Ein kontrollierter Kollaps des syrischen Systems
Am 6. Dezember trafen sich die Außenminister des Irans, Iraks und Syriens in Bagdad, dem folgte am 7. Dezember ein Treffen des russischen Außenministers Sergej Lawrow mit seinen Kollegen aus der Türkei und dem Iran, bei allen Gesprächen ging es um die Lage in Syrien. Man darf annehmen, dass bei diesen Gesprächen der syrische Präsident Assad abgewickelt, die Kontrolle über das Land zwischen der Türkei im Norden und Israel im Süden aufgeteilt wurde. Nur so ist zu erklären, dass sich das syrische Militär kampflos aus allen Städten und Militärstützpunkten zurückzog und den dschihadistischen Kämpfern von Hayat Tahrir asch-Scham (HTS) unter Abu Mohammed al-Dschoulani das Feld überließ. Mit syrischer Souveränität dürfte es fürs Erste vorbei sein.
Dem NATO-Mitglied Türkei wurde gestattet, den Norden des Landes zu besetzen, um dort die Kurden kontrollieren und endlich die in der Türkei so unbeliebten syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückschicken zu können.
Russland wurden Sicherheitsgarantien für seine für diplomatischen Vertretungen und Militärstützpunkte zugesichert. Über den weiteren Verbleib des russischen Militärs in Syrien soll eine neue syrische Regierung entscheiden, sollte sie jemals eingesetzt oder gewählt werden. 2017 hatte Damaskus die Stationierung russischer Streitkräfte für die Dauer von 49 Jahren zugesagt.
In Libyen stehen die Warnzeichen auf Rot
Schon am 4. Dezember hatte die italienische Website ItamilRadar gemeldet, dass russische Seestreitkräfte gesichtet wurden, als sie den syrischen Hafen von Tartus in Richtung des libyschen Hafens Tobruk verließen. Inzwischen sollen im östlichen Libyen auch Teile der Streitkräfte von Bashar al-Assad mit Hilfe der russischen Luftwaffe in die libyschen Militärstützpunkte al-Dschufra und Brak asch-Schati ausgeflogen worden sein.
Es stehen sich russisches Militär im östlichen und türkisches Militär im westlichen Libyen auf den jeweils von ihnen besetzten Stützpunkten gegenüber. Russland dürfte sein militärischer Stiefel in Libyen inzwischen wichtiger sein als der in Syrien, da das östliche Libyen den Zugang zu den Sahelstaaten garantiert, die gerade auf Russland umgeschwenkt sind und Unterstützung benötigen. In Libyen selbst bemühen sich vor allem die Kräfte um Saif al-Islam Gaddafi, Libyen nicht zum Aufmarschgebiet für Stellvertreterkriegewerden zu lassen, die Souveränität wiederzuerlangen und das Land aus diesen Großmachtkonflikten herauszuhalten.
Dies dürfte sich schwierig gestalten, da in Libyen verschiedene pro-türkische Milizen aktiv sind, die seit 2011 massiv von der Türkei und Katar ausgebildet und bewaffnet werden. Ankara schickt seit 2020 syrische Söldner und sogar Dschihadisten aus Somalia nach Libyen. Laut einem mit der Tripolis-‚Regierung‘ ausgehandeltem Abkommen steht der Türkei „unbegrenzter Zugang zum libyschen Luftraum und den Hoheitsgewässern“ zu und seine Militärkräfte genießen Rechtsschutz für „jede Straftat, die in Ausübung ihrer Amtspflichten oder im Rahmen ihrer Tätigkeit begangen wird“.
Am 6. Dezember wurde bekannt, dass die Tripolis-„Regierung“ im westlichen Libyen den militärischen Zweig der Hayat Tahrir asch-Scham über die Türkei mit zwanzig Millionen US-Dollar finanziell unterstützte. Daneben fand in der Türkei ein Treffen zwischen den Führern der Libyschen Kampfgruppe (LIFG) und dem Schura-Rat von Bengasi, beides radikal-islamistische Gruppierungen, statt, das zur Vorbereitung einer Wiederholung des Aleppo-Szenarios in den ostlibyschen Gebieten, speziell in den Städten Adschdabiya und Bengasi, dienen sollte.
