Mit der Alternative für Deutschland (AfD) und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) stehen zwei geächtete Parteien vor großen Wahlerfolgen — das BSW hat es geradewegs in Rekordzeit geschafft, zu einem Faktor auf Landesebene und gleichermaßen von den etablierten Parteien und deren Medien stigmatisiert zu werden.
Nebenher verliert die ehemalige Partei des Ostens ihre Deutungshoheit: Die Linke wird auch in ihren Stammländern zu einer Randnotiz werden. In Sachsen und Brandenburg fliegt sie unter Umständen sogar ganz aus dem Parlament — und in Thüringen, wo sie den Ministerpräsidenten stellt, werden nur noch halb so viele Wähler ihr Kreuz bei dieser Partei setzen. Und dann sind da noch die Ampelparteien …
Ampelbetrieb eingestellt
Das sagt die Wahlkreisprognose für Thüringen voraus: Die Sozialdemokraten liegen bei 4,5, die Grünen und die FDP jeweils bei 2,5 Prozent. Andere Prognosen klingen etwas wohlwollender für SPD und Grüne. In Sachsen ergibt die Wahlkreisprognose folgendes Bild: 5 Prozent für die Sozialdemokratie, 4,5 Prozent für die Grünen und — nett von den Demoskopen, das überhaupt noch zu erfassen — ein sattes Prozentpünktchen für die Liberalen. Auch hier ist zu sagen, dass andere Institute freundlichere, aber keine überschwänglichen Prognosen liefern. Und dann noch Brandenburg aus Sicht der Wahlkreisprognose: 16 Prozent SPD, 5 Prozent Grüne und 1,5 Prozent für die FDP. Die Ergebnisse von INSA, Infratest dimap und Co. sind auch im Falle Brandenburgs etwas moderater.
Natürlich sind das nur Prognosen: Wie oft lagen die falsch im Vorfeld! Dennoch zeichnet sich ein Trend ab: Von den neun Fraktionen der Ampelparteien, die sich in den kommenden Tagen der Wahl stellen, verpassen acht die große Chance, in ihren jeweiligen Landtag einzuziehen. Lediglich die Brandenburger Sozis dürften sicher in das Landesparlament einziehen — allerdings mit dem schlechtesten Ergebnis, das sie je in Brandenburg eingefahren haben werden. Noch nie fiel die SPD übrigens bei einer Landtagswahl in der Bundesrepublik unter die Sperrklausel.
Vom Schwanengesang der Berliner Ampelkoalition zu sprechen, könnte aber verkehrter nicht sein. Der ist längst angestimmt, denn die Koalitionäre geben seit geraumer Zeit selbst zu Protokoll, dass ihre Zeit im Grunde verstrichen ist. Große Würfe seien nicht mehr zu erwarten — was einigermaßen euphemistisch klingt, weil ihr große Würfe in ihrer ganzen Periode nicht gelungen sind.
Erst versuchte die Ampel das Land in eine Impfpflicht zu stürzen — nicht auszudenken, sie hätte das damals im Bundestag durchgebracht! Danach übte sie sich in Eskalation auf dem internationalen Parkett. Die Ministerriege outete sich schnell als ahnungslos und teils ideologisch verblendet. Der Bundeskanzler erwies sich als traurige Lachnummer, machte auf vergesslich und war dabei so charismatisch wie eine Schüssel mit Wasser angerührten Porridges.
Diese Riege verschwor sich geradewegs dazu, eine Politik gegen die Interessen des Landes zu gestalten. Deindustrialisierung und Verarmung ohnehin schon ärmerer Gesellschaftsschichten griffen um sich. Die amtierende Bundesregierung wird aber vielen Wählern als ideologische Vorbeterin im Gedächtnis bleiben, als Kämpferin gegen rechts — was heißt: Gegen all jene, die Kritik an der Bundesregierung übten. Jede Bundesregierung in Deutschland ist bisher noch auf ihre eigene Weise ungeliebt gewesen — die jetzige ist so unbeliebt wie keine zuvor. Man spürt das auf Landesebene, denn Landtagswahlen sind immer auch Stellvertreterwahlen für den Bund: Im Osten wird die Ampel endgültig beerdigt werden. Ob sie Neuwahlen gewährt? Alles spricht dafür, immer mehr sickert durch, dass die Koalitionäre sich nichts mehr zu sagen haben. Es geht dabei aber auch um Pensionen und Pfründe: Noch ein Jahr miteinander zu schweigen, könnte sich also finanziell für die Regierenden lohnen.
Danke, DDR!
Was der Osten dem Westen also wieder mal antut: Am Ende stürzt er noch die Bundesregierung! Und bringt damit das Land an den Rand einer Diktatur. Nein, nicht wegen der AfD oder dem BSW: Sondern weil er die gesamte Bundesrepublik destabilisiert und in schweren Zeiten die Führung so diskreditiert. So unverblümt erklärt das selbstverständlich niemand, aber dieses Gefühl schwingt immer mit, wenn im Medienbetrieb von den Wahlen im Osten berichtet wird — zumeist übrigens von Journalisten, die im Westen aufwuchsen und sozialisiert wurden.
Da lässt man die Ossis schon wählen und dann gehen sie so unachtsam mit dem Wahlrecht um! Die Medien sehen darin mindestens einen Skandal.
