Die EU hat sich mit Litauen eine verleugnete NS-Vergangenheit ins Boot geholt. Die litauischen Nationalsozialisten, die sich Patrioten nannten, kamen durch einen Putsch am 22. Juni 1941 an die Macht. Dem vorausgegangen war ein kurzes kommunistisches Intermezzo und eine 14-jährige Diktatur des Mussolini Bewunderers Antanas Smetona. Das Terrorregime der „Patrioten“, das sich Litauische Provisorische Regierung nannte, wurde zwar bereits im August 1941 einer deutschen Oberhoheit unterstellt, existierte aber faktisch bis zum Abzug der Wehrmacht im Sommer 1944.
Die bewaffnete Kerntruppe dieses Regimes war die Litauische Aktivistenfront (LAF), eine Sammlungsbewegung faschistischer Freicorps der Smetona-Ära von 36.000 Mann, gegründet im November 1940 in Berlin, unter Aufsicht der Deutschen Abwehr. Wessen Geistes Kind die Putschisten waren, zeigt ihr Telegramm an Adolf Hitler unmittelbar nach ihrer Machtergreifung:
„Nachdem der befreiende Kriegssturm über Litauen hinweggezogen ist, senden die Vertreter der Gesellschaft des freien Litauens Ihnen, dem Führer der Deutscher Nation, unsere tiefste und aufrichtigste Dankbarkeit für die Befreiung des Landes Litauen und des litauischen Volkes von der vernichtenden Besatzung der Juden und der (…) Bolschewiki, und drücken die Hoffnung aus, dass die litauische Nation durch Ihr Genie dazu bestimmt sein wird, teilnehmen zu dürfen, an dem von Ihnen angeführten Siegesmarsch zur Zerstörung des Judentums, des Bolschewismus und der Plutokratie, zur Verteidigung der persönlichen Freiheit des Einzelnen, zum Schutz der Kultur Westeuropas und zur Umsetzung der neuen europäischen Ordnung“ (1).
Die Vernichtung der Juden
Noch vor dem Einmarsch der Wehrmacht brachen, angestiftet durch die LAF, Pogrome aus. In mehr als 40 Städten und Dörfern wurden Juden, Kommunisten und Sympathisanten der Sowjetunion auf offener Straße überfallen und mit Knüppeln oder Eisenrohren erschlagen. Otto Bräutigam, leitender Mitarbeiter im Auswärtigen Amt, schrieb anlässlich seines Besuches in Kowno (Kaunas) am 11. Juli 1941:
„Unter unserer stillschweigenden Duldung wurden zahlreiche Judenpogrome von der litauischen Hilfspolizei durchgeführt.“
Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges lebten in Litauen rund 220.000 Juden. Das waren rund 10 Prozent der Bevölkerung. Davon wurden 96 Prozent ermordet. 160.000 allein in der kurzen Zeitspanne von Juni bis Dezember 1941. Von denen, die überlebten, hatte sich die Mehrzahl in die Sowjetunion gerettet.
Noch immer ist ganz Litauen übersät mit den Gebeinen der Ermordeten, wenngleich darüber schon lange Gras gewachsen ist.
Eine israelische Quelle nennt 234 Hinrichtungsstätten. Namenlose Massengräber finden sich im ganzen Land, unbeweint und unbeachtet. Nur an wenigen Stellen erinnert ein Gedenkstein an die Ermordeten. Und diese wenigen Steine verschweigen, dass die Mörder in der Regel Litauer waren. Die litauische Autorin Rūta Vanagaitė und der israelische Historiker Efraim Zuroff machten sich auf die Spuren jener Schreckensjahre, die das moderne Litauen nicht wahr haben will. Ihr Buch, das auf litauisch, polnisch, schwedisch, englisch und holländisch erschien, trägt im Original den Titel Mūsiškiai (Our People, in der englischen Übersetzung). Einleitend stellen sie fest:
„Neben dem ungewöhnlich hohen Prozentsatz ermordeter Juden gibt es noch mehrere andere wichtige Aspekte der Ereignisse in Litauen ...
