Der 6. November 2024 war ein historischer Tag: Gegen Mittag mitteleuropäischer Zeitrechnung wurde Donald Trump zum Sieger der US-Präsidentschaftswahl ausgerufen. Er ist damit der zweite Präsident in der US-Geschichte, dessen zweite Amtszeit nach einer Unterbrechung durch die Präsidentschaft eines anderen Mannes erfolgte. Grover Cleveland hieß der bislang einzige Präsident, dem das gelang: Er saß von 1885 bis 1889 und von 1893 bis 1897 im Weißen Haus. Die Präsidentschaftswahl 1888, die ihm direkt die zweite Amtszeit sichern sollte, verlor er knapp gegen Benjamin Harrison. Auch diese knappe Niederlage erinnert an Donald Trump. Was nicht daran erinnert: Als Cleveland 1892 sein Comeback feierte — damals gab es noch keine transatlantische Brücke —, trat nicht am selben Abend Leo von Caprivi, seinerzeit Reichskanzler des Deutschen Reiches, vor die Presse, wetterte über seinen Finanzminister und erklärte, er strebe Neuwahlen an. So geschehen aber an jenem 6. November 2024: Einige Stunden, nachdem sich bestätigte, dass Donald Trump diese Wahlen für amerikanische Verhältnisse relativ souverän gewinnen wird, las Olaf Scholz eine Rede vom Teleprompter. Sie wirkte ausgearbeitet und gut vorbereitet — seltsam, wo sich doch der Streit zwischen Christian Lindner und dem Bundeskanzler eben erst ereignet haben soll … Wie dem auch sei, klar war in dem Augenblick: Nicht nur Kamala Harris hatte fertig, sondern auch Olaf Scholz.
Achse Washington — Berlin
Das deutsch-amerikanische Verhältnis war im 21. Jahrhundert hier und da schon mal zerrüttet. Man denke an Gerhard Schröder und seine Abfuhr an George W. Bush: Der damalige Bundeskanzler weigerte sich, deutsche Soldaten am Einsatz im Irak teilnehmen zu lassen – der damalige US-Präsident nahm das mit Argwohn auf. Wir erinnern uns: Angela Merkel flog einige Tage später nach Washington. Sie war die Oppositionsführerin und glaubte, es sei angebracht, sich in der US-Hauptstadt für die deutsche Regierung entschuldigen zu müssen. Vermutlich war das der Moment, da sich die Vorsitzende der Union als nächste Kanzlerfigur empfahl.
Jahre später litten aber auch unter Angela Merkel die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Und dabei hatte sie sich über Jahre hinweg sehr viel Mühe gegeben, nichts auf das Verhältnis kommen zu lassen. Als bekannt wurde, dass der US-Auslandsnachrichtendienst National Security Agency (NSA) auch in „befreundeten“ Ländern Kommunikation überwachen ließ, stellte sich Washingtons Hosenanzug aus Berlin vor die Presse und salbaderte etwas vom Neuland, das kaum einer verstehe, womit sie das Internet meinte. Das Internet lachte sich indes kaputt — aber eigentlich war es zum Heulen. Dann kam Trump, und das Verhältnis Merkels zu Washington kühlte ab.
Im Jahr 2021 wurde alles anders: Der Retter der amerikanischen Demokratie gewann die Wahl, Trump wurde abgelöst durch einen agilen Senior namens Joe Biden. Die „Achse Washington — Berlin“ stand vor einer Wiederbelebung. Insbesondere als nach 16 Jahren ein neuer Mann ins Kanzleramt zog: Er und seine Regierung intensivierten das Berliner Verhältnis zu Washington. Auf beiden Seiten des Atlantiks fuhrwerkten jetzt Administrationen, die sich als etwas ganz Besonderes definierten: Sie waren mehr als bloße Regierungen, als gewählte Vertreter ihrer Wahlvölker — sie waren die letzte Bastion kurz vor der Machtübernahme radikaler Kräfte. Die Regierung Biden tat stets so, als habe sie ihr Land in einem ersten Akt bereits gerettet und müsse es jetzt auf Leben und Tod verteidigen — die deutsche Regierung führte denselben Kampf. Drüben galt das Ringen Trump und seinen Wählern — hierzulande der AfD, aufmüpfigen Impfverweigerern und etwas später auch noch Menschen, die mit Russland nicht radikal brechen wollten.
