Die beiden ersten Teile dieses Artikels zeigten, dass formale Demokratie nur das Lernen des Fliegens in einem Käfig darstellt, wenn die Macht des Reichtums die Reichweite der Flügelschläge innerhalb der Gitterstäbe des Käfigs bestimmt. Selbst der schwache Ansatz der republikanisch-konstitutionellen Demokratie wird heute entlang der unauflösbaren Widersprüche, die mit dem Demokratie-Konzept verbunden sind, radikal heruntergefahren, und zwar vor allem vom Staat selbst. Bisherige Formen der Demokratie sind nur Vorläufer echter Demokratie, denn diese kann erst funktionieren, wenn Bereicherungsrechte einer Ökonomie, die auf Betrug und Herrschaft von Menschen über Menschen aufgebaut ist, ein für alle Mal fallen!
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – aber das Kapital bereichert sich
Neben der ersten großen demokratischen Revolution, der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der republikanischen Revolution 1775 bis 1783 hatte die andere, die eher „konstitutionell-demokratische“ Revolution, die Französische Revolution von 1789 bis 1799, weniger die lokale Unabhängigkeit der Räte vor Augen als die radikale Bekämpfung von Herrschaft einer Aristokratie, um das Elend des „Ancien régime“ aufzuheben. Heinrich Leitner schreibt:
„In Frankreich herrscht unter dem Volk fürchterliche Not und bittere Armut. In Frankreich war, so Hannah Arendt, das Volk ‚von Hunger getrieben‘. ‚Le peuple ist das Schlüsselwort zu jedem Verständnis der Französischen Revolution (…)‘ (49), und das Volk waren die ‚Unglücklichen‘, die vom Elend geplagten. Es ist die ‚soziale Frage‘, die das Geschehen bestimmt. Der Sturz des Regimes und die Übernahme der Herrschaft durchs Volk sollte die ‚Befreiung des Volks von Armut und Not‘ erreichen“ (50).
So sehr diese Revolution auch im Ansinnen von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ auf ein soziales Lösungsmoment abzielte, die Frage des Bereicherungsrechts wurde letztlich eindeutig nicht gelöst. Das zeigt der französische Ökonom Thomas Piketty schlagend in einer Grafik, die er auf breiter, sicherer Datengrundlage erstellte:
Grafik 3.2., Thomas Piketty (51), Gestaltung grafischer Hinweiselemente von Bertram Burian
Thomas Piketty zeigt, dass das „Kapital in Frankreich“ ungebrochen vom Feudaladel an den „Kapitaladel“ weitergegeben wurde. Es handelte sich dabei um jenes Vermögen in der Hand einer schmalen Schicht, das dem Wert von sieben Jahresproduktionsleistungen der Franzosen entsprach. Erst die Arbeiterbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts sowie der Erste Weltkrieg und die revolutionäre Situation in Europa nach dem Ersten Weltkrieg — vor allem beeinflusst durch die Oktoberrevolution in Russland — bringen eine sprunghafte Veränderung. In der Zwischenzeit hat die Ungleichverteilung von Reichtum, dank der marktradikalen Konterrevolution, erneut historische Spitzenwerte erlangt (52).
Während die Französische Revolution also ein Ansinnen auf soziale Gleichheit keineswegs durchsetzt, bringt sie doch weitere Bewegung in eine formal-politische Richtung. Dass bürgerliche Rechte formal gleich verteilt werden, war zweifelsohne ein großer Fortschritt und ein Befreiungsakt. Aber andererseits stellen diese rein formalen Rechte einen Hort der Unehrlichkeit und Inkonsequenz dar, solange es keinerlei ernsthafte Bestrebungen gibt, ökomische Macht und die Gier des „Mehrhabenwollens“ zu beschränken und ebenfalls demokratischen Spielregeln zu unterwerfen.
Was hilft die Gleichheit vor dem Recht, wenn die ökonomische Macht des Gegenübers im Himmel der Ungerechtigkeit verankert ist? Oder anders ausgedrückt: Was hatten die Sklaven des antiken Athens von der attischen Demokratie? Nichts von Bedeutung.
