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Die Heilige Corona

Die Heilige Corona

Das Virus spaltet Gläubige von Ungläubigen — ein Theologe macht sich auf die verschwörungstheoretische Erkundung einer neuartigen Religion.

Es kroch aus orientalischen Märkten, verbreitet über fremde und unheimliche Menschen, und es kam von der Nachtseite her, mit Fledermäusen, durch teuflische Ränke, pestgleich zu uns. Es war die Strafe für unser Sünden-Babel, für die Après-Ski-Partys in Ischgl, für das Sodom und Gomorrha unseres falschen Lebens, die Rache der verderbten Natur — der von uns verderbten Natur. Für unsere frühere Verantwortungslosigkeit gegenüber der Welt, dem Klima, den Werten von Demokratie, für unsere Faszination für den Fortschritt und unendliches Wachstum. Aber auch für unsere beharrliche Weigerung, die Wahrheit und damit die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen anzuerkennen. Deshalb musste es schlimmer kommen, die Zahlen mussten steigen: erst die Neuinfektionen, dann die Reproduktionszahlen, dann die Inzidenz-Werte. Die Kurven mussten steil nach oben gehen, damit wir endlich begreifen, Buße üben, in Demut unsere Masken anlegen.

Denn zentral für die neuartige Corona-Religion ist die Frage nach der Schuld. Ein Übel kommt über uns, ein Naturereignis, das uns heimsucht, vermutlich zu Recht, denn die Heimsuchung ist die unausweichliche Folge unserer Sünden. Damit steht die Heilige Corona in der Nachfolge der Religionen, die eher die Korruption der menschlichen Natur betonen, wie das Christentum.

Die Gottheit bestimmt über Leben und Tod

Die einzige und wichtigste Gottheit im Virus-Kultus ist unsichtbar, obwohl manche von einer Stachelkugel-Form reden; sie ist allgegenwärtig und allmächtig. Sie lenkt die Geschicke der Menschen. Sie verteilt leichte und schwere Symptome ohne Ansehen der Person. Dass Alter und Vorerkrankungen eine wichtige Rolle spielen sollen, ist zweifelhaft, schon darum, weil es Alte und Kranke benachteiligen würde. Die Gottheit allein hält die Zeit in ihren Händen und bestimmt über Leben und Tod.

Ihr zu Füßen dienen die Hohepriester, sie opfern die täglichen Zahlenkolonnen und Schreckensberichte, deren Rauch der Gottheit wohlgefällig ist. Pharisäer und Schriftgelehrte diskutieren die Feinheiten der Heiligen Schriften, die geoffenbart worden sind in den Evangelien der Bundespressekonferenzen, im Raunen der Verordnungen und durch die gewaltigen prophetischen Weissagungen der Talkshowgäste.

Welche Lehre steht nun im Zentrum dieser sich rasch ausbreitenden Glaubensgemeinschaft? Der Mensch, so lehrt man, sei von Natur aus schlecht, egoistisch, gierig und krank — und infiziert vom Übel, das jederzeit ausbrechen kann. Hier übernimmt die neuartige Religion offenbar Aspekte der Anthropologie des neoliberalen Glaubens.

Es gibt keine gute Schöpfung. Der Mensch wird schuldig, weil er unrein ist, weil er im ontologischen Sinne das Übel in Potenz in sich trägt. Deshalb macht er sich schuldig der versuchten Bedrohung Hilfloser, der Älteren und Kranken, überhaupt seines Nächsten.

Er ist der Gefährder, der Idiot (grch. „der nur für sich Wirtschaftende“), der Verantwortungslose und Ungehorsame, ja vielleicht hegt er auch verschwörerische Gedanken gegen die geoffenbarte wissenschaftliche Wahrheit.

Jeder macht sich schuldig, indem er atmet.

Diese Schuld — als eine naturhaft eingeschriebene — kann nie wirklich abgewaschen werden. Jeder ist schuldig, durch das in die Struktur eingeschriebene Übel, vergleichbar einer Erbsünde, die unsichtbar, aber wesenhaft weitergegeben wird durch den Akt des Atmens, des Sprechens, des Singens. Deshalb sind auch Kinder unwissende Monster, Superspreader und gehören weggesperrt.