Als der Bürgerkrieg in der Ukraine dann durch den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine in eine neue Phase trat, wurden diese beiden Administrationen, die in einem ähnlichen weltanschaulichen Gefüge ihre Regierungspolitiken machten, welche unter der Parole „Wir — und die anderen“ zusammengefasst werden konnten, zu militärischen Verbündeten im unmittelbaren Einsatz. Mit dem Moralismus, mit dem man jeweils innenpolitisch angetreten war, agierte man nun ebenfalls international: Washington und Berlin verschmolzen zu einer Einheit, wobei immer klar war, wer Vasall, wer Lehensherr ist. Symbolisch dafür die Bilder, die am 7. Februar 2022 um die Welt gingen und die Scholz devot neben Biden stehend zeigten, während Sleepy Joe erklärte, dass Nord Stream Geschichte sei — man sei in der Lage dazu, deutete Biden auf Nachfrage einer Journalistin nach.
Es muss sich alles ändern …
Diese Achse zweier Regierungen, die innenpolitisch in einer weltanschaulichen Auseinandersetzung mit so gut wie jeweils der Hälfte ihrer Bürger standen und die dann auch noch außenpolitisch in einen weltanschaulichen Konflikt gerieten, war von Ende 2021 — als Scholz nach längeren Sondierungs- und Koalitionsgesprächen das Amt des Bundeskanzlers antrat — bis zum 6. November 2024 intakt. Drei Jahre lang verstand man sich blendend, lobte sich überschwänglich, stilisierte man sich gegenseitig als innovative, als zukunftszugewandte Regierung, die mehr als das sei: nämlich ein Fels in der Brandung unruhiger Gewässer. Biden wurde auch in Deutschland als das gute Amerika verkauft, als der Mann, der das Land aus den Klauen eines vermeintlichen Faschisten befreite. Und die Regierung von Olaf Scholz pries man auch in den USA als wichtigen Anker.
Was in diesen drei Jahren entstand, das war die Achse der Guten. Der Ehrlichen. Der Anständigen. Die beiden Blasen, jene der US-Demokraten in Übersee und die Berliner Blase, die stark von Grünen und Sozialdemokraten gefärbt ist, passten einfach zu gut zusammen.
Beide Regierungen setzten sich als Verfolgte in Szene. Sie mussten unter schwersten Bedingungen arbeiten und waren mehr als Administrationen: Sie waren Vernunftinstanzen, die gegen den Wahnsinn der Zeit aufstanden und dem Gestrigen, den alten Traditionen und anderen Bräuchen, die man als potenziell rechtslastig einordnete, endlich die Stirn bieten wollten — koste es, was es wolle.
Aber letzte Woche, am letzten Mittwoch genauer gesagt, zerbrach diese Achse der Guten schlagartig. Bidens mögliche Nachfolgerin Kamala Harris verlor die US-Präsidentschaftswahl gegen Donald Trump nicht nur einfach: Sie ging regelrecht unter. Zur mitteleuropäischen Mittagszeit wurde jener Präsident, gegen den Biden als Retter der Nation vier Jahre lang angekämpft hatte, erneut Präsident. Am Abend trat Olaf Scholz vor die Kameras und inthronisierte Christian Lindner, seinen Finanzminister bis eben, als Sündenbock seiner Kanzlerzeit. Eigentlich habe die Ampelkoalition gute Arbeit geleistet, erklärte er. Aber dieser Lindner habe ihn immer enttäuscht, Versprechen gebrochen, sei egoistisch und verantwortungslos. Kein Wort über das Versagen der Grünen — nicht eine Silbe über das eigene Scheitern.
Einen Tag später begriff man, warum dieser Kanzler so selbstgerecht einen einzigen Schuldigen brauchte: Er möchte sich nämlich bei den anstehenden Neuwahlen abermals als Kanzlerkandidat seiner Partei aufstellen lassen.
Hätte er sein eigenes Versagen thematisiert, hätte es so gewirkt, als sei er gar nicht mehr in der Verfassung, als Bundeskanzler zu fungieren.
Dass er die Vertrauensfrage erst am 15. Januar 2025 stellen will, was Neuwahlen für den März realistisch macht, interpretieren einige Beobachter als Machtversessenheit. Scholz klebe an seinem Stuhl. Aber diese Einschätzung ist wohlfeil, denn das ist bereits Teil des Wahlkampfes. Scholz‘ Umfragewerte sind miserabel. Wenn er aber noch für einen Moment eine Minderheitsregierung aufrechterhält und die Union in die Pflicht nimmt, sogenannte wichtige Entscheidungen zusammen mit SPD und Grünen im Bundestag auf den Weg zu bringen, dann steckt dahinter Kalkül. Er will nicht, dass die Union diese Entscheidungen mit auf den Weg bringt. Seine Hoffnung dabei: Die Bürger strafen diese Verantwortungslosigkeit der Union ab — vielleicht reicht es dann doch nochmal für Scholz.