Es macht einen Unterschied, ob es Recht, Gewaltenteilung und Wahlmöglichkeiten gibt — oder nicht
Natürlich darf man die Errungenschaften der formalen Demokratie nicht geringschätzen, vor allem dann nicht, wenn sie in gewissen historischen Phasen vom Gedanken, „Eigentum verpflichtet“, wie es ja unter anderem im deutschen Grundgesetz steht (53), mitgetragen wurden. Die Entwicklung der formalen Demokratie in den USA in Verbindung mit dem New Deal und in Europa in Verbindung mit dem „Sozialstaat“ haben zweifelsohne historische Bedeutung. Heute findet im Westen radikaler Demokratieabbau statt, aber die grundsätzliche Frage bleibt. Es macht einen Unterschied, ob man Rechte wenigstens „theoretisch“ einklagen kann oder ob man der willkürlichen Entscheidung eines Aristokraten oder eines Sklavenhalters, eines Staatsbeamten oder eines Partei-Apparatschiks ausgesetzt ist. Es macht einen Unterschied, ob es tatsächliche Gewaltenteilung gibt oder nicht.
Es macht einen Unterschied, ob es Wahlmöglichkeiten — und Abwahlmöglichkeit — gibt oder nicht. Es macht einen Unterschied, ob es eine Verfassung gibt, die grundlegende Rechte und Freiheiten wie Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, Würde des Menschen, Verpflichtung zum Frieden, Menschenrechte und so weiter garantiert oder nicht. Es macht auch auf internationaler Ebene einen großen Unterschied, ob es eine „Verfassung“, wie sie im Ansatz in der Charta der Vereinten Nationen (UN) (54) formuliert ist, auch weltweit gibt oder nicht.
Der Unterschied ist sogar dann gegeben, wenn die Verfassung de facto von den Herrschenden mit Füßen getreten wird, sie es aber noch nicht wagen und es kraft der öffentlichen Meinung auch nicht können, zur offenen Diktatur oder zum offenen Faschismus oder zur offenen Aufhebung der UN-Charta überzugehen. Der Unterschied liegt dann wenigstens darin, dass eine Berufung auf einen Sollzustand, auf den man sich schon einmal in einem Gesellschaftsvertrag geeinigt hatte, möglich ist.
Und wenn man sich bewusst ist, dass letztlich die öffentliche Meinung, wenn sie selbstbewusst vorgetragen wird, alles entscheidet — weshalb ja Propaganda beziehungsweise auch die ehrliche Gewinnung der öffentlichen Meinung so wichtig ist —, so kann die Berufung auf die noch existierenden Paragrafen noch immer ein gewisses Kampfmittel sein. Jedem, der kein Brett vor dem Kopf hatte, musste es beispielsweise aufgefallen sein, dass es nicht rechtens sein konnte, wenn in den Zeiten der speziellen Corona-Willkür Menschen verhaftet wurden, weil sie, das Grundgesetz in der Hand vor sich hertragend, spazieren gingen.
Und auch wenn die Willkür allgegenwärtig ist, wie es beispielsweise die Verurteilung jenes Weimarer Richters zeigte (55), der das Kindeswohl durchsetzen wollte, ist doch für Menschen, die kritisch beobachten, ein Vergleich mit einem normativen Soll noch möglich. Dies ist gewiss nur ein schwacher Trost im Vergleich zu der klar erkennbaren Ent-Demokratisierung und Herrschaftsabsicherung, die sich heute vor allem im Westen rasant ausbreitet.
Wenn die ökonomische Macht außen vor bleibt, kann von echter Demokratie keine Rede sein
Wie schon ausgeführt, es ist immer ein Irrglaube, von wirklicher Demokratie zu sprechen, wenn die ökonomische Macht mehr oder weniger ungebremst den Verfügern über diese Macht bereitsteht und sie diese wiederum so einsetzen können, dass die politischen Entscheidungen und Gesetze zu ihrem Bedürfnis und Willen zurechtgebogen werden. Ich habe in Teil 2 dieses Artikels schon auf die Langzeitstudie in den USA verwiesen, die exemplarisch belegt, was die meisten Menschen sowieso spüren, dass die Interessen der breiten Bevölkerung im Regierungshandeln so gut wie keinen Widerhall finden (43).
Aber es ist ein Problem allgemeiner Natur, dass es ökonomische Macht immer geben wird. Das liegt in der Sache selbst. Je größer die wirtschaftlichen Einheiten zweckmäßigerweise sind, desto größer ist in einer Bereicherungsökonomie diese Macht. Sie ergibt sich schon alleine daraus, dass wir alle von einer wohlorganisierten Art der Zusammenarbeit in Form der Arbeitsteilung abhängig sind. Ohne eine mehr oder weniger klar ausgeprägte „Gemeinwohlökonomie“ (56) können wir nicht leben.
