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Meister der Täuschung

Meister der Täuschung

Als begnadeter Netzwerker zog Jeffrey Epstein bei legalen wie illegalen Geschäften seine Fäden. Auszug aus „Wem diente Jeffrey Epstein?“ von Tahir Chaudhry.

„Er kommt mit Geld im Überfluss, einer Flotte von Flugzeugen und einem ausgeprägten Blick für Frauen — ganz zu schweigen von seinem unermüdlichen Verstand, der Nobelpreisträger im ganzen Land herausfordert — und für die Finanzmärkte in aller Welt.“ Mit diesen Worten beginnt ein Porträt über Jeffrey Epstein, das 2002 im New York Magazine unter dem Titel „International Moneyman of Mystery“ erscheint. Der Verfasser dieser neugierig machenden Worte ist der Journalist Landon Thomas Jr., der 16 Jahre für die New York Times gearbeitet hat.

Epstein muss das hier vermittelte Bild gefallen haben: intellektuell faszinierend, finanziell überragend und verführerisch mysteriös. Erst nach seinem Tod 2019 gerät die Darstellung von Epstein durch Thomas in ein völlig neues Licht. Nur wenige Monate zuvor hatte Thomas die New York Times verlassen. Nun folgte eine Enthüllung, die Thomas betraf. Laut ehemaligen Redaktionskollegen ist Epstein für Thomas mehr als nur „eine wertvolle Quelle“, sogar mehr als „ein Freund“. Und das selbst nach Epsteins Haftentlassung. Gemäß einem Bericht des US-Radiosenders NPR lässt sich belegen, dass Thomas eine Spende von 30.000 Dollar für ein Kulturzentrum in Harlem von Epstein erbeten hatte. Epstein folgt der Bitte von Thomas.

Somit erklärt sich auch ein weiterer Artikel von Thomas, den er im Juli 2008 in der New York Times veröffentlicht hat. Darin versucht er, Epsteins negatives Image als verurteilter Sexualstraftäter kurz vor dessen Haftantritt abzumildern. Thomas schreibt etwa diese lyrische Passage über Epstein:

„Während sich seine rechtlichen Probleme verschlimmerten, blickte Herr Epstein auf das azurblaue Meer und die üppigen Hügel von St. Thomas in der Ferne, stocherte in einem Mittagessen aus Krabben und blutigem Steak, das sein persönlicher Küchenchef zubereitet hatte, und versuchte zu erklären, wie sein Leben eine solche Wendung genommen hatte.“

Und:

„Er verglich sich selbst mit Gulliver, der unter den winzigen Bewohnern von Lilliput Schiffbruch erlitten hatte.“

Thomas versucht in diesem Artikel auch, Epstein als kultivierten, großzügigen Philanthropen zu präsentieren sowie als jemanden, der „nur“ Prostituierte angeworben und keine Sexualverbrechen an Minderjährigen begangen hätte.

Der Fall Landon Thomas Jr. beweist, wie meisterhaft es Epstein versteht, sein Image zu seinen Gunsten zu manipulieren. Er umgibt sich gerne mit renommierten Journalisten wie Politik-Reporter Michael Wolff, TV-Interviewer Charlie Rose und dem Investigativjournalisten Jay Edward Epstein, die sich regelmäßig mit ihm austauschen oder in seinen Villen übernachten. Epstein versucht durch Beziehungen zu Journalisten, denen er Gefallen tut und finanzielle Unterstützung bietet, das Narrativ über seine Person oder Projekte zu beeinflussen.

Das tut er aber auch im Alltag ohne die Hilfe von Journalisten. Seinen Besuchern serviert er manchmal die wildesten Märchen und freut sich, wenn ihm geglaubt wird. Sicher nutzt Epstein dafür auch umgekehrte Psychologie, falsche Andeutungen oder Halbwahrheiten.

Es scheint, als wolle es Epstein seinem Umfeld bewusst erschweren, die Wahrheit von Täuschung zu unterscheiden, indem er geschickt Informationen streut. Eine ständige Neuerfindung und Anpassung des öffentlichen Erscheinungsbildes dient vermutlich dazu, seine Macht und Kontrolle über andere zu festigen, aber auch, seine Machenschaften im Verborgenen zu halten.

Alle, die den Namen Epstein hören, sollten sich fragen: Wer ist er? Woher kommt er? Was macht er beruflich? Woher kommt das viele Geld? Warum zieht er die High Society an? Und woher kommen all diese jungen Frauen? Seine kalkulierte Unklarheit in der Präsenz ermöglicht ihm, verschiedene Rollen gleichzeitig zu spielen: den selbstlosen Philanthropen, den intellektuellen Visionär, den superreichen Geschäftsmann, den mysteriösen Geheimagenten. Durch diese Verwirrungstaktik kann Epstein die Kontrolle über die Fremdwahrnehmung behalten und gleichzeitig seine wahren Absichten und Handlungen verschleiern.

Die Methode erinnert an F. Scott Fitzgeralds Buch „The Great Gatsby“. In einer Schlüsselszene des Romans lädt Gatsby den Erzähler Nick Carraway zu einer Autofahrt nach New York City ein. Während sie in Gatsbys luxuriösem gelben Auto durch die Straßen fahren, beginnt Gatsby, seine mysteriöse Geschichte zu enthüllen. Teile seiner vorgeblich glanzvollen Vergangenheit: eine wohlhabende Familie, ein Studium in Oxford und ein heldenhafter Einsatz im Ersten Weltkrieg