Der im ersten Teil dieses Artikels einseitig beschriebene Anteil einiger US-Behörden an vielen Filmproduktionen aus Hollywood mag den Eindruck erweckt haben, es handele sich bei der „Operation Hollywood“ um ein rein amerikanisches Phänomen. Dem ist selbstverständlich nicht so. Es ist vielmehr eine internationale Konvention, dass Regierungen auf die eine oder andere Weise die Filmkultur ihres jeweiligen Einflussbereiches mitprägen, so gut es eben geht. Dabei bietet sich das militärische Feld an, denn wo sonst könnte man besser klare Grenzen für den Meinungskorridor setzen als bei der Darstellung der „eigenen Interessenvertretung“ nach außen?
Es ist dabei kaum verwunderlich, dass das Pentagon, wie bereits beschrieben, den großflächigsten Einfluss auf die Bilder in den Köpfen vieler Menschen hat – zum einen, weil es über ein großes und gut verteiltes Militär verfügt, zum anderen, weil das mit der Zeit auch dazu geführt hat, dass sich die amerikanische Kultur und die amerikanische „Lebensart“ weltweit wohl der größten Verbreitung erfreuen. Dem wären aber Beispiele entgegenzuhalten, die die Thematik weniger einseitig erscheinen lassen. Denn auch andere Regierungen pflegten — oder pflegen bis heute — einen zweifelhaften Umgang mit dem Medium Film. Auch die Geschichte Deutschlands und Russlands ist in dieser Hinsicht unrühmlich.
Gegen die Welt
Als Hitler sich im September 1939 gut vorbereitet zum „Zurückschießen“ entschloss, zeigte die deutsche Luftwaffe über Polen eine schlicht beeindruckende Effektivität. Es dauerte, zum ersten Mal in der Geschichte der Luftkriegsführung, nur einige wenige Tage, ein feindliches Land aus der Luft vollkommen lahmzulegen. Das mochte in gewisser Weise an der ausgesprochenen Unfähigkeit der polnischen Streitkräfte liegen, mit ihrem deutschen Gegenüber technisch irgendwie auf Augenhöhe zu kommen — eine Erfahrung, die in den folgenden Monaten auch eine Reihe anderer europäischer Staaten machen musste — aber es war natürlich dennoch Fundament eines ausgesprochenen Triumphgefühls, das von Seiten der nationalsozialistischen Führung gerne an die deutsche Bevölkerung weitervermittelt werden wollte.
Noch bevor im Februar 1941 mit „Kampfgeschwader Lützow“ das erste Drama seinen Weg in die Kinos fand, wurde am 05. April 1940 eine „staatspolitisch wertvolle“ und „jugendwerte“ Dokumentation (1) uraufgeführt: „Feuertaufe. Der Film vom Einsatz unserer Luftwaffe in Polen“.
Der 2462 Meter lange und damit rund 90-minütige Film (2) wurde 1939 direkt über Polen gedreht. Die Bilder, eingefangen von einem 27-köpfigen Filmteam unter der Leitung des Regisseurs Hans Bertram (3), zumeist inmitten eines Verbandes träger, gemächlich wütender deutscher Bomber, zeigen die stückweise Zerstörung eines Landes, seiner Städte und den chancenlosen Niedergang seiner Streitmacht. Mit Herbert Gernots Erzählerstimme werden sie noch etwas bestimmter in die richtige Richtung gerückt, und wirken dabei ohne Frage gewaltig:
„Noch einmal sind wir gestartet, das nächtliche Schlachtfeld zu erleben. Und wir werden die Bilder dieses Fluges niemals vergessen. Unter uns die Bzura, der Fluss, an dem sich das Schicksal von neun polnischen Divisionen erfüllt. Die Weichsel, schwer liegt ein Gewitter über dem Strom. Modlin, die letzte Festung vor Warschau. Das Schlachtfeld, Feuersbrunst an Feuersbrunst. Ringsum ein brennendes Land.“
Zu beachten ist die für NS-Propaganda ikonische Vorsehungsergebenheit und die kraftvolle, oft düstere Einbindung von Naturbildern.