Dieser hier von mir verwendete Begriff „Gemeinwohlökonomie“ mutet absurd an. Aber wir haben auch dann in gewisser Weise eine Ökonomie, die dem Gemeinwohl dient, wenn sie von Bereicherungseliten völlig pervertiert und willkürlich nur zu ihrem eigenen Vorteil organisiert wird. Das „Gemeinwohl“ reduziert sich dann für die Masse der Menschen auf ein Dasein in vielfältigster Abhängigkeit und Entfremdung und den modernen Kampf ums Überleben. Aber ohne selbst diese pervertierte Form des Gemeinwohls wäre ein Überleben heute kaum möglich oder nur für eine sehr, sehr kleine Zahl von „Aussteigern“. Weshalb regelmäßig viele stark angepasste Menschen bereit sind, sich zu unterwerfen und beispielsweise gerne, wider besseres inneres Wissen, bejahen, im „besten Deutschland aller Zeiten“ zu leben.
Das wirtschaftliche Geschehen muss funktionieren. Auch aus diesem Umstand ergibt sich die ökonomische Macht, solange ein „Funktionieren“ noch irgendwie gegeben ist. Wenn es in der Hand von einzelnen, superreichen, wirtschaftlichen „Führern“ oder auch des Staates liegt, Geld auszuschütten oder eben auch nicht, sind die Abhängigkeiten gewaltig. Alle müssen sich den Hierarchien und den Bedürfnissen „des Marktes“ — in Wahrheit der Bereicherungsgewinner – oder einer Partei anpassen. So kann es zum Beispiel dazu kommen, dass die Pharmaindustrie zum Zweck, die Profitkuh zu melken, und gedeckt von den Interessen anderer mithilfe einer „Pandemie“ durchregieren kann und ein großer Teil der Menschen, die dann schnell im vorauseilenden Gehorsam den Verstand und den Anstand verlieren, sich bereitwillig der Angst unterwirft.
Historisch gab es vor allem mit dem Sozialismus und der Arbeiterbewegung ein Ansinnen, die ökonomische Macht zu brechen. Aber der lange von vielen Freiheits- und Gleichheitskämpfern geglaubte Vorteil, dass es besser sei, wenn die ökonomische Macht beim Staat liegt, stellte sich in den bisherigen historischen Beispielen keineswegs von selbst als eine Form von Demokratie heraus. Ganz im Gegenteil!
Denn der Staat ist nicht das Volk (57)! Wenn die ökonomische Macht bloß durch Enteignung von den privaten Nutznießern an den Staat übergeben wird, ist nicht automatisch das demokratische Bedürfnis der Bevölkerung verwirklicht. Der Staat hat seine eigenen Interessen und Machtansinnen.
Treffen sich diese mit der ökonomischen Macht, so sieht die Lage für die Bevölkerung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht sehr gut aus. Vielmehr muss es die Bevölkerung, der Souverän, sein, die den Staat beauftragt und notfalls zwingt, in ihrem Namen zu handeln. Der Souverän legt die Regeln fest. Diese Regeln und die daraus abgeleiteten Gesetze gelten dann für alle — durchaus „diktatorisch“, nämlich im Sinne von strikt, eindeutig und unteilbar —, vor allem für den Staat selbst, wodurch er überhaupt erst zu einem „demokratischen“ Staat werden kann. Dieser Staat muss dabei ganz besonders kontrolliert werden, weil er ja — ebenfalls notwendigerweise — mit Macht ausgestattet ist, was auch zu den Dilemmata gehört, die nicht verschwinden werden.
Hinaustreten aus der rein formalen Betrachtung
Wie kommt man also zu wirklicher Demokratie? Und das möglichst weltweit? Wie kommt man zu einer lebendigen politischen Kultur, in der sich die Entscheidungen des Souveräns zugunsten von Regeln durchsetzen, die dem Kern der Menschlichkeit entsprechen, die also keinesfalls von Gier und Herrschaftssucht gesteuert sein können? Wie kommt man zu dieser fundamentalen, wirklichen Demokratie, die sich auch der Kontrolle der ökonomischen Macht annimmt? Die Frage mag abstrakt und als eine Frage erscheinen, die nur für eine ferne Zukunft auf der Tagesordnung steht.