Aber sie liefern selbstverständlich auch eine Analyse mit. Diese ist nicht neu, wird seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit verbreitet — besonders gerne zur Wahlzeit. Die Ostdeutschen hätten nämlich im real existierenden Sozialismus das Gegenteil beigebracht bekommen: den astreinen Faschismus. Und der stecke ihnen nun in den Knochen. Die DDR-Diktatur, so wird dann selbstgerecht erklärt, habe ostdeutsche Menschen derart versaut, dass sie sofort diktatorische Parteien wählten, wenn sie sich ihnen anbieten. Das laufe gewissermaßen fast reflexhaft ab. Natürlich schwingt bei diesen Analysen immer mit, dass die Ossis undankbar seien: Schließlich habe man sie gerettet, ihnen Asyl gewährt, in die Bundesrepublik aufgenommen, sie wieder aufgepäppelt — und wie danken sie es einem!
Die Deutsche Demokratische Republik hat dem Westen das also eingebrockt. Der Osten! Die Zone! Die Kolonie vor der Haustür des Westens! Im Westen sind die Menschen fest davon überzeugt, alles getan zu haben, um die neuen Bundesländer zu kultivieren. Leider ohne Erfolg. Eigene Fehler erkennt man keine — man habe so viel Geld investiert, aber alles umsonst. Kein Wort darüber, dass sich westliche Unternehmen im Osten bereichert haben: Das war der Solidaritätsbeitrag, den der Osten von Anfang an dem Westen entrichtete. Auch nichts von den Enteignungen zu Zeiten der Wende, von der erzwungenen Selbstverleugnung, die man den Ossis abverlangte — ihre Lebensmodelle wurden als Irrtum abgetan. Wenn diese Bundesrepublik von ihrer Geschichte erzählt, kommt die Geschichte des Ostens gar nicht vor — es war wirklich nicht mehr als ein „Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes“. Wiedervereinigung klingt selbstverständlich fairer.
Noch so viel mehr könnte man über die Arroganz des Westens schreiben. Aber das sprengte hier und heute den Rahmen. Nur so viel noch: Der ehrenamtliche Arbeitsrichter Hans Harald Gabbe sieht den Missmut der Ostdeutschen auch im Verlust deren Arbeitsrechtes. Man sagte ihm unter anderem:
„In der DDR habe ich an meiner Arbeitsstelle meinen Mund aufmachen können und notfalls mich an die Konfliktkommission wenden können, heute habe ich den Mund zu halten, dafür darf ich jetzt über die Politik schimpfen.“
Über die Politik zu schimpfen ist in Ordnung — aber sie abwählen, total unorthodox und ungestüm abzustimmen, ja unkalkulierbar zu sein: Das will der Westen nicht dulden.
Da wird er pampig und tut so, als spreche er im Namen der Gesamtrepublik, wenn er die Wahlabsichten der Ostdeutschen zu einem Anschlag auf die Demokratie erklärt.
Letzte Chance: Ostdeutscher werden
„Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes“: Schlecht klingt diese juristisch richtige, freilich auch etwas technokratische Formulierung ja nicht. Mit dem Grundgesetz verbindet man unter anderem freie Wahlen — aber genau die beanstanden die Stimmen des Westens in diesen Tagen. Dass die Ostdeutschen frei wählen, macht man ihnen zum Vorwurf. Wann tritt eigentlich der Westen in den Geltungsbereich des Grundgesetzes ein? Schaden würde es diesem Landesteil jedenfalls nicht.
Die Ostdeutschen durchliefen in der DDR eine Schule, die sie zu skeptischen Bürgern werden ließ. Diese Haltung war prägend für das ganze Leben. Einen Staat ganz nah an sich heranzulassen, einer Regierung Avancen machen, deren Vorstellungen sich zu eigen machen zu müssen: Vor dem Zusammenschluss haben sie gelernt, wie man frei bleibt in den Strukturen eines engen Staatswesens. Man lernte zwischen den Zeilen zu lesen — und auch etwas dorthin zu platzieren, damit andere es lesen können.
Was der Medienbetrieb dieser Tage als ostdeutschen Hang zur Diktatur verkaufen möchte, ist eigentlich nur eine skeptische Einstellung zur politischen Macht. Anders ausgedrückt: Für die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft, die sich heute im politischen und medialen Betrieb ausdrückt, gilt Skepsis als geradezu faschistoides Konzept.
Man kann den Unterschied zwischen Ossis und Wessis vielleicht etwas platt folgendermaßen auf den Punkt bringen: Wenn ein Westdeutscher die erste Meldung der abendlichen Tagesschau guckt, ist er davon überzeugt, dass die Nachricht von großer Bedeutung sein muss — sonst wäre sie nicht so prominent platziert. Ein Ostdeutscher fragt sich an der Stelle aber eher, was man mit so einer ersten Meldung verschleiern möchte. Die DDR war in jedem Falle eine Schule für mündige Staatsbürger. Ob gewollt oder ungewollt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Existierte die Bundesrepublik noch in alter Form, sie wäre längst eingeschlafen und zu einem uniformen System verkommen, in dem differente Meinungen gar keine Chance mehr hätten — nur die Ossis lassen die demokratische Tür einen Spalt weit auf, wonach Bürger mehr sind als Befehlsempfänger der Regierenden. Sie sind der Souverän. Dass es ausgerechnet die Ostdeutschen sind, die das der Republik vorexerzieren, ist eine bedenkliche Entwicklung.
Nein, diese Ossis sind nicht der Diktatur zugeneigt. Das Gegenteil stimmt: Sie sind die letzten Demokraten. Denn sie sind streitbar. Und Streit, man traut es sich ja kaum noch zu sagen, ist das Substrat einer jeden Demokratie. Im Westen streitet man sich aber nicht gerne, man hat nur gerne recht. Dunkeldeutschland liegt nicht im Osten.
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