... die extrem große Zahl der Litauer, die aktiv an den Morden teilnahmen, ein Faktor, der die Umsetzung der Endlösung erheblich erleichterte und ihren Umfang erheblich vergrößerte. Obwohl es keine genauen Zahlen für die Zahl der beteiligten Litauer gibt, deuten unsere Nachforschungen darauf hin, dass mindestens 20.000 in unterschiedlichen Funktionen am Massenmord an Juden beteiligt waren, von der Anstiftung zum Mord bis hin zur tatsächlichen Erschießung...
... die politische Führung Litauens die lokale Bevölkerung aktiv zur Teilnahme am Völkermord an den Juden aufstachelte ...
... dass sich unter den lokalen Tätern Personen aus allen Schichten der litauischen Gesellschaft befanden, darunter Geistliche, Intellektuelle und Akademiker“ (2).
Die Litauische Provisorische Regierung hatte sofort nach ihrer Machtübernahme, den alten Verwaltungsapparat der Smetona Diktatur wieder eingesetzt. Zwar wurde dieses Staatsgebilde von den Deutschen formell nicht anerkannt, aber die gesamte Verwaltung blieb in litauischer Hand: das Verwaltungspersonal, die Bürgermeister, die kommunalen Mandatare, die Polizei und die Gerichte. Die Besatzungsmacht hatte auch keinen Grund, das zu ändern, denn das Zusammenspiel hätte besser nicht sein können, insbesondere bei der Lösung der „Judenfrage“. Ein Beispiel:
Am 16. August 1941 sandte der Chef der litauischen Polizeiverwaltung, Vytautas Reivytis, eine geheime Order an die Chefs aller regionalen Polizeidienststellen:
„Nach Erhalt dieses Rundschreibens verhaften Sie unverzüglich alle Männer jüdischer Ethnie ab 15 Jahren und alle Frauen, die sich während der Zeit der bolschewistischen Besatzung durch ihre bolschewistischen Aktivitäten hervorgetan haben oder noch immer für diese Art von Aktivitäten und Schurkereien bekannt sind, an den in der Beilage angegebenen Orten.
Sammeln Sie die verhafteten Personen an den Knotenpunkten und informieren Sie die Polizeiverwaltung unverzüglich unter Verwendung spezieller Kommunikationsmittel. Geben Sie in der Meldung genau an, wie viele Juden welcher Art sie verhaftet haben und an welchen Ort sie gebracht wurden.
Sie müssen sicherstellen, dass die verhafteten Personen mit Lebensmitteln versorgt werden und bewacht werden, wofür Sie die Hilfspolizei in Anspruch nehmen können. Die Anweisung dieses Rundschreibens muss innerhalb von 48 Stunden nach Erhalt erfüllt werden.
Die verhafteten Juden müssen bewacht werden, bis man sie in Lager einliefern kann“ (3).
Mitte August 1941 waren bereits zigtausende Juden ermordet worden. Der Polizeichef und die regionalen Dienststellenleiter wussten also genau, worum es ging. Vytautas Reivytis war nebenberuflich ein Agent der deutschen Abwehr und nach dem Krieg Agent des britischen Geheimdienstes. Er lebte später unbehelligt in Illinois/USA und starb mit 87 Jahren. Ein nicht untypisches Schicksal eines leitenden Kollaborateurs.
