige „Verschwörungstheoretische Anmerkungen“, die am folgenden Tag in der taz und auf telepolis erschienen:
„Verschwörungstheoretische Anmerkungen zu einem Terroranschlag
Da es der 11.9.2001 war — 11 + 9+ 2 + 0 + 0 + 1 = 23! —, ist für Verschwörungstheoretiker der Fall eigentlich klar. Seit die Romantrilogie ‚Illuminatus‘ von Robert A. Wilson und Robert Shea Mitte der 70er Jahre auf die absurde Beziehung der Zahl 23 mit verschwörerischen Phänomenen hinwies, ist die 23 gleichsam das Signum der Illuminaten, der geheimen Weltverschwörer.
Wer die nun genau sind, darüber geben die gängigen Verschwörungstheorien — sich nahtlos widersprechend — eindeutig Auskunft. Da zieht sich zum Beispiel eine Linie von ägyptischen Mystikern über den Salomonischen Tempel in Jerusalem, die Ritter des Templerordens und ihren multinationalen Bankkonzern im 12. Jahrhundert, diverse Freimaurerlogen der Renaissance bis zum heutigen ‚Rothschild-Clan‘ — oder von den assassinischen Mordkommandos Scheich Sinans, des ‚Alten vom Berge‘, über die gralsuchenden Katharer, die okkulte Thule-Gesellschaft als Vorläufer der Nazis bis zum aktuellen ‚Rockefeller-Mob‘, wie die Einflussgruppe um die Familie des Standard-Oil-Gründers — samt ihren Organen CIA und Mafia — genannt wird. Dass in keiner Nachricht über den Terroranschlag erwähnt wird, wem denn das World Trade Center eigentlich gehört — Rockefeller — und dass darauf sofort England ein Flugverbot über der Londoner City — dem Rothschild-Finanzzentrum — erlässt, ist für den Verschwörungstheoretiker natürlich bezeichnend.
Und dass ein ehemaliger Spezi der CIA und Vetter von Bushs Saudi-Geschäftspartner Scheich Salim Bin Laden, der in Afghanistan gegen die Sowjets aufgebaute Osama Bin Laden, jetzt als Oberschurke für den Angriff verantwortlich gemacht wird, passt ins Bild. Hatten die Bushs nicht schon Hitler erst mit Geld von Standard Oil und DuPont gepusht und dann abserviert und Europa neu geordnet; wurde nicht ausgerechnet der Großvater des amtierenden Präsidenten, der Großbanker Prescott Bush, noch 1942 wegen seiner Geschäfte mit Hitlerdeutschland angeklagt und verurteilt?
Lief es im Golfkrieg gegen Saddam, den ‚Wiedergänger Hitlers‘, nicht nach demselben Muster ab, wobei er erst gegen Iran aufgebaut, dann zwangsweise abgerüstet wurde und als geopolitische Schachfigur weiter installiert blieb, um den Einfluss des ‚Mobs‘ auf den Nahen Osten (und den Ölpreis) — von Papa Bush ‚Neue Weltordnung‘ genannt — zu garantieren?
Ließ man zuvor Khomeini in aller Gemütsruhe von Paris aus deshalb den ersten islamistischen Gottesstaat installieren, weil man seine Ideologie nicht kannte — oder ging es um die persischen Ölquellen, die der Schah nicht freiwillig drosseln wollte? Sind nicht alle militant-islamischen ‚Schurken‘ von ähnlichem, hausgemachtem Kaliber? Schauten Pentagon und Wallstreet dem israelischen Bruch des Völker- und Menschenrechts in Palästina nicht jahrelang ungerührt zu?
Wusste nicht schon der erste Kriegstheoretiker Sun Tze vor über 2.000 Jahren, dass man einen Gegner nie so weit in die Enge treiben darf, dass ihm nur noch Selbstmordattentate bleiben, gegen die es keinerlei Verteidigung gibt? Während das Pulverfass im Nahen Osten seit einem Jahr zündelt und die Local Trade Center in Palästina nach und nach von Raketen zerlegt werden, macht Rockefeller-Mann Bush seelenruhig vier Wochen Urlaub — und wundert sich jetzt, dass verzweifelte Kamikazekrieger zurückschlagen und eine Katastrophe auslösen?
Damals in Pearl Harbour, als man schon drei Wochen vorher vor einem Großangriff der Japaner gewarnt war, ließ man sie ‚heimtückisch‘ angreifen, um das eigene Volk zum Kriegseintritt zu bewegen. Wie kann da jetzt, fragt sich der Verschwörungstheoretiker, drei Monate nach der aus Ägypten kommenden Warnung vor einem Großanschlag, die logistische Meisterleistung gelingen, vier Flugzeuge gleichzeitig zu entführen und unentdeckt zu den Anschlagszielen zu fliegen?
Passagiere konnten aus den entführten Maschinen mit ihren Angehörigen telefonieren — aber Flugsicherung und Militär, deren weltweiten Schnüffelsystemen kein Furz eines indischen Reisbauers entgeht, haben nichts mitbekommen? Und das über ihrer eigenen Zentrale im Pentagon? Dieser Skandal wird merkwürdigerweise mit keiner Silbe thematisiert, während ein Dutzend jubelnder palästinensischer Kids zu ‚world wide news‘ werden.
