„Ich glaub nicht, dass deine Generation weiß, was gut für die Zukunft von meiner ist“, sagt der Jüngling zu der reiferen Frau, als beide sich bei einer Zigarette am Pool treffen. „Ihr habt das Ding an die Wand gefahren.“ Ein aufgeschnappter Dialog zwischen Jung und Alt aus dem Filmdrama „Bis zur Wahrheit“. Vorwürfe sind immer besonders gemein, wenn sie Eigenschaften betreffen, die wir uns nicht ausgesucht haben und die wir nicht ändern können. Ein „alter weißer Mann“ begeht in dem gleichnamigen aktuellen Spielfilm von Simon Verhoeven folgenden Fauxpas: Alter weißer Mann: „Woher kommen sie?“ Farbige Frau: „Aus Düsseldorf.“ Alter weißer Mann: „Nein, ich meine: wirklich.“ So sind wir eben. Es tut mir ja auch leid. Aber was soll ich machen? Zwar könnte ich mich heutzutage auf dem Amt als Frau registrieren lassen, und für die Haut gibt es Bräunungscreme. Schwieriger ist es mit meinem Alter. Wie um alles in der Welt soll ich es bewerkstelligen, später geboren zu werden als ich es nun mal bin. So trifft mich das gerade zitierte Verdikt von Greta Thunberg mit voller Wucht: „Wir werden euch das nie vergeben.“
Ein Idol meiner Altersgruppe war Udo Jürgens, der in seinem Lied „Ihr von morgen“ sang:
„Ihr von Morgen habt gefunden
Was uns unerreichbar schien.
Schlugen wir der Welt auch Wunden,
Vielleicht habt ihr uns verziehen.“
Ja, vielleicht. „Aber warum sollten wir?“ könnten Jüngere fragen. Denken wir nur mal an die Klimafrage. Thunbergs Angriff war zwar ungnädig, jedoch auch nicht ganz unbegründet. Jedenfalls pauschal betrachtet. Und ich muss in diesem Artikel bis zu einem bestimmten Grad verallgemeinern, obwohl es natürlich ökologisch höchst korrekte Senioren gibt, ebenso wie unkorrekte Jugendliche. Aber um mal die großen Entwicklungslinien aufzuzeigen: Die Älteren hinterlassen den Jüngeren eine Welt, in der man schon unter dem Umweltaspekt kaum mehr „gut und gerne“ wird leben können. Heranwachsende könnten einer Zukunft auf einem Wüstenplaneten entgegensehen, den ihre Eltern und Großeltern erschaffen haben — und Schulden abzahlen, die diese gemacht haben. Jüngere könnten in verschiedener Hinsicht die Zeche zahlen für einen Rausch, den sich Ältere angetrunken haben.
Alte befehlen, Junge sterben
Verbunden ist die Abneigung gegen „Alte“ sehr oft mit dem Hinweis darauf, dass diese ja nicht mehr lange zu leben hätten und deshalb nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ handelten. Ist dies der Grund dafür, dass ein Joe Biden oder ein Friedrich Merz mit ihrer Rhetorik in eine neue kriegerische Epoche hinein zu taumeln scheinen, aus der sie sich dann selbst frühzeitig in Richtung Jenseits verabschieden dürften?
Auch wenn nicht alle Staatenlenker so alt sind wie Biden — schon immer war es so, dass die, die den Krieg wollten, nie selbst schwitzen, bluten und ihre Glieder in den Schützengräben zerfetzen lassen mussten — dass sie es vielmehr bedeutend cooler fanden, Jüngere vorzuschicken.
