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Schweres Seelengepäck

Schweres Seelengepäck

Neben Angststörungen und Burn-out sind Depressionen die am weitesten verbreiteten seelischen Volkskrankheiten — leider haben sich viele schon damit abgefunden. Teil 1 von 2.

Äußerlich betrachtet

Am 27. Januar 2025 veröffentlichte die Zeitung Trierischer Volksfreund (TV) eine Auseinandersetzung mit dem Thema Depression unter dem Titel „Plötzlich ging nichts mehr. Wie eine Studentin lernte, mit der Depression zu leben“. Dass nun schon Regionalblätter sich des Themas annehmen, verdeutlicht das Ausmaß, das seelische Belastungen und Erkrankungen in der deutschen Bevölkerung inzwischen erreicht haben. Der Titel verdeutlicht aber auch, wie man sich den Umgang mit der Depression vorstellt. Man soll lernen, mit ihr zu leben.

Ursachenforschung steht nicht im Vordergrund, ebenso wenig wie die Frage nach der Überwindung der Depression. Vielmehr steht der Beitrag für einen oberflächlichen Umgang mit dieser Erscheinung. Er beschränkt sich weitgehend nur auf eine, wenn auch die deutlichste Erscheinungsform der Depression, die Niedergeschlagenheit, die seelische Erschöpfung. Eine andere wird nicht erwähnt, vielleicht auch nicht wahrgenommen: Das ist die rastlose Umtriebigkeit, die innere Getriebenheit. Hier ist der Zusammenhang weniger offensichtlich.

Bei solchen Verhaltensweisen ist die Depression nicht mehr zu erkennen, und das ist auch ihr Sinn:

Der Kontakt zur eigenen Depression wird durch die Umtriebigkeit, die rastlose Aktivität unterbunden. Ein solches Verhalten wird der gesellschaftlichen Aufforderung und Anforderung gerecht, immer gut „drauf“ zu sein, und damit erlangt der Depressive gesellschaftliche Anerkennung.

Dabei ist die Depression eigentlich ein Hinweis auf Tieferes, Grundsätzliches, das im Argen liegt.

In dem Beitrag kommt selbstverständlich auch der unvermeidliche Experte zu Wort, der aber nichts weiter dazu beiträgt, als Erscheinungen aufzuzählen und zu beschreiben sowie Tipps für den Umgang mit der Depression zu geben. Eine tiefer gehende Betrachtung oder Erklärung der Erkrankung findet nicht statt und wird nicht in Ansätzen versucht. Das aber wäre gerade die Aufgabe eines Experten.

Ob das den Stand der Wissenschaft widerspiegelt oder den Anspruch des Artikels, kann hier nicht festgestellt werden. Die Gesellschaft scheint sich mit der Depression abzufinden. Der Artikel wirkt eher, als suche man einen Weg, wie sie in die Gesellschaft verträglich eingefügt werden kann. Dazu gibt man Ratschläge und Hilfsangebote, was fürs erste sicherlich für viele Betroffene hilfreich ist.

Weitgehend oberflächliche Betrachtung

Trotzdem hätte eine Auseinandersetzung mit den Hintergründen von Depressionen sicherlich keinen Schaden angerichtet. Vielleicht wäre ein Hinweis auf seelische Verwerfungen unterhalb der Schwelle des äußerlich Erkennbaren für viele Betroffene hilfreicher gewesen als nur die weitgehend oberflächliche Betrachtung. Zu befürchten aber ist, dass angesichts der Verödung der analytischen Fähigkeiten und der Betonung von Äußerlichkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Thema die vorliegende Darstellung in weiten Teilen dem Erkenntnisstand entspricht.

Dabei ist Depression keine Krankheit, die die Betroffenen anfliegt wie ein grippaler Infekt. Sie hat eine Vorgeschichte. Diese besteht in einer Anhäufung von Ansichten, Erklärungen und Theorien zu riesigen Gedankengebäuden, die in der Vergangenheit entstanden sind, deren Zustandekommen die Betroffenen aber weitgehend nicht mehr nachvollziehen können.

Im Beitrag des Trierischen Volksfreund wird das Beispiel einer jungen Frau vorgestellt, die von einem „nicht enden wollenden Gedankenkarussell“ spricht. Der Vorlauf, die Entwicklung dorthin wird nicht thematisiert. Stattdessen wird festgestellt: „Im Jugendalter werden zum ersten Mal erstmals schwere chronische Depressionen bei ihr diagnostiziert“. Das deutet zwar auf eine längere Entwicklung hin, aber deren Bedeutung wird nicht weiter besprochen.

