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Von wegen 1933!

Von wegen 1933!

Angeblich ist die AfD eine NSDAP 2.0, doch kaum ein Vergleich, der bei diesem Thema gezogen wird, ist stimmig. Eher drängt sich der Eindruck auf, die Kämpfer „gegen rechts“ stilisierten sich selbst zu Widerstandshelden.

Der Klassiker ist dabei der erwähnte Vergleich mit damals. Denn die Alternative für Deutschland (AfD), so heißt es allenthalben, sei die Nachfolgepartei jener Massenpartei Hitlers. Sie wolle zurück in eine Zeit, in der alles noch übersichtlicher war — betreibe durch Nostalgie Rattenfängerei. Wie aber soll das bitte zusammenpassen?

War 1955 noch Diktatur?

Alle haben Angst — jeder, der nicht weiß, männlich und deutsch ist, muss sich fürchten. Denn die AfD will die moderne Bundesrepublik abwickeln. Zurück in die Vergangenheit, als Schwule sich noch heimlich in einer Hinterhausstube treffen mussten, Frauen daheim am Herd standen und nebenher die Kinder hüteten, Behinderte noch keinen Anspruch auf Integration hatten und Ausländer eher eine Seltenheit waren auf Deutschlands Straßen. Wenn die AfD erstmal Regierungsverantwortung hat, dann gibt es ein Ende „unserer Art zu leben“. So jedenfalls vernimmt man es häufig — und dazu kommt dann nicht selten die Aussage, dass die AfD zurückwolle in die Fünfzigerjahre.

Wie sich die Aussagen, die AfD wolle alte bundesrepublikanische Verhältnisse zurück und gleichzeitig eine Diktatur, auf irgendeine Art vereinbaren lassen, bleibt dabei mehr als rätselhaft.

Verrät aber viel über die Streiter für „unsere Demokratie“. Sie führen einen Kampf gegen Menschen, die ein konservativeres Weltbild pflegen. Wenn sie die Demokratie mit LGBTQ-Tand retten wollen, erteilen sie damit allen traditionelleren Bürgern eine Abfuhr, für die beispielsweise die Zweigeschlechtlichkeit weiterhin Gültigkeit hat. Thomas Gottschalk erzählt dieser Tage an verschiedenen Stellen, dass er aufgrund seiner Lebenserfahrung gewisse konservative Ansichten pflegt. Aus diesem Grund, so lässt sich unschwer erkennen, ist er in das Visier jener Aktivisten geraten, die ihn dafür in die rechte Ecke stellen wollen. Dorthin also, wo man alle hinstellt, deren Weltbild nicht mit aktuellen Flausen in Deckungsgleichheit zu bringen ist.

Wenn also die AfD eine Partei der Nostalgie an die Fünfzigerjahre sein soll, wenn man sie zeitgleich als diktatorische Gefahr einordnet, entsteht unwillkürlich der Gedanke, dass für die Aktivisten „unserer Demokratie“, für diese woken Streiter aus der Bewusstseinsindustrie dieses Landes, ab 1945 die Diktatur noch weiterhin am Werk war. Stellen sie sich Konrad Adenauer als Tyrannen vor? Über die Enge jener Zeit wurde viel geschrieben — die gesellschaftlichen Konventionen ließen viele liberale Vorstellungen nicht zu. Aber Diktatur? Diese „neuen Linken“ — sie sind keine, werden aber oft als solche bezeichnet! — gleichen an der Stelle jenen Studenten, die ab 1968 nicht nur glaubten, den Faschismus heraufdämmern zu sehen, sondern sich mittendrin in einem faschistischen Staat wähnten. Zwischen der jungen Bundesrepublik und dem Dritten Reich erkannten sie keinen qualitativen Unterschied, was manche Fehleinschätzung zur Folge hatte.