„In der deutschen Version des französischen Antikriegs-Klassikers „Der Deserteur“ heißt es: „Ihr so genannten Herren, müsst ihr denn Blut vergießen, so lasst das eure fließen — ihr predigt das so gern.“
Und dieses Szenario ist keineswegs nur im historischen Rückblick erschütternd. Schon arbeiten Friedrich Merz und Boris Pistorius an einem Comeback der Wehrpflicht, also daran, junge Menschen, die sich nichts anderes zuschulden kommen ließen, als vor rund 20 Jahren in diesem Land geboren zu werden, zu demütigen, herumzuscheuchen und so abzurichten, dass sie „Jawohl“ brüllend dem eigenen Untergang entgegenrennen. Jüngere — und das betrifft mittlerweile auch Frauen — wären im Kriegsfall nichts als Menschenmaterial, das man für die eigenen Machtinteressen in die Gewehrsalven eines „Feindes“ hineinlaufen ließe, den die Älteren durch ihre unverantwortliche Rhetorik erst zu einem solchen gemacht haben. Krieg — das bedeutet für die ergrauten Strategen und Hetzer aller Lager, angelehnt an den Titel eines James-Bond-Films: „Leben und sterben lassen“.
„Ihr sollt es mal schlechter haben“
Und auch wenn die Heranwachsenden dem Kriegsdienst noch einmal von der Schippe springen — für viele von ihnen sieht die Zukunft so aus, dass sie vor dem Wartenummernautomaten des Jobcenters und an der Essensausgabe der Tafeln anstehen müssen. Dass so eine Situation Wut entfacht, die sich manchmal vielleicht auch pauschal gegen „die Alten“ richtet, ist menschlich verständlich. Manchmal sieht es so aus, als agierten die Älteren nach dem Motto „Ihr solltet es mal schlechter haben“. Als junger Mensch beobachtet man gepflegte Senioren beim Walken mit klappernden Sticks oder parlierend in schicken Cafés, Hotelbars und Wellness-Einrichtungen, ohne zu wissen, ob man selbst je so komfortabel wird leben können.
Auf rätselhafte Weise scheinen Ältere fast immer in geräumigen Häusern leben zu können — zu zweit oder sogar allein — während für einen selbst ein Hausbau auch bei relativ gutem Gehalt außer Reichweite ist. Alles ist einfach zu teuer geworden: Baustoffe, die Grunderwerbssteuer, die Energiekosten … Das Grundgefühl von Jüngeren ist, dass sie „solidarisch“ in von Älteren schlecht verwaltete Töpfe einzahlen dürfen — ohne die Aussicht, selbst im Alter jemals etwas ausgezahlt zu bekommen.
Wie beim Geld herrscht auch bei der Macht ein Ungleichgewicht zwischen den Generationen. Als Heranwachsender wird man nicht zur Mitwirkung eingeladen, man bekommt Regelkataloge vorgesetzt, die von Älteren aufgestellt wurden und denen man sich zu unterwerfen hat. Die besten Plätze sind immer belegt, die Machtpositionen vergeben. Und da kann man noch froh sein, wenn man nicht zu den Jahrgängen gehört, denen Lehrer — wie während der Coronaphase — die Nasenlöcher gegen ihren Willen mit einem Wattestäbchen penetrierten.
Ältere schwingen gern das Zepter, wenn es gilt, Jüngere kleinzuhalten; andererseits geben sie sich „vulnerabel“, wenn sie den Nachwuchs zur Rücksichtnahme anhalten wollen.
Ohne große Skrupel haben Greise aus Politik und Kultur damals das Opfer der Lebendigkeit von der Jugend verlangt — also des beinahe einzigen Vorteils, den das Jungsein heute überhaupt noch bereithält: in Gemeinschaft sein, gut drauf sein, unbefangen sein — alles wurde ihnen phasenweise genommen. Und wehe, man hatte mal Spaß! Schnell wurden da Zeigefinger mahnend nach oben gereckt, wurde die Polizei alarmiert, um jugendlichen Multi-Spreader-Events Einhalt zu gebieten.
