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Die ignorierte Notlage

Die ignorierte Notlage

Der G20-Gipfel hat es versäumt, die landwirtschaftliche Notlage in den Mitgliedsländern anzugehen, während zugleich die Ziele Indiens zugunsten der US-Politik unter die Räder gerieten.

Die Ausrichtung des G20-Gipfels durch Neu-Delhi öffnete ein Fenster zur Beobachtung der außenpolitischen Ziele Indiens.

Die Präsidenten Chinas und Russlands, Wladimir Putin und Xi Jinping, nahmen nicht am Gipfeltreffen teil, doch waren führende Politiker der Welt, darunter auch US-Präsident Joe Biden, anwesend.

Es ist allgemein bekannt, dass der G20-Gipfel die G7 im Gewand der G20 ist und das vorantreibt, was weitgehend als Quad-Strategie (1) angesehen wird. In verschiedenen Äußerungen gegenüber den US-Medien hatte Biden vor seiner Ankunft in Indien offen seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, beim G20-Gipfel „Amerika an die erste Stelle“ zu setzen.

Nach einer erfolgreichen BRICS-Konferenz in Südafrika mit der Aufnahme neuer Mitglieder war die US-Außenpolitik bestrebt, auch auf den G20-Gipfel Quad-Einfluss auszuüben. Obwohl die russische und die chinesische Seite mit der Art und Weise, wie der Krieg in der Ukraine in der Erklärung von Neu-Delhi behandelt wurde, einen bedeutenden Sieg errungen haben, zeigt die indische Landwirtschaftsdiplomatie im Vorfeld des G20-Gipfels, dass sie stets bestrebt war, dem Motto der G7 gerecht zu werden.

Im Juni, als die G20-Agrarminister in Hyderabad zusammentrafen, wurde klar, dass wir es mit einer großen diplomatischen und unmittelbar bevorstehenden globalen Nahrungsmittelkrise zu tun haben. Denn ohne russischen Weizen und Düngemittel kann in der heutigen Zeit kein globales Ernährungssystem vernünftig funktionieren.

In der Zwischenzeit lehnte Russland am 9. September das rechtzeitige Angebot der Vereinten Nationen ab, den „Schwarzmeer-Getreide-Handel“ wieder aufzunehmen, bis der Westen und die Ukraine deeskalieren und Russlands Forderungen erfüllen.

Doch noch bevor Bidens Flugzeug abhob, hob Indien wichtige Zölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den USA auf, unter anderem auf gefrorenen Truthahn, gefrorene Ente, Blaubeeren und Preiselbeeren (frisch, gefroren, getrocknet und verarbeitet). Dies ist die zweite Runde von Zollsenkungen innerhalb der letzten drei Monate.

Es könnte durchaus sein, dass dieser Schritt den Weg für Joe Bidens Wahlerfolge ebnen sollte, denn oft müssen die indischen Verbraucher die Last der amerikanisch-indischen Freundschaft tragen. Die US-Präsidenten haben Indien im Laufe der Jahre unter Druck gesetzt, seine Schutzbestimmungen für den Agrarhandel zu öffnen. Es liegt in ihrem Interesse, die Inder dazu zu bringen, Agrarprodukte aus den USA zu kaufen — ebenso wie andere Grundnahrungsmittel, Waffen. Aus agrarpolitischer Sicht hat Indien dem US-Präsidenten also einen roten Teppich ausgerollt.

Im Juni hatte Indien die Zölle auf US-Agrarrohstoffe wie Kichererbsen, Linsen, Mandeln, Walnüsse und Äpfel gesenkt. Dies ermöglichte die Überschwemmung der indischen Märkte mit Importen. Es war kein Zufall, dass das Treffen der G20-Landwirtschaftsminister im Juni wenige Tage nach dieser Ankündigung stattfand.