Die Weltgeschichte, die „den Führer“ vorsah, „Großdeutschland“ durch einen neuen Krieg zu führen, wird mit jeder Minute spürbar beschworen, während ebenso konsequent ausgedrückt wird, dass Polen eine Marionette Englands gegen Deutschland sei, sich von London habe verführen lassen und es damit die Schuld des britischen Premiers in Person sein müsse, dass deutsche Bomber schließlich am 25. September 1939 Warschau ohne irgendeine nennenswerte Unterscheidung zwischen Wohn- und Industriegebieten komplett einäscherten. Vonseiten der Filmemacher schämte man sich selbstverständlich für gar nichts. Bertram erzählte in einem Interview, das für die „Informations-Unterlagen“ (4) der Verleihfirma Tobis zum Film kurz vor dessen Veröffentlichung geführt wurde, von den Dreharbeiten:
„Das unvergesslichste Erlebnis war für mich der Flug über das Kampfgebiet an der Bzura, wo die eingekesselten polnischen Truppen verzweifelte und vergebliche Durchbruchsversuche machten und unsere Luftwaffe auf einem Raum von dreißig Quadratkilometern ihren Bombenregen abwarf. Wir starteten gegen Abend, Dämmerung senkte sich über das Land, und tief unten leuchtete der helle Feuerschein der einschlagenden Bomben (…). Wir haben gefilmt, bis es dunkel wurde und man nur noch den Feuerschein sah, ein gespenstischer Anblick. Durch diesen feurigen Vorhang, den unsere Flieger vor das Ufer der Bzura legten, ist niemand lebend hindurchgeschlüpft: Wo unsere Luftwaffe zuschlägt, trifft sie tödlich.“
Angeblich das Oberkommando der Wehrmacht selbst hatte Bertrams Arbeitsgruppe beauftragt, den Überfall auf Polen zu begleiten und aus den gemachten Aufnahmen hinterher einen Film entstehen zu lassen. Wie dieser wirken sollte, zeigt ein Kommentar von F. O. Genzel in besagten „Informations-Unterlagen“:
„Unsere Jungen werden diesen Film „Feuertaufe“ sehen, und sie werden ihr Volk, ihre Heimat und ihren Führer noch mehr lieben als bisher, und sie werden hassen lernen die, die an diesem Krieg die Schuld tragen. Denn nur wer hassen kann, kann lieben.“
Womit natürlich, um Verwirrungen an dieser Stelle vorzubeugen, nicht etwa die Reichsregierung gemeint war, sondern – wie kann es anders sein – die britische, polnische, französische… eben der ganze Rest der Welt. Wer jetzt denkt, dies wäre ein besonders groteskes Beispiel für die Abgründe der NS-Propaganda schon zu Kriegsbeginn, der fehlt weit. Gernots Text beinhaltete auch die konsequente Herabwürdigung der Polen als in Gänze verbrecherisches Volk, das gegen die in Polen lebenden „Volksdeutschen“ vor keiner Grausamkeit Halt machen würde:
„Was haben diese Menschen leiden müssen, und nur, weil sie Deutsche sind.“
Zweifelsohne war der Ton einiger Polen gegenüber vielen Volksdeutschen in den Wochen kurz vor dem deutschen Angriff rau, was hier weder geleugnet noch verharmlost werden soll. Wie heuchlerisch und abstoßend aber die darauf im Film vertretene Sichtweise ist, zeigt ein Zitat von SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich über das weitere Vorgehen in Polen vom 3. September 1939 (6):
„Die kleinen Leute wollen wir schonen, der Adel, die Popen und die Juden müssen aber umgebracht werden.“
Davon war in der NS-Militärpropaganda selbstredend weder in „Feuertaufe“ noch danach irgendetwas zu sehen oder zu hören. Ganz im Gegenteil zeigte sich schon beim Ablauf der Arbeit an solchen und vielen anderen Filmprojekten deutlich, wie der Hase lief, und dass jeder Rest Selbstständigkeit, den die Wehrmacht für sich beanspruchte, von der NS-Führung grundsätzlich übergangen wurde. Als sich in den Reihen der Offiziere Widerstand gegen die Vorstellung breitmachte, Kameraleute des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) im Frontgebiet herumrennen zu lassen, ohne diese selbst zu kontrollieren, täuschte Josef Goebbels‘ Behörde Kooperationsbereitschaft vor, indem man die „Propagandasoldaten“ 1938 zu fünf „Propagandakompanien“ zusammenfasste und sie damit vorgeblich dem Militär unterstellte.