Gerontokraten und Flaschensammler
Von einer Seniorendemokratie oder auch Gerontokratie (Herrschaft der Alten) spricht Emanuel Richter im hörenswerten Manova Einheizpodcast mit Aron Morhoff und Sven Brajer. „Gerontokratie würde bedeuten, dass die Mehrzahl älterer Menschen in jeglicher Hinsicht herrscht“, sagt Richter dort. Der nahe liegende Vorwurf ist: Ältere sind ohnehin im Vorteil, weil sie alle Machtpositionen schon längst belegt haben, bevor Jüngere auch nur daran denken können, sich um die Gnade eines Vorstellungsgesprächs zu bewerben. Dieses Ungleichgewicht wird verstärkt durch die schiere Anzahl der Silberlocken, so dass diese auf allen Ebenen mühelos ihre Interessen durchsetzen können.
Gemeint sind damit natürlich noch berufstätige und in einflussreichen Positionen sitzende „Best Ager“ zwischen 45 und 70 Jahren. Wenn die dann endgültig ausgemustert und in Rente sind, droht vielen die Altersarmut.
Nach einigen Jahren als Flaschensammler winkt eine ganz besondere Krönung des Lebenswerks: ein Dasein als routiniert aufbewahrter und gegängelter Untertan der Heimleitung.
Gerade die Corona-Jahre haben gezeigt, wie schnell nicht nur die Altenheimbewohner selbst, sondern auch deren Besucher ihrer Rechte beraubt werden können.
Von „Ageismus“ — der Diskriminierung eines Menschen aufgrund seines Alters — wurde in Anlehnung an „Rassismus“ und „Sexismus“ oft gesprochen. Ageismus gibt es in beide Richtungen: gegenüber Alten wie gegenüber Jungen. Ageismus gegen Jung hat in extremen Fällen immer auch eine sadistische Komponente. Ältere von nicht so integrer Gesinnung neiden den Jüngeren ihre kräftigen und gesunden Körper, mit allen damit verbundenen Möglichkeiten. Sie neiden ihnen auch die viel längere verbleibende Lebensspanne. Jüngere wurden stets in großer Zahl verheizt, zumindest aber einer für sie schädlichen Agenda unterworfen, die hinter faltigen Stirnen ersonnen wurde. Als einzige Chance, jemals auf die Gewinnerseite des Generationenkonflikts zu gelangen, bliebt oft übrig, selbst zu altern — was ja über kurz oder lang unweigerlich passieren wird.
Gottschalks Fall
„Man glaubt es ja nicht, dass man irgendwann ein alter Mann wird“, sagte der Entertainment-Veteran Thomas Gottschalk unlängst in einem Interview. Seine flapsige Art, die die Bewohner der „alten Bundesrepublik“ mehrheitlich an ihm schätzten, wollten nicht mehr so recht zum von Denk- und Formulierverboten umstellten, woken Zeitgeist passen. Vieles, was Gottschalk für einen selbstverständlichen Akt unbedarfter Selbstentfaltung hielt, war für die meist jüngeren Kritiker nicht nur geschmack- und respektlos, sondern auch sexuell übergriffig.
Thomas Gottschalks Fall, wie man es doppeldeutig nennen kann, steht aber für viele andere vergleichbare Vorkommnisse. Letztlich werden Show-Veteranen heute stellvertretend dafür hingerichtet, dass sie nicht schon vor Jahrzehnten, im Vorgriff auf ein mögliches zukünftiges Stirnrunzeln von Correctness-Wächtern, so gesprochen haben, wie „man“ heute spricht. Udo Lindenberg etwa bekam Ärger wegen der Verwendung des Wortes „Oberindianer“ in seinem Klassiker „Sonderzug nach Pankow“. Einige Berliner Chöre wollen Lindenbergs Lied zwar bei einem Konzert anstimmen, jedoch das Wort weglassen, wie das Humboldt-Forum mitteilte. Zur Begründung hieß es: „Auch wenn das Wort in dem Lied Sonderzug nach Pankow in seiner Entstehungszeit 1983 eine metaphorische Konnotation hatte — und es sich damals satirisch-kritisch auf Erich Honecker bezog — sind wir uns auch bewusst, dass in dem Wort die Gewaltgeschichte der Kolonisierung indigener Bevölkerungsgruppen nachklingt.“
Die Tyrannei des Gegenwärtigen
Gerade in diesem Punkt kann man Vorwürfe, wie sie sich gegen Alte richten, aber auch umkehren und fragen, warum sich Menschen, die noch gar nicht lange auf der Welt sind und wenig Gefühl für historische Prozesse haben, zum Richter über verdiente Lebens-Veteranen aufschwingen.