Ohnehin wäre an dieser Stelle zumindest zu zweifeln, wie eine AfD, die Entscheidungskompetenzen erwirkt hätte, mit gewissen gesellschaftlichen Gruppierungen umginge. Ist ernsthaft anzunehmen, dass Frauen aus der Arbeitswelt gedrängt werden sollen? Oder Homosexualität geächtet wird? Eine Partei, deren Vorsitz eine homosexuelle Frau hat, soll dergleichen ins Auge fassen? Überhaupt wäre die Entfernung der Frau aus der Arbeitswelt kein Teil ihrer wirtschaftspolitischen Agenda.

Neuer Mensch, neue Gesellschaft: Wer postuliert das heute?

Denn was selten bis gar nicht thematisiert wird, ist die wirtschaftspolitische Ausrichtung der AfD. Diese gleicht in weiten Teilen der FDP — nur ist sie noch marktradikaler. Aus dieser Warte heraus ist tatsächlich wenig nachvollziehbar, warum so viele Arbeitslose die AfD wählen.

Rein von der wirtschaftspolitischen Programmatik, die von dieser Partei ausgeht, wäre sie für Menschen in Leistungsbezug nur schwerlich wählbar. Aber wie alles, so ist auch jede Wahlentscheidung ein komplexerer Vorgang.

Detailliert gibt die AfD heute nicht vor, wie sie einzelne wirtschaftspolitische Maßnahmen umsetzen will — wie sie sich Wirtschaft in der Realität vorstellt, ist kaum zu eruieren, weil die Aussagen — auch in den Programmen — recht kurz und bündig gehalten sind. Überraschend ist das nicht, die Parteiprogramme aller Parteien glänzen nicht durch Ausführlichkeit. Dennoch lobt die AfD immer wieder den Markt. Er soll es richten. Staatliche Eingriffe lehne man ab — oft fällt dabei das Wort „sozialistisch“. Das seien Eingriffe „linker Parteien“.

Es ist sicher richtig, dass die aktuelle Bundesregierung der Wirtschaft viele sehr übergriffige Maßnahmen zumutet. Nicht zuletzt die gesamte Außenpolitik, die dem Wirtschaftsstandort massiven Schaden zufügt. Aber nicht jeder Eingriff ist der Planwirtschaft oder linker Ideologie geschuldet. Hier zeichnet sich ab, wie die AfD Wirtschaftspolitik begreift — dass viele Unternehmer vor der AfD warnen, ist vor dieser Erkenntnis nicht zu verstehen. Sie wären ohnehin die ersten, die die Arbeit eines vermeintlichen AfD-Wirtschaftsministers lauthals loben würden, falls die „Entschlackung und Flexibilisierung des Arbeitsrechts“, von der die AfD immer wieder spricht, zum Beispiel den Kündigungsschutz aufweichte. So wie von manchem Bürger, der heute noch seinen Widerstandswillen gegenüber der AfD vor Bekannten kundtut, zu erwarten sein wird, in einem solchen Szenario die Regierungsarbeit nicht mehr allzu kritisch anzugreifen. Die Widerständler von heute sind die Umfaller von morgen.

Weiterhin gilt, dass die AfD auf der Ebene der ökonomischen Ausrichtung keine Experimente wagen möchte. Sie machte „Weiter so!”, wenn man sie nur ließe. Einen neuen Typus Mensch zu entwerfen, käme ihr nicht in den Sinn. Nicht im wirtschaftlichen Kontext — und auch sonst nicht. Das ist die eigentliche Fehlinterpretation, der Anti-AfD-Allianz: Wenn sie die Partei mit der NSDAP gleichsetzt, wenn sie wieder mal von 1933 spricht, von der Machtergreifung und den Parallelen, dann mischt sie zwei Parteien zusammen, die ihrem Wesen nach unterschiedlicher nicht sein könnten.

