Demokratie oder Untergang

Die Strukturen der Partizipation in unserem Gemeinwesen müssen so umgestaltet werden, dass der Kern des Menschlichen gewahrt werden kann. Teil 3 von 4.

„Demokratie oder Untergang!“ Diese Überschrift übertreibt apokalyptische Ängste? Vielleicht. Wir können nicht in die Zukunft schauen, aber vieles spricht dafür, dass eine Weiterentwicklung der Menschheit — und das geht allein mit Überwindung von Krieg — nur möglich ist, wenn wirkliche Demokratie weltweit realisiert wird. Es sind jene Menschen, die in ihrem Kern nicht mit den Bereicherungs- und oder Herrschaftseliten verbunden sind, also die bei Weitem größten Teile der Bevölkerung, die den originären Schatz der Menschlichkeit (1), auch wenn vieles verschüttet ist, nach wie vor aufbewahren. Diese Menschen müssen ihre wirklichen Interessen in echten demokratischen Verhältnissen zum Ausdruck bringen können. Verschiedene Formen der Demokratie müssen mit normativen Regeln, Gesetzen und Kontrolle bewerkstelligen, dass sich der Kern des Menschlichen geschützt im politischen Handeln entfalten kann. Rätedemokratie, Repräsentationsdemokratie, direkte Demokratie und „demokratischer Zentralismus“ reichen alle nicht, um grundlegend die die Menschlichkeit fundamental bedrohenden Bereicherungs- und Herrschaftsansprüche zurückzuweisen und zu unterbinden. In zwei sehr lesenswerten Artikeln zum Thema Demokratie und Rätedemokratie haben Roland Rottenfußer („Selbstbestimmung statt Stimmabgabe“, (2)) und Heinrich Leitner („Die unvollendete Demokratie“, (3)) Beiträge verfasst, durch die ich bei meinem Nachdenken über Demokratie dazugelernt habe. Die Frage der Demokratie nehme ich letztlich als die Kernfrage für die Zukunft der Menschheit wahr. Ein Beitrag zur Debatte.

Die beiden ersten Teile dieses Artikels zeigten, dass formale Demokratie nur das Lernen des Fliegens in einem Käfig darstellt, wenn die Macht des Reichtums die Reichweite der Flügelschläge innerhalb der Gitterstäbe des Käfigs bestimmt. Selbst der schwache Ansatz der republikanisch-konstitutionellen Demokratie wird heute entlang der unauflösbaren Widersprüche, die mit dem Demokratie-Konzept verbunden sind, radikal heruntergefahren, und zwar vor allem vom Staat selbst. Bisherige Formen der Demokratie sind nur Vorläufer echter Demokratie, denn diese kann erst funktionieren, wenn Bereicherungsrechte einer Ökonomie, die auf Betrug und Herrschaft von Menschen über Menschen aufgebaut ist, ein für alle Mal fallen!

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – aber das Kapital bereichert sich

Neben der ersten großen demokratischen Revolution, der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der republikanischen Revolution 1775 bis 1783 hatte die andere, die eher „konstitutionell-demokratische“ Revolution, die Französische Revolution von 1789 bis 1799, weniger die lokale Unabhängigkeit der Räte vor Augen als die radikale Bekämpfung von Herrschaft einer Aristokratie, um das Elend des „Ancien régime“ aufzuheben. Heinrich Leitner schreibt:

„In Frankreich herrscht unter dem Volk fürchterliche Not und bittere Armut. In Frankreich war, so Hannah Arendt, das Volk ‚von Hunger getrieben‘. ‚Le peuple ist das Schlüsselwort zu jedem Verständnis der Französischen Revolution (…)‘ (49), und das Volk waren die ‚Unglücklichen‘, die vom Elend geplagten. Es ist die ‚soziale Frage‘, die das Geschehen bestimmt. Der Sturz des Regimes und die Übernahme der Herrschaft durchs Volk sollte die ‚Befreiung des Volks von Armut und Not‘ erreichen“ (50).