Wie die einheimischen Mordkommandos vorgingen, geht aus zahlreichen Aufzeichnungen hervor. In dem kleinen Dorf Plateliai, circa 50 km nordöstlich von Klaipeda (Memel), lebten am Vorabend des Krieges rund 100 Juden. Ende August 1941 sandte der Chef der regionalen Sicherheitspolizei, Jakys, eine Order an den Lehrer Barkauskas, den Kommandeur der örtlichen Miliz, mit der Aufforderung, sämtliche Juden umzubringen. Nach vollbrachter Tat erstattete Barkauskas an Jakys Bericht:
„... Es wurde eine Versammlung einberufen, bei der Ort, Datum und Uhrzeit festgelegt wurden. Außerdem wurde beraten, wie man die Frauen, die bei den Bauern arbeiteten, ohne viel Wirbel zu verursachen, zusammenbringen und wo man genügend Leiterwagen für die Kinder und Alten finden könnte. Unter den Teilnehmern der Versammlung waren Barkauskas, Žvinys und Zubavičius, der vor dem Krieg als Sekretär der städtischen Verwaltung gearbeitet hatte. Nachdem alles besprochen war, wurden zwölf Personen hinzugezogen, Polizisten und Aufständische ...
Als die jüdischen Frauen zur Grube in der Nähe des Plateliai-Sees gebracht worden waren und klar verstanden, was sie erwartete, brachen sie in herzzerreißendes Schreien und Wehklagen aus. Sie mussten sich ausziehen und die Erwachsenen wurden der Reihe nach erschossen. Anders wurde mit den Kindern verfahren. Sie wurden in einiger Entfernung von der Grube erschossen und dann in die Grube geworfen. Insgesamt waren es etwa zwanzig Kinder im Alter von einem bis zehn Jahren. Die Frau des Polizisten Grišmanauskas, Berta Grišmanauskienė, erschoss sie alle. Die Erschießung dauerte etwa eine Stunde. Danach teilten die Teilnehmer die Kleidung unter sich auf“ (4).
Die Bezeichnungen Polizisten — gemeint sind meist Hilfspolizisten —, Partisanen, Aufständische, Aktivisten, Freiwillige oder Weißarmbändler sind austauschbar. Alle diese bewaffneten Gruppen einte, dass sie glühende Antisemiten und antisowjetische Nationalisten waren.
Der Angeklagte Pranas Matiukas gab bei einem Verhör am 3. Dezember 1961, zu Protokoll:
„... Dann wurde der Befehl gegeben, mit dem Schießen zu beginnen. Die Leute unter Beschuss begannen in der Schlucht umher zu rennen, konnten aber nirgendwo entkommen und wurden alle von Kugeln niedergestreckt. Diese ungeordnete Schießerei dauerte etwa anderthalb Stunden. Während dieser Zeit war der Boden der Schlucht mit Leichen und Blut bedeckt. (...) Ich habe auch geschossen. Ich kann nicht sagen, wie viele Menschen ich erschossen habe; das konnte man nicht feststellen. Die Schlucht war etwa 50 mal 50 Meter groß und die Hänge um sie herum waren 10 bis 15 Meter hoch“ (5).
Der neunzehnjährige Student Antanas Šėgžda, findet einen Ferienjob und finanziert sich eine Geige:
„Am 25. oder 26. Juni kamen zwei Freunde vorbei und schlugen mir vor, mich der Freiwilligeneinheit anzuschließen. Sie sagten, wenn ich der Einheit beitrete, wäre mein Leben einfacher. Bei der Polizei trug ich Zivilkleidung und bekam ein Gewehr. An meinem linken Arm trug ich eine weiße Stoffarmbinde, auf die ich eigenhändig ‚Ordnungsdienst‘ geschrieben hatte. Ende August 1941 nahm ich dreimal an einer Erschießung von Juden teil. Wir waren fünfzig Polizisten. Bei der ersten Aktion erschoss ich persönlich zehn Juden. Berufsmäßige Polizisten brachten sie aus der Stadt in den Wald. Sie brachten sie frühmorgens, damit die Einwohner der Stadt es nicht sahen. Wir nahmen ihnen ihr Geld und ihre Wertsachen ab und legten ihre Kleidung auf einen Stapel ...