Das Erlösungswerk geschieht folgendermaßen: Die Sünde kann nur regelmäßig gelindert werden, durch das Sündenbekenntnis und fortwährende Bußübungen. Vielleicht wäre sie sogar aus der Welt zu schaffen, wenn dereinst alle (aber wirklich alle!) zum rechten Glauben finden würden. Im Kern steht jedoch der Glaube allein, als reiner geistiger Vollzug, der auf jede äußere Handlung vollkommen verzichtet, mehr noch, in eine Art aktivierter Passivität münden sollte.

Handlungen von Hingabe, Demut und Selbstverachtung

Die gewöhnlichen Glaubensvollzüge bestehen folgerichtig vor allem aus Handlungen von Hingabe, Demut und Selbstverachtung, die ganz im Sinne der schützenden Solidarität mit den Nächsten stehen. Drei Gebote sind von Bedeutung: die asketische Vereinzelung, das Verhüllen der Sinne gegenüber der Welt und der Verzicht auf alle unnützen Freuden. Für unvermeidbare Kontakte stehen elektronische Distanzhalter zu Verfügung, die die Kommunikation auf das Erträgliche beschränken. Die nötigen Lebens- und Heilsmittel werden geliefert durch die großen Ordensgemeinschaften der Digitalmonopole und Konsumketten, frei Haus und in größter zugesicherter Anonymität.

Wie in jeder Religion markieren die Dogmen unhinterfragbare Glaubenssätze, die ex cathedra, von der Kanzel der Wissenschaft, verkündet werden. Sie sind unfehlbare Wahrheiten und deshalb zu glauben.

An erster Stelle steht die heilige Zahl. Wer sie bezweifelt, steht unter Häresieverdacht und wird der medialen Inquisition zugeführt. Schon der Verdacht ist strafbar. Der heiligen Zahl zugeordnet ist eine komplexe Technik der Wahrheitssuche, die an Orakelpraktiken erinnert. Es handelt sich um labortechnisch gestützte Testungen menschlicher Sekrete, die einer Art „Versuch und Irrtum“-Untersuchung unterworfen werden. Aus der Anzahl von Ja- und Nein-Antworten können die Hohenpriester auf die Art der Maßregeln schließen, die für die Gläubigen je heilsnotwendig werden.

Ketzer und verdammenswerte Handlungen

Die Ketzergeschichte einer Religion wirft stets ein klares Licht auf ihre Feinde und damit im Umkehrschluss auch auf ihre ureigenen Wesensäußerungen. Ketzerisch sind zuvörderst das „Corona-Leugnen“ und die freche Gegenrede, aber auch alle Vorstufen davon: der Zweifel, die Frage, das Verwundern und ungläubige Staunen — ob auch die allgemeine Verunsicherung auf dieser Linie liegt, hat der Kreis der Großinquisitoren noch nicht abschließend beantwortet. Das oberste Ziel soll und muss Glaubensgewissheit sein. Dazu gehört das unbedingte Vertrauen in die eine, heilige Kirche — kein Heil ist außerhalb zu finden.

Zu den verdammenswerten Handlungen zählt auch das individualistische Ausscheren aus der allgemeinen Unkenntlichmachung. Ketzerisch sind weiterhin: das leibliche Zusammenkommen über den genehmigten Anlass und die je aktuell erlaubte Personenzahl hinaus.

Um Wachsamkeit und Schuldbewusstsein der Gläubigen nicht einschlafen zu lassen, hält man es für ratsam, diese Variablen in regelmäßigen Abständen zu verändern. Eifrige Glaubensjünger helfen der Inquisition bei der schwierigen Arbeit der Aufdeckung von Vergehen und machen sich uneigennützig zum Werkzeug für die gute Sache.

Der weitere phänomenologische Blick auf die Heilige Corona offenbart ein ausgefeiltes System von heilsfördernden und heilsnotwendigen Dingen. Als heiliger Ort gelten die vier Wände, wo das Leben und am besten auch das Arbeiten stattfinden, auf dem Sofa, auf dem der Aspirant zur Rettung der Welt beiträgt, indem er sitzt, konsumiert und wartet. Der heilige Gegenstand ist das Notebook. Die Heilige Gemeinschaft kommt in der gebotenen Distanz der Videokonferenzen zusammen oder, wenn es unbedingt sein muss, auch analog, aber dann in demütiger Verhüllung der kruden Merkmale menschlicher Mimik. Heilige Handlungen wie das Verhüllen und das Vereinzeln sind schon beschrieben, dazu kommen noch das Desinfizieren, das Auskühlen-Lassen von warmen Innenräumen durch kalte Außenluft und allgemein die Technik der Atemverflachung durch Maskierung, aber auch durch freiwillige Bewegungskontrolle.