Zurück zum G20-Gipfel in Neu-Delhi: Ein weiteres wichtiges agrarpolitisches Ereignis war die Gründung der Global Biofuel Alliance (deutsch: Globale Biokraftstoff-Allianz). Dies scheint eindeutig auch ein Schachzug gewesen zu sein, um den USA zu gefallen.

Indien kämpft derzeit mit starker Unterernährung, überhöhter Lebensmittelinflation und Missernten, doch die Botschaft, die wir an die Welt und unsere eigenen Landwirte senden, lautet: Wir wollen Ackerland für die Ethanolproduktion umwandeln und nicht für die Nahrungsmittelproduktion. Die USA haben ein großes Interesse an Biokraftstoff und an der Förderung einer robusten Biokraftstoffindustrie.

Betrachtet man die Machtdynamik innerhalb des Bündnisses, so wird deutlich, dass die USA und die in den USA ansässige Biokraftstoffindustrie den Löwenanteil an den politischen Entscheidungen haben und quasi die Tagesordnung bestimmen. Auch Brasilien unterstützt die USA, da es ein wichtiger Produzent von Biokraftstoffen ist. Gleichzeitig übernehmen die indischen Entscheidungsträger die US-Politik. Die Technologie ist weder umweltfreundlich noch für die indischen Verhältnisse vorteilhafter. Außerdem ist der Export oder Import von Biokraftstoffen weder für unsere Wirtschaft noch für unsere Landwirte ein kluger Schritt.

Keine Maßnahme seit dem Treffen

Der nächste wichtige Stillstand im Bereich der Landwirtschaft betrifft die Nachbereitung des Treffens der G20-Landwirtschaftsminister. Das Ergebnisdokument las sich gut und pries „Leitsätze“ an, aber praktische Lösungen zur Bewältigung der wachsenden Probleme im Bereich Ernährungssicherheit und Landwirtschaft schienen nicht im Mittelpunkt zu stehen.

Premierminister Narendra Modi sagte auf dem Treffen der G20-Landwirtschaftsminister persönlich, dass „Indiens G20-Prioritäten in der Landwirtschaft auf die Heilung unserer ‚Einen Erde‘, die Schaffung von Harmonie innerhalb unserer ‚Einen Familie‘ und die Hoffnung auf eine strahlende ‚Eine Zukunft‘ ausgerichtet sind“.

Er sagte auch: „Traditionelle Praktiken aus verschiedenen Teilen der Welt können uns dazu inspirieren, Alternativen für eine regenerative Landwirtschaft zu entwickeln.“

Er sagte sogar: „Landwirte in ganz Indien setzen jetzt auf natürliche Landwirtschaft.“

Dennoch wurden in der abschließenden Erklärung von Neu-Delhi keine Schritte unternommen, um eine globale Allianz für regenerative Landwirtschaft zu gründen. Stattdessen heißt es in dem Dokument, dass die Mitgliedsländer „die Bedeutung nachhaltiger Biokraftstoffe in unseren Strategien für eine emissionsfreie und emissionsarme Entwicklung anerkennen und die Gründung einer globalen Allianz für Biokraftstoffe zur Kenntnis nehmen“.

Bemerkenswert ist, dass der Begriff „Landwirtschaft“ in dem Dokument insgesamt nur sechs Mal erwähnt wird — drei davon sind direkte Erwähnungen der früheren Treffen der Landwirtschaftsminister und Wissenschaftler. Für mich ist klar, dass Modi durch die Biokraftstoffindustrie die industrielle Landwirtschaft fördern wollte.

Die Landwirte sollten ebenfalls wachsam sein, da das Ergebnisdokument Indien auf den Weg der „Digitalisierung der Landwirtschaft“ bringt, was nicht im Interesse von Millionen von Landwirten in den G20-Staaten sein kann, die nicht einmal ein Smartphone besitzen. Außerdem bieten sie die weltweit größte Anzahl von Landwirten für große Technologiekonzerne.

