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Wiederholung als Schicksal

Wiederholung als Schicksal

Während sie ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten, beweisen Ärzte, dass sie rein gar nichts aus der Geschichte gelernt haben.

Sie taten, was sie taten, heißt es, mit fanatischer Begeisterung. Nicht alle. Doch Mediziner wie der KZ-Arzt Josef Mengele waren keine Sadisten. Waren keine Dämonen. Sie waren begeisterte Forscher. So jedenfalls hieß es im April 2019 bei einer Tagung in Erlangen unter der Überschrift „Medizintäter“. Der Veranstalter, das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Erlanger Universität, ging ein knappes Jahr vor Ausbruch der Coronakrise in dieser Tagung der Frage nach: Weshalb wurden Ärzte zu Medizinverbrechern?

Es hat lange gedauert, bis es in Ärztekreisen zur selbstkritischen Überprüfung der eigenen Vergangenheit gekommen ist. Wegweisend war das Buch „The Nazi Doctors“ von Robert Lifton, 1986 erschienen und zwei Jahre später ins Deutsche übersetzt. Damit waren die Medizinverbrechen allerdings bei weitem nicht aufgearbeitet. Bis heute wird zur Frage geforscht, wie und weshalb Ärzte in der NS-Zeit zu „Medizinverbrechern“ werden konnten. Aktuell befasst sich die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands (KBV) damit. „KBV übernimmt Verantwortung“ heißt das Forschungsprojekt, aus dem eine Wanderausstellung hervorging. Seit Anfang Februar tourt sie durch die Republik.

Fast 20 Jahre ist es her, dass Horst W. Heitzer, Professor für Didaktik der Geschichte, am Beispiel Passau der Frage nachging, wie das NS-Sterilisationsprogramm umgesetzt wurde. Dabei stieß er auf die unrühmliche Rolle von Amtsärzten im Dritten Reich: Der größte Teil aller Verfahren zur Zwangssterilisation, ergab seine Auswertung gerichtlicher Einzelfallakten, wurde von Amtsärzten initiiert. In nahezu 95 Prozent aller Prozesse stand am Ende ein Sterilisationsurteil. Viele weitere kleinere und größere Forschungsprojekte ließen sich aufführen. Wobei die NS-Vergangenheit natürlich nicht nur in Medizinerkreisen aufgearbeitet wird.

In einer aktuellen Wechselausstellung macht zum Beispiel das Solinger „Zentrum für verfolgte Künste“ auf die unmenschliche Behandlung von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in Solingen aufmerksam. Im Mittelpunkt der vom Max-Leven-Zentrum konzipierten Schau mit dem Titel „... und laut zu sagen: Nein.“, die noch bis Ende Mai zu sehen sein wird, steht das Thema „Widerstand gegen das NS-System“. Gefragt wird nach Widerstandsformen. Nach Strategien des Widerstands. Nach Bedingungen, nach Wirkungen und nach dem Scheitern. Nicht zuletzt wird aber auch danach gefragt, welche Auswirkungen fehlender Widerstand hatte.

Was zu lernen wäre

Viele die Vergangenheit betreffende Fragen werden sich auch durch Geschichtsforschung nie eindeutig klären lassen. Möglich ist es jedoch, sich der Wahrheit anzunähern. Und es ist, wage ich zu behaupten, möglich, aus der Geschichte zu lernen. Zum Beispiel, dass alles möglich ist. Tatsächlich alles. Es ist möglich, dass Ärzte als Menschen, die sich von Berufs wegen der Rettung von Menschenleben verschrieben haben, Menschenleben zu vernichten beginnen. „Im Namen der sogenannten Rassenhygiene waren sie (in der NS-Zeit, J.K.) mitverantwortlich dafür, Menschen in ‚wertes‘ und ‚unwertes‘ Leben einzuteilen – und damit in den sicheren Tod zu schicken“, so KBV-Vorstand Andreas Gassen.

Immer wieder werden wir ermahnt, bloß jede Art von Vergleichung zu unterlassen. Das Dritte Reich sei nicht zu vergleichen. Mit nichts. Nun ja … wir wurden ja auch von Lothar Wieler aufgefordert, das Hinterfragen unbedingt und stets zu unterlassen. Ich sage: Vergleichungen sind wichtig.

Sie stellen, meinte auch der Physiker Ernst Mach vor mehr als 120 Jahren in einem Aufsatz, ein wissenschaftliches Prinzip dar. „Die Vergleichung ist aber zugleich auch das mächtigste innere Lebenselement der Wissenschaft. Denn aller Zusammenhang, alle begriffliche Einheit kommt durch die Vergleichung in die Wissenschaft“, schreibt er darin. Nun denn, ich möchte es wagen, Brücken zu spannen.