So sehr diese Revolution auch im Ansinnen von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ auf ein soziales Lösungsmoment abzielte, die Frage des Bereicherungsrechts wurde letztlich eindeutig nicht gelöst. Das zeigt der französische Ökonom Thomas Piketty schlagend in einer Grafik, die er auf breiter, sicherer Datengrundlage erstellte:

Bild

Grafik 3.2., Thomas Piketty (51), Gestaltung grafischer Hinweiselemente von Bertram Burian

Thomas Piketty zeigt, dass das „Kapital in Frankreich“ ungebrochen vom Feudaladel an den „Kapitaladel“ weitergegeben wurde. Es handelte sich dabei um jenes Vermögen in der Hand einer schmalen Schicht, das dem Wert von sieben Jahresproduktionsleistungen der Franzosen entsprach. Erst die Arbeiterbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts sowie der Erste Weltkrieg und die revolutionäre Situation in Europa nach dem Ersten Weltkrieg — vor allem beeinflusst durch die Oktoberrevolution in Russland — bringen eine sprunghafte Veränderung. In der Zwischenzeit hat die Ungleichverteilung von Reichtum, dank der marktradikalen Konterrevolution, erneut historische Spitzenwerte erlangt (52).

Während die Französische Revolution also ein Ansinnen auf soziale Gleichheit keineswegs durchsetzt, bringt sie doch weitere Bewegung in eine formal-politische Richtung. Dass bürgerliche Rechte formal gleich verteilt werden, war zweifelsohne ein großer Fortschritt und ein Befreiungsakt. Aber andererseits stellen diese rein formalen Rechte einen Hort der Unehrlichkeit und Inkonsequenz dar, solange es keinerlei ernsthafte Bestrebungen gibt, ökomische Macht und die Gier des „Mehrhabenwollens“ zu beschränken und ebenfalls demokratischen Spielregeln zu unterwerfen.

Was hilft die Gleichheit vor dem Recht, wenn die ökonomische Macht des Gegenübers im Himmel der Ungerechtigkeit verankert ist? Oder anders ausgedrückt: Was hatten die Sklaven des antiken Athens von der attischen Demokratie? Nichts von Bedeutung.

Es macht einen Unterschied, ob es Recht, Gewaltenteilung und Wahlmöglichkeiten gibt — oder nicht

Natürlich darf man die Errungenschaften der formalen Demokratie nicht geringschätzen, vor allem dann nicht, wenn sie in gewissen historischen Phasen vom Gedanken, „Eigentum verpflichtet“, wie es ja unter anderem im deutschen Grundgesetz steht (53), mitgetragen wurden. Die Entwicklung der formalen Demokratie in den USA in Verbindung mit dem New Deal und in Europa in Verbindung mit dem „Sozialstaat“ haben zweifelsohne historische Bedeutung. Heute findet im Westen radikaler Demokratieabbau statt, aber die grundsätzliche Frage bleibt. Es macht einen Unterschied, ob man Rechte wenigstens „theoretisch“ einklagen kann oder ob man der willkürlichen Entscheidung eines Aristokraten oder eines Sklavenhalters, eines Staatsbeamten oder eines Partei-Apparatschiks ausgesetzt ist. Es macht einen Unterschied, ob es tatsächliche Gewaltenteilung gibt oder nicht.

Es macht einen Unterschied, ob es Wahlmöglichkeiten — und Abwahlmöglichkeit — gibt oder nicht. Es macht einen Unterschied, ob es eine Verfassung gibt, die grundlegende Rechte und Freiheiten wie Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, Würde des Menschen, Verpflichtung zum Frieden, Menschenrechte und so weiter garantiert oder nicht. Es macht auch auf internationaler Ebene einen großen Unterschied, ob es eine „Verfassung“, wie sie im Ansatz in der Charta der Vereinten Nationen (UN) (54) formuliert ist, auch weltweit gibt oder nicht.

Der Unterschied ist sogar dann gegeben, wenn die Verfassung de facto von den Herrschenden mit Füßen getreten wird, sie es aber noch nicht wagen und es kraft der öffentlichen Meinung auch nicht können, zur offenen Diktatur oder zum offenen Faschismus oder zur offenen Aufhebung der UN-Charta überzugehen. Der Unterschied liegt dann wenigstens darin, dass eine Berufung auf einen Sollzustand, auf den man sich schon einmal in einem Gesellschaftsvertrag geeinigt hatte, möglich ist.

Und wenn man sich bewusst ist, dass letztlich die öffentliche Meinung, wenn sie selbstbewusst vorgetragen wird, alles entscheidet — weshalb ja Propaganda beziehungsweise auch die ehrliche Gewinnung der öffentlichen Meinung so wichtig ist —, so kann die Berufung auf die noch existierenden Paragrafen noch immer ein gewisses Kampfmittel sein. Jedem, der kein Brett vor dem Kopf hatte, musste es beispielsweise aufgefallen sein, dass es nicht rechtens sein konnte, wenn in den Zeiten der speziellen Corona-Willkür Menschen verhaftet wurden, weil sie, das Grundgesetz in der Hand vor sich hertragend, spazieren gingen.