Dass sich „Alter, weißer Mann“ derart schnell und fast unwidersprochen als Schlagwort etablieren konnte, ist bedenklich — erweckt es doch den Eindruck, als hätten diejenigen, die es verwenden, gar nicht grundsätzlich etwas gegen Pauschalisierung und Diffamierung einzuwenden, sofern sie selbst nicht einstecken müssen, sondern nur austeilen dürfen.
Natürlich haben sich Vertreter des genannten beklagenswerten Kollektivs so einiges zuschulden kommen lassen, jedoch wünsche ich mir an dieser Front eine Rückkehr zu wohlwollenden, respektierenden Formen gegenseitiger Kritik.
Immer wieder stoßen wir in letzter Zeit auf eine Art Tyrannei des Gegenwärtigen. Es wird argumentiert, „heute“ könne man bestimmte Dinge nicht mehr sagen. Zwar sei es entschuldbar, dass Leute „damals“ solche Formulierungen verwendeten. Sie waren eben einfach geistig noch nicht so weit entwickelt, wie es für die nachwachsende Generation selbstverständlich ist. Aber schlecht fühlen sollen sich Ältere trotzdem. Selbst einer gnädigen Vergebung wird dann immer noch ein „Sündige hinfort nicht mehr“ hinterhergerufen. Jeder muss „mit der Zeit gehen“, sonst gilt er als „aus der Zeit gefallen“. Dabei wird nach der Qualität des „Zeitgemäßen“ gar nicht mehr gefragt. Innovationsopportunismus ist angesagt.
Denglisch radebrechende Spielkinder
In Anlehnung an den anfangs zitierten Satz von Karl Valentin wird heute vielfach den Alten angetragen, sich zu schämen. Sie sind, so wie sie sind, eigentlich unerwünscht, es sei denn sie unterwerfen sich beflissen allen neu kreierten Denk- und Sprachvorgaben sowie technischen Innovationen. Hierzu ist natürlich zu sagen, dass Jugendliche und Twens eher selten die Erfinder solcher Moden und Innovationen sind. Eher gehen diese von geschäftstüchtigen Menschen hohen und mittleren Alters in wichtigen Positionen in der Wirtschaft aus, die sich der Jüngeren als idealistischer „Fußsoldaten“ der großen technokratischen Umgestaltung bedienen.
Über junge Menschen sickern Innovationen in die Gesellschaft ein, kommen erst tastend, als skurril wirkende Vorschläge, in die Familien, Freundeskreise und Betriebe, werden dann nach und nach bedrängend, bis sie sich eines Gemeinwesens schließlich zwingend und flächendeckend bemächtigt haben.
Die Jugend ist Avantgarde, nicht nur bei der Verdrängung alter durch neue Technologien, sondern auch bei der Verdrängung der deutschen Sprache durch die englische. So begann ein Redner beim Parteitag der Jusos am 22. bis 24. November in Halle seine Rede: „Aber jetzt mal real talk, liebe SPD. So geht’s nicht weiter. Was war das eigentlich für ‘ne shit show in den letzten Wochen?“ Auch hier gilt wie bei anderen Fortschrittsthemen: Zusammen wären beide Altersgruppen schlauer.