USA und Russland
Auch wenn die USA den Eindruck erwecken wollen, darf die Vorstellung, dass die USA bei den Vorgängen in Syrien nur eine Zuschauerrollen spielen, getrost ins Land der Illusionen verwiesen werden. „Leading from behind“, dies bedeutet, die Entscheidungsträger halten sich bedeckt im Hintergrund. Im Augenblick ist dies nicht schwierig, denn der noch amtierende Präsidenten Biden ist dement und somit nicht mehr schuldfähig, der designierte Präsident Trump noch nicht im Amt und kann somit für nichts, was vor seiner Zeit passierte, verantwortlich gemacht werden.
Die USA erscheinen führerlos. Doch dieser Schein trügt, denn die Fäden werden hinter den Kulissen gezogen. Zwischen der neuen Trump-Administration und den beteiligten Mächten liefen und laufen die Gesprächskanäle heiß.
Trump möchte Kriege beenden, bevor er seine Präsidentschaft antritt, und er möchte die us-amerikanischen Truppen, die die syrischen Ölquellen besetzt halten, abziehen. Die durch den Abzug entstehende militärische Leerstelle soll der NATO-Staat Türkei füllen. Der jetzige US-Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte, dass die USA je nach Bedarf handeln werden, um einen erneuten Aufstieg des IS zu verhindern. Das Pentagon ließ in den letzten Tagen Flugzeuge mit Truppen, Waffen und Munition auf den US-kontrollierten Flughafen beim syrischen Ölfeld Rumeilan einfliegen. Auch die US-Truppenstärke auf der US-Militärbasis at- Tanf im Dreiländereck Syrien, Irak, Jordanien wurde aufgestockt.
Neue Waffenbrüder: wenn Israel auf Dschihadisten trifft
Es erscheint fast schon belustigend, dass ausgerechnet Israel mit der dschihadistischen Gruppe Hayat Tahrir asch-Scham unter Führung der Türkei gegen das bisher säkulare Syrien gemeinsame Sache macht. Hier sei die Frage erlaubt, wieso Hayat Tahrir asch-Scham nicht auf Seiten der Palästinenser, sondern der USA, Türkei und Israels gegen Syrien kämpft, das ein wichtiger Unterstützer der palästinensischen Sache war. Die Türkei annektiert im Norden und Israel im Süden syrisches Staatsgebiet. Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu erklärte, dass israelische Streitkräfte eine Pufferzone auf den syrischen Golan-Höhen besetzt haben.
Der israelische Rundfunk ließ wissen, dass eine israelische Razzia in Waffen- und Rüstungsdepots am Mezzeh-Militärflughafen in Damaskus durchgeführt wurde. Zuletzt wurde gemeldet, dass israelische Kampfflugzeuge in ganz Syrien Militäreinrichtungen bombardieren, damit sie nicht in die Hände von Dschihadisten fallen. Und es müssen die russischen Militärgüter vernichtet werden, um Platz zu schaffen für us-amerikanische Waffen. Der militärisch-industrielle Komplex wird es danken.
Syrien droht, ein ähnliches Schicksal wie Libyen zu erleiden, sprich Milizenherrschaft und die Spaltung des Landes. Es besteht noch ein wenig Hoffnung, dass es nicht ganz so schlimm kommt, denn im Gegensatz zu Libyen wurden in Syrien die staatlichen Verwaltungs- und Sicherheitssysteme nicht zerschlagen und die meisten von Assads Minister sind noch im Amt.
In Anbetracht der Erfahrungen während der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft dürfte das Erstarken des türkischen Sultans Erdogan die arabischen Länder nicht wirklich erfreuen. Allerdings unterstützten die Golfstaaten die Dschihadisten, und wie schon beim Sturz der irakischen und libyschen Herrscher schweigen die arabischen Machthaber auch beim Sturz des syrischen Präsidenten Assad. Oberst Muammar al-Gaddafi hatte sich von ihnen zutiefst enttäuscht gezeigt, als er 2008 auf dem Gipfel der Arabischen Liga in Damaskus über die Lage im Irak sprach:
„Die gesamte Führung eines arabischen Staates ist gehängt worden. Und wir sitzen hier und tun nichts. Wie lange noch? Jeder von euch könnte der Nächste sein!“
Nun, sie taten auch nichts, als Muammar Gaddafi brutal ermordet wurde, und auch jetzt herrscht lautes Schweigen. Die arabischen Herrscher sehen sich mehr den USA als ihren eigenen Brüdern verpflichtet.
