Künstler gehören zu denjenigen, die mit am meisten von den Corona-Maßnahmen betroffen sind. Lange Zeit blieben Kinos, Opernhäuser und Museen geschlossen. Während sie aber mittlerweile unter Auflagen wieder Gäste begrüßen dürfen, müssen beispielsweise Clubs weiterhin ausharren. Auch Musiker müssen sich gedulden und warten, bis sie wieder die Möglichkeit bekommen, ein Konzert zu geben.
Wirtschaftlich trifft es die Künstler hart. Dass die Politik sie ausbluten lässt, ist schwer nachzuvollziehen. Nach Umsatzzahlen rangiert die Kulturbranche auf dem zweiten Platz. Dem Staat entgehen riesige Steuereinnahmen, wie Sebastian Pufpaff im Juni bei Maybrit Illner zu bedenken gab. Obwohl der Komiker in der Sendung darüber berichtete, wie schwer es Künstler zurzeit aufgrund der Maßnahmen haben, verhielt er sich dennoch überwiegend diplomatisch und vermied es, die Corona-Politik direkt anzugreifen.
Deutlicher wurde sein Kollege Florian Schroeder bei seinem Auftritt im NDR. Mitte Juli zog der Kabarettist in seinem Programm „Ausnahmezustand“, Angela Merkel, Christian Drosten und Karl Lauterbach durch den Kakao. Es hörte sich nach harscher Kritik an. Doch auf der Stuttgarter „Querdenken“-Demonstration am 8. August verriet er dann seine wirkliche Meinung:
„Ich bin der Auffassung, dass Corona eine hochgefährliche, ansteckende Krankheit ist. Und ich bin der Überzeugung, dass Maskentragen und Abstandhalten das Wichtigste und Beste sind, was wir in diesen Tagen tun können.“
Genauso wie Pufpaff und Schroeder gehen die meisten etablierten Künstler mit der Corona-Politik konform. In den Mainstream-Medien äußert sich so gut wie keiner von ihnen kritisch. Es entsteht der Eindruck, dass alle Schauspieler, DJs, Komiker, Sänger und Schriftsteller die Maßnahmen begrüßen. Doch der Schein trügt:
Es gibt sie — die kritischen Künstler. Ihre Zahl wächst stetig und schnell, man möchte schon sagen „exponentiell“. Die Avantgarde bilden dabei die Musiker.
Kritik an den Medien
Acht Acts von Künstlern standen beispielsweise am 1. August bei der Demonstration in Berlin auf dem Programm. Allerdings hat es lediglich SchwrzVyce auf die Bühne geschafft. Noch bevor die Polizei sie besetzen konnte, schnappte sich der Rapper das Mikrofon und performte seinen Hit „Fake News Media“. Einfach war es nicht, wie er sich erinnert. Auf der Bühne herrschte Chaos.
Bodo Schiffmann, Ralf Ludwig, Markus Haintz und andere Gäste, die als Redner auftreten sollten, liefen umher, hielten kurze Ansprachen und reichten das Mikrofon weiter. Die Stimmung war aufgeladen, die Luft brannte. In diesem Augenblick wusste SchwrzVyce, dass es keinen besseren Zeitpunkt geben würde, seinen Song darzubieten — zumal die Mainstream-Medien die Veranstaltung bereits Stunden vor der offiziellen Beendigung für „aufgelöst“ erklärt hatten.
Als der Rapper schließlich vor mehreren Hunderttausend Menschen auftrat, sprach er ihnen aus dem Herzen:
„Das ist doch gar nicht wahr / Das ist doch gar nicht wahr / Die Lügen in diesem Staat / Schlucken wir jeden Tag / Doch jetzt seh ich es klar / Deine Propaganda / Bla bla bla bla bla / Fake News Media.“
Die Menge sang mit und jubelte. Vor so vielen Leuten aufzutreten, war ein „unbeschreibliches Gefühl“, sagt SchwrzVyce rückblickend.