Jüngere könnten als Rammböcke gegen alles in Selbstzufriedenheit Erstarrte fungieren — nach dem 68er-Motto „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“. Ältere dagegen könnten die Rolle von Technikfolgen-Abschätzern übernehmen oder allgemein die Folgen gesellschaftlicher Veränderungen abwägen, anstatt sich diesen mit unreflektierter Begeisterung hinzugeben. Dies kann in einigen Fällen bedeuten, dass sie auf die Bremse treten, und nicht immer wäre das falsch. Denn äußere Veränderungen dürfen der Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit der Mehrheit nicht zu weit vorauseilen.
Gesprochene Lieder und gescannte QR-Codes
Jugend — dabei denke ich auch an Schlange Stehende vor Diskotheken in den Corona-Jahren, die am Eingang dienstbeflissen ihre Smartphones zücken, damit der QR-Code gescannt werden kann, welcher ihren Impfstatus verrät. Ich denke auch an Personen, die sich über die Bargeldabschaffung keine Gedanken machen, weil sie ohnehin schon lange ohne Münzen und Scheine leben und Totalüberwachung als begrüßenswerte Form zeitgemäßer Transparenz empfinden. Menschen, die Serien grundsätzlich im englischen Original anschauen und Musik hören, die keine Melodien haben, weil darin nur gesprochen wird.
Verstanden sich Opa oder Oma früher als politisch links und als Idealisten, dann schauen sie bis heute gern auf eine nach ihrer Einschätzung desinteressierte, materialistisch eingestellte Jugend herab. Nicht umsonst sind auch die „Omas gegen rechts“ zum Begriff geworden, während die Enkel von allem eine politische Priorität haben: die AfD. Interessanterweise war vor allem bei „Alt-68ern“ und deren Kindern die Umkehrung der üblichen altersbedingten Rollen typisch. Ältere geißelten Jüngere dafür, „zu angepasst“ zu sein und nicht mit jener Inbrunst gegen das Establishment zu rebellieren, die ihnen selbst in jungen Jahren eigen war — jedenfalls in ihren eigenen verklärten Erinnerungen.
Die Jugend – zu brav?
Ein interessantes Kabinettsstückchen über das Aufeinanderprallen von Alt und Jung stellt der Sketch „Der angebrochene Abend “ von 1982 (ab Minute 20:55) dar, in dem Gerhard Polt als in die Jahre gekommener Wirtshaus-Stammgast vergeblich versucht, mit zwei Jünglingen an seinem Tisch ins Gespräch zu kommen. Die wollen früh ins Bett und weigern sich, zwei Schnäpse anzunehmen, die ihr sichtlich angetrunkener Tischgenosse ihnen spendieren will. Der Zurückgewiesene wird nun fuchsteufelswild und holt zu einer Generalabrechnung mit „der Jugend“ aus. Nicht, dass diese zu frech und ungehobelt sei, lautet aber der Vorwurf — eher im Gegenteil. „Da hoaßt’s oiwei, diese Jugend war rebellisch! Lahme Hund‘ san’s, zahme! Weichlinge! Jetzt trinkt’s an Schnaps, und dann erzähle ich euch mal, wie’s früher war.“ Gerade die Drohung, von früher zu erzählen, treibt die jungen Männer dann in die Flucht. „Koa Mark in de Knocha! (…) Jetzt san’s hoamganga. Is ja nix mehr los mit dera Jugend!“
Der alte Bierdimpfl, der Jugendlichen „das Leben“ beibringen will, ist eine tragische Figur. Hier zeigt sich eine recht typische Alt-Jung-Dynamik.
Ältere überfahren Jüngere mit ihrer rhetorischen Eindringlichkeit, drängen ihnen ihre Themen in endlosen Tiraden auf und merken dabei nicht, wie peinlich sie oft wirken. Als Reaktion darauf treten Jüngere den Rückzug an — oft auch in sich selbst.
