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So geht Frieden

So geht Frieden

Wenn jeder so leben kann, wie er leben mag, und die anderen ihn auch lassen, braucht es keine Kriege zu geben — Karsten Troyke weiß davon ein Lied zu singen.

Jeder soll auch lieben, wen er lieben mag,
jeder Kuss für jeden, der ihn will!
Jeden Augenblick beginnt ein neuer Tag,
so ist das Leben, manchmal laut und manchmal still.

Ich will ein Pazifist sein. Und ich weiß, ich werde das nie vollständig sein — in dem Sinne, dass ich, seit ich denken kann, wusste: Auschwitz hätte sich nicht allein befreien können.

Ich habe auch öfter das — ursprünglich französische — Lied vom Partisanen (The Partisan), bekannt durch die Version von Leonard Cohen, gesungen. Anders als Joan Baez, die inzwischen Selenskyj mit Sonnenblumen malt, habe ich da aber nicht eine entscheidende Zeile ausgewechselt. Aus „I took my gun and vanished“ (Ich nahm meine Waffe und verschwand) machte sie „Into the hills I’ve vanished“ (Ich verschwand in den Bergen). Ohne Gewehr, was für einen Partisanen keinen Sinn ergibt.

Ich lebe auch ohne Gewehr und ehre doch die Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg. Und nach dem unsäglichen Abschlachten im Süden Israels an jungen internationalen Partytänzern, sozialistischen Kibbuz-Familien und eigentlich jedem, der da zur schrecklichen Zeit am falschen Ort war, will ich auch, dass die verbliebenen Geiseln befreit werden. Natürlich habe ich sehr bald die Zerstörungen in Gaza gesehen, die überall gedruckten, von Hamas-Politikern mitgeteilten, Zahlen der Toten. Mein Freund im Geiste, Eric Angerer, konnte seine Hintergrundtexte zum Thema auch bei alternativen Medien nicht mehr bringen, dann aber schließlich doch bei der „Achse des Guten“, weil der größte Teil der Welt sich entschieden zu haben scheint: Israel ist der Kindermörder. So viele sehen Parallelen zum Ukraine-Krieg, es wird vermutet, der Deep State braucht das Zündeln und überhaupt stammt die Hamas ja vom Mossad.

Ich sehe auch Parallelen, und zwar aus pazifistischer Sicht: Wenn Menschen leben, arbeiten, was produzieren und sie miteinander kooperieren, kehrt Frieden ein. Wenn aber ein Gebiet wie der Donbas, acht Jahre lang beschossen wird, gibt es irgendwann eine Reaktion. Aus Gaza flogen die Raketen schon seit 2006 und wir haben schlimme Schläge und Gegenschläge gesehen in den Jahren. Trotzdem konnten Arbeiter aus Gaza zu ruhigeren Zeiten in den nahe gelegenen Kibbuzim in Israel arbeiten und es gab menschliche Beziehungen. Das ist jetzt vorbei, aber es muss und wird wieder so werden — wenn Frieden herrscht.

Wo fängt Propaganda an, was ist der Unterschied zwischen Feinden, die dauernd sagen und schreiben, dass sie dir den Tod wünschen, und propagandistisch geschaffenen Feindbildern, von denen behauptet wird, dass sie dir den Tod bringen wollen?

Wie unterstütze ich den Friedensgedanken in der Welt und ab wann lasse ich alles mit mir machen „um des lieben Friedens willen“? Ich weiß es nicht wirklich, es muss von Tag zu Tag neu angeschaut werden.

Ich muss mich entschuldigen, dass ich gleich am Anfang so abgeschweift bin, denn eigentlich sind wir hier gebeten, ein eigenes Friedenslied zu präsentieren. Ich habe meines ja auch die ganze Zeit im Kopf:

Und auch die Kinder sind wieder frei,
zu atmen, zu wachsen, zu denken, zu schrein.
Die alten Leute sind mit dabei:
zu tanzen, zu lachen, zu erzähln, zu sein
und dann wird Frieden sein.

Das erscheint mir heute so einfach, so eine Minimalforderung, aber als sich im Jahr 2020 herausstellte, dass buchstäblich jede hier erwähnte Tätigkeit mit einer einzigen (Gesundheits-)Verordnung von jetzt auf gleich außer Kraft gesetzt werden konnte, war ich gelinde gesagt erstaunt und dann von Woche zu Woche mehr geschockt. Ich hatte die 1990er Jahre geliebt, dafür, dass Berlin irgendwann doch eine Weltstadt wurde, dass jede Art von Beisammensein, jede Art von Party, Theater, Literatur und Publizistik möglich war — oder möglich zu sein schien. Ich glaubte auch Wolf Biermann — mit leichtem Zweifel—, als er in etwa mal sagte: Die Demokratie, also die demokratischen Staaten, bringen ganz nebenbei den Frieden mit sich, weil der freie Handel miteinander und die Gewaltenteilung bewirken, dass sie nie gegeneinander kämpfen. Jedenfalls fragte ich mich erfreut: Kann das sein? Das ist ja super.