Als Bush die Nachricht in einer Schule zugeflüstert wird, bleibt er merkwürdig ungerührt, auch bei seinem ersten Statement keine Sorgenfalten, kein wirkliches Entsetzen. Vielleicht weil die ‚Schurken‘ den verabredeten Zeitpunkt eingehalten hatten: Vor 9 Uhr sind im WTC keine wichtigen Banker und keine Besuchermassen, sondern ist nur das ‚Fußvolk‘ anwesend. Ein unvermeidlicher ‚Kollateralschaden‘ also, wie man Zivilistenopfer seit der Bombardierung Bagdads zu nennen pflegt. Ob es tatsächlich ein Motiv für das Unvorstellbare, eine inszenierte Katastrophe wie in Pearl Harbour, gibt, werden die nächsten Aktionen der Weltordnungsmacht bald zeigen. (13.09.2001)“
Auch wenn die Kolumne vielleicht zu wenig pietätvoll angesichts des schrecklichen Terroranschlags war, doch in keiner Weise diffamierend, denunziativ oder herabsetzend, wurde ich dafür umgehend disqualifiziert. Nach der Regel, wie derlei Disqualifikation in Deutschland abläuft — und die mein einstiger taz-Kollege Wiglaf Droste einmal auf den Punkt brachte: „Wer zuerst Auschwitz sagt, hat gewonnen!“ —, bescheinigte der damalige Spiegel-Autor Henryk M. Broder gleich am 14. September 2001 im Radio und auf seiner Website ein „krankes Hirn“, das in einer Reihe mit Auschwitz-Leugnern und den „Protokollen der Weisen von Zion“ stehe — und wünschte mir zum Abschluss seiner Suada den Tod als „Fettfleck an einer Hochhauswand“ .
Weil ich den selbsternannten Antisemitismusbeauftragten Broder noch nie wirklich ernst nehmen konnte, antwortete ich nur mit einer Mail, dass ich, mit 65 Kilo und 178 Zentimetern, anders als kleine Fettsäcke keine Flecken hinterlasse.
Aber Broder hatte damit schon mal den Kammerton vorgegeben, mit dem sich einige Monate später der Spiegel (Nr. 42/02) der Sache annahm, nachdem aus diesen ersten Anmerkungen eine lange Serie auf Telepolis und aus dem daraus entstandenen Buch ein Bestseller geworden war. Unter dem Titel „Die Septemberlüge“ schaffte es das ehemalige Nachrichtenmagazin, auf drei Seiten über den „Bestseller des Unbehagens“ zu berichten, ohne den Titel („Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.“) und den Verlag des Werks (Zweitausendeins) zu nennen und auf seine Inhalte oder auf meine Aussagen in dem mehr als einstündigen Gespräch einzugehen, das ich im „Café Einstein“ mit dem Autor Ulrich Fichtner geführt hatte. Um dann freilich am Ende die definitive Keule auszupacken:
„Was für manchen Rechten die ‚Auschwitzlüge‘ ist, könnte für manchen Linken die ‚Septemberlüge‘ werden. Eine verdrängte Wahrheit, um die Weltanschauung nicht verändern zu müssen.“
Da hatte ich nun mein Fett weg, die Höchststrafe für einen Autor in Deutschland: mit Antisemiten und Auschwitzleugnern in einem Topf. Begründung: Verdrängung der „Wahrheit“ des 11. September.
Tatsächlich hatte ich nichts anderes getan, als nach dieser Wahrheit gesucht, weil die offiziell verkündete Version der Ereignisse so viele Ungereimtheiten enthielt, dass sie schlicht nicht real sein konnte, und die Belege und Fakten für diese Lücken und Widersprüche dokumentiert.
„Schlimm“ im Sinne meiner Mutter konnte ich daran nichts finden, denn anders als der Spiegel, der laut Sonderheft und Buchtitel genau wusste, „Was wirklich geschah“, hatte ich Behauptungen über die „wahren“ Täter nirgendwo aufgestellt, sondern nur den Nachweis erbracht, dass es sich bei der offiziellen Version von Osama und den 19 Hijackern als Alleintätern um eine Verschwörungserzählung handelt, die von gerichtsfesten Beweisen und der Realität nicht gedeckt ist. DAS war die „Septemberlüge“ im Jahr 2001 und nicht die mit Hunderten Quellen und Links belegten Bruchstellen des Lügengebäudes, die Politik und Medien verdrängen mussten, um ihre „Wir sind die Guten“ — Weltanschauung für die illegalen Kriege in Afghanistan, Irak und den „War on Terror“ zu behalten.
Mir hingegen blieb — als „verbranntes Kind“ für die ARD-Sender und die „seriösen“ Zeitungen, für die ich geschrieben hatte — nichts anderes, als nach der goldenen Regel für Rufmordopfer nunmehr „gänzlich ungeniert“ zwei weitere Bücher über das nicht-ermittelte, nicht-aufgeklärte Verbrechen des Jahrhunderts zu schreiben. Seitdem ist 9/11 für mich ein Lackmustest: Wer es für historische Wahrheit hält, dass mit Teppichmessern bewaffnete „Islamisten“ aus einer afghanischen Höhle gesteuert am 11. September 2001 mit zwei Flugzeugen drei Wolkenkratzer dem Erdboden gleichmachten, hat in der Branche des Journalismus eigentlich nichts zu suchen.
Und: Eine Branche, die diese Fake News des Jahrhunderts zum Dogma erhebt, hat sich von ihrer Rolle als Institution der Aufklärung und „vierte Säule der Demokratie“ komplett verabschiedet.
Wie sich diese These zum 20. Jahrestag der Ereignisse im Zuge der „Pandemie“ 2021 bewahrheitet hat, wird im letzten Essay dieses Buchs „Mythos 9/11“ beleuchtet.
Das ist dann aber auch (fast) schon alles an „schlimmen Sachen“, die meine Mutter erschreckten, weil Dreckschleudern wie Broder oder Fichtner aktiv wurden. Wer an meinem „Best of Böse“ über das Verbrechen des Jahr-hunderts interessiert ist, wird auf den 1.182 Seiten von „11.9. — 20 Jahre danach — Einsturz einer Legende“ (2021) fündig.
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