Manche von ihnen wirken — wie die Jünglinge in Gerhard Polts Sketch — vergleichsweise schlaff und wenig prägnant. Während sie sich in dem Sketch noch durch „Hoamgehen“ dem Zugriff eines angetrunkenen Best-Agers entziehen, würden heutige Jugendliche wohl den Blick auf ihr Smartphone wandern lassen, in das sie sich — unzugänglich wie unter einer Käseglocke — für Stunden vertiefen.
„Zerschlagt die alte Welt“
Noch brisanter sind Generationenkonflikte, die mit gesellschaftlichen Umwälzungsprozessen verknüpft sind. Die weltanschauliche Frontlinie kann in einer „Zeitenwende“ mitunter zwischen den Generationen verlaufen. Wirklich gefährlich wird es, wenn Regierungen und Machtgruppen das natürliche Konkurrenzverhältnis zwischen den Generationen nutzen, um ihre politische Agenda durchzusetzen.
Unter Mao Tse-Tung gab es während der chinesischen Kulturrevolution das Motto „Zerschlagt die vier Alten“. Gemeint waren alte Denkweisen, alte Kulturen, alte Gewohnheiten und alte Sitten. Dabei ging es teilweise durchaus rabiat zu, wie unter anderem die physische Zerstörung von Buddha-Statuen zeigte. Auch die Redewendung „Zerschlagt die alte Welt“ war in Kreisen der durch junge Menschen besetzten „Roten Garden“ geläufig. Als Kulturrevolutionen werden gesellschaftliche und technische Umwälzungen von Älteren häufig erlebt, wenn solche Prozesse von beiden Seiten nicht behutsam und mit gegenseitigem Verständnis gestaltet werden. Selbst noch so konservativ gesinnten Rollator-Benutzern müsste klar sein, dass man Geschichte und Geistesgeschichte der Menschheit nicht in dem Stadium einfrieren kann, an dem sie sich in ihrer Jugend befand.
Ehrenamtliche Vertriebsmitarbeiter der Tech-Konzerne
Anderseits hat Alterskonservativismus durchaus auch eine sinnvolle, antimaterialistische Stoßrichtung. Heutzutage wird die Ideologie des „Zerschlagt die alte Welt“ nämlich nicht mehr nur von politisch motivierten Unterwerfungsabsichten der „Eliten“ bestimmt, sondern in großem Umfang auch von kommerziellen Motiven. Der Kommerz tendiert dazu, jedes gesunde Gleichgewicht zwischen Verändern und Bewahren zugunsten einer Diktatur des Fortschritts zu zerstören. Wertbeständigkeit rechnet sich dann einfach nicht mehr. Kleider, die zehn Jahre halten, oder Drucker, die 20 Jahre störungsfrei funktionieren, stören die Vermarktungsabsichten der Konzerne. Eine Ausgabe der Werke Tolstois, die die Seele über Jahre zu erfüllen vermag, macht den Kauf unzähliger Modemagazine unnötig. Fortschritt ist somit ein Tarnbegriff, der die wahre Antriebskraft des Ökonomismus maskiert: den Profit.
Daher verbünden sich Zeitgeistmacher gern mit Jugendlichen, die sie quasi als ehrenamtliche Vertriebsmitarbeiter in jedes Wohnzimmer schicken. Jugendliche benutzten technische Neuerungen auch als eine Art Punkfrisur, um zu provozieren und den Älteren, die in der Regel auf anderen Gebieten mehr Macht besitzen als sie, etwas vorauszuhaben.