Außerdem fand ich große Geldsummen bei den Juden, die zur Erschießung gebracht wurden. Das heißt, als sie eine Gruppe Juden zu der für die Erschießung ausgehobenen Grube brachten, schlug ich ihnen vor, mir ihr Geld zu geben, weil sie sowieso im Begriff waren zu sterben. Sie gaben mir unterschiedliche Geldbeträge, mit denen ich mir für 50 Rubel einen Fedora-Hut kaufte. Ich kaufte in Kaunas für 700 Rubel eine Geige und gab den Rest des Geldes für Lebensmittel aus. Ich nahm ermordeten Juden während der gesamten Zeit etwa 4.000 Rubel ab. Während meiner Dienstzeit erschoss ich etwa fünfzig Juden. Ich diente etwa drei Monate lang in der Sicherheitseinheit — das heißt vom 26. Juni bis Ende August — und am 15. September ging ich wieder zur Schule“ (6).
Den Juden wurde nie der wahre Grund ihrer Verhaftung verraten. Ihnen wurde gesagt, sie würden umgesiedelt, zu einer Impfung gebracht, in Quarantäne oder etwas Ähnliches.
Daher hatten die Verhafteten meist Wertgegenstände bei sich. Viele der Mörder erwähnten in ihren Geständnissen, dass die Juden, die sie töten sollten, still, wie gelähmt oder bereits halb tot gewesen seien.
Es gab unter Litauern auch nachdenkliche Stimmen. Zenonas Blynas, der Generalsekretär der Litauischen Nationalistischen Partei, führte Tagebuch:
„13. August 1941: Eine Person kam aus Joniškis. Angeblich ist es für die Landbevölkerung schwierig, sich an die Massaker an Juden zu gewöhnen. (...) Er sagt, es wäre besser, sie zur Arbeit zu schicken und stattdessen die Kommunisten zu erschießen. Es ist schlimm, dass wir zu viele erschossen haben und dass Litauer die Erschießungen durchgeführt haben. Besonders wenn es stimmt, dass die Deutschen diese Erschießungen fotografieren.
14. August 1941: Ich habe mit dem Leiter der Regionalverwaltung von Rokiškis gesprochen. Heute Morgen sollen in Rokiškis 9.000 Juden erschossen werden. Sie graben eine drei Meter tiefe Grube, bringen eine Gruppe von 100 Juden hinein, legen sie in den Graben und sagen, wer aufsteht, wird erschossen. Dann feuern mehrere Leute mit Handfeuerwaffen mit Leuchtspurgeschossen auf die in Reih und Glied Liegenden, dann werden 20 oder 30 Zentimeter Sand darauf gestreut und die zweite Kolonne wird aufgestellt ...
24. August 1941: Ein Parteikollege beschrieb gestern das Massaker in Rokiškis. (...) Sie wurden zusammengebunden aus der Stadt geführt. Die Menschen mussten halb entkleidet in eine drei Meter tiefe Grube springen. Schützen, die am Rand der Grube entlanggingen, schossen auf sie. Gehirne und Blut spritzten. Die Männer, die die Schüsse abgaben, waren blutüberströmt. (...) Die Frauen schrieen und kreischten. Menschen aus der Umgebung versammelten sich. Zuerst lachten und grinsten sie, aber später waren sie entsetzt, und auch die arischen Frauen begannen zu schreien. Ein Massaker. Beschämend. (...) Ich sagte, wenn die Deutschen das schon mit unserer Hand machen, dann sollten sie das alles ruhig, ohne Publizität, ohne Skandal machen ...
13. Dezember 1941: Was mir wichtig ist, ist nicht die Rettung eines oder mehrerer Juden. Ich kann es nicht ertragen, dass Litauen in eine Leichenhalle verwandelt wird, dass wir regelmäßig gezwungen werden, Juden zu erschießen, die mit Visa aus Deutschland kommen, dass wir Litauer die Schießereien durchführen, dass wir nichts weiter als bezahlte Henker geworden sind, dass wir fotografiert werden, während die Deutschen sich nicht selbst fotografieren. Ich kann dieses Übel nicht ertragen“ (7).