Tatsächlich sprach man die Arbeit dieser Kompanien aber nie ernsthaft mit der Wehrmacht ab, sodass Goebbels letztlich nur militärische Ressourcen abgriff, um seine eigenen Interessen durchzusetzen (7). Wie Adolf Eichmann und Heydrich schließlich auch für die gesamte Shoah. Im Ergebnis entstanden daraus dann eben Kinofilme wie „Feuertaufe“ oder die besonders berüchtigten „Wochenschauen“, die den Krieg in der Regel zum reinen Spektakel umdeuteten und die Verantwortlichen nicht selten sprichwörtlich um Kopf und Kragen brachten — allein bei den Dreharbeiten an „Feuertaufe“ kamen mindestens sieben Menschen ums Leben (8).
Da Goebbels mit Unternehmen wie der Tobis Filmkunst GmbH schließlich auch die private Filmwirtschaft staatlicherseits schluckte und komplett in die Arbeit des RMVP integrierte, kann von einer „Kooperation“ (wie im ersten Teil des Artikels für Hollywood beschrieben) zwischen Staat und Konzernen nicht ernstlich die Rede sein. Obwohl sich die Führungskräfte im Dritten Reich teilweise untereinander auf den Tod nicht ausstehen konnten und dabei auch das gezwungene Verhältnis zwischen RMVP und Wehrmacht keine Ausnahme darstellte, gewannen die Filmprojekte unter seiner Führung an propagandistischer Effizienz und Erfolg, und in einem politisch so isolierten Wirkbereich wie dem Deutschen Reich lässt sich über den Effekt auf den Zuschauer kaum streiten. Weder gab es irgendein ernsthaftes Gegengewicht zu noch eine kritische Auseinandersetzung mit Propagandafilmen, die eine Dokumentation der öffentlichen Wahrnehmung für dieses Zeit nachträglich möglich machen würde. Dass „Feuertaufe“ dennoch ein gescheiterter Anlauf war, stellte Goebbels bei der Premiere selbst fest (9):
„Der Film wirkt grandios, aber in seiner übersteigerten Realistik etwas zermürbend. Dementsprechend war auch am Schluß die Stimmung.“
Natürlich auf Engelland
Selbst der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) kam in seinem Lagebericht vom 14. Mai 1940 nicht umhin anzumerken, dass die Bilder des zerstörten Warschaus vor allem bei dem weiblichen Publikum ein unerwünschtes Mitleid auslösten (10). Was beim Publikum schließlich überraschend ungebremst einschlug, war vielmehr das Titellied für „Feuertaufe“. Norbert Schultze, der mit „Lili Marleen“ das Lied des zweiten Weltkrieges überhaupt komponierte, schrieb mit „Bomben auf Engelland“ (11) einen „Schlager von Marsch“, der weit über Kriegsende hinaus den nationalsozialistischen Gedanken fortzuführen in der Lage war. Nach dem Fazit des Reichsmarschalls Hermann Göring, der in einer kurzen Ansprache nach Polen auch Frankreich und England mit der „Vernichtung“ droht, heißt es übertrieben selbstsicher (12):
„So wurde die jüngste der Waffen
im Feuer getauft und geweiht!
Vom Rhein bis zum Meer, das fliegende Heer,
So stehen wir zum Einsatz bereit!
Wir stellen den britischen Löwen
Zum letzten, entscheidenden Schlag;
Wir halten Gericht. Ein Weltreich zerbricht.
Das wird unser stolzester Tag!
Kamerad! Kamerad! Alle Mädels müssen warten.
Kamerad! Kamerad! Der Befehl ist da, wir starten!
Kamerad! Kamerad! Die Losung ist bekannt:
Ran an den Feind! Ran an den Feind! Bomben auf Engelland!“
Anschließend blitzen, als Abschluss des Films, Explosionen in einer Tricksilhouette der britischen Insel.