Und auch wenn die Willkür allgegenwärtig ist, wie es beispielsweise die Verurteilung jenes Weimarer Richters zeigte (55), der das Kindeswohl durchsetzen wollte, ist doch für Menschen, die kritisch beobachten, ein Vergleich mit einem normativen Soll noch möglich. Dies ist gewiss nur ein schwacher Trost im Vergleich zu der klar erkennbaren Ent-Demokratisierung und Herrschaftsabsicherung, die sich heute vor allem im Westen rasant ausbreitet.

Wenn die ökonomische Macht außen vor bleibt, kann von echter Demokratie keine Rede sein

Wie schon ausgeführt, es ist immer ein Irrglaube, von wirklicher Demokratie zu sprechen, wenn die ökonomische Macht mehr oder weniger ungebremst den Verfügern über diese Macht bereitsteht und sie diese wiederum so einsetzen können, dass die politischen Entscheidungen und Gesetze zu ihrem Bedürfnis und Willen zurechtgebogen werden. Ich habe in Teil 2 dieses Artikels schon auf die Langzeitstudie in den USA verwiesen, die exemplarisch belegt, was die meisten Menschen sowieso spüren, dass die Interessen der breiten Bevölkerung im Regierungshandeln so gut wie keinen Widerhall finden (43).

Aber es ist ein Problem allgemeiner Natur, dass es ökonomische Macht immer geben wird. Das liegt in der Sache selbst. Je größer die wirtschaftlichen Einheiten zweckmäßigerweise sind, desto größer ist in einer Bereicherungsökonomie diese Macht. Sie ergibt sich schon alleine daraus, dass wir alle von einer wohlorganisierten Art der Zusammenarbeit in Form der Arbeitsteilung abhängig sind. Ohne eine mehr oder weniger klar ausgeprägte „Gemeinwohlökonomie“ (56) können wir nicht leben.

Dieser hier von mir verwendete Begriff „Gemeinwohlökonomie“ mutet absurd an. Aber wir haben auch dann in gewisser Weise eine Ökonomie, die dem Gemeinwohl dient, wenn sie von Bereicherungseliten völlig pervertiert und willkürlich nur zu ihrem eigenen Vorteil organisiert wird. Das „Gemeinwohl“ reduziert sich dann für die Masse der Menschen auf ein Dasein in vielfältigster Abhängigkeit und Entfremdung und den modernen Kampf ums Überleben. Aber ohne selbst diese pervertierte Form des Gemeinwohls wäre ein Überleben heute kaum möglich oder nur für eine sehr, sehr kleine Zahl von „Aussteigern“. Weshalb regelmäßig viele stark angepasste Menschen bereit sind, sich zu unterwerfen und beispielsweise gerne, wider besseres inneres Wissen, bejahen, im „besten Deutschland aller Zeiten“ zu leben.

Das wirtschaftliche Geschehen muss funktionieren. Auch aus diesem Umstand ergibt sich die ökonomische Macht, solange ein „Funktionieren“ noch irgendwie gegeben ist. Wenn es in der Hand von einzelnen, superreichen, wirtschaftlichen „Führern“ oder auch des Staates liegt, Geld auszuschütten oder eben auch nicht, sind die Abhängigkeiten gewaltig. Alle müssen sich den Hierarchien und den Bedürfnissen „des Marktes“ — in Wahrheit der Bereicherungsgewinner – oder einer Partei anpassen. So kann es zum Beispiel dazu kommen, dass die Pharmaindustrie zum Zweck, die Profitkuh zu melken, und gedeckt von den Interessen anderer mithilfe einer „Pandemie“ durchregieren kann und ein großer Teil der Menschen, die dann schnell im vorauseilenden Gehorsam den Verstand und den Anstand verlieren, sich bereitwillig der Angst unterwirft.

Historisch gab es vor allem mit dem Sozialismus und der Arbeiterbewegung ein Ansinnen, die ökonomische Macht zu brechen. Aber der lange von vielen Freiheits- und Gleichheitskämpfern geglaubte Vorteil, dass es besser sei, wenn die ökonomische Macht beim Staat liegt, stellte sich in den bisherigen historischen Beispielen keineswegs von selbst als eine Form von Demokratie heraus. Ganz im Gegenteil!