Initiation in die Gemeinde

Ähnlich wie in anderen Religionen wird der Glauben besiegelt durch einen initiatorischen Ritus; hier ist es die Impfung, durch die man Zugang zur Gemeinschaft der Heiligen bekommt. Dieser Erlösungsritus wurde schon im Anfang prophezeit und als Erlösungswerk beschrieben, weit vor allem konkreten Wissen über das Übel. Der Impfstoff sei auf wunderbar schnelle Weise heraufgestiegen aus den Wunderkammern der Wissenschaft, so heißt es. Weil das Übel so tief in uns eingeschrieben ist, muss es dort auch gepackt werden, an der Erbsubstanz.

Es gibt, wie überall, auch Gewinnler und Nutznießer, die auf kurzem Wege zum Heil zu gelangen suchen, Scheinheilige, die sich die schnelle Gnade erwerben wollen: Sie werden aber rasch von der Inquisition belangt, wie etwa die Impf-Vordrängler, die meinen, den Weg der Bußübung umgehen zu können.

Märtyrer, Gerechte und das Ende der Zeiten

Auch Corona hat seine Märtyrer, die sich opfern mussten — als erstes der chinesische Arzt Li Wenliang, der das Virus schon bekannte, als alle es noch leugneten. Allerdings ist auf seine Seligsprechung wohl länger zu warten, denn er war noch im alten Glauben verhaftet und gilt lediglich als ein Johannes der Täufer, als Wegweiser auf das, was noch kommen wird. Die Pfleger und Krankenschwestern, die Ärztinnen und die unausgebildeten Helfer zur Kontaktnachverfolgung in den Gesundheitsämtern und vor allem die Alten, die sich mutig mit dem neuartigen Impfstoff impfen lassen, dessen Langzeitwirkungen niemand kennt, weil es ihn erst so kurz gibt — sie alle verdienen unseren stehenden Applaus.

Vor allem ist es aber die Stunde der starken Helden und der Gerechten, die mutig zum Handeln drängen, Maßnahmen ergreifen und die Ungläubigen mit eiferndem Zorn verfolgen. Und es ist die Stunde der Weisen und Gelehrten, die aus den Erkenntnissen ihrer Wissenschaften das filtrieren, was dem Gläubigen zu wissen nottut, was den Glauben fördert und was dem Wachstum der Kirche dient. Ihnen gebührt der Reichtum und die Fülle des Lohnes dessen, der, die oder das unser aller Leben in Händen hält.

Wenn einst alle zur großen Gemeinschaft der Geimpften gehören werden, am Ende der Zeiten, nachdem die letzte Corona-Welle über uns hinweggegangen sein wird, da wird eine neue Welt und ein neuer Mensch erstehen, der alle Natur von sich abgeworfen hat und ganz verwandelt erscheint.

Da werden keine Tränen mehr sein und kein Leid, und der Tod wird nicht mehr sein, und die Hölle ist verschwunden. Da werden nur noch Drähte sein und große Generatoren und viele glückliche Maschinen und eine Handvoll Heilige, die das Paradies wirklich verdient haben.

Religion? Nein, Götzendienst.

Was braucht es? Eine Theologie der Befreiung? Den „Kirchenaustritt“? Oder vielmehr den Glauben daran, dass der Mensch von Natur aus und im Grunde gut ist. Die Anerkenntnis, dass Krankheit, Leiden und Tod zum Leben dazu gehören, wenn die Medizin an ihre Grenzen stößt? Ja, unbedingt! Aber vor allem die theologische Erkenntnis: Wir sprechen nicht über eine Religion, sondern über Götzendienst, über den Missbrauch einer Krankheit für Machtzwecke. Ein Virus wird vergottet, eine mögliche Gefahr zur „Sünde“ stilisiert. Das Schuldgefühl wird benutzt, um reale Schuld zu verschleiern und von den Verantwortlichen wegzuschieben. Und verantwortlich sind — wenn auch im sehr unterschiedlichen Maße — wir alle.

Niemand wird geheilt entlassen werden.


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