Vorgeschichte

Die meisten Kleinkinder, die morgens zum Kindergarten gebracht werden, tragen einen kleinen Rucksack mit sich. Darin haben die Mütter verstaut, was die Kleinen nach ihrer Meinung für die Dauer des Aufenthalts brauchen. Diese Rucksäcke sollen hier nicht nur für den Kindergartenaufenthalt stehen, sondern im übertragenen Sinne auch für das Päckchen, das sie mit in ihr Leben nehmen. Diese Rucksäcke sind für den Kindergarten wie auch für den Weg ins Leben unterschiedlich stark gefüllt, das Päckchen also verschieden schwer und unterschiedlich belastend.

Anfangs befüllen die Kinder diesen Rucksack nicht selbst. Das übernehmen die Erwachsenen, meist die Mütter. Sie legen hinein, was nach ihren Erfahrungen wichtig ist. Je älter aber die Kinder werden, umso mehr nehmen auch sie Einfluss auf dessen Inhalt. Für den Kindergarten geht es um Apfel oder Banane, im übertragenen Sinne aber, dass sie zunehmend eigene Vorstellungen haben von dem, was für sie wichtig ist. Sie tragen mit dazu bei, was in ihren Rucksack hineinkommt.

Wie im richtigen Leben wird dieser im Laufe der Zeit größer und schwerer. Wenn die Kinder in die Schule gehen, enthält er schon mehr. Im Schulranzen ist nun das Schulmaterial, in dem anderen auch selbst gesammelte Erfahrungen ihres bisher kurzen Lebens. Manches von dem, was nun in den Rucksack kommt, ist den Eltern entgangen, kam hinein ohne ihr Zutun. Ziehen die Kinder aus dem Elternhaus aus, sind beide Rucksäcke prall gefüllt mit den eigenen persönlichen Gegenständen wie auch mit eigenen, selbst erworbenen Ansichten und Erkenntnissen.

Als Erwachsene kommen die Kinder gelegentlich wieder zu Besuch ins Elternhaus. Manchmal bringen sie Rucksäcke mit ihrer schmutzigen Wäsche im doppelten Sinne mit. Die Leibwäsche kann gewaschen werden, mit der schmutzigen Wäsche der Seele ist das schwieriger. Vieles ist verbunden mit Vorwürfen, auf die fast alle Kinder beziehungsweise Jugendlichen mit Abwehr oder Rechtfertigungen reagieren. Gelingt es, einen Gesprächsstil zu finden, der Aufarbeitung ermöglicht — für beide Seiten? Denn die Sicht von Eltern und Kindern auf die Geschehnisse der Vergangenheit ist unterschiedlich.

Die Eltern können helfen durch ihre Bereitschaft, zuzuhören und die Aufarbeitung ernst zu nehmen. Aber tragen müssen die Kinder ihre Rucksäcke selbst, da kommen sie nicht drum herum. Vorwürfe gegenüber den Eltern erleichtern diese Last nicht. Und dennoch ist es Aufgabe der Eltern, an der Aufarbeitung mitzuwirken. Wenn sie auch auf die späteren Entwicklungen in der Gedankenwelt ihrer Kinder immer weniger Einfluss hatten, so haben dennoch sie die Grundlagen gelegt. Der Zugang zu diesen ist für die Kinder ohne die Mithilfe der Eltern schwierig.

Rucksäcke werden im richtigen Leben auf dem Rücken getragen. Damit befinden sie sich nicht gerade im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit, wenn sie nicht allzu sehr drücken. Wenn die Last erträglich ist, achten wir nicht zu sehr darauf, ob sie unnötigen Ballast enthalten. Das gilt auch für den Rucksack unserer Seele, unser Päckchen also.

Unter den Anforderungen des Alltags denken wir selten daran nachzusehen, wie viel Überflüssiges, Unbrauchbares, gar Verdorbenes sich inzwischen darin angesammelt hat. Bis dann die Situation eintritt, wo seine Last unerträglich wird.

Unter der zunehmenden Schwere der Last gehen viele Betroffene in die Knie. Sie sind erschöpft, haben keine Kraft mehr, die Seelenlast weiterhin zu tragen. Sie können ihr bisheriges Leben nicht weiter aufrechterhalten. Alles wird ihnen zu viel. Es fällt immer schwerer, gut drauf zu sein und die Erwartungen des Umfelds zu erfüllen. Schwere und Antriebslosigkeit machen sich breit.

