Genforschung ist bisher viel Lärm um wenig, und das wird auch so bleiben. Nur sehr wenige und sehr seltene Krankheiten sind ausschließlich auf angeborene Defizite in der genetischen Information zurückzuführen. Für alle häufigen Krankheiten von Gefäßsystem, Stoffwechsel oder Krebs spielt eine „Erblast“ keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle; erkennbar daran, dass sich das Erkrankungsrisiko bei Migranten in die Industrieländer innerhalb ein bis zwei Generationen auf das Niveau der einheimischen Bevölkerung einpegelt (1).
Die große Mehrzahl unserer Krankheiten entsteht durch Umwelteinflüsse. Der französische Philosoph Voltaire (1694 bis 1778) hatte schon vor 250 Jahren lapidar formuliert: „In den meisten Fällen ist die Todesursache eines Menschen sein Leben.“ Die Genforschung verkennt dies, wenn jetzt eine nach allen Seiten offene Forschung von Genomsequenzierungen und Risikoberechnungen abgelöst wird. Aktuelles Opfer dieser intellektuellen Bankrotterklärung: Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827).
Eine mit viel Geld und weltweiten Aktivitäten ins Leben gerufene internationale gentechnische Arbeitsgruppe zur Klärung von Beethovens Krankheiten und Tod präsentierte jüngst über alle Medienkanäle einen lärmenden Schlag ins Wasser (2). Weder die Ertaubung noch seine Leberzirrhose können die Genforscher erklären.
Um nicht mit leeren Händen dazustehen, schrecken die Wissenschaftler nicht einmal davor zurück, spekulative Mutmaßungen zu verbreiten, die im Widerspruch zu den biographischen Fakten stehen. Beethoven hätte wahrscheinlich zu viel Alkohol getrunken und sich vermutlich auch eine Hepatitis zugezogen. Bei einem genetisch angeblich erhöhten Risiko für eine Leberzirrhose ein unverzeihliches Fehlverhalten ...
Diese unwissenschaftlichen und unzutreffenden Behauptungen gingen weltweit über den Äther und fanden sich in vielen Tageszeitungen. Genetische Analysen gelten zu Unrecht als Stein der Weisen. Selbst die reichsten Menschen dieser Welt haben sich dies einreden lassen und dementsprechend ihre Milliarden in das tote Pferd der Genforschung investiert. Die willfährigen Journalistendarsteller in den Redaktionsstuben landauf und landab müssen nun jede Genanalyse mit einem Heiligenschein ausstatten.
Ludwig van Beethovens Fall ist das sprechende Beispiel dafür, dass Sequenzierungen des Genoms nichts aufklären. Die genetischen Kaffeesatzleser können nicht einmal mit letzter Sicherheit bestätigen, dass die ausgewerteten Haarabschnitte wirklich von Beethoven stammten. Sie stimmen genetisch lediglich untereinander überein und seien „mit ziemlicher Sicherheit authentisch“. Schließlich gab es keinen Goldstandard aus gesichertem Material des Meisters.
Eine Abweichung zum genetischen Code der Vorfahren wird dadurch erklärt, dass einer oder mehrere dieser Vorfahren fremdgegangen seien. Eine Boulevardzeitung versteigt sich sogar zu der absurden Schlussfolgerung, dass dann „Beethoven gar kein Beethoven gewesen wäre“. Kann sein oder auch nicht. Für Genie und Ertaubung wäre diese genetische Differenz jedenfalls ohne Belang. Würde es doch der Qualität Beethovenscher Tonsetzkunst keinen Abbruch tun, wenn ein Dienstmädchen etwas Erbsubstanz beigesteuert hätte.
Auf der Strecke blieben die Umwelteinflüsse. Hätte man die wahrscheinlich dem Genie zugehörigen Haare toxikologisch untersucht, wären wenigstens die bekannten Fakten bestätigt worden. Gerade für diese sind Haare aber eine ergiebige Quelle. Aber dies haben die Genforscher verabsäumt! Gifte gehören nicht in ihr armseliges Ressort!
Alle Metalle lassen sich in Haaren auch nach Jahrhunderten noch nachweisen, ob sie nun als Mord- oder Umweltgift aufgenommen wurden. Frühere Haaranalysen hatten in Haaren, die dem Meister zugeordnet wurden, exorbitant hohe Konzentrationen von Blei ergeben. Selbst wenn die Authentizität dieser Haare zwischenzeitlich als unsicher gilt.