Die Realität ist eine andere: Der heutige fundamentale Umbruch, der mit dem Untergang der imperialen Regeln der unipolaren Weltordnung, die sich direkt aus den langen Wellen von Sklaverei, Feudalherrschaft, „Kapitalismus“, Kolonialismus und Neokolonialismus entwickelt hat, nun aber nach Jahrhunderten ihrem Ende mit Krisen und Kriegen entgegengeht, macht es enorm wichtig, in den entscheidenden Momenten, wenn der Umbruchs-„Teig“ weich ist, die Form einer neuen Demokratie zu gestalten.
Der wichtigste Teil der Antwort ist, so scheint mir: Man muss hinaustreten aus der rein formalen Betrachtung dessen, was Demokratie ist. Wie wir gesehen haben, nutzt es wenig formale Demokratie in der einen oder anderen Form zu haben, daneben aber Bereicherungslogik und ökonomische Macht außen vor zu lassen.
Unweigerlich übernimmt dann die Bereicherungsoligarchie die Macht und die Demokratie ist nur mehr ein Schattentheater, mit Resten von Rechten, die heroisch und blutig über Jahrhunderte erkämpft wurden, wobei auch noch die Reste des demokratischen Mahls, in einem Fäulnisprozess staatlich-gewaltbereiten Aufbäumens gegen den Machtverlust, zunehmend faschistoiden Tendenzen unterliegen.
Wir brauchen nicht ernsthaft von Demokratie zu reden, wenn die ökonomische Macht in der Hand von Bereicherungseliten oder des Staates selbst liegt.
Wohin soll man also die ökonomische Macht — und dabei zuallererst die Geldmacht — legen? Richtig, in die Hand des Souveräns, der Bevölkerung selbst. Wie soll das aber in einer sich selbst frei organisierenden Wirtschaft mit freien Akteuren möglich sein? Nun, dort, wo aus einer langen Kette von Enteignungen (58) die Monopole und Konzerne und vor allem die Finanzkonzerne entstanden sind, sind diese an strikte Regeln der Demokratie zu legen. Aber eben nicht durch laufende Eingriffe des Staates, der dann zum universellen „Gesamtkapitalist“ wird, sondern zuallererst durch neue normative Regeln, einen neuen Gesellschaftsvertrag, den der Souverän selbst aufstellt.
An dieser Stelle der Überlegung kommt die historische Frage „Sozialismus“ oder „Kapitalismus“ ins Spiel und die Hoffnung auf Freiheit. Abgesehen davon, dass heute von vielen als Sozialismus bezeichnet wird, was in Wahrheit die bürokratische Herrschaft von Bereicherungseliten ist, ist bei der Forderung nach Freiheit immer die Frage zu stellen: Ist damit nur die Freiheit auf Bereicherung gemeint? Also nur die Freiheit, beliebig Monopole, Finanzkonzerne, Militärapparate, mediale Betrugseinrichtungen, scheinwissenschaftliche Thinktanks und scheinbar unabhängige „Nichtregierungsorganisation (NGOs)“ zu bilden? Oder ist damit die Freiheit vor privater und vor staatlicher Ausplünderung und Zwangsherrschaft gemeint?
Die Frage von Sozialismus und Kapitalismus muss nach 175 Jahren andauernder Menschheitserfahrung zweifelsohne neu aufgerollt werden. Dabei ist zu beachten, dass die Geschichte ein Gestrüpp von gewaltigen Denkverboten und Denkzwängen wuchern ließ, als Folge von erbitterten, mit Ideologie und mit Waffen ausgetragenen Kämpfen. Man muss dieses Dickicht der Verwirrung erst einmal mutig und mit scharfem Verstand durchtrennen, um zu neuen Zukunftsvisionen kommen zu können.
Eine der Schlussfolgerungen wird wohl sein müssen, dass eine zwangsgesteuerte Wirtschaft in mancher Hinsicht schlechter ist als eine sich selbst organisierende (17). Aber die Vorstellung, dass nur ein absolut „freier“ Markt, also eine allgegenwärtige „Marktradikalität“, alle Bedürfnisse der Bevölkerung nach einem glücklichen Leben mithilfe einer unsichtbaren Hand zu befriedigen vermag, ist an kindlicher Naivität kaum zu überbieten. Freier Markt ja, aber starke Regeln, gesichert durch einen starken, wahrlich demokratisch gesteuerten Staat! Regeln, die garantieren, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung selbst zum Ausdruck kommen!
Niemals mehr dürfen die Bedürfnisse der Menschen den Bedürfnissen von Enteignungs- und Ausbeutungsmaschinen, wie sie Monopole in Zusammenarbeit mit einem korrumpierten Staate sind, unterworfen werden. Der zentrale Kampf muss dabei um die grundlegenden normativen Regeln gehen, die außer Streit gestellt werden können, weil sie sich in einem breit akzeptieren Gesellschaftsvertrag abstützen.