Die hessische Landesregierung sah sich 1951 gezwungen, mit polizeilichen Mitteln gegen „gewissenlose Elemente“ vorzugehen, die dieses Lied bei einschlägigen Treffen spielten und damit „gegen den im Grundgesetz (…) verankerten Gedanken der Völkerverständigung verstoßen“ (13). Schultze, der auch die Musik für den Euthanasie-Werbefilm „Ich klage an“ geschrieben und damit absolut bewiesen hatte, wes Geistes Kind er war, gab sich freilich arglos. Als die BBC ihn kurz nach Kriegsende — man beachte die Ironie — „in einem der wenigen Häuser, die in Berlin noch stehen“ interviewte (14), erklärte er:
„Ich habe mir gar nichts dabei gedacht, damals. Ich bin später gefragt worden, da hat man gesagt: Wie konnten Sie denn, als ein gebildeter Mensch!? Bomben auf Engelland, auf eine Kulturnation!? Und da habe ich gesagt: Tja, mein Gott, wo sollten denn unsere Flieger die Bomben abwerfen? Es war doch unser Feind, also natürlich auf Engelland.“
Gegen die faschistischen Horden
Doch mochte die militärische Propaganda im „Großdeutschen“ Reich sich bis zuletzt auch noch so sehr um ein positives, ja gefälliges Bild von ihren Missetaten bemühen, spätestens ab 1943 drehte sich das Blatt zuungunsten der deutschen Streitkräfte. Während viele Quellen stets die Schlacht um Stalingrad als „den Wendepunkt“ in den Vordergrund rücken, sehen einige andere — vermutlich zu Recht — die Schlacht bei Kursk im Sommer 1943 als den eigentlich kritischen Punkt in der Geschichte (15). Vom 5. bis zum 16. Juli versuchte Hitler sich mit einer letzten Großoffensive gegen die Sowjetunion — Hunderttausende starben, und beinahe selbstverständlich scheiterte der Versuch der schon zunehmend sparsam ausgestatteten Wehrmacht, sich gegen die quantitativ in jeder Hinsicht überlegene Rote Armee behaupten zu wollen.
Stalin erwies sich, nach Stalingrad einmal wieder, als Sieger (16). Zweifelsohne mussten vor allem die sowjetischen jungen Männer einen grauenhaft hohen Blutzoll bezahlen, zweifelsohne beruhte die Taktik ihrer Generale im Wesentlichen darauf, sich darauf zu verlassen, dass die deutschen Einheiten ihren Verlust an Personal und Material früher nicht mehr würden ausgleichen können als „Mütterchen Russland“, aber das Ziel war erreicht. Hitler war mit seinen „faschistischen Horden“ in die Schranken gewiesen worden. Von diesem Zeitpunkt an ging es für „den Kommunismus“ in Europa mehr oder minder ungebremst gen Westen — bis in die deutsche Hauptstadt.
Zum Teil noch während des „Großen Vaterländischen Krieges“, aber vor allem im Nachhinein versuchte die Sowjetführung immer wieder, die dunklen Schattenseiten ihres „Marschs nach Berlin“ zu übertünchen, sie reinzuwaschen. Man drehte sich das Bild des eigenen Sieges weit positiver, als es tatsächlich war:
„Ja, das ist ohne Zweifel, dass der sowjetische Teil des zweiten Weltkrieges und des Kampfes gegen den Faschismus der entscheidende Teil war. Keine andere Armee, kein anderes Land hat so viele Opfer getragen und ertragen müssen, wie die Sowjetunion. Allerdings muss man gleichermaßen sagen, allein hätte es die Sowjetunion nicht geschafft. Ohne die Hilfe der Westmächte, der mit der Sowjetunion verbündeten Westmächte, hätte die Sowjetunion nicht durchgehalten. Man vergisst manchmal, dass es auf Seiten der Sowjetunion eine entsetzliche Kriegsmüdigkeit gab. Auch Pessimismus. Und dass die Sowjetunion gewaltige Hilfe von England und Amerika erhalten hat. Das wurde später verschwiegen.“
So äußerte sich der Historiker Professor Wolfgang Leonhard in einem Interview (17) zum sowjetischen Kriegsepos „Befreiung“ von 1969. Das immense Filmprojekt unter der Leitung des Nachwuchsregisseurs Juri Oserow verband russische, georgische, polnische, ukrainische, deutsche, italienische, rumänische und sogar britische Schauspieler in einer letztlich siebeneinhalbstündigen Nachzeichnung des sowjetischen Krieges gegen das Dritte Reich. Und während im Westen eine zu regierungskritische Haltung bei Filmprojekten damals wie heute „nur“ in finanzieller Erpressung mündete, war sie in der Sowjetunion – zumindest zu dieser Zeit — eigentlich überhaupt nicht möglich.