Tatsache ist aber, dass die seit dem Altertum als „Colica Pictonum“ bekannte chronische Vergiftung mit Blei alle Symptome, über die Ludwig van Beethoven seit jungen Jahren klagte, zwanglos erklärt (3). Das bunte Bild von Darmkoliken, Durchfall, psychiatrischen Symptomen, einer Leberzirrhose und Nervenlähmungen ist so charakteristisch, dass keine zweite Krankheit als Differentialdiagnose in Frage kommt (4) (5). Im Fall einer negativen Bleiprobe der in Frage stehenden Haare wäre die Schlussfolgerung eher, dass diese eben gar nicht von Ludwig van Beethoven stammen.
Genforscher erkennen vor lauter Bäumen den Wald nicht. Ein Puzzle aus Genen erklärt nie eine Krankheit oder gar einen Menschen.
Es gibt keine Genabschnitte, die wie ein elektronisches Bauteil direkt für eine (Fehl-)Funktion verantwortlich wären. Wo die angeblichen „Risikokonstellationen“ der Gene versagen, beginnen die Genforscher dann mit einem Spekulationsgebäude: übermäßiger Alkoholkonsum und Hinweise auf Hepatitis-Viren. Weder bei der einen Mutmaßung noch bei einem für diagnostische Zwecke ungeeigneten PCR-Testergebnis handelt es sich um verwertbare Fakten.
Wozu braucht man aber weitere spekulative Ursachen, wenn eine langzeitig hohe Bleiaufnahme alle Erscheinungen einschließlich der Rückbildung beider Hörnerven erklären kann? Warum schreckt man nicht einmal davor zurück, Beethoven einen Alkoholmissbrauch zu unterstellen, obwohl es dafür keinerlei Belege gibt? Sicher ist aber, dass er „fruchtige“ Weine und Punsch schätzte, die zur damaligen Zeit häufig durch Bleizucker „aufgebessert“ waren. Eine jüngste toxikologische Haaranalyse hatte sogar gezeigt, dass man zwischen dem Blei, das bei Beethovens letzter Behandlung in antientzündlichen Salben verwendet wurde, und der weiter zurückreichenden Aufnahme unterscheiden kann (6).
Finden kann man nur, was man sucht. Eine Suche nach unplausiblen Ursachen macht allerdings keinen Sinn. Gene können keine Ertaubung oder Leberzirrhose erklären. Nur Auftragsforscher, die genetische Erklärungen um jeden Preis präsentieren wollen, handeln so.
Der derzeit ablaufende Paradigmenwechsel an den Forschungsinstituten, die zu verlängerten Werkbänken der Großindustrie verkommen sind, wird keine Fakten, sondern Fake News liefern.
Wenn dann noch Medien diese Unwahrheiten wie Sprinkleranlagen verbreiten, wird es gefährlich. Suchmaschinen stigmatisieren jetzt im Internet Beethoven als Alkoholiker, der an einer Leberzirrhose verstarb, weil er dazu schon eine genetische Disposition gehabt und überdies noch an einer Hepatitis B gelitten hätte. Eine Verhöhnung von Beethovens Wunsch nach Aufklärung seines Hörverlustes, die er in seinem Heiligenstädter Testament erbeten hatte. Toxikologen und investigative Mediziner hatten Beethovens Wunsch im Gegensatz zu den Genforschern längst erfüllt.
Die Genanalyse hinterlässt bei Ludwig van Beethoven ein Trümmerfeld an Unwahrheiten, Diffamierungen und Leerstellen. Wer Beethovens Leiden und deren medizinische Erklärung nacherleben und verstehen will, kann dies allerdings noch tun: Gerd Reuther: „Letzte Tage – verkannte und vertuschte Todesursachen berühmter Personen“ (Engelsdorfer 2023).
Da dies kein Einzelfall ist und genetische Fake-News-Suchergebnisse das Internet immer stärker bevölkern, steht der Menschheit eine Inflation der Lügen bevor. Die unvermeidliche Verdummung der Bevölkerung wird die Überlebenschance der Spezies womöglich dramatisch verringern.
Quellen und Anmerkungen:
Literatur:
1 Ziegler RG et al.: Migration patterns and breast cancer risk in Asian-American women. J Natl Cancer 1993; 85:1819-27
2 https://www.mpg.de/20018695/0320-evan-beethovens-genom-150495-x
3 Eisinger J: Lead and wine. Eberhard Gockel and the colica Pictonum. Med Hist 1982; 26(3):279-302
4 Stevens MH, Jacobsen T, AuD, Crofts AK: Lead and the deafness of Ludwig van Beethoven. Laryngoscope 2013; 123:2854–8
5 Brotto D et al.: A Modern Case Sheds Light on a Classical Enigma: Beethoven's Deafness. The Laryngoscope 2021; 131:179–85
6 Reiter C, Prohaska T: Beethoven’s death—the result of medical malpractice? Wiener Medizinische Wochenschrift 2021; 171:356–62
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.