Ich tue das zusammen mit dem Zahnarzt Ulrich Keck aus Weener, der im November vor niedersächsischen Kollegen darauf hinwies, dass bereits zu Beginn der Coronakrise jede Ärztin und jeder Arzt hätte wissen können, wie man schwere Coronaverläufe therapiert. Aus den von ihm analysierten Protokollen des Coronakrisenstabs geht eindeutig hervor, dass die RKI-Experten bereits im Februar 2020 hierzu wichtige Informationen hatten. Durch eine sofortige Gabe von Antihistaminika und Glucocorticoiden, so Ulrich Keck, hätten tödliche Atemprobleme relativ einfach und in einer Ärzten weithin vertrauten Art und Weise verhindert werden können.

Billigend in Kauf genommen

Nicht nur der gemeine Mann wurde also während der Coronakrise durch eine Presse, die sich willig manipulieren ließ, belogen und betrogen. Auch Ärzten wurde Wissen vorenthalten. Sie erfuhren, so Ulrich Keck, den Pathomechanismus einer lebensbedrohenden Komplikation bei Covid nicht. „In Absprache mit Gesundheitsminister Jens Spahn wurde eine lebensrettende Erkenntnis durch das RKI verschwiegen“, unterstreicht er. Die tödlichen Konsequenzen für die betroffenen Patienten seien „billigend in Kauf“ genommen worden. Das ist krass. RKI-Mitarbeiter wurden damit zu Tätern. Was allerdings Ärzte nicht freispricht.

Abgesehen von diesem speziellen, wenn auch essenziellen Punkt, muss konstatiert werden, dass Ärzte massenhaft und in unverzeihlicher Weise von ihren Grundsätzen abgewichen sind. Welchen Prinzipien sich Ärzte verpflichtet fühlen, steht zum Beispiel in einem Codex, den die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin 2017 entwickelte. Etliche Organisationen, darunter die Bundesärztekammer, die Landesärztekammern, der Marburger Bund und zahlreiche Fachgesellschaften, unterstützen ihn. 2021 stimmte die Europäische Föderation für Innere Medizin dem Codex zu. Von dort aus wird er seither in ganz Europa verbreitet.

In dem Kodex heißt es zum Beispiel, dass jedwede Behandlung eines Patienten nur bei medizinischer Indikation zulässig ist. Das Patientenwohl stehe im Mittelpunkt.

„Wir werden unsere ärztliche Heilkunst ausüben, ohne uns von wirtschaftlichem Druck, finanziellen Anreizsystemen oder ökonomischen Drohungen dazu bewegen zu lassen, uns von unserer Berufsethik und den Geboten der Menschlichkeit abzuwenden.“

Leere Worte. Nichts von all dem geschah in der Coronakrise. Nichts von all dem geschieht bis heute.

Patienten wurde eine experimentelle Gentherapie verabreicht, ohne wirklich zu klären, ob dies notwendig ist. Es wurde geimpft auf Teufel komm raus.

Wie geht es Amelie heute?

Beispielhaft erinnert sei an einen euphorischen Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 31. Dezember 2021 über impfende Ärzte, die im Landkreis Freising im Schichtbetrieb arbeiteten. „Exakt 2.286 über 18-Jährige wurden an diesem Mittwoch bei einer Sonderaktion geboostert“, stand darin voll des Lobes zu lesen. Zitiert wird die 18-jährige Amelie, die sich spontan zur Booster-Impfung angemeldet hatte: „Jetzt bin ich froh, dass es heute erledigt wurde.“ Für Amelie, berichtete die SZ, sei das Boostern der einzige Weg aus der Coronakrise. Bleibt zu hoffen, dass es Amelie immer noch gut geht …

Die zeitungslesende Öffentlichkeit im süddeutschen Raum erfuhr in dem Bericht weiter, dass auch die Impfung von Kindern in Freising reibungslos lief. Bei einer entsprechenden Aktion am 19. Dezember 2021 wurden 355 Kinder geimpft. Ab Januar 2022 waren dann pro Woche 100 Kindererst- und 100 Kinderzweitimpfungen geplant. Rund eine Woche vor diesem SZ-Bericht hatte der Ethikrat eine Corona-Impfpflicht empfohlen. Lauter Aufschrei aus Ärztekreisen war nicht zu vernehmen gewesen.