Folglich entfernt sich die von Oserow erzählte Geschichte immer dort möglichst weit von der historischen Realität, wo diese außerhalb des akzeptierten „Meinungskorridors“ lag. Zunächst setzt der erste Teil „Der Feuerbogen“ bei der „Schlacht bei Kursk“ ein und lässt so die einzelnen schweren Niederlagen der Roten Armee, die es bis kurz vor diesem Ereignis noch gab, geschickt aus. Es ging bei der Entstehung des Projektes um die Bilder eines Sieges, eines gerechten Sieges und eines verdienten Sieges über einen Feind, über den man gerne gesiegt hatte. Leonhard formulierte (18) dies so:
„Der Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“ wurde nicht zufällig Jahre, jahrzehntelang in den Mittelpunkt der sowjetischen Propaganda, Filme, Rundfunk, Bücher, Theaterstücke gestellt. Aus zwei Gründen. Erstens: der Sieg im Vaterländischen Krieg 1941 bis 1945 war der einzige nachweisbare Sieg der sowjetischen Menschen und damit des sowjetischen Systems. Es gab so viele Niederlagen, Fiaskos, Rückschläge, die die Menschen in der Sowjetunion sehr wohl kannten und über die man nicht gerne diskutierte und daher lag es im Interesse des Regimes, das gesamte öffentliche Leben auf den Sieg im Vaterländischen Krieg zu konzentrieren und damit den Sieg in den Mittelpunkt der gesamten sowjetischen Geschichte zu stellen. Zweitens: es war dringend notwendig, den Sieg so in den Vordergrund zu stellen, um abzulenken, abzulenken von vielen Dingen, schon aus dem Bürgerkrieg 1918 bis 1922. Aber noch mehr abzulenken vom Machtaufstieg Stalins und den ersten Abrechnungen, die Stalin mit engsten Mitkämpfern Lenins unternahm. Abzulenken von der grauenvollen Kollektivierung, die Stalin von 1929 bis 1934 angeordnet hatte, die zahlreiche Opfer in der Bevölkerung brachte. Von der Hungersnot in der Ukraine und anderswo.“
Um den Film irgendwie an Glaubwürdigkeit gewinnen zu lassen – was angesichts der wankenden Moral vieler Sowjetbürger dringend nötig war — versuchte man, wenigstens die Schrecken des Krieges möglichst authentisch abzubilden. Insgesamt wirken die Bilder dabei sehr oft bedrückend und schwer, doch wirklich realistisch wird selbst die Gewalt an keiner Stelle. Oserow zeigt viel und entwickelte einen „dokumentarischen“ Stil, auch unterscheidet er auf eine sehr differenzierte Weise durchgängig zwischen deutschem Volk, deutschem Militär und deutscher Führung. „Die Nazis“ als Begriff für alle Deutschen, wie in westlichen Filmen üblich, gibt es bei ihm nicht.
Auch Oberst von Stauffenberg wird in der dritten Folge von „Befreiung“ viel Raum gegeben, als wohlwollende Anerkennung dafür, dass eben nicht alle Deutschen mit ihrem Diktator einverstanden waren. Doch die oft in Originalgröße auf riesigen russischen Feldern nachgestellten Schlachten bleiben trotz hunderter Panzer, viel Qualm und Explosionen abstrakt. Und die Vergewaltigung von vermutlich über hunderttausend Frauen während des sowjetischen Einmarsches in Ostdeutschland (19) wird ebenso komplett ausgespart wie die für das Verhältnis mit Polen damals wie heute sehr kritische Episode des Warschauer Aufstandes 1944, den die Rote Armee hatte wartend von den grausamsten SS-Einheiten niederschlagen lassen, um die polnische Hauptstadt schließlich ohne Hilfe ihrer Einwohner einzunehmen und damit hinterher keine Diskussionen über polnische Selbstbestimmung zulassen zu müssen (20). Zuletzt tut noch die Einleitung der eigentlichen Filme ein Übriges:
„Die Schlacht, die sich als die entscheidende des zweiten Weltkrieges erwies, war die große Schlacht um Kursk. Hier wurden, im Sommer 1943, Horden faschistischer Panzer besiegt. Von hier aus begann der Rückzug der deutschen Armee, die Europa versklavt hatte. Unsere Truppen begannen eine große Offensive in der Ukraine und rückten weiter auf die Grenzen der UdSSR vor.“
So leitet die Stimme des Erzählers, unterlegt mit Bildern fahrender sowjetischer Panzer, den dritten Teil von „Befreiung“ ein. Anschließend setzt, für den Vorspann, eine Instrumentalinterpretation des Liedes „Der Heilige Krieg“ ein. „Erhebe dich, großes Land“, heißt es in dem kurz nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 entstandenen Text, der bis heute die russische Militärparade zum Tag des Sieges auf dem Roten Platz in Moskau einleitet. „Steh auf und kämpfe bis zum Tod gegen die dunkle Macht der Faschisten, gegen die verdammten Horden!“. Es lässt sich insofern sagen, dass die sowjetische Propaganda hier und anderswo ähnlich dick auftrug wie die Filmschaffenden unter Goebbels, und dass dabei — wenngleich in eine politisch ganz andere Richtung – vergleichbare Glaubwürdigkeitsprobleme entstanden. Oserow kam mit seinen Versuchen, gegen die sowjetische Zensur anzugehen, vergleichsweise weit, aber bei Weitem nicht weit genug. So eskalierte schließlich auch „Befreiung“ zum Spektakel.