Mein Vorschlag für drei dieser grundlegenden Regeln ist:
Die erste Regel: Höchsteinkommen
Egal, was jemand in dieser sich selbst organisierenden Wirtschaft oder anderswo macht, er hat laut einem neuen Gesellschaftsvertrag kein Recht, mehr Einkommen zu vereinnahmen als, sagen wir, das Zehn- oder noch besser nur das Fünffache eines Mindesteinkommens, das für alle verbindlich ist. Niemand kann beispielsweise mehr als fünfmal so viel arbeiten wie ein anderer, der ebenfalls fleißig arbeitet. Das angebliche „Tragen von Verantwortung“, das außerordentliches Einkommen rechtfertigen soll, entpuppt sich regelmäßig als bloß vorgeschobenes Argument für eine Ansammlung von Reichtum oder, wenn es heiß wird, als das ungenierte Abwälzen dieser Verantwortung auf die letztlich von Leid Betroffenen. Aber gut, möge es trotzdem einen gewissen Einkommensunterschied geben. Das scheint besser als ein generelles Einheitseinkommen, das alle Leistungsunterschiede negiert.
Doch nach oben hin muss es eine Grenze geben: ein Höchsteinkommen. Ein solches Höchsteinkommen soll nicht nur für Manager gelten, die ja nur deshalb heute so viel Geld bekommen, weil sie den eigentlichen Bereicherungsgewinnern dienen, um die es bei den heutigen Nutznießern der ökonomischen Macht wirklich geht. Nein, das Höchsteinkommen muss vor allem für die Angehörigen der heute besitzenden Klasse selbst gelten. Dabei ist, um Missverständnisse zu vermeiden, von einem persönlichen Einkommen die Rede und nicht von dem Umsatz oder Gewinn eines Unternehmens.
Gibt es ein Höchsteinkommen, mag jeder seiner Tätigkeit nachgehen und mit seinem bisherigen Eigentum hantieren, wie er will, aber was er über das gesellschaftlich festgelegte Maß hinaus einnimmt, muss er abgeben. Das gilt auch für Unternehmen, sofern die Einnahmen nicht direkt reinvestiert werden und so ein „Eigen-Tun“ in Schwung gehalten wird.
Das Problem entsteht erst, wenn jemand auf seinem Vermögen sitzt, es „be-sitzt“, und daraus Einkommen bezieht, ohne etwas gesellschaftlich Nutzbringendes zu arbeiten. Deshalb die Grenze eines persönlichen Höchsteinkommens. Wer soll das durchsetzen? Richtig: der Souverän mittels eines wirklich demokratisch kontrollierten Staates.
Die zweite Regel: Neu gedrucktes Geld geht an alle
Es muss dem Geld die Missbrauchsmöglichkeit als Machtfunktion genommen werden. Das geht mit der einfachen Regel, dass neu geschaffenes Geld stets auf alle Menschen eines Währungsraums verteilt werden muss. Neu gedrucktes Geld darf nie mehr an Bereicherungsgewinner verteilt werden. Neu geschaffenes Geld darf auch keinesfalls an den Staat gehen, außer vielleicht durch direkten Volksentscheid. Eine demokratisch strikt kontrollierte „Monetative“ (59) muss die Ausgabe von frischem Geld im Auftrag des Souveräns und nicht im Auftrag der Banken und Bereicherungsoligarchen kontrollieren.
Die dritte Regel: Der Souverän verfügt über einen Investitionsgeld-Topf
Diese Regel lässt Demokratie erst die Basis finden, auf der sie wachsen kann und wodurch sich auch der heute oft lethargisch gewordene Bürger wieder zum aktiv beteiligten Organisator der „res publica“ entwickeln kann: Wer soll über den Einsatz von neuen, richtungweisenden Investitionen entscheiden? Die Eigentümer eines Konzerns, von Banken oder Finanzkonglomeraten, die so viel Tribut wie möglich auf die Menschheit legen wollen? Oder der Staat? Oder der Souverän? Wenn die Bevölkerung selbst entscheidet, wo die großen Investitionen (60) getätigt werden sollen, dann erst besitzt der Souverän selbst die ökonomische Macht.