Denn der Staat ist nicht das Volk (57)! Wenn die ökonomische Macht bloß durch Enteignung von den privaten Nutznießern an den Staat übergeben wird, ist nicht automatisch das demokratische Bedürfnis der Bevölkerung verwirklicht. Der Staat hat seine eigenen Interessen und Machtansinnen.

Treffen sich diese mit der ökonomischen Macht, so sieht die Lage für die Bevölkerung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht sehr gut aus. Vielmehr muss es die Bevölkerung, der Souverän, sein, die den Staat beauftragt und notfalls zwingt, in ihrem Namen zu handeln. Der Souverän legt die Regeln fest. Diese Regeln und die daraus abgeleiteten Gesetze gelten dann für alle — durchaus „diktatorisch“, nämlich im Sinne von strikt, eindeutig und unteilbar —, vor allem für den Staat selbst, wodurch er überhaupt erst zu einem „demokratischen“ Staat werden kann. Dieser Staat muss dabei ganz besonders kontrolliert werden, weil er ja — ebenfalls notwendigerweise — mit Macht ausgestattet ist, was auch zu den Dilemmata gehört, die nicht verschwinden werden.

Hinaustreten aus der rein formalen Betrachtung

Wie kommt man also zu wirklicher Demokratie? Und das möglichst weltweit? Wie kommt man zu einer lebendigen politischen Kultur, in der sich die Entscheidungen des Souveräns zugunsten von Regeln durchsetzen, die dem Kern der Menschlichkeit entsprechen, die also keinesfalls von Gier und Herrschaftssucht gesteuert sein können? Wie kommt man zu dieser fundamentalen, wirklichen Demokratie, die sich auch der Kontrolle der ökonomischen Macht annimmt? Die Frage mag abstrakt und als eine Frage erscheinen, die nur für eine ferne Zukunft auf der Tagesordnung steht.

Die Realität ist eine andere: Der heutige fundamentale Umbruch, der mit dem Untergang der imperialen Regeln der unipolaren Weltordnung, die sich direkt aus den langen Wellen von Sklaverei, Feudalherrschaft, „Kapitalismus“, Kolonialismus und Neokolonialismus entwickelt hat, nun aber nach Jahrhunderten ihrem Ende mit Krisen und Kriegen entgegengeht, macht es enorm wichtig, in den entscheidenden Momenten, wenn der Umbruchs-„Teig“ weich ist, die Form einer neuen Demokratie zu gestalten.

Der wichtigste Teil der Antwort ist, so scheint mir: Man muss hinaustreten aus der rein formalen Betrachtung dessen, was Demokratie ist. Wie wir gesehen haben, nutzt es wenig formale Demokratie in der einen oder anderen Form zu haben, daneben aber Bereicherungslogik und ökonomische Macht außen vor zu lassen.

Unweigerlich übernimmt dann die Bereicherungsoligarchie die Macht und die Demokratie ist nur mehr ein Schattentheater, mit Resten von Rechten, die heroisch und blutig über Jahrhunderte erkämpft wurden, wobei auch noch die Reste des demokratischen Mahls, in einem Fäulnisprozess staatlich-gewaltbereiten Aufbäumens gegen den Machtverlust, zunehmend faschistoiden Tendenzen unterliegen.

Wir brauchen nicht ernsthaft von Demokratie zu reden, wenn die ökonomische Macht in der Hand von Bereicherungseliten oder des Staates selbst liegt.

Wohin soll man also die ökonomische Macht — und dabei zuallererst die Geldmacht — legen? Richtig, in die Hand des Souveräns, der Bevölkerung selbst. Wie soll das aber in einer sich selbst frei organisierenden Wirtschaft mit freien Akteuren möglich sein? Nun, dort, wo aus einer langen Kette von Enteignungen (58) die Monopole und Konzerne und vor allem die Finanzkonzerne entstanden sind, sind diese an strikte Regeln der Demokratie zu legen. Aber eben nicht durch laufende Eingriffe des Staates, der dann zum universellen „Gesamtkapitalist“ wird, sondern zuallererst durch neue normative Regeln, einen neuen Gesellschaftsvertrag, den der Souverän selbst aufstellt.