Doch wer wollte schon Lärm schlagen. Ärzte waren mit Anderem beschäftigt. Mit Impfen. Alle waren mit Anderem beschäftigt.

Das Bundesgesundheitsministerium zum Beispiel hatte zu jener Zeit eine telefonische Hotline zu Corona eingerichtet. Die laut einem Bericht der Welt vom 3. Januar 2021 mehr als 50 Millionen Euro teuren Drähte in den verschiedenen Callcentern liefen heiß. Viele Fragen stellten sich den Menschen. Die beantwortet werden wollten. Auch kritische Fragen stellten sich. Die unbedingt unterdrückt werden mussten. Auch damit war man beschäftigt. Nicht zuletzt auch in Arztpraxen war man damals damit beschäftigt gewesen.

Auffallende Diskrepanz

Fast kein Arzt wollte ein Geächteter sein. So machten fast alle mit. Obwohl bald herauskam, dass die Impfung extrem schwere Nebenwirkungen haben konnte. Obwohl man mit eigenen Augen sah: Es gab kein massenhaftes Coronasterben. Obwohl man erfuhr: Es war gar nicht viel los auf den allermeisten Intensivstationen. Das alles schreit nach Aufarbeitung. Die, wie das Magazin Cicero soeben berichtet, in Ärztekreisen bis heute weithin abgelehnt wird. „Die Diskrepanz zwischen der Aufarbeitung der NS-Geschichte der KBV hinsichtlich der Mittäterschaft und den windelweichen Statements der Ärzte in Bezug auf eine Aufarbeitung der Coronazeit fällt ins Auge“, sagt Ulrich Keck.

Das Versagen der Ärzte in der Coronakrise lässt sich weder mit Harmoniebedürfnis noch mit Angst entschuldigen. Gerade Ärzte hätten aus der Geschichte lernen müssen.

Offensichtlich haben sie nichts gelernt. Rein gar nichts. Offensichtlich begnügen sie sich nur zu gern mit dem Erinnern. „Aber es ist etwas fundamental anderes, über das Verhalten anderer zu urteilen, oder sich in einer ähnlichen Situation zu befinden und den Herrschenden die Stirn bieten zu müssen“, betont Ulrich Keck.

Viele Ärzte wussten Bescheid, aber sie wollten, wie das RKI, nicht die Katze aus dem Sack lassen. Dabei, so Ulrich Keck, hätte das gar nicht so großen Mut erfordert:

„Die Ärzte der Gegenwart befinden sich in einer Demokratie, während sich die Ärzte in der NS-Zeit in einer Diktatur befanden.“

Widerstand gegen die Herrschenden in einer Diktatur habe ungleich weitreichendere Konsequenzen für die Akteure, als es der Widerstand gegen die Corona- und Impfpolitik der Regierung in einer Demokratie gehabt hätte.

Hört endlich auf!

Wenn vor einem Arzt der x-te Patient saß, der deutlich machte, dass er eigentlich nicht geimpft werden wollte, dass er eigentlich davor große Angst hatte, dann hätte der Arzt öffentlich aufschreien müssen: „Hört endlich auf mit der Quälerei!“ Bis heute, so Ulrich Keck, ducken sich Ärzte feige weg. Womit wir beim „Brückenschlag“ wären.

Heute wie damals, konstatiert der Zahnarzt, gibt es Mittäterschaft. Heute wie damals gibt es Verblendung.

Ich persönlich verstehe schon seit sehr langer Zeit nicht, warum die meisten Leute ein ratloses Gesicht machen, wenn die Frage aufkommt, wie das alles in der NS-Zeit hat geschehen können. Es gibt überall so viel, was seit sehr langer Zeit schiefläuft. Was menschenverachtend ist. Man schaue nur mal in Pflegeheime hinein. Oder man frage mal nach, wie es Bürgern mit Behinderung geht. Auch hierzu gab es soeben einen erhellenden Bericht im Magazin Cicero. Nämlich darüber, dass es Menschen gibt, die schwarz auf weiß vorschreiben, wie oft ein querschnittsgelähmter Mensch, der hierzu Assistenz benötigt, in der Woche auf Toilette gehen darf. Nur zweimal wird finanziert.

Meine persönliche Lehre aus der Geschichte, mit der ich mich intensiv beschäftigt habe, lautet seit langer Zeit: Halte die Augen offen! Als Journalistin bin ich dazu besonders verpflichtet. Wie auch Ärzte dazu besonders verpflichtet wären. Gewesen wären … Was die Frage aufwirft: Ist Wiederholung tatsächlich unser Schicksal?


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