Wie kann das gehen? Nun, es kann nicht alles in Parlamenten abgestimmt werden, es kann nicht alles per direktem Volksentscheid entschieden werden. Vieles muss durch Entscheidungsgremien, die durch Losverfahren aus der breiten Bevölkerung gebildet werden, entschieden werden. Das System der Losauswahl spielte schon im antiken Griechenland eine bedeutende Rolle. Räte, die über Investitionen, über Kontrollgremien und so weiter entscheiden, können durch wirklich unabhängige Losverfahren bestimmt werden. Zufällige Zusammensetzungen von Räten kann auf Dauer zu einer relativ guten, wirklich unabhängigen Repräsentation des Willens des Souveräns führen.
Investitionsvorhaben von Menschen oder Institutionen, die das „Eigen-Tun“ voranbringen wollen, können bei solchen Räten beantragt und begründet werden. Diese Räte müssen natürlich mit Expertise unterstützt werden, Expertise allerdings, die die Räte sich selbst organisieren, um möglichst Manipulation zu vermeiden. Weiterreichende Entscheidungen, wie es die großer Investitionen sind, werden dann nicht mehr von jenen, die genügend Betrugsgeld angehäuft haben, getroffen. Die Investitionsmacht geht in die Hand des Souveräns.
Diese drei Regeln, die ich unter dem Titel „3rules2new1world“ darlege und auch in einem Buch weiter ausführen werde, sind hier nur sehr kursorisch ausgeführt und müssen natürlich einem Diskurs unterzogen werden. Der Diskurs kann zu berechtigten Änderungen der Gestaltung des Vorhabens führen. Aber es ist klar: Wirkliche Demokratie gibt es erst, wenn nicht nur die politische Macht aus dem Souverän selbst erwächst, sondern wenn vor allem auch die ökonomische Macht kontrolliert wird. Daran ist festzuhalten, sonst wird es keine Demokratie geben.
Wer für freien Markt ist und einer Forderung nach einem Höchsteinkommen zustimmt, der möge mit uns, der souveränen Bevölkerung, sein. Wer jedoch für freien Markt ist und dabei nur das freie Recht auf Bereicherung meint, der möge mit seinem Anspruch auf formale Demokratie schweigen, denn er kann es nicht ehrlich meinen.
Dieser Artikel wird im Teil 4 fortgesetzt.

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Quellen und Anmerkungen:
(1) Was verstehe ich unter „originärer Menschlichkeit“? Was der Mensch im Zuge seiner langen Evolution im Rahmen der Biosphäre als Mensch wurde, ist nicht dasselbe wie das, was der Mensch durch die rund 10.000 Jahre Zivilisationsgeschichte wurde. Hier ein paar Beispiele: Originär menschlich sind wir, wenn wir uns gespiegelt durch das lebendige Verhalten von nicht normativ beeinträchtigten Kindern im Alter von etwa ein bis drei, vier Jahren sehen. Originär menschlich sind wir, wenn wir die Gefühle zwischen Freunden, Geliebten und in der Gemeinschaft erleben. Originär menschlich sind wir, wenn wir die Schönheit und das Wunder der Natur und des Universums erkennen. Originär menschlich sind wir, wenn wir uns im Flow des Erkennens, Gestaltens, Verstehens im Einklang mit unseren Empfindungen befinden. Dem originär Menschlichen waren die indigenen Völker, die in einer „eigentlichen Überflussgesellschaft“ (Marshall D. Sahlins) lebten, deutlich näher als viele der heutigen Zivilisationsgeblendeten, die in den engen Häuserschluchten moderner Städte und ihren digitalen Scheingebäuden leben. Originär Menschlich ist, wie das Leben lebt. Es geht um einen Kern des Menschlichen, den wir alle kennen, der aber stark verschüttet ist durch Systemzwänge, die mit Eigentum, Staat und der „Vertreibung aus dem Paradies“ der Nichterkenntnis verbunden sind. Unser Denken führt zu scheinbar sicherem Erkennen. Aber wie wirklich ist die Wirklichkeit (Paul Watzlawick)? Regelmäßig täuschen wir uns kollektiv über den Grad unserer Erkenntnis der Außen- und Innenwelt. Wenn Sokrates von der Anwendung der Hebammenkunst (Mäeutik) spricht, so meint er vielleicht das Herausschälen der richtigen Erkenntnis, die mit dem Kern des Menschlichen verbunden ist. Erst wenn die „Zivilisation“, die zweifelsohne im positiven Fall auch eine Weiterentwicklung des originär Menschlichen bedeutet, sich von den negativen Zwängen ebendieser Zivilisation befreit hat, wird eine Rückkehr zum Kern unserer Menschlichkeit, dem „originär Menschlichen“, dann eingebettet in Systemregeln, die uns befreien und nicht unterdrücken, möglich sein.
