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Aufschrei der Bundesärztekammer

Aufschrei der Bundesärztekammer

Kein Land geht sorgloser mit medizinischen Eingriffen an Minderjährigen um, die sich im „falschen Körper“ wähnen — jetzt schlagen Ärzte Alarm.

In Deutschland werden Behandlungsempfehlungen nicht durch den Bundestag oder Krankenkassen verabschiedet, sondern über Leitlinien von Expertengremien erarbeitet. Die neu aufgelegte Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik und Behandlung“ beschäftigt sich mit der Frage, wann Ärzte welche Maßnahmen ergreifen dürfen, wenn Kinder sagen, dass sie in Wirklichkeit einem anderen Geschlecht angehören. Die Ergebnisse waren mit Spannung erwartet worden, denn das Gremium hatte mit Prof. Dr. Georg Romer nicht nur einen Transaktivisten als Vorsitzenden, auch die Mitglieder waren mehrheitlich als sehr interventionsfreudig einzustufen.

Andererseits sind international mehr und mehr Studien erschienen, die allesamt zu dem Ergebnis kamen, dass die in Deutschland übliche Praxis, Kinder in ihrem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung zu bestätigen und frühzeitig mit Hormonen einzugreifen, diesen deutlich mehr schadet als nutzt. Zuletzt stellte der Cass-Report in England — die größte und umfassende Studie, die zu diesem Thema bislang erstellt wurde — fest: Pubertätsblocker, Gegenhormone und Genitaloperationen haben in der Kinder- und Jugendmedizin nichts zu suchen. Transkinder brauchen Therapie statt Hormone (1).

Was würde sich also in der neuen Leitlinie durchsetzen? Der wissenschaftliche Stand oder die transbejahende Meinung der Mitglieder? Die Kommission stellte fest: Kinder dürfen in Deutschland weiterhin ohne Altersbeschränkungen mit Hormonen behandelt werden. Nicht einmal für operative Eingriffe ist eine starre Altersbeschränkung vorgesehen. In der Presseerklärung der Kommission liest sich das alles sehr plausibel. Nimmt man das Beispiel Pubertätsblockade, so heißt es, es fehlten zwar Langzeitdaten zu Sicherheit und Wirksamkeit, aber man habe jahrelange Erfahrungen in der Anwendung gesammelt.

Es wird darauf verwiesen, wie sehr Kinder darunter leiden würden, wenn man sie durch die Pubertät zwinge. Und man dürfe nicht vergessen, dass es sich bei diesen Kindern um junge Menschen in schweren Krisensituationen handle. Auch das Unterlassen einer Handlung könne Schaden anrichten. In der Süddeutschen Zeitung wird die Ethikerin Claudia Wiesemann zitiert, es könne medizinisch und ethisch unangemessen sein, eine Behandlung aus Sorge vor möglichen Nebenwirkungen prinzipiell zu verweigern. „Vor Schaden bewahren“, so der Titel, der die Freigabe von Pubertätsblockern an Kinder ohne Altersgrenze gegen jede Evidenz empfiehlt (2).

Kinder vor Schaden bewahren — das möchte jetzt auch die Bundesärztekammer, die sich öffentlich gegen diese soeben erarbeitete Leitlinie stellt.

Sie fordert die Bundesregierung auf, einzugreifen und Hormonbehandlungen an Minderjährigen nur noch im Rahmen von eng definierten wissenschaftlichen Studien unter Heranziehen einer Ethikkommission und weiteren Einschränkungen zuzulassen (3).

Als Begründung führt die Bundesärztekammer an:

  • Es ist klar erwiesen, dass sich Kinder, die hormonell behandelt werden, nicht besser fühlen als solche ohne Hormonbehandlung.
  • Die Gabe von Pubertätsblockern führt sehr häufig zu weiteren Eingriffen in den kindlichen Körper, die Sterilität, eingeschränkte sexuelle Erlebnisfähigkeit, Anorgasmie und Amputationen von Brust oder Penis nach sich ziehen. Dies können Kinder und Jugendliche nicht überblicken.
  • Vor Abschluss der alterstypischen Altersrollenkonflikte oder Körperbildstörungen dürfen keine Blocker eingesetzt werden.
  • Minderjährige können für derartig weitreichende Eingriffe kein informiertes Einverständnis geben, weil ihnen die Reife dazu fehlt.
  • Eine Geschlechtsunzufriedenheit findet sich am häufigsten im Alter von circa elf Jahren; die Häufigkeit dieser Symptomatik nimmt dann im weiteren Verlauf mit dem Alter ab. Die eindeutige Mehrheit der Minderjährigen zeigt im Verlauf keine fortbestehende Geschlechtsunzufriedenheit.
  • Bei der bestehenden Evidenzlage zur Behandlung von Transidentifikation muss die Sorge um das Kindeswohl überwiegen.

Ein weiterer Punkt, den die Ärztekammer anmahnt, ist eine langfristige, evidenzbasierte Studie über mindestens zehn Jahre. Denn die Empfehlungen in der neu erarbeiteten Leitlinie sind wissenschaftlich nicht belegt. Das hat auch die Expertenkommission selbst so gesehen. Sie hat die Leitlinie kurzfristig auf die Stufe S2k (konsensbasiert) herabgestuft, da S3 oder S2 (evidenzbasierte Empfehlung) angesichts der internationalen Studienlage nicht mehr haltbar gewesen wäre.

Das Vorgehen der Bundesärztekammer ist ungewöhnlich. Sie stellt sich offen gegen die Darstellung der Expertenkommission, dass es keine Langzeitstudien gäbe. Sie verneint rundweg einen Nutzen der empfohlenen Behandlungsmethoden, der von den Kommissionsmitgliedern so engagiert vorgetragen wurde. Sie fordert die Bundesregierung auf, sich gegen die Ergebnisse zu stellen und das Kindeswohl zu beachten.

Selbst wenn die Bundesregierung darauf nicht reagieren sollte, ist in Deutschland nun eine Stellungnahme von offizieller Seite veröffentlicht, die das Vorgehen der Expertenkommission in Frage stellt. Dadurch könnte sich die Darstellung und Einschätzung in der Öffentlichkeit verändern.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://cass.independent-review.uk/home/publications/final-psreport/
(2) Vera Schröder, Vor Schaden bewahren, in: Süddeutsche Zeitung vom 25. April 2024
(3) https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Aerztetag/128.DAET/2024-05-10_Beschlussprotokoll.pdf

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