Diese Politik scheint eine Zumutung, denn die Landwirte waren an dieser Entscheidung nicht beteiligt. Wäre die Demonetisierung nicht erzwungen worden, hätten die indischen Landwirte die digitalen Zahlungen überhaupt nicht akzeptiert. Die Digitalisierung in den G20-Entwicklungsländern wird enorme soziale und wirtschaftliche Kosten verursachen, da die Bildung und die digitale Kompetenz schon niedrig sind und unterprivilegierte Gruppen oft von den Digitalisierungsmaßnahmen ausgeschlossen werden.

Kürzlich wurde berichtet, dass die Staats- und Regierungschefs auf dem G20-Gipfel in Neu-Delhi über die weltweite Ernährungssicherheit sprachen, die durch die wachsende Armut, den Klimawandel, Pandemien und Konflikte bedroht ist, dass aber bisher keine Entscheidung über einen Aktionsplan getroffen wurde. Russische Lebensmittel- und Agrarlieferungen könnten das Problem lindern, aber es scheint, dass sie erneut blockiert wurden.

Der G20-Gipfel hätte eine wichtige Plattform für die Nahrungsmittelhilfe bieten können, um den Hunger in der Welt nicht nur im Geiste, sondern durch einen konkreteren Schritt zu verringern. Neben dem russischen Weizen hätten die indischen Landwirte eine wichtige Rolle bei der Deckung des Nahrungsmittelbedarfs anderer G20-Entwicklungsländer spielen können. Andere Länder wie Kanada, Brasilien und vielleicht auch Argentinien hätten sich beteiligen und eine globale Nahrungsmittelbank oder -reserve einrichten können, um Getreide zu lagern, die Preise zu stabilisieren und ein Mitgliedsland im Bedarfsfall zu versorgen. Doch ein Konsens wurde nicht erreicht.

Es wird gemunkelt, dass der Bedarf an russischem Weizen sinken wird, wenn die US-Weizenproduktion steigt. Und Biden könnte den Landwirten ein großes Getreideangebot machen, um sie bei Laune zu halten. Es findet also ein weiterer geopolitischer Kampf zwischen den Getreideriesen statt, um das Weizenvakuum auf den internationalen Märkten zu füllen. Und darüber, ob Indien bei Bedarf US-Weizen anstelle von russischen Weizenlieferungen erhalten könnte.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der G20-Gipfel ein Segen für die US-Agrarhändler, die großen Agrarkonzerne und Bidens Wählerschaft ist; was er für die Eindämmung des weltweiten Hungers oder die indischen Landwirte bringt, ist schwer zu sagen.

Ohne einen globalen Konsens über die Ernährungssicherheit und die Klimakrise in der Landwirtschaft wird der Hunger in der Welt nur noch zunehmen. Sobald die Entwicklungsländer die Hauptlast des Hungers zu tragen haben, werden diplomatische Integrität und die Ziele der G20 zugunsten bilateraler Vereinbarungen aufgegeben werden. Versprechen, die in ruhigen Zeiten gemacht wurden, werden in stürmischen Zeiten vergessen sein.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The G20 Has Summarily Failed to Address Agrarian Distress in its Member Countries“ bei The Wire. Er wurde von Elisa Gratias übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratsteam lektoriert.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Der Quadrilaterale Sicherheitsdialog (QSD), gemeinhin als Quad bekannt, ist ein strategischer Sicherheitsdialog zwischen Australien, Indien, Japan und den Vereinigten Staaten, der durch Gespräche zwischen den Mitgliedsländern aufrechterhalten wird. Der Dialog wurde 2007 vom japanischen Premierminister Shinzo Abe mit Unterstützung des australischen Premierministers John Howard, des indischen Premierministers Manmohan Singh und des US-Vizepräsidenten Dick Cheney initiiert. Parallel zu dem Dialog fanden gemeinsame Militärübungen von bisher ungekanntem Ausmaß statt, die als Übung Malabar bezeichnet wurden. Die diplomatische und militärische Vereinbarung wurde weithin als Reaktion auf die wachsende wirtschaftliche und militärische Macht Chinas angesehen (wikipedia.org).


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