(2) Roland Rottenfußer, Manova, 12. Oktober 2024: „Selbstbestimmung statt Stimmabgabe“, https://www.manova.news/artikel/selbstbestimmung-statt-stimmabgabe.
(3) Heinrich Leitner, Manova, 28. und 30. November 2024: „Die unvollendete Demokratie“, https://www.manova.news/artikel/die-unvollendete-demokratie und https://www.manova.news/artikel/die-unvollendete-demokratie-2.
(49) Heinrich Leitner zitiert hier Hannah Arendt, am angegebenen Ort, Seite 94.
(50) Heinrich Leitner, Manova: Die unvollendete Demokratie“, https://www.manova.news/artikel/die-unvollendete-demokratie.
(51) Thomas Piketty, Seite 157:
„Grafik 3.2. Kapital in Frankreich, 1700-2010: Wert des nationalen Kapitals, in % des Nationaleinkommens. Lesart: Das nationale Kapital entspricht 1910 in Frankreich fast 7 Jahren Nationaleinkommen (wovon ein Jahr im Ausland investiert wurde). Quellen und Reihen: siehe piketty.pse.ens.fr/capital21c.“, http://piketty.pse.ens.fr/files/capital21c/pdf/G3.2.pdf.
(52) Vergleiche zum Beispiel: Ecobono: „Vermögensverteilung in den USA, Daily Chart vom 15. Juni 2024“, https://www.ecobono.com/vermoegensverteilung-in-den-usa/.
(53) Deutsches Grundgesetz Artikel 14: „(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“, https://dejure.org/gesetze/GG/14.html.
(54) UN-Charta, https://unric.org/de/charta/.
(55) Thomas Oysmüller, TKP.at: „Weimarer Richter rechtskräftig verurteilt“, https://tkp.at/2024/11/21/maskenpflicht-aufgehoben-weimarer-richter-rechtskraeftig-verurteilt/.
(56) Vergleiche Christian Felber: „Gemeinwohlökonomie“, Deuticke Verlag, 2010. Christian Felber verwendet den Begriff im Sinne eines Gegenentwurfs zur bestehenden „kapitalistischen“ Ordnung. Es ist ohne Zweifel völlig zutreffend, dass die „kapitalistische“ Ordnung genau dieses Gemeinwohl definitionsgemäß nicht im Sinn hat. Richtig ist es also ohne Zweifel, dass die Ketten der Bereicherungsökonomie abgeworfen werden müssen, damit erst eine echte Gemeinwohlökonomie möglich wird. Die Hoffnung von Adam Smith, dass sich das Gemeinwohl schon über das Wirken einer „unsichtbaren Hand“ herstellen werde, ist jedenfalls insofern völlig gescheitert, als das wahre Ergebnis des Wirkens der „unsichtbaren Hand“ war: Die Zerrissenheit der Gesellschaft infolge der massiven Ungleichverteilung ist enorm und stetig wachsend. Was jedoch unverändert bleibt, ist, dass wir Menschen alle auf ein „Gemeinwohl“ angewiesen sind – egal was das jeweils bestehende ökonomische System an Ungerechtigkeit aufhäuft.
(57) Daniela Dahn: „Wir sind der Staat“, Rowohlt Verlag 2013. Die äußerst wichtige und treffende Absicht des Buches, das die Kernfragen der Demokratie ins Zentrum rückt, drückt sich im Untertitel aus: „Warum Volk sein nicht genügt“. Wir müssten nur hinzufügen, warum es nicht genügt, ein Volk von dumpfen Lämmern zu sein. Wie wahr! Aber deshalb sind wir nicht der Staat. Wir – das Volk – werden immer Obacht geben müssen, was dieser Staat tut, ihn kontrollieren müssen, ihn an die kurze Leine nehmen müssen. Das geht aber nur, wenn wir begreifen, dass wir eben nicht der Staat sind: Wir sind der Souverän. Dieser muss, kann, darf dem Staat Regeln auferlegen. Das klarzumachen, ist eine der Absichten des Buchs von Daniela Dahn. Der Haupttitel geht diesbezüglich in die Irre. Natürlich ist der Staat keine eigenständige „Person“ und hat daher selbstverständlich für sich selbst auch keine „Personenrechte“. Aber wäre das Volk selbst der Staat, so würde die Aufgabe der Machtbeschränkung für das Volk wegfallen können. Nein, nein – wir, der Souverän, sind nicht der Staat und sollten es auch gar nicht werden wollen. Wir, das Volk, sind die Hüter der Menschlichkeit. Der Staat ist ein notwendiges Übel, das uns gute Dienste leisten kann, den wir aber klar in Schranken weisen müssen, um ihn demokratisch zu zähmen. Die Aussage „Wir sind der Staat“ steht dieser notwendigen Sichtweise, die zwischen Staat und Volk und auch eben zwischen Staat und Souverän differenziert, im Weg.