… damit alles so bleiben kann, wie es ist
Und falls nicht, dann baut man vielleicht damit eine Basis, um kleiner Koalitionspartner zu werden. Unter Umständen wird Scholz dann der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik, der sich auch mit dem Posten des Vizekanzlers zufriedengeben würde. Die Sozialdemokraten standen vor langer Zeit für Aufbruch, für das bessere Deutschland — damals, als man noch die Partei der sogenannten kleinen Leute war. Heute sind sie ein Haufen voller verschlagener Typen. Sie tricksen herum, wo immer es möglich ist. Über anderthalb Jahrzehnte verkauften sie sich beispielsweise als Opfer Angela Merkels, obgleich sie fast immer Regierungspartei waren in jenen Jahren. Und nun versucht Scholz denselben Trick, indem er den Namen Merkel durch Lindner ersetzt. Die Sozis sind immer Opfer anderer — und daher nie zur Verantwortung zu ziehen.
Das wissen mittlerweile aber auch die Bürger. Und sie werden vermutlich einem anderen Mann die Rolle des Kanzlers zuschreiben wollen: Friedrich Merz — die Alternative, wie er und seine Partei finden.
An der Stelle spürt man, wie irrational man als Bürger zuweilen tickt: Man kann sich über Neuwahlen freuen, weil diese leidige Weltanschauungsampel abgelöst wird — und weiß dennoch synchron dazu, dass das, was folgt, auf keinen Fall besser sein wird.
Der Mann, der vom BlackRock herunterstieg, um das Volk der Deutschen mit seiner großen politischen Kompetenz zu beglücken, wird ein Bundeskanzler sein, der mit anderen Interessen auf die Ukraine schauen wird. Denn sein Ex-Arbeitgeber BlackRock steht in der Ukraine, macht dort Geschäfte. Könnte man bei Merz‘ Nähe zu jener Investmentgesellschaft nicht mindestens von Befangenheit sprechen?
Ja, das Kabinett Scholz kannte in vielen Bereichen keine roten Linien mehr — genau so, wie er es vor Regierungsantritt in Aussicht gestellt hatte. Man nehme nur mal die Arbeit seiner Innenministerin: Nancy Faeser hat zentrale demokratische Grundwerte ausgehöhlt und teils totalitäre Strukturen vorbereitet.
Wer denkt, dass ein Kabinett Merz davon ablassen und zu einer Grundvernunft zurückkehren wird, ist — freundlich ausgedrückt — naiv.
Es ist längst klar, in welche Richtung sich der Westen bewegt beziehungsweise bewegen soll. Der Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa lässt seinen gealterten Grafen Tancredi in seinem Roman „Der Leopard“ folgenden Satz sagen: „Es muss sich alles ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist.“ Was Tancredi auf die nationalistischen Kräfte des italienischen Risorgimento bezog — also darauf, dass die wirkliche Macht demokratische Strukturen genauso kaschieren wird, wie es die feudale Ordnung tat —, könnte man gerade auch jetzt als ausgemacht betrachten: In Deutschland soll sich was ändern — damit sich nicht zu viel ändert.
Ohnehin spielen die Fragen, ob nun Harris oder Trump ins Oval Office ziehen oder ob Merz oder Scholz das Kanzleramt belagern, keine allzu große Rolle. Im Vorfeld zur Wahl, als die Journalisten der Berliner Blase noch voller Zuversicht waren, dass die demokratische Kandidatin gewinnen würde, vernahm man die Frage, ob dann Harris die mächtigste Frau der Welt sei. Das war eine gezielte Desinformation: Es sind nur die Namen, die sich ändern dürfen, damit im Hintergrund alles so bleiben kann, wie es ist — mächtig sind andere.
Im Tiefen Staat gibt es kein Wahlrecht — dort ist die feudale Ordnung noch intakt.
Das weiß auch der Gelbe Engel der Stunde, der Retter des ursprünglichen Amerika: Donald Trump. Er weist sich gerne als Kontrahent des Deep State aus. Ist aber erpressbar und hing zu oft mit Jeffrey Epstein herum. Wer also glaubt, der 6. November 2024 sei ein Tag gewesen voller Szenen aus westlichen Demokratien, die noch funktionieren, der hat sich wirklich ein sonniges Gemüt bewahrt …
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