„Fake News Media“ hatte der Rapper bereits während des Lockdowns Ende April veröffentlicht. In den sozialen Medien stieß der Song sofort auf Zustimmung. Seit dem Auftritt in Berlin geht er viral. In den Mainstream-Medien sucht man einen Bericht darüber vergebens. Selbst Musikzeitschriften schweigen. Besonders bedauerlich findet SchwrzVyce, dass er aus der Hip-Hop-Szene keine Unterstützung bekommt. Er habe mehr Rückenwind erwartet, zumal politischer Rap für die Musikrichtung prägend gewesen sei. Heutzutage gehe es in den Texten überwiegend um schicke Autos, ausschweifenden Sex und Geld, viel Geld. Alle folgten einem bewährten Erfolgsrezept, anstatt sich kritisch mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen auseinanderzusetzen.
SchwrzVyce beschreibt die Coronakrise als eine Art Damaskuserlebnis. Seine künstlerische Arbeit habe dadurch einen Schub erhalten, seine Texte seien kritischer geworden.
Für ihn legten die Ereignisse rund um Corona eine System- und Demokratiekrise offen. Es gebe keine wirkliche Gewaltenteilung. „Die Regierenden nutzen die Angst der Bevölkerung vor Corona, um die eigenen Machtinteressen durchzusetzen, anstatt wahrhaft im Interesse der Menschen zu handeln“, sagt der Rapper. Auch die Medien kämen nicht ihrer Funktion nach, Politik und Wirtschaft zu kontrollieren. Anstatt auf die eigentlichen Probleme hinzuweisen, beteiligten sie sich an Kampagnen, mit denen die Öffentlichkeit manipuliert werde.
Wie offensichtlich die Widersprüche im gegenwärtigen System sind, bringt SchwrzVyce in Zeilen wie diesen zum Ausdruck:
„Wir sind in einem Krieg um unser Klima / Doch ihr kämpft um Exporte gegen China / Wir sind in einem Krieg gegen die Armut / Doch ihr kämpft gegen die Flüchtlinge in Kanus / Wir sind in einem Krieg um Weltfrieden / Doch ihr baut die Raketen, die sie schießen / Wir sind im Krieg um eine bessere Ernährung / Doch ihr verbreitet diese Scheiße in der Werbung.“
Es werde nicht der einzige kritische Song bleiben, kündigt der Rapper an. Schon bald gebe es eine weitere Veröffentlichung. Als Künstler arbeite er derzeit unermüdlich daran, mit seiner Musik die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern.
Ein Lied zum Widerstand
Eine musikalische Auferstehung erlebte in der Corona-Zeit auch der Singer-Songwriter Nikolai Freimann. Anfang Juni brachte er sein „Lied zum Widerstand“ heraus, ein Hip-Hop-Stück, in dem wie bei SchwrzVyce die Medien kritisiert werden: „Ihr habt dieses Land gespalten / Zwischen links, rechts; schwarz, weiß; Jungen und Alten“, heißt es gleich zu Beginn. Freimann wirft der sogenannten Vierten Macht vor, dem Volk nicht mehr die Stimme zu leihen, sondern Gräben zu graben. Der Song ist eine sprachgewaltige Anklage. „Ich wollte kausal aufzeigen, wie die Machthierarchie abläuft“, kommentiert der Künstler sein Werk.
Freimann, der den Musikproduzenten Max Martin zu seinen Vorbildern zählt, hat sich für einen Hip-Hop-Song entschieden, obwohl er zuvor hauptsächlich poppige Musik mit Klavier- und Gitarrenelementen produzierte. Den Genre-Wechsel begründet der Singer-Songwriter damit, dass sich in einem Hip-Hop-Lied „unglaublich viel Message unterbringen lässt“. Man könne sich differenzierter und genauer ausdrücken als in einem gesungenen Lied, mit dem Musiker weniger Zeilen und somit weniger Text zur Verfügung hätten.
Vor dem „Lied zum Widerstand“ hatte Nikolai Freimann schon lange keine eigenen Texte mehr geschrieben.
Als dann die Coronakrise kam, packte ihn die Wut, weil alle Kritiker, die selbst wissenschaftlich fundierte Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen hegten, pauschal diffamiert und als Wirrköpfe oder Extremisten bezeichnet wurden.