Litauen nach dem Krieg
Im Sommer 1944 gelang es nur leitenden Kollaborateuren, sich nach Deutschland abzusetzen — und später meist in die USA. Die Masse der Partisanen, Aktivisten und Hilfspolizisten wurde von der Roten Armee überrollt. Da sie wegen ihrer Kollaboration das Schlimmste befürchten mussten, blieben ihnen nur die Wälder als Rückzugsgebiet. Die von der Wehrnacht überstürzt zurück gelassenen Waffen, darunter Mörser und leichte Artillerie, fielen dabei in ihre Hände.
Nach der deutschen Kapitulation wurde Litauen wieder in die Sowjetunion eingegliedert. In der Hoffnung, westliche Länder würden Druck auf die Sowjetunion ausüben, begannen diese Waldbrüder, wie sie genannt wurden, den Kampf gegen das sowjetische Regime. Die Banden, mit zentraler Führung und effektiven Kommandostrukturen, lieferten sich in den Jahren 1944 und 1945 regelrechte Gefechte mit einer ganzen NKWD-Division, die durch drei Grenzschutzregimenter verstärkt worden war.
„Es entwickelten sich in Litauen zwei unterschiedliche Systeme: Das eine übte seine Herrschaft tagsüber vor allem in den Städten aus, während das der Untergrundkämpfer seinen Einfluß insbesondere in der Nacht auf die ländlichen Gebiete nahm. (...) Bei Feststellung der Kollaboration wurde oftmals in Abwesenheit des Angeklagten — die Todesstrafe verhängt“ (8).
Die militärische Auseinandersetzung hatten die Waldbrüder Ende 1946 verloren. Als Nachschub ausblieb und die Hoffnung auf politische Hilfe durch die westlichen Siegermächte schwand, gingen sie zur Guerillataktik über. Sie versuchten, mit Terror gegen Zivilisten, die zum Sowjetregime standen, oder mit Sabotageakten gegen Infrastruktureinrichtungen, die litauische Sowjetmacht zu schwächen. Mit welchem politischen Ziel der sinnlose Terror fortgesetzt wurde, ist einem Außenstehenden schwer verständlich. Im Mai 1948 und im März 1949 kam es abermals zu groß angelegten Deportationen der Waldbrüder und ihrer Unterstützer nach Sibirien. In den frühen 1950er Jahren waren die Untergrundkräfte weitgehend ausgeschaltet. Unter Nikita Sergejewitsch Chruschtschow kehrte ein Teil zurück.
Litauen nach 1990
Die Michael Sergejewitsch Gorbatschow´sche „Perestroika“ setzte Kräfte frei, die die Sowjetunion nicht reformieren, sondern zerstören wollten. In Litauen wurde 1988, zur angeblichen Unterstützung der Perestroika, „Sajudis“ gegründet, ein Sammelbecken antisowjetischer Kräfte. Der Revanchist Vytautas Landsbergis, Sohn eines Ministers der Provisorischen Regierung von 1941, wurde ihr Vorsitzender.
Die schweigende Mehrheit, wenn es eine solche gab, bestimmte 1990 nicht das Geschehen. Da die sozialistischen Identifikationsmodelle desavouiert waren, übernahmen völkisch nationalistische Stimmen die Meinungsführerschaft. Diese suchten zunächst weniger den Weg zur Demokratie, als nach Wegen, die sozialistische Vergangenheit und alles Russische ein für allemal aus dem nationalen Gedächtnis zu tilgen.