Russland setzt Prioritäten — Assad verlässt das Land
Russland wollte nicht in die Falle tappen, seine militärischen Kräfte zu zersplittern, sondern will seine Anstrengungen auf die Ukraine und den dortigen Stellvertreterkrieg mit der NATO fokussieren. Die USA und die Türkei würden gerne eine zweite Front gegen Russland eröffnen, um einen Teil der Kräfte der russischen Streitkräfte vom Krieg in der Ukraine abzuziehen, um das stark unter Druck stehende Kiew zu entlasten. Berichten zufolge befinden sich bereits seit Juni 2024 Kämpfer aus der Ukraine in Syrien, um an der Seite der Dschihadisten Russlands dortige Position zu schwächen.
Eine Bedingung für den Sturz der Assad-Herrschaft dürfte die Garantie für die sichere Ausreise der Familie Assad nach Moskau gewesen sein, um dem syrischen Präsidenten das Schicksal von Saddam Hussein im Irak und Oberst Muammar al-Gaddafi in Libyen zu ersparen.
Von weiten Teilen der syrischen Bevölkerung wird die Flucht von Assad, dessen sang- und klangloses Abtauchen nach Russland, als Verrat am syrischen Volk gewertet. Viele hatten dem syrischen Regime trotz widrigster Lebensumstände bis zum Schluss die Treue gehalten und am Ende waren sie Assad nicht einmal ein paar tröstende Abschiedsworte wert, gerade jetzt, in dieser schweren Stunde, wo sich viele vor der Rache der Islamisten fürchten und nicht wissen, wie sich die Lage entwickeln wird.
Achse des Widerstands gebrochen
Ebenso wenig wie der Kreml war auch der Iran nicht bereit, sich in Syrien auf einen Krieg mit dem Westen einzulassen. Als Zuckerl für den Iran diente wohl die in Aussicht gestellte Aufhebung einiger Sanktionen. Daneben zeigt sich der Iran sowohl politisch als auch militärisch geschwächt. Bereits der ominöse Hubschrauberabsturz seines damaligen Außenministers Amir-Abdollahian im Mai diesen Jahres war ein schwerer Schlag. Es folgte die Ermordung des Hamas-Führers Ismail Hanija mitten in Teheran, danach die israelische Bombardierungen iranischer Streitkräfte sowie der iranischen Botschaft in Syrien.
Daneben gab es Verrat in den eigenen Reihen, ohne den die Ermittlung der Standorte der wichtigsten Führungspersönlichkeiten von Hamas und Hisbollah zwecks Ermordung nicht möglich gewesen wäre. Dazu kam die militärische Schwächung der Hisbollah durch die Pager-Explosionen und die gnadenlose Bombardierung der Zivilbevölkerung. Insgesamt wurde die sich auch weiterentwickelte militärische und geheimdienstliche Stärke Israels unterschätzt.
Die Achse des Widerstands von Iran über Irak, Jemen, Syrien und den Libanon bis Palästina ist gebrochen.
Israel — Palästina
Für die Palästinenser kann dies alles nichts Gutes bedeuten. Es wurde schon am 24. Oktober über die Einigung zwischen der im Gazastreifen herrschenden Hamas und der im Westjordanland Ton angebenden Fatah berichtet. Dabei wurde eine Übereinkunft über die Bildung einer gemeinsamen Regierung der nationalen Einheit über den Trümmerhaufen Gaza erzielt. Diese Regierung soll nach dem Ende des Gaza-Kriegs eingesetzt werden. Mit Sicherheit wird Israel die militärische Kontrolle über Gaza und dessen Grenzen nicht aufgeben.
Es wird weiterhin eine Zwei-Staaten-Lösung gefordert werden, die niemals kommen wird. Israel wird sein Staatsgebiet, das übrigens keine Grenzen hat, weiter ausweiten. Für die arabischen Bewohner wird es keine vollen Staatsbürgerrechte geben, das heißt, Israel wird noch mehr zu einem Apartheitsregime verkommen, das aber auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten sein wird.