„Medien und eine Regierung, die so handeln, stellen die Weichen für eine Diktatur“, sagt er.
„Das war das erste Mal, dass die politischen Fehlentscheidungen, die schon seit langer Zeit getroffen werden, mich motiviert haben, wieder Texte zu schreiben.“
Er verspürte das Gefühl, eine Message senden zu müssen. Und sie lautet „Widerstand“.
Das Lied habe auch einen vereinenden Aspekt, sagt Freimann.
„Ich wollte die fragmentierten Gruppen, die in diesem Land leben, zusammenbringen — Menschen, die das Gute und den Frieden im Sinn haben.“
Im „Lied zum Widerstand“ hört sich das so an:
„An alle Wächter der Wahrheit, alle Freunde der Freiheit / Denkt daran, dass ihr nicht allein seid / Auch wenn sie euch zu ihrem Feindbild verbiegen / Mit eurem Wort kämpft ihr für den Frieden / Hört nie auf zu fragen, denn so werden wir siegen.“
Friedensrap in Zeiten von Corona
Wie SchwrzVyce hat auch Nikolai Freimann jenseits des Mainstreams bislang sehr viel Zuspruch für seinen Song erhalten. An diesen Erfolg will er anknüpfen und weitere politische Lieder schreiben. Aufklärung sei derzeit wichtiger denn je. „Wir müssen den Weg der Wahrheit gehen“, sagt der Musiker.
„Wir müssen friedlich bleiben und weiter demonstrieren.“
Die gleiche Meinung vertritt der Sprechgesangskünstler Kilez More, der sich als Friedensrapper versteht. Der 32-jährige Wiener ist derzeit politisch sehr aktiv und tritt auf diversen Demonstrationen auf. Am 1. August in Berlin sollte er gleich zwei Mal auf die Bühne kommen. Dass ihm die Polizei einen Strich durch die Rechnung machte, empfindet der Rapper als schade. Dennoch erlebte er die Demonstration als friedliches Fest, auf dem sich die Gelegenheit bot, mit vielen Menschen zu sprechen.
Kilez More ist jemand, der den Dialog sucht. Den wünscht er sich auch in der aktuellen Corona-Debatte, die seiner Meinung nach zu einseitig verläuft. Bei den Verantwortlichen sieht der 32-Jährige nur wenig Gesprächsbereitschaft. „Kritiker werden abgewatscht“, sagt er in seiner österreichischen Mundart. Anstatt die gegenwärtige Corona-Politik, die tief in die Grundrechte eingreift, als alternativlos zu proklamieren, sollten die Politiker Aufklärungsarbeit leisten. Der Rapper kann es durchaus verstehen, dass anfangs schnell reagiert werden musste. Mittlerweile habe man das Infektionsgeschehen aber gut in Griff, weshalb es an der Zeit sei, Zwischenbilanz zu ziehen.
„Kritiker und Befürworter der Maßnahmen müssen aufeinander zugehen und darüber sprechen, wie es in der Zukunft weitergehen soll.“
Dass ein friedliches Miteinander dem Wiener Rapper sehr am Herzen liegt, geht auch aus seinen Songs hervor. Noch vor der Corona-Krise veröffentlichte er das Lied „Friedensbewegung“, dessen Text in der gegenwärtigen Situation an Aktualität nicht verloren hat. „Wir rufen ,peace!‘ und wir zieh'n auf die Straße' / Gegen Krieg, sind aktiv, wir sind die Friedensbewegung“, heißt es dort. „Ihr wollt 'nen Satz zum Zitier'n?“, fragt er schließlich am Ende seines Songs — und liefert ihn prompt hinterher: „Der erste Weltfrieden ist das Ziel einer Friedensbewegung.“
Herzmusik für mehr Gerechtigkeit und Liebe
Ein weiteres Lied, das eine Friedensbotschaft sendet, produzierte Kilez More zusammen mit Morgaine und Äon. In „Wir könnten“ hält das Trio ein Plädoyer für Solidarität und Kooperation. „Wir könnten so leicht die Welt ein bisschen besser machen / Wer Frieden will, verkauft keine Waffen / Wir könnten uns alle die Hände reichen / Wir setzen ein Zeichen“, singt Morgaine in der Hookline. Die 27-jährige Wienerin, deren Wurzeln in Süddeutschland liegen, gehört ebenfalls zu den kritischen Künstlern, die sich derzeit auf Demonstrationen engagieren und ihre Stimme erheben.