Dazu wurde die Epoche der Litauischen SSR zur „sowjetischen Besatzung“ umdeklariert und ein nationaler Mythos vom heldenhaften Befreiungskampf der Waldbrüder erfunden. Also jene, die unter den Augen der Wehrmacht die „Judenfrage“ gelöst hatten und nicht zuletzt deshalb in die Wälder gegangen waren, wurden zu Patrioten und Freiheitskämpfern erklärt. Gewiss ein Schönheitsfehler, der sich nicht völlig verbergen, aber mithilfe einer falschen Fährte relativieren ließ.
Bereits 1992 wurde in Vilnius das Museum der Opfer des Völkermordes und des Widerstandes errichtet. Zum Gedenken an die jüdischen Opfer? Weit gefehlt! Das Haus war jenen Litauern gewidmet, die nach Sibirien verbannt worden waren. Denn das sei auch Völkermord gewesen. Damit wurde der Völkermord an den Juden relativiert, denn es hatte ja auch einen an den Litauern gegeben, einen doppelten Völkermord sozusagen — begangen von sowjetischen Kommunisten, die vielfach Juden gewesen seien.
In der Folge wurde die gesamte braune Vergangenheit Litauens einer Relativierung in diesem Stil unterzogen. Jonas Žemaitis, ein Befehlshaber der Waldbrüder, hatte in den 1940er Jahren Überfälle auf Infrastruktureinrichtungen und regierungstreue Zivilisten organisiert. Er wurde 1953 verhaftet und ein Jahr später hingerichtet. Am 12. März 2009 wurde er vom Parlament postum zum litauischen Staatspräsidenten der Jahre 1949 bis 1954 ernannt.
Nach Kazys Shkirpa, dem Agenten Hitlers und Organisator der LAF, wurden Straßen in Kaunas und Vilnius benannt. Jonas Noreika, der die Ermordung tausender Juden überwachte, wurde am 27. Mai 1991 vom Obersten Gerichtshof der Republik Litauen rehabilitiert und ihm zu Ehren wurden Gedenktafeln und Denkmäler errichtet, während seine Urenkelin in den USA bestätigt, dass er ein Massenmörder war.
Auch einem Juozas Krikštaponis, dem Kommandeur der litauischen Truppen, die in Weißrussland gewütet hatten, wurde ein Denkmal errichtet. Wer gegen die Sowjets gekämpft hatte, wurde zum Helden erklärt, ganz egal, was er sonst noch zu verantworten hatte. Der Kampf gegen die „Besatzer“ wusch jede Weste weiß, war sie auch noch so blutdurchtränkt.
Die Dekonstruktion der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Völkermordes an den Juden, zugunsten einer Täter-Opfer-Relativierung, hatte zur Folge, dass sich um die Waldbrüder ein Kult entspann, mit Denkmälern, Gedenksteinen, Gedenkmärschen, Gedenkgottesdiensten, Denkmalbesuchen von kirchlichen Würdenträgern, Umbettung von Gebeinen, posthumen Staatsbegräbnissen, posthumen Ernennungen zu Staatspräsidenten, Umbenennungen von Straßen und Plätzen zu Ehren der Helden und anderes mehr. Es versteht sich, dass auch die Schulbücher, Schulen und Universitäten diesem Heldenkult Rechnung tragen.
Die Kehrseite der Medaille war und ist das beharrliche Schweigen über 234 Hinrichtungsstätten. In einigen wenigen Fällen erinnern Gedenksteine daran, dass unter der Erde menschliche Überreste liegen. Durch wessen Hand sie zu Tode kamen, wird verschwiegen.
Litauen war die Lokomotive für eine ähnliche Geschichtsfälschung in Lettland und Estland. Erstaunt stellt die taz am 17. März 2013 fest, was sich auf den Straßen des Baltikums abspielt. Unter dem Titel „Marschieren für die Waffen-SS“ berichtet das Blatt:
„Am Samstag fand im Zentrum der Hauptstadt Riga wieder der jährliche Marsch zum Gedenken an die Angehörigen der lettischen Waffen-SS-Divison statt. Auf 3.000 schätzte die Polizei die Zahl der TeilnehmerInnen, an der Spitze marschierten Abgeordnete und Mitglieder der nationalistischen Regierungspartei Nationale Allianz. (...)