Wann endlich ein echter demokratischer Staat mit gleichen Rechten für Menschen aller Ethnien und Religionen in Palästina entstehen wird, mag im Moment niemand voraussagen.
Allerdings sieht man an den neuesten Entwicklungen, wie schnell sich der Wind drehen kann und völlig neue Konstellationen entstehen. Global Bridge schreibt:
„Iran, Irak, Syrien, Libanon, Jemen und Gaza kämpfen um ihr Recht auf staatliche Souveränität und Unabhängigkeit. Damit ihre Länder sich frei und ohne Einmischung entwickeln können, wie es in der UN-Charta für alle Staaten ‚ob groß oder klein‘ vorgesehen ist.“
Dieser Aufzählung könnte man noch eine ganze Reihe anderer Länder hinzufügen, genannt seien nur Libyen oder in Europa jene Länder, denen gerade Wahlen gestohlen werden, wie Frankreich und Rumänien.
Und die Börsen jubeln
Das Börsenbarometer zeigte am Vormittag des 9. Dezembers 2024 den neuen Höchststand von über 20.400 Punkten. Nach den Pandemien sind es die Kriege, mit deren Hilfe immer weiter Geld über Rüstungskonzerne in die Schuldenblase gepumpt wird, damit die Finanzmärkte vor dem Absturz bewahrt bleiben. Dazu werden die Kassen der überfallenen Länder in bester Raubrittermanier geplündert. 2011 traf es Libyen, wo seitdem die Türkei von der Tripolis-Regierung durch Geldüberweisungen, Industrieaufträge und Anteile am Erdölgeschäft gestützt wird.
Die einst von Gaddafi im Ausland angelegten Gelder wurden eingefroren und mit deren Erträgen Waffenkäufe und Milizen finanziert. Das gleiche Schicksal traf Russland 2022 nach seinem Einmarsch in die Ukraine. Und auch jetzt zirkulieren Videos, die zeigen, wie von den Milizionären Säcke voller Geld aus der Syrischen Zentralbank herausgeschafft, in Limousinen gepackt und weggefahren werden. Schon vorher hatten die USA die syrischen Erdölfelder besetzt und das Erdöl ins benachbarte Ausland verkauft. So finanzieren die überfallenen Länder selbst den Krieg gegen sich. Bekanntlich konnten aber auch die Raubzüge den Untergang des Rittertums nicht aufhalten, denn die Welt hatte sich gewandelt.
Die praktisch wertlose Türkische Lira und der US-Dollar sind mittels Druckmaschinen geschaffene Luftnummern, deren Wert nur noch künstlich am Leben gehalten wird. Der von Fabio Vighi (COVID-19 und die Pandemie als Amoklauf des Finanzkapitals, 2024) beschriebene Krisenkapitalismus wird versuchen, sein absurdes Finanzsystem mittels Pandemien, Kriegen und Raubzügen immer noch weiter aufzublähen, um das unvermeidbare Platzen der „größten Schulden-Hyperblase der Geschichte“ hinauszuzögern.
Dieses Finanzsystem muss solange am Laufen gehalten werden, bis die Herrschenden die Bevölkerungen mittels Totalüberwachung und Digitalgeld ihrer unentrinnbaren Kontrolle unterworfen haben, damit sie sich beim Zusammenbruch nicht erheben kann und jeder Widerstand gegen die Verarmung sinnlos erscheint.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch Länder wie China oder Russland nicht daran interessiert sind, dass Finanzsystem kollabieren zu lassen, denn dies würde die eigene Wirtschaft schwer beschädigen.
Symbole und Spiele
Es mag Zufall sein, dass die Wiedereröffnung von Notre Dame in Paris mit internationaler Politikprominenz, darunter Donald Trump, genau an dem Abend stattfand, an dem Assad gestürzt und Damaskus eingenommen wurde. Eine nette kleine Symbolik für den Triumpf des christlichen Abendlandes über die restliche Welt. Doch auch wenn für Russland und Iran der Imageschaden beträchtlich ist und auf dem globalen Spielfeld einige Bauern verloren sowie ein Turm eingebüßt wurde, handelt es sich doch nur um einen strategischen Rückzug. Das „Spiel“ geht weiter.
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.