(58) Wir sehen gerne, dass Eigentum geschützt ist, gestehen aber ohne Bedenken zu, dass das Eigentum des einen durch das Eigentum des anderen ruiniert wird. Monopole, Oligopole und Megakonzerne entstehen durch die Zerstörung des Eigentums anderer. Das mag ein eventuell notwendiger Prozess der „Schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter) sein, aber wenn wenige sich das Eigentum von fast allen angeeignet haben, ist die logische Schlussfolgerung, wenn nicht die Rückabwicklung der Enteignung auf der Tagesordnung stehen soll, dass die Verwaltung des Eigentums durch die wenigen nicht frei von der demokratischen Kontrolle durch den Souverän sein kann. Beispielsweise kann der Souverän den Verwaltern von Social-Media-Plattformen sehr wohl den Algorithmus vorschreiben, der wirklich freie Meinungsäußerung garantiert, weil unter anderem der Algorithmus öffentlich kontrollierbar ist.
(59) Der Begriff „Monetative“ wurde von dem Ökonom Franz-Ulrich Lange eingeführt und von Joseph Huber weiterdiskutiert. Klarerweise muss eine demokratische Bewegung sich noch sehr viele Gedanken zu Fragen dieser Art machen.
(60) Es ist hier nicht von Investitionen, die zum Erhalt des laufenden Betriebs notwendig sind, die Rede. Gewinne, die gemacht werden müssen, damit ein Unternehmen florieren kann, sind nicht betroffen. Wachsen die Gewinne jedoch über dieses Maß hinaus, so müssen sie in einen öffentlichen Investitionstopf wandern. Dort verlieren die Unternehmen die Zugriffsmacht. Es gibt also einerseits einen wirklich freien Markt und andererseits eine gesellschaftliche, demokratische Kontrolle der Richtung, die die Gesellschaft vermittels von Investitionen einschlagen soll. Erinnern wir uns an die Formulierung des ehemaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson: „Eine große Industrienation wird durch ihr Kreditsystem kontrolliert“ (15).
Was sind Investitionen überhaupt? Die Regelung, Geld für Investitionen auszugeben, verwischt den Kern dessen, worum es bei Investitionen geht: Investitionsentscheidungen sind Entscheidungen, wo später einzusetzende Arbeitskraft tätig werden soll. So wie ein indigenes Dorf entscheidet, in der nächsten Woche seine gemeinsame Arbeitskraft dafür einzusetzen, die Hütte des neuen Brautpaares zu bauen. Geschieht diese Entscheidung in einer modernen Gesellschaft über den Einsatz von Geld, so muss man erkennen, dass dieses Geld eigentlich keines ist. Wenn Geld den gerechten Austausch von Arbeit und Arbeitsprodukten vermitteln soll, so gibt es bei Investitionen noch keine geleistete Arbeit, denn diese wird erst in Zukunft stattfinden. Ein Geldtopf, der für zukünftige Investitionen bereitsteht, ist daher so etwas wie ein Hilfsmittel, um Entscheidungen für zukünftigen Arbeitseinsatz umsetzen zu können, so wie etwa der Abakus ein Hilfsmittel ist, um ein Rechenergebnis zu erzielen. Das Geld bleibt dabei aber, nach der Umwälzung im Arbeitseinsatz, in diesem Topf und kann immer wieder neu verwendet werden, wie eben der Abakus immer aufs Neue verwendet werden kann, um eine Rechnung auszuführen. Wohin das Investitions-„Geld“ aus diesem großen Investitionsgeld-Topf fließen soll, das muss die direkte Entscheidung des Souveräns selbst sein, sonst bleibt die ganze Gesellschaft auf immer und ewig von Banken und Finanzkonglomeraten abhängig, die die Bevölkerung dominieren und die Demokratie aushebeln.