Lettland sieht sich wegen dieses SS-Gedenkens Kritik ausgesetzt. Vor allem jüdische Organisationen werfen Riga vor, mit dieser Veranstaltung den Nazismus zu ehren und die Opfer des Holocaust zu beleidigen.
Bereits am Montag vergangener Woche hatte in Litauens Hauptstadt Vilnius eine Manifestation stattgefunden, die offiziell an die litauische Unabhängigkeit erinnern sollte, sich in den vergangenen Jahren aber immer mehr zu einer Neonazi-Veranstaltung entwickelt hatte. Die Stadt Vilnius hatte sie in diesem Jahr auch verboten. Als sich dennoch 3.000 DemonstrantInnen versammelten, griff die Polizei nicht ein. Einige TeilnehmerInnen hielten Schilder „Litauen den Litauern!“ hoch, andere trugen nazistische Symbole und hoben den Arm zum Hitler-Gruß. (...)“
Die Prager Erklärung
Unterstützung für seinen eigenwilligen Blick in die Vergangenheit bekam Litauen aus Prag, wo am 3. Juni 2008 die internationale Konferenz „Europas Gewissen und der Kommunismus“ stattfand. Margaret Thatcher und Sbigniew Brzezinski sandten Grußworte. Worum ging es bei dieser Kampagne? Der tschechische Teilnehmer Martin Mejstrik brachte es auf den Punkt:
„Solange Europa den Gedanken nicht akzeptiert, dass der Nationalsozialismus und der Kommunismus völlig gleichwertige verbrecherische Regime sind, wird es nicht einheitlich sein.“
Diesem markigen Statement entsprach das Abschlusskommunikee, das als Prager Erklärung bekannt wurde, unterzeichnet unter anderem von Vaclav Havel, Joachim Gauck und Vytautas Landsbergis.
Der litauische Wissenschaftler und Dozent für jiddische Sprache, Dovid Katz, bezeichnet diese Kampagne als eine Methode „den Holocaust aus der Geschichte herauszuschreiben. Vor allem in Osteuropa wurde sie mit staatlicher Finanzierung und subtiler Überzeugungskraft in Wissenschaft, Medien, Kunst und internationaler Diplomatie geschmiedet.(...) mit dem politischen Ziel (...) die Geschichte der Ereignisse in Richtung einer ‚Geschichte von zwei Völkermorden’ zu revidieren — dem sowjetischen und dem nationalsozialistischen“ (9).
Die Verbrechen der Stalinzeit waren auch im Licht der marxistisch-leninistischen Ideologie und Gesetzlichkeit eine unentschuldbare Entgleisung.
Nikita Chruschtschow hat das 1956 in seiner Rede auf dem XX. Parteikongress der KPdSU in aller Schärfe herausgestellt.
Der ideologische Kraftstoff des Nationalsozialismus war seine pseudowissenschaftliche Rassenlehre, nach der es eine edle Rasse, weniger edle Rassen und eine schädliche Rasse gibt. Letztere muss vernichtet werden wie ein lebensgefährlicher Bazillus. Die Erschießungen, die Todeslager, Auschwitz, Majdanek, Belzec, Sobibor, Treblinka und die anderen unfassbaren Grausamkeiten waren keineswegs eine Entartung, sondern die folgerichtige, tatkräftige und mutige Umsetzung der ideologischen Vorgaben.
Die Vernichtungsenergie, die aus der Rassenlehre entsprang, war ungebrochen, bis in die letzten Tage des Krieges. Als es der Wehrmacht schon an allem fehlte, wurden für die Mordmaschinerie immer noch ausreichend Ressourcen bereitgestellt. Massenmord war im Wesen des Nationalsozialismus angelegt. Massenmord war sein authentischer Ausdruck.