Die NSDAP war keine Partei der Nostalgie, wollte nirgends zurück. Die deutschen Monarchisten bekamen das zu spüren — sie unterstützten die Nationalsozialisten in der Hoffnung, der alte Kaiser oder sein Spross könnten nochmal den Thron besteigen. Die Nazis hatten aber andere Pläne, die alten Zöpfe und Zwirbelbärte sollten abgeschnitten werden, und so erteilten sie den Royalisten schon bald nach ihrer Regierungsübernahme eine Abfuhr. Deutschland sollte erwachen und nicht an gestern denken, sondern an das Morgen. Ihnen schwebte ein neuer Mensch vor, der nationalsozialistische Mensch eben. Der sei leistungsfähiger als der alte Reichsbürger unter Wilhelm Zwo. Hart und zäh und für den Fortschritt schuftend.

CDU-Nachfolgepartei

Der Nationalsozialismus war keine Bewegung, die ihre Kraft aus der Rückschau und der Sehnsucht nach längst vergangenen Tagen zog. Er war für junge Leute als moderne Zukunft attraktiv. Wie kann man heute der AfD unterstellen, sie sei Nachfolgerin dieser sich von der Vergangenheit abgrenzenden Massenpartei Hitlers und sie gleichzeitig als nostalgisches Projekt alter weißer Männer skizzieren? Das geht nicht zusammen — hier zeigt sich das Konstrukt, auf das man zurückgreift, um der AfD Kontinuitäten zu unterstellen, die es so nicht gibt.

Überhaupt ist dieser Verweis auf 1933 geprägt von grandioser Ahnungslosigkeit. Zumal die AfD auf Bundesebene weit davon entfernt ist, „die Macht zu ergreifen”. Aber es gibt auch kaum Parallelen zu den Jahren vor 1933.

Wo sind denn die parteilich zertifizierten Schlägertrupps, die SPD-Veranstaltungen aufmischen? Die NSDAP setzte sich aus Kriegstraumatisierten und später aus Studenten zusammen. Die AfD aber besteht aus bürgerlichen und gutbürgerlichen Charakteren. An Kriegstraumatisierten, so könnte man zynisch festhalten, arbeitet die amtierende Bundesregierung derzeit — die vermeintliche NSDAP-Nachfolgepartei möchte jedoch mit Russland ins Einvernehmen kommen. Damals brach Hitler, der ja die Partei war, mit dem Völkerbund — die AfD steht für Westanbindung, spricht sich für die NATO aus, stimmte dem NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens zu. Und die heutigen Studenten sind so stark in Organisationen eingebunden, die aus den Geldtöpfen der sogenannten Demokratieförderung gespeist werden, dass sie eher nicht AfD-Mitglieder werden wollen.

Ja, selbst zwischen der „Sylter“ Parole von „Ausländer raus!“ und jenem Schlagwort aus dem NSDAP-Programm, das da lautete „Lebensraum im Osten“ zu sichern, liegt ein himmelweiter Unterschied — aber die Anti-AfD-Allianz scheint das nicht zu bemerken. Oder sie bemerkt es und setzt dennoch auf unlautere Vergleiche. Sie stellt jedenfalls NSDAP und AfD gleich, spricht ungeniert von Nazis, um die Wesensgleichheit zu unterstreichen. Dabei sind die Positionen, die die AfD vertritt, in den 1980ern noch ganz normale Themenschwerpunkte innerhalb der Union gewesen. Auf CDU-Parteitagen vernahm man ähnliche Klänge. War die CDU der Achtzigerjahre eigentlich eine Nazi-Partei und stand kurz davor, die Diktatur auszurufen?

Dass das den Ereignissen von damals nicht nur nicht gerecht wird, ja geradezu eine Form der Relativierung darstellt, wäre wert, genauer betrachtet zu werden. Wollen die, die die AfD als Wiederauferstehung der 1945 verschwundenen NSDAP bezeichnen, vielleicht doch nur die Fehler ihrer Großeltern auswetzen, indem sie jetzt ein Szenario entwerfen, in dem sie sich nicht verführen lassen, sondern widerständig bleiben? Möchten sie die erfolgreicheren Widerstandskämpfer als Oma und Opa sein? Kämpfen sie für „unsere Demokratie“ oder stattdessen gegen die Dämonen, die ihre Familien seit Generationen reiten?


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