An dieser Stelle der Überlegung kommt die historische Frage „Sozialismus“ oder „Kapitalismus“ ins Spiel und die Hoffnung auf Freiheit. Abgesehen davon, dass heute von vielen als Sozialismus bezeichnet wird, was in Wahrheit die bürokratische Herrschaft von Bereicherungseliten ist, ist bei der Forderung nach Freiheit immer die Frage zu stellen: Ist damit nur die Freiheit auf Bereicherung gemeint? Also nur die Freiheit, beliebig Monopole, Finanzkonzerne, Militärapparate, mediale Betrugseinrichtungen, scheinwissenschaftliche Thinktanks und scheinbar unabhängige „Nichtregierungsorganisation (NGOs)“ zu bilden? Oder ist damit die Freiheit vor privater und vor staatlicher Ausplünderung und Zwangsherrschaft gemeint?

Die Frage von Sozialismus und Kapitalismus muss nach 175 Jahren andauernder Menschheitserfahrung zweifelsohne neu aufgerollt werden. Dabei ist zu beachten, dass die Geschichte ein Gestrüpp von gewaltigen Denkverboten und Denkzwängen wuchern ließ, als Folge von erbitterten, mit Ideologie und mit Waffen ausgetragenen Kämpfen. Man muss dieses Dickicht der Verwirrung erst einmal mutig und mit scharfem Verstand durchtrennen, um zu neuen Zukunftsvisionen kommen zu können.

Eine der Schlussfolgerungen wird wohl sein müssen, dass eine zwangsgesteuerte Wirtschaft in mancher Hinsicht schlechter ist als eine sich selbst organisierende (17). Aber die Vorstellung, dass nur ein absolut „freier“ Markt, also eine allgegenwärtige „Marktradikalität“, alle Bedürfnisse der Bevölkerung nach einem glücklichen Leben mithilfe einer unsichtbaren Hand zu befriedigen vermag, ist an kindlicher Naivität kaum zu überbieten. Freier Markt ja, aber starke Regeln, gesichert durch einen starken, wahrlich demokratisch gesteuerten Staat! Regeln, die garantieren, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung selbst zum Ausdruck kommen!

Niemals mehr dürfen die Bedürfnisse der Menschen den Bedürfnissen von Enteignungs- und Ausbeutungsmaschinen, wie sie Monopole in Zusammenarbeit mit einem korrumpierten Staate sind, unterworfen werden. Der zentrale Kampf muss dabei um die grundlegenden normativen Regeln gehen, die außer Streit gestellt werden können, weil sie sich in einem breit akzeptieren Gesellschaftsvertrag abstützen.

Mein Vorschlag für drei dieser grundlegenden Regeln ist:

Die erste Regel: Höchsteinkommen

Egal, was jemand in dieser sich selbst organisierenden Wirtschaft oder anderswo macht, er hat laut einem neuen Gesellschaftsvertrag kein Recht, mehr Einkommen zu vereinnahmen als, sagen wir, das Zehn- oder noch besser nur das Fünffache eines Mindesteinkommens, das für alle verbindlich ist. Niemand kann beispielsweise mehr als fünfmal so viel arbeiten wie ein anderer, der ebenfalls fleißig arbeitet. Das angebliche „Tragen von Verantwortung“, das außerordentliches Einkommen rechtfertigen soll, entpuppt sich regelmäßig als bloß vorgeschobenes Argument für eine Ansammlung von Reichtum oder, wenn es heiß wird, als das ungenierte Abwälzen dieser Verantwortung auf die letztlich von Leid Betroffenen. Aber gut, möge es trotzdem einen gewissen Einkommensunterschied geben. Das scheint besser als ein generelles Einheitseinkommen, das alle Leistungsunterschiede negiert.

Doch nach oben hin muss es eine Grenze geben: ein Höchsteinkommen. Ein solches Höchsteinkommen soll nicht nur für Manager gelten, die ja nur deshalb heute so viel Geld bekommen, weil sie den eigentlichen Bereicherungsgewinnern dienen, um die es bei den heutigen Nutznießern der ökonomischen Macht wirklich geht. Nein, das Höchsteinkommen muss vor allem für die Angehörigen der heute besitzenden Klasse selbst gelten. Dabei ist, um Missverständnisse zu vermeiden, von einem persönlichen Einkommen die Rede und nicht von dem Umsatz oder Gewinn eines Unternehmens.

Gibt es ein Höchsteinkommen, mag jeder seiner Tätigkeit nachgehen und mit seinem bisherigen Eigentum hantieren, wie er will, aber was er über das gesellschaftlich festgelegte Maß hinaus einnimmt, muss er abgeben. Das gilt auch für Unternehmen, sofern die Einnahmen nicht direkt reinvestiert werden und so ein „Eigen-Tun“ in Schwung gehalten wird.