Mir fiel natürlich ein, dass es ja Stellvertreterkriege gab und, langsam, eigentlich ziemlich spät, wurde mir klar, dass die arabischen Gesellschaften sicher nicht nur aus sich heraus in Chaos oder Islamismus abglitten. Die 2000er Jahre brachten mit 9/11, Sars 1, Krieg gegen den Terror und so weiter, immer bedrohlichere Nachrichten. Aber, solange ich singen konnte, was und wann und — fast — wo ich wollte, war ich doch meist zufrieden als ehemaliger Ossi im schönen Westen. Ich dachte auch:

Jeder soll so leben, wie er leben mag,
jede Macht für jeden — über sich!

Und ich dachte: So ist es doch — bis 2020. Dann schrieb ich es als Lied auf und 2022 habe ich angefangen, es auf Demos zu singen. Denn ich dachte inzwischen: So ist es ja eben nicht! Der Text ging dann so weiter:

Wer uns das verbietet, fühlt sich heute stark
und, ja, auch der wird bald verschwinden sicherlich.
Jeder kann auch wissen, es ist nur die Angst,
die geschürt wird von der Politik.
Alles nur damit du nicht zuviel verlangst,
aber so kriegst du dein Leben nicht zurück!
Keine Polizei darf in die Wohnung rein,
wenn dem Staat deine Meinung nicht gefällt.
Was du sagt und denkst gehört nur dir allein
und alles andre ist ein Fehler dieser Welt.

Gerade an der Gethsemane-Kirche in Berlin Prenzlauer Berg und auf den Friedensfesten im Mauerpark fühlte ich mit den vielen anderen Kollegen und der Stimmung eine Kraft, die Mut in dieser seltsamen Mikrobenzeit gab — die ja nicht wirklich vorbei ist.

Und inzwischen dürfte sich langsam herumgesprochen haben, dass Gewalt nie von unserer Seite ausging. Oder es hat sich auch immer noch nicht herumgesprochen, denn: Wo fängt Propaganda an?

Selbst innerhalb der so unterschiedlichen Friedens- und Freiheitsbewegung gab es verschiedene Anwürfe: Ihr macht ja nur Party, das ist doch kein Widerstand! Ich habe es immer gut und richtig gefunden, dass „Captain Future“ dem hybriden Krieg gegen die Menschen mit dem Motto und dem Lied von Henning Wehland „Tanz um dein Leben“ etwas entgegenzusetzen wusste. Der Teufel mag keine glücklichen Menschen. Und meine Live-Auftritte sollten auch dieses Gefühl bringen. Nach einem „Free Assange Konzert“ bei Rostock sendete das eigentlich befreundete „Radio Marabu“ am nächsten Morgen einen starken Verriss zu den Liedern und Ideen meines Kollegen Lui Koray von der Momo-Bewegung und besonders auch zu mir. Das hier vorgestellte Lied wäre billig, im 4/4-Takt, also ein Marsch wie zur Animierung der Wehrmacht, appelliere an die niedrigen Instinkte, weil zum Mitklatschen und so weiter. Der Gedanke „Jeder soll so leben, wie er leben mag“ würde grundfalsch sein und wäre in der DDR — wo es angeblich nur hohe Qualitätsstandards gab — zu Recht durchgefallen. Na denn, Prost!

Was es alles so gibt für Gedanken in der Szene und in der Welt… ich finde das interessant, solange keiner zuviel Macht hat. Schon das bloße Erscheinen auf einer Ankündigung zu einem Friedensfest oder zum Ostermarsch hat mir auf der offiziellen Seite manchen Auftritt verhindert, was nicht so schlimm war, denn Vieles ist mir zu viel gewesen in den letzten vier Jahren. Aber da kann man mal sehen, was für Wirkungen so ein kleines Liedchen hat. Der Refrain ist wirklich sehr einfach, ohne Worte, zum gemeinsam Singen. Sängerkollege El Alemán sagte dazu: Du singst in den Strophen was gegen Polizei und Politik und dann machst du eine lange Nase mit dem La-La-Refrain … Aber gerne doch!

Jeder soll auch singen, wenn er singen mag,
alle unsre Träume sind dann wahr!
Wenn ich heut nach Liebe, Glück und Frieden frag,
ja, dann bin ich nicht alleine, ist ja klar!


Karsten Troyke: Jeder soll so leben, wie er leben mag (No Lockdown Song)

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