Es tut ja gut, sich in irgendeinem Bereich überlegen zu fühlen — dafür eignet sich die Fähigkeit, einen QR-Code-Scanner auf dem Smartphone downzuloaden. „Du verstehst aber auch gar nichts, Mama!“ Und etwas später, mit genüsslich ausgekosteter Verzögerung: „Na gut, gib mal her, ich richte es dir ein.“
Der Generalangriff auf die Realität
Viele verzweifelte Eltern berichten, dass sie lange Zeit täglich gegen die virtuelle Welt um die Seele ihrer Kinder gekämpft haben — und diesen Kampf schließlich verloren haben. Streaming, Chats und Spiele sind der perfekteste Generalangriff auf die Realität, den es in der Menschheitsgeschichte je gegeben hat. Schulstress, Mobbing, nörgelnde Eltern, Müllentsorgung, das Ausräumen der Spülmaschine, später dann erste demütigende Vorstellungsgespräche für Jobs — all diese Beschwernisse lassen sich zusammenfassen unter dem Stichwort „Realität“. All das wird obsolet, sobald sich eine Alternative zur Realität auftut. Sicher, eine solche gab es schon immer — Tagträumerei, Märchenbücher … Aber erst durch die moderne Unterhaltungselektronik, die die Verführungskraft von Filmen mit den Mitmach-Traumwelten der Online-Spiele kombinierte, erwies sich die Realität längerfristig als nicht mehr konkurrenzfähig.
Neben den „Pull-Faktoren“ — der Anziehungskraft des Virtuellen — muss man aber auch die Push-Faktoren — den abstoßenden Effekt des Tatsächlichen — in Erwägung ziehen.
Jüngere fliehen vor einer Realität, die überwiegend von Älteren so eingerichtet wurde, dass sich sensible Menschen nicht mehr gern in ihr aufhalten. Es ist unfair, Realitätsflucht zu geißeln und Realitätsflüchtlinge zu beschimpfen, dabei aber keinerlei Anstalten zu machen, die Fluchtursachen zu bekämpfen.
Die erfolgversprechendste Rückholaktion für junge Menschen, die „online“ verloren gegangen sind, bestünde darin, ein lebenswerteres Umfeld „offline“ zu erschaffen.
Die schrumpfende Welt der Alten
Unabhängig von all diesen durch den „Zeitgeist“ bedingten Differenzen, zwingt das Thema „Alt und Jung“ geradezu zur Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit und der Begrenztheit von Zeit. In seinem Chanson-Klassiker „Avec le temps “ („Mit der Zeit“, 1971) porträtierte Léo Ferrer das Alter so:
„Weißhaarig wie ein erschöpftes Pferd, wie festgefroren auf einem zufälligen Bett, einsam aber bequem lebend, fühlt man sich betrogen um die verlorenen Jahre. Mit der Zeit — liebt man nicht mehr.“
Ähnlich deprimierend und schonungslos realistisch wirkt Jacques Brels Lied „Les vieux“ („Die Alten“, 1963), den der Chansonnier belgischer Herkunft schon in relativ jungen Jahren einfühlsam verfasste. „Die Alten bewegen sich nicht mehr. Ihre Gesten haben zu viele Falten, ihre Welt ist zu klein: vom Bett ans Fenster, dann vom Bett zum Sessel und dann vom Bett zum Bett.“ Dabei illustrieren Brels Handbewegungen drastisch den für alte Menschen schrumpfenden Spielraum.
„Die Alten sterben nicht, sie schlafen eines Tages ein und schlafen zu lang. Sie halten sich bei den Händen. Sie haben Angst, sich zu verlieren und verlieren sich trotzdem. Und der andere bleibt übrig, der Sanfte oder der Strenge — das ist egal, derjenige, der übrig bleibt, findet sich in der Hölle wieder. Vielleicht seht ihr sie manchmal noch, im Regen und im Gram, wie sie die Gegenwart durchqueren, sich gleichsam dafür entschuldigend, dass sie nicht schon weiter sind.“
Was uns allen bevorsteht
Als ich das Lied zum ersten Mal hörte, war ich Anfang 20 und tief beeindruckt. Es waren ja beruhigenderweise Andere, die da beschrieben wurden. Im Gegensatz zu migrierten oder behinderten Menschen oder Angehörigen des anderen Geschlechts repräsentieren die Alten eine Existenzform, die unser aller Zukunft ist und der sich auch Junge Schritt für Schritt nähern. Wir alle rutschen unversehens ins Altsein hinein, während wir unseren Persönlichkeitskern als unverändert erleben.