Das Problem entsteht erst, wenn jemand auf seinem Vermögen sitzt, es „be-sitzt“, und daraus Einkommen bezieht, ohne etwas gesellschaftlich Nutzbringendes zu arbeiten. Deshalb die Grenze eines persönlichen Höchsteinkommens. Wer soll das durchsetzen? Richtig: der Souverän mittels eines wirklich demokratisch kontrollierten Staates.

Die zweite Regel: Neu gedrucktes Geld geht an alle

Es muss dem Geld die Missbrauchsmöglichkeit als Machtfunktion genommen werden. Das geht mit der einfachen Regel, dass neu geschaffenes Geld stets auf alle Menschen eines Währungsraums verteilt werden muss. Neu gedrucktes Geld darf nie mehr an Bereicherungsgewinner verteilt werden. Neu geschaffenes Geld darf auch keinesfalls an den Staat gehen, außer vielleicht durch direkten Volksentscheid. Eine demokratisch strikt kontrollierte „Monetative“ (59) muss die Ausgabe von frischem Geld im Auftrag des Souveräns und nicht im Auftrag der Banken und Bereicherungsoligarchen kontrollieren.

Die dritte Regel: Der Souverän verfügt über einen Investitionsgeld-Topf

Diese Regel lässt Demokratie erst die Basis finden, auf der sie wachsen kann und wodurch sich auch der heute oft lethargisch gewordene Bürger wieder zum aktiv beteiligten Organisator der „res publica“ entwickeln kann: Wer soll über den Einsatz von neuen, richtungweisenden Investitionen entscheiden? Die Eigentümer eines Konzerns, von Banken oder Finanzkonglomeraten, die so viel Tribut wie möglich auf die Menschheit legen wollen? Oder der Staat? Oder der Souverän? Wenn die Bevölkerung selbst entscheidet, wo die großen Investitionen (60) getätigt werden sollen, dann erst besitzt der Souverän selbst die ökonomische Macht.

Wie kann das gehen? Nun, es kann nicht alles in Parlamenten abgestimmt werden, es kann nicht alles per direktem Volksentscheid entschieden werden. Vieles muss durch Entscheidungsgremien, die durch Losverfahren aus der breiten Bevölkerung gebildet werden, entschieden werden. Das System der Losauswahl spielte schon im antiken Griechenland eine bedeutende Rolle. Räte, die über Investitionen, über Kontrollgremien und so weiter entscheiden, können durch wirklich unabhängige Losverfahren bestimmt werden. Zufällige Zusammensetzungen von Räten kann auf Dauer zu einer relativ guten, wirklich unabhängigen Repräsentation des Willens des Souveräns führen.

Investitionsvorhaben von Menschen oder Institutionen, die das „Eigen-Tun“ voranbringen wollen, können bei solchen Räten beantragt und begründet werden. Diese Räte müssen natürlich mit Expertise unterstützt werden, Expertise allerdings, die die Räte sich selbst organisieren, um möglichst Manipulation zu vermeiden. Weiterreichende Entscheidungen, wie es die großer Investitionen sind, werden dann nicht mehr von jenen, die genügend Betrugsgeld angehäuft haben, getroffen. Die Investitionsmacht geht in die Hand des Souveräns.

Diese drei Regeln, die ich unter dem Titel „3rules2new1world“ darlege und auch in einem Buch weiter ausführen werde, sind hier nur sehr kursorisch ausgeführt und müssen natürlich einem Diskurs unterzogen werden. Der Diskurs kann zu berechtigten Änderungen der Gestaltung des Vorhabens führen. Aber es ist klar: Wirkliche Demokratie gibt es erst, wenn nicht nur die politische Macht aus dem Souverän selbst erwächst, sondern wenn vor allem auch die ökonomische Macht kontrolliert wird. Daran ist festzuhalten, sonst wird es keine Demokratie geben.

Wer für freien Markt ist und einer Forderung nach einem Höchsteinkommen zustimmt, der möge mit uns, der souveränen Bevölkerung, sein. Wer jedoch für freien Markt ist und dabei nur das freie Recht auf Bereicherung meint, der möge mit seinem Anspruch auf formale Demokratie schweigen, denn er kann es nicht ehrlich meinen.

Dieser Artikel wird im Teil 4 fortgesetzt.