Auch sie sollte am 1. August in Berlin auftreten, unter anderem mit ihrem Lied „Wir Sind Eins“. Obwohl sich der Song nicht direkt auf die Corona-Krise bezieht, enthält er Aussagen, die sich auf die aktuelle Lage übertragen lassen. „Es geht darin um unsere Gesellschaft, die sich immer weiter spaltet und auseinanderdriftet“, sagt Morgaine. Die Missstände ließen sich aber überwinden, wenn alle an einem Strang zögen. „Zusammenhalt, Liebe, Empathie und Mitgefühl — diese Dinge braucht es gerade mehr denn je“, so die Sängerin, die ihre Lieder als „Herzmusik“ bezeichnet, als „Musik, die die Menschen wirklich berührt und wieder in Kontakt bringt“.
Eine verbindende Atmosphäre, wie sie sich Morgaine wünscht, erlebte sie auf der Demonstration in Berlin. „Die allermeisten Menschen dort waren so herzlich und friedlich, so freundlich und positiv“, erinnert sich die 27-Jährige.
„Es war wirklich unglaublich berührend und bewegend.“
Umso enttäuschender fand sie es, wie die Demonstration in den meisten Medien dargestellt wurde.
„So viele friedliche und normale Leute durch den Dreck zu ziehen, ist nicht nur unfair, sondern armselig und traurig.“
Wie Kilez More vermisst sie eine zielorientierte Diskussion. Für ihre kritische Haltung gab es nicht nur Lob. In den sozialen Medien musste die Sängerin auch gegen einen Shitstorm ankämpfen und erklären, was ihr an der Corona-Politik nicht gefällt.
Morgaines Kritik zielt auf die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen ab. „Es wird massiv mit Angst gearbeitet“, sagt sie und ist überzeugt davon, dass die Eliten das Virus für politische und kapitalistische Zwecke missbrauchen.
„Es geht hierbei sicherlich nicht um den Schutz und um die Gesundheit der Menschen. Denn wenn wir aus der Geschichte etwas lernen können, dann dass der Politik nicht sehr viel an der Gesundheit der Menschen liegt.“
Das lasse sich allein daran erkennen, dass das Gesundheitssystem seit Jahren kaputtgespart und das Pflegepersonal viel zu schlecht bezahlt werde. Mindestens genauso lange ändere sich nichts an dem Umgang mit Nahrungsmitteln, „die Giftstoffe enthalten und die Menschen krank machen“.
Die Sängerin setzt sich nicht erst seit der Corona-Krise für mehr Gerechtigkeit und Liebe ein. Seit 2014 ist sie in der Friedensbewegung aktiv und tritt seit Jahren auf Demonstrationen auf, um mit ihrer Musik die Menschen zum Nachdenken anzuregen. Daran will die 27-jährige Wienerin auch in Zukunft festhalten.
„Ich habe mich schon immer für die Schwachen eingesetzt und das werde ich weiterhin tun.“
Wie Morgaine, SchwrzVyce, Nikolai Freimann und Kilez More erheben immer mehr Musiker ihre Stimme. Sie greifen Medien und Politik an, verweisen auf Widersprüche und fordern mehr Aufklärung. Sie treten auf Demonstrationen auf und werben für den Frieden. Sie schreiben an neuen Songs und bringen ihre Kritik in ausgefeilten Texten zum Ausdruck.
Mit ihrem Engagement tragen diese Künstler zu einer ausgewogeneren Diskussionskultur bei und zeigen, dass es sich durchaus lohnt, gegen den Strom zu schwimmen. SchwrzVyce etwa tritt momentan jede Woche auf einer Demonstration in einer jeweils anderen Stadt auf. Während seine unkritischen Kollegen weiter auf ihre erste Performance nach der Zwangspause warten, befindet er sich als wahrscheinlich derzeit einziger auf einer Deutschland-Tour.
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