Die These, Nationalsozialismus und Kommunismus seien völlig gleichwertige, verbrecherische Regime, unterschlägt die ungeheure Menschenfeindlichkeit der nationalsozialistischen Rassenlehre.
Deshalb kann die Prager Erklärung nicht als wissenschaftliche Analyse gelten, sondern bleibt ein von Rache getriebenes Pamphlet. Wie zu erwarten, hat das litauische Parlament die Prager Erklärung zustimmend zur Kenntnis genommen.
Die Europäische Union und das neue Litauen
Die Mitwirkung der Zivilbevölkerung an der Ermordung der Juden war in Litauen intensiver als in jedem anderen Land, einschließlich des Dritten Reiches selbst. Die Verstrickung in den Völkermord war so massiv, dass die politische Führung des neuen Litauen zu einem unglaublichen Ablenkungsmanöver Zuflucht nahm. Und das war die Erfindung des Doppelten Holocaust, der letztlich Betreiber und Befreier von Auschwitz auf eine Stufe stellt.
Dabei entpuppt sich das Ressentiment gegen Russland als Mittel zum Zweck, um von der eigenen Verstrickung in den Holocaust abzulenken.
Das Trauma, am Völkermord beteiligt gewesen zu sein, wird im Ressentiment gegen Russland in Form einer Schuldumkehr verdrängt. Durch Übertragung — im Freud'schen Sinne — treten die Russen an die Stelle der Litauer. Deportation und Besatzung werden zu Völkermord. Je größer das Trauma, desto größer ist die Energie der Verdrängung beziehungsweise der Schuldumkehr. Daher ist das antirussische Ressentiment in Tiefen verankert, die Argumenten unzugänglich sind. Zwei Jahre Gefängnis drohen demjenigen, der einen Baustein dieser Konstruktion wie die „Deportation ist Völkermord“ in Frage stellt, so lautet ein Parlamentsbeschluss.
Eine jüngere Generation, die keinen Zugang zu den historischen Fakten bekam, nahm das Ressentiment gleichsam mit der Muttermilch auf. In den Gremien der EU ist sie der Herold dieser pathologischen Einfalt. Und sie findet Ihresgleichen, zumindest was die Einfalt betrifft. Das Europäische Parlament hat sich mit seiner Entschließung „Europas Gewissen und der Totalitarismus“, vom 2. April 2009, der Prager Erklärung mehrheitlich angeschlossen.
Der überproportionale Einfluss der kleinen baltischen Länder auf die Ostpolitik der EU erklärt sich paradoxer Weise aus ihrer pathologischen Russophobie. Die Clubmitgliedschaft in der EU hat ihre Russophobie nicht gemildert, sondern ihre Russophobie hat den ganzen Club angesteckt. Das war nur möglich, weil die EU bar jeder Vision einer eigenständigen und souveränen Geopolitik ist, die Russland miteinbezieht, anstatt sich Russland zum Feind zu machen.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Rūta Vanagaitė and Efraim Zuroff, Our People - Discoverimg Lithuania´s Hidden Holocaust, London und New York 2020, Kapitel 4; (da e-book Vorlage, nur Kapitelangaben)
(2) Ebenda, Einleitung
(3) Ebenda, Kapitel 4
(4) Ebenda, Kapitel 15
(5) Ebenda, Kapitel 7
(6) Ebenda, Kapitel 16
(7) Ebenda, Kapitel 4
(8) Tegeler, Tillmann (2001). Der litauische Partisanenkampf im Lichte sowjetischer Akten. Osteuropa-Institut München, Seite 40
(9) Dovid Katz, https://defendinghistory.com/wp-content/uploads/2020/06/Doppel-Genozid-de-2.pdf