Junge Menschen sind zukünftige Greise — und alte Menschen zukünftige Verstorbene. Diesem Gesetz des Lebens kann niemand ausweichen, sofern nicht Transhumanisten doch noch das Geheimnis des ewigen Lebens entdecken werden.
„In jedem alten Menschen steckt ein junger, der sich fragt, was mit ihm passiert ist“, sagte der britische Schriftsteller Terry Pratchett.
Wir merken es oft am Feedback der anderen, die uns spüren lassen, dass wir plötzlich zu langsam, zu umständlich, einfach uncool geworden sind. Der Alterungsprozess wird begleitet von unbeholfenen Versuchen, unser Alter zu leugnen oder zu ironisieren. Oft sind es Jüngere, die uns, nachdem wir gestrauchelt sind, von der Bühne tragen, weil wir von selbst nicht abtreten wollen, ähnlich dem sehr alten Vater des Dieners Stevens im Film „Was vom Tage übrig blieb“, der bei seinen Domestiken-Pflichten so oft stolperte und etwas verschüttete, bis nichts anderes übrig blieb, als ihn auszusortieren.
„Nichts für Weicheier“
„Alt werden ist nichts für Weicheier“, sagte die Schauspielerin Bette Davis. Das liegt daran, dass wir nach einem oft schmerzhaften Prozess des Weniger-Werdens unaufhaltsam hinübergleiten müssen in ein „Anderswo“, ohne zu wissen, ob es überhaupt noch wir selbst sein werden, die sich dort wiederfinden. Wenn Respekt vor dem Alter angebracht ist, dann nicht vor der banalen Tatsache des „Lange-gelebt-Habens“, sondern davor, dass Ältere diesen schweren Weg, wo nicht freiwillig, so doch mit der ihnen möglichen Gelassenheit und Tapferkeit auf sich nehmen.
Auch den Jüngeren gebührt aber Respekt. Deshalb, weil sie eine andere Art von Tapferkeit benötigen, ihren Weg im Frühlicht des Lebens zu gehen: den Mut aufzubringen, sich unverzagt in für sie Neues und Unerprobtes vorzuwagen, ohne dabei auf Routinen zurückgreifen oder ihre Gefühlswallungen altersmilde relativieren zu können. Respekt empfiehlt sich ohnehin, da wir nur zusammen das Leben auf diesem Planeten gestalten können und weil sich immer die Falschen daran ergötzen, wenn es ihnen gelingt, uns gegeneinander auszuspielen. Als Mitglieder der „Menschheitsfamilie“ lernen wir alle früh oder auch spät, dass sich Freuden verflüchtigen und Schmerzen verklingen, dass sich Narrative und Vorlieben wie Moden ändern, dass überhaupt alles vergeht und im Fluss ist — „avec le temps“.
Wir möchten euch gern einladen, einen Beitrag zu unserem Schwerpunktthema „Alt und Jung“ zu liefern. Dieser kann in Form eines persönlichen Erfahrungsberichts, eines reflektierenden Essays oder einer Mischung aus beidem eingereicht werden. Denkbar sind auch Rezensionen, Portraits, Reportagen und sonstige journalistische Darstellungsformen, die ihr als passend empfindet. Möglich ist es, einseitig aus „junger“ oder „alter“ Perspektive zu schreiben – oder in einer vergleichenden Betrachtung über beide, eventuell auch über Generationenkonflikte. Der Ansatz kann politisch, gesellschaftlich, historisch, psychosozial oder sogar spirituell sein. Vorschläge und Artikel bitte an madita.hampe@manova.news
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