Die Betroffenen fühlen sich oft machtlos gegenüber der Krankheit, die über Jahre in ihnen gewachsen ist. Diese zunehmende Last haben sie jahrelang nicht wahrgenommen oder nicht wahr haben wollen, bis es nicht mehr ging. Bis die Krankheit selbst aller Nichtbeachtung des eigenen Seelenzustands ein Ende setzte in der Erschöpfung, die ein Weiter-so-wie-bisher nicht mehr zuließ.

Ursachenforschung

Die Entkräftung zwingt zum Rückzug und im günstigen Falle zur Auseinandersetzung mit sich selbst. Was jahrelang vermieden wurde, fordert die Seele nun ein: Die Auseinandersetzung mit den eigenen inneren Zuständen. Das ist für viele eine große Herausforderung und eine ungewohnte Anforderung. Denn sie haben das bisher nie für notwendig erachtet. Depressiv waren meistens die anderen. Viele verstehen nicht, was mit ihnen geschehen ist und wie es dazu kommen konnte.

Bisher war doch immer alles bestens und wenn nicht, dann hat man immer etwas gefunden, womit man sich motivieren oder zumindest seelisch über Wasser halten konnte: Urlaub, neues Auto, neue Wohnung, neue Partner. Es fehlte doch bisher an nichts, zumindest an nichts Materiellem, und wenn man dann doch einmal niedergeschlagen war, half es oft, sich Glück und Zufriedenheit zu erkaufen. Nun aber nun hilft all das auf einmal nicht mehr.

Gelegentlich beginnt dann die Ursachenforschung. Die aber fällt oft schwer, weil man über so lange Zeit Hinweise nicht ernst genommen hat, sie auch nicht als Fingerzeige auf ältere, tiefer liegende Probleme erkannte. Wer sollte sie auch als solche verstehen, wenn man sich keiner seelischen Belastungen bewusst ist?

Wo sollte ein Problem vorliegen, wenn sich keine Erinnerungen an einschneidende Erlebnisse aus der Vergangenheit aufdrängen? Nun aber beginnt etwas, sich Gehör zu verschaffen und aus der Tiefe der eigenen Seele an die Oberfläche der Wahrnehmung aufzusteigen, von dem man nicht weiß, was es ist.

In den meisten Fällen liegen die Ursachen der Depressionen des Erwachsenenalters im Nebel der Vergangenheit, auch wenn keine erschütternden Ereignisse erkennbar sind. Das ist nicht verwunderlich, denn die ersten Jahre der Kindheit verlaufen weitgehend unbewusst. Die Fähigkeit, Ereignisse zu überdenken und einzuordnen, zu reflektieren, entwickelt sich erst langsam. Das macht es umso schwerer, den Ursprüngen auf die Spur zu kommen. In der ersten Zeit seines Lebens ist das Kind mehr oder weniger Objekt, das hilflos und handlungsunfähig auf die Anteilnahme und Fürsorge seiner Umgebung angewiesen ist.

Es hat Bedürfnisse, die ihm der Körper vorgibt. Aber es ist nicht einmal in der Lage, diese zu kontrollieren, und schon gar nicht, sie selbst zu befriedigen. Noch nicht einmal bewusst ist es sich dieser Bedürfnisse. Sie schreien aus ihm heraus, wenn der Hunger zu groß wird oder andere Maßnahmen seiner Umgebung erforderlich sind, um das kleine Leben zu schützen. Prägend für das weitere Leben ist dann, wie seine Umgebung mit diesen Bedürfnissen umgeht. Dieser lässt ein Grundgefühl entstehen, das aber nicht erklärt werden kann und schon gar nicht im frühkindlichen Alter. Denn das Ausdrucksmittel Sprache steht noch nicht zur Verfügung.

Das sind die materiellen Grundlagen frühkindlicher Entwicklung. Sie sind die Voraussetzungen und Gegebenheiten, sie haben bedeutenden Einfluss auf den weiteren Verlauf. Selbst seine kleine Welt nimmt ein Kind noch nicht bewusst wahr. Es selbst versteht nicht, was geschieht, warum etwas geschieht und warum etwas nicht geschieht beziehungsweise unterlassen bleibt. All das entzieht sich einer intellektuellen Verarbeitung, weil diese Fähigkeit noch nicht entwickelt ist. Es nimmt wahr, lernt aber erst später, Erlebtes einzuordnen und zu deuten. Dabei verschwindet vieles aus der Erinnerung. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Spuren hinterlassen hat.


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