Es ist Dienstagabend. Ich sitze vor meinem Rechner und versuche, krampfhaft meiner momentanen Ratlosigkeit Ausdruck zu verleihen. Ich habe Kopfhörer auf. Es läuft „Maxcence Cyrin — Where is my mind“. Es sind sehr bewegende Klänge, die mich nachdenklich stimmen.
Gerade erlebte ich eine digitale Konversation mit einem Menschen, der mir einmal viel bedeutete. Nicht, dass es das erste Gespräch wäre mit einer Person, die mir mal nahestand, aber ich fühle gerade das buchstäblich überlaufende Fass am eigenen Leib. Der eine Tropfen, der einfach zu viel war, um ihn der Akzeptanz zu überlassen. Auch zehn Minuten später spüre ich noch immer den Schmerz in meiner Brust, der mich einfach nicht ruhen lassen will.
Mir wird in diesem Moment bewusst, dass es keinerlei gesittete Möglichkeit mehr zu geben scheint, den jeweils Andersdenkenden noch zu erreichen. Hier endet es einfach. Der Spalt ist zu tief. Selbst Menschen, die man einmal wirklich nah an sich rangelassen hat, sind mittlerweile so fremd geworden, dass Gefühle emporsteigen, die man in der Vergangenheit niemals für möglich gehalten hätte. Ich sitze fassungslos vor meinem Bildschirm und weiß weder ein noch aus. Ich drehe den Lautstärkeregler nach oben.
Wie herauskommen aus diesem Teufelskreis der düsteren Gedanken? Ich schaue auf die Uhr und realisiere, es ist schon viel zu spät, um weiterzuschreiben. Ich muss am nächsten Tag wieder arbeiten. Malochen für eine Branche, von der ich nicht weiß, ob es sie nächstes Jahr überhaupt noch gibt oder ob ich als Ungeimpfter demnächst noch arbeiten darf. Gerade lese ich eine Schlagzeile: „Wird starke Einschränkungen für Ungeimpfte geben“. Sie berührt mich nicht einmal mehr, so kalt bin ich mittlerweile geworden.
Es scheint, als sei alles möglich, nichts kann mich mehr schocken. Ich muss fast lachen. Die Klänge, die mir permanent ins Ohr hallen, lassen mich an unbeschwerte Zeiten erinnern und versetzen mich in einen leicht melancholischen Zustand. Ein schönes Gefühl.
Ich blicke der Tatsache ins Auge, dass wir uns verloren haben, dass die Brücken abgerissen wurden und die neue Normalität ein fester Bestandteil für die Allermeisten geworden ist. Für sie sind wir die Narren. Doch fernab jeglicher Argumente fühle ich, dass meine Gedanken berechtigt sind. Es reicht ein kurzer Ausflug in die Geschichte, um meine Thesen zu untermauern. All das lässt mich erstarren.
Der Wahnsinn nimmt weltweit seinen ungehemmten Lauf und ich muss ohnmächtig daneben stehen. Wir haben es von Anfang an kommen sehen, unser Gefühl täuschte uns nicht. Voller Elan gingen wir auf die Straßen und versuchten, von den demokratischen Mitteln Gebrauch zu machen, um aufzuhalten, was ansonsten drohen wird. Doch wir wurden nicht erhört. Zu mächtig ist das Konglomerat aus Einfluss und Geld. Nun ist es ganz offensichtlich zu spät und Resignation macht sich breit auf weiter Flur. Was jetzt alles auf uns zukommen wird, kann ich mir denken, doch wundern tut es mich nicht mehr.
Mittlerweile stimuliert es nicht einmal mehr, die Naivität und Unwissenheit zu belächeln oder sich darüber lustig zu machen. Alles ist taub und ich scheine mich nur noch zu fragen: „Where is my mind?“ Es gibt keine Antworten mehr, ja selbst die Fragen gehen mir aus. Also was für ein Zustand ist das? Was kann ich noch tun, um doch noch das Allerschlimmste zu verhindern?
Die bittere Erkenntnis ist, dass ich gar nichts tun kann, rein gar nichts. Ich kann im Hier und Jetzt meine Gedanken verewigen, in der Hoffnung, dass sie in der fernen Zukunft helfen, Gehör zu finden, um die Unfassbarkeit der heutigen Zeit erklären zu können.
Auch wenn es nur eine Illusion sein sollte, so verschafft sie mir einen Moment der Hoffnung, wohl ahnend, dass sie nur von kurzer Dauer sein wird.
Was treibt mich überhaupt noch an? Nun, einerseits die Familie. Des Weiteren habe ich wunderbare Freunde und Mitstreiter in dieser Zeit kennengelernt, die die Dinge ganz genauso fühlen wie ich und die es leichter machen, diese Unglaublichkeit zu überstehen. Dabei spielt es keine Rolle, wo sie leben, ich bin in Gedanken bei jedem Einzelnen.
Doch auch die Fotografie wird mir weiterhin viel Kraft geben. Im Laufe der vergangenen Monate nahm ich des Öfteren die Kamera in die Hand und hielt die Welt für einen Augenblick für immer fest. Einige der Aufnahmen, die mich für kurze Zeit an das Schöne erinnern, will ich mit euch teilen. Die Kunst, da bin ich mir sicher, wird ebenfalls ihren Teil dazu beitragen, die Parallelwelt ein Stück weit lebenswerter zu machen. Ich freue mich darauf.
Fotos: Earlyhaver
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst auf earlyhaver.com.
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