All der Krieg
Das sowjetische Militär freilich unterstützte dabei gerne. 150 Panzer, dutzende Waffen und Fahrzeuge steuerte man „hilfsbereit“ bei. Als sich keine originalen deutschen Panzer mehr finden ließen, baute man einige der sowjetischen Exemplare einfach um. Über die Kosten dieser Arbeiten lassen sich so gut wie keine Angaben finden, es ist aber klar, dass die sowjetischen Streitkräfte hier mit einem bedeutend höheren Risiko beteiligt waren, als es beim Pentagon beispielsweise gemeinhin der Fall ist. Viele der geliehenen Panzer kamen bei den Dreharbeiten eindeutig zu Schaden, und die, die man umgebaut hatte, waren hinterher sowieso nicht mehr zu gebrauchen. Dafür stimmte — salopp ausgedrückt – das Ergebnis. Zum 25. Jahrestag der „Befreiung“ wurde der Film 1970 fertig.
„In diesem vergangenen Vierteljahrhundert hat sich der Sozialismus zu einem Weltsystem entwickelt, seine Kräfte vervielfacht und bewiesen, dass er in der Lage ist, die Entfesselung eines dritten imperialistischen Weltkrieges zu verhindern, dessen Organisatoren, Ideologen, Anhängern und Mitmachern dasselbe Schicksal beschieden wäre, wie der gigantischen Kriegsmaschine des verblichenen Tausendjährigen Reiches. Das sind Lehren, die „Der Feuerbogen“ und „Der Durchbruch“ vermitteln (…).“
So ordnet Bruno Pioch die beiden ersten Folgen von „Befreiung“ für ein Beiheft (21) in der DDR ein. Es bleibt bei diesem Zitat fraglich, ob nun damit genau die Niederlage oder die Zerstörung gemeint ist, die Pioch dem (man darf sagen: kapitalistischen) Imperialismus unverhohlen androht. In jedem Fall war seit der nuklearen Aufrüstung beider Seiten des „Eisernen Vorhangs“ 1950 eigentlich kein Krieg mehr vergleichbar mit dem „großen vaterländischen Krieg“.
Die russische Filmindustrie zumindest hat ihre immer gleiche, etwas verklärte Sicht auf den Krieg gegen das Dritte Reich von der sowjetischen übernommen und (leider) bis heute nicht abgelegt. Bestes Beispiel ist „Panfilov‘s 28“ von 2016: Der Film wurde mit Unterstützung staatlicher Stellen gedreht und glorifiziert auf eine bemerkenswert übertriebene und daher unglaubwürdige Weise die Verteidigung Moskaus durch 28 Rotarmisten im Winter 1941. Es stellte sich heraus, dass ein sowjetischer Kriegsberichterstatter die Geschichte zur Stärkung der Moral erfunden hatte. Der russische Kulturminister Medinsky ließ sich, bei der Verteidigung des Filmes gegenüber kritischen Historikern, dennoch zu den Worten verleiten (22):
„Es ist meine tiefste Überzeugung, dass selbst dann, wenn die Geschichte von Anfang bis Ende erfunden war, wenn Panfilov nie existierte und selbst wenn da gar nichts existierte, dies immer noch eine heilige Legende ist, die unmöglich besudelt werden kann. Und Leute, die es versuchen, sind kompletter Abschaum.“
Selbstverständlich landete der Film in Deutschland kurz nach seiner Veröffentlichung quasi im „Giftschrank“, einige Kinos zeigten ihn nur ein einziges Mal und mit einer Aufklärungsveranstaltung über russische Propaganda im Anschluss. Was ohne Frage bei der Flut an frei erfundenem Unsinn, die die Bundesrepublik über den Atlantik erreicht, reichlich heuchlerisch ist. Das Blockdenken ist an dieser Stelle etwas fatal, aber angesichts auch vieler neuerer russischer Kriegsfilme sind Worte wie „Kriegsverherrlichung“ oder „Propaganda“ nicht unberechtigt.
Immerhin gab es zum Ende des Kalten Krieges hin unter Gorbatschow eine Erweiterung des Meinungskorridors, einen Wandel, der im Westen auf sich warten lässt. 16 Jahre nach „Befreiung“ konnte so Konstantin Lopuschanskis Drama „Briefe eines toten Mannes“ entstehen, das mit viel Schwere, Sorge und Menschlichkeit die Folgen eines Atomkrieges bedauert. Ganz ohne Patriotismus, Feind, Sieg oder irgendeine Zuweisung von Schuld — das Ende der Welt wird durch einen Computerfehler ausgelöst. Auf dem internationalen Markt blieben aber auch kritische russische Filme weiterhin die Ausnahme, und dass sie jetzt immerhin überhaupt möglich waren, war gegenüber dem Westen ein überfälliger Ausgleich, kein Vorsprung.
In Deutschland durfte sich das Militär nach den Kriegsverbrechen der Wehrmacht bis 1945 lange überhaupt nicht mehr an der Filmkultur vergreifen. Eine erneute „Häufung“ von Bundeswehrunterstützung für Filmteams lässt sich erst nach der Wiedervereinigung feststellen — und dabei auch eher tröpfchenweise, mit (vor allem im Vergleich zu den US-amerikanischen Kooperationen) deutlich kleinerem Unterstützungsumfang und nur für das Fernsehen, nicht für‘s Kino.
2012 gab es dann um Till Schweigers Film „Schutzengel“ eine neue Militainment-Kontroverse: Die Bundeswehr habe Flüge bezahlt und würde Werbung machen für den Film, der vor Bundeswehrsoldaten in Afghanistan uraufgeführt wurde. Verteidigungsminister Thomas de Maizière stellte anschließend richtig (23):
„Es ist ja gerade umgekehrt: Nicht wir werben für Herrn Schweiger. Sondern Herr Schweiger macht Werbung für die Bundeswehr!“
Tatsächlich ist die Werbung für die Bundeswehr aber viel mehr auf Eigenproduktionen ausgelegt. Filme, die ähnlich vielen US-amerikanischen oder russischen Werken das eigene Militär über den Klee loben oder brachialste Waffengewalt mit Technikbegeisterung verbinden und glorifizieren, gibt es in Deutschland nicht. Was uns, im mahnenden Gedenken an „Feuertaufe“, auch für die Zukunft zu wünschen ist. Denn:
„All der Krieg – Propaganda, all das Geschrei und die Lügen und der Hass kommen immer nur von den Leuten, die nicht kämpfen müssen“ — George Orwell.
Quellen und Anmerkungen:
(0) Filme:
I. Bertram, Hans: „Kampfgeschwader Lützow“, Deutsches Reich 1941
II. Bertram, Hans: „Feuertaufe. Der Film vom Einsatz der deutschen Luftwaffe in Polen“, Deutsches Reich 1940
III. Oserow, Juri: „Befreiung“ (5 Teile), UdSSR 1970
IV. Druzhinin, Kim: „Panfilov‘s 28“, Russland 2016
V. Lopushansky, Konstantin: „Briefe eines toten Mannes“, UdSSR 1986
(1) Vgl. Filmportal.de: „Feuertaufe. Der Film vom Einsatz unserer Luftwaffe im polnischen Feldzug“, in: Filme, filmportal.de, https://www.filmportal.de/film/feuertaufe-der-film-vom-einsatz-unserer-luftwaffe-im-polnischen-feldzug, Datum unbekannt, aufgerufen am 06.07.2021
(2) ebenda
(3) Tobis Filmkunst GmbH: „Wie der Fliegerfilm entstand...“, in: „Informations-Unterlagen: Feuertaufe. Der Film vom Einsatz der deutschen Luftwaffe in Polen“, Tobis Filmkunst GmbH, Berlin 1940, S. 1
(4) ebenda
(5) Genzel, F. O.: „Feuertaufe“, in: „Informations-Unterlagen: Feuertaufe. Der Film vom Einsatz der deutschen Luftwaffe in Polen “, Tobis Filmkunst GmbH, Berlin 1940, S. 1
Dokument zur Verfügung gestellt aus Privatarchiv William Gillespie, Sydney
(6) Tagebucheintrag Helmuth Groscurths v. 08.09.1939, zitiert nach: Messerschmidt, Manfred: „Größte Härte… Verbrechen der Wehrmacht in Polen September/Oktober 1939“, in: Gesprächskreis Geschichte Heft 63, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2005, S. 11 f.
(7) Vgl. Uziel, Daniel: „Propaganda, Kriegsberichterstattung und die Wehrmacht“, in: Rainer Rother/Judith Prokasky (Hg.): „Die Kamera als Waffe. Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges“, edition text + kritik, München 2010, S. 13-36.
(8) Vgl. u.a. Bertram, Hans; andere: „Feuertaufe. Der Film vom Einsatz der deutschen Luftwaffe in Polen“, Tobis Filmkunst GmbH, Deutsches Reich 1940
Die Namen der Toten werden zu Beginn des Films eingeblendet.
(9) Tagebucheintrag von Joseph Goebbels v. Uraufführungstag, zitiert nach: Schütz, Erhard: „Feuertaufe (D 1940, Regie: Hans Bertram). Filmeinführung vom 22. Juni 2012“, in: Unter Vorbehalt – Filmreihe im Zeughauskino, Deutsches Historisches Museum, Berlin 2012, S. 4
(10) Vgl. Sicherheitsdienst des Reichsführers SS: „Aufnahme des Films Feuertaufe“, in: Boberach, Heinz (Hrsg.): „Meldungen aus dem Reich – Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945“, Band 4, Manfred Pawlak Verlagsgesellschaft mbH, Herrsching 1984, S. 1131 f.
(11) Vgl. u. a. Stoeppler, Wilhelm; Schultze, Norbert: „Bomben auf Engelland. Lied und Marsch“, in: Illustrierter Film-Kurier Nr. 3097, Vereinigte Verlagsgesellschaften Franke & Co. KG, Berlin 1940, S. 5
(12) ebenda; zitiert nach abweichender Textfolge im Film
(13) Vgl. Der Hessische Minister des Innern: „823“, in: Staats-Anzeiger für das Land Hessen Nr. 36 vom 08.09.1951, Hessisches Ministerium des Innern, Wiesbaden 1951, S. 518
(14) Der Sendungsausschnitt ist nur noch als Sicherungskopie auffindbar, s. Archive.org: https://archive.org/details/norbertschultzebombenaufengelandoeumdrnkzoq_202003, aufgerufen am 05.07.2021
(15) Vgl. u. a. Diverse; Parragon Books: „100 Schlachten – Kriege, die unsere Welt verändert haben“, Parragon Books Ltd., Bath 2015, S. 202 f.; Vgl. Knopp, Guido: „Das Ende 1945 – Der verdammte Krieg“, C. Bertelsmann Verlag GmbH, München 1995, S. 9 ff.
(16) Vgl. Knopp: „Das Ende 1945“, München 1995, S. 42 f.
(17) Wagner, Paul Werner: Interview mit Historiker Prof. Wolfgang Leonhard, in: „Befreiung“, Icestorm Entertainment GmbH, Berlin 1999, Disc 5
(18) ebenda
(19) Prof. Dr. Angelow, Jürgen: „Der zweite Weltkrieg war...“, in: „Befreiung“, Icestorm Entertainment GmbH, Berlin 1999, Disc 5
(20) Vgl. u.a. Knopp: „Das Ende 1945“, München 1995, S. 116 f.
(21) VEB Progress Film-Vertrieb: „Befreiung“, in: Film für Sie, VEB Progress Film-Vertrieb, Berlin (Jahr unbekannt), S. 5
(22) Walker, Shaun: „Russian war film set to open amid controversy over accuracy of events“, in: News, The Guardian, https://www.theguardian.com/film/2016/nov/23/russian-war-film-set-to-open-against-controversy-over-accuracy-of-events, 23.11.2016, aufgerufen am 06.07.2021
(23) Unbekannt: „Medien, Til Schweiger & der Schutzengel Bundeswehr“, in: Community, Moviepilot, http://www.moviepilot.de/news/medien-til-schweiger-der-schutzengel-bundeswehr-118034, 27.09.2012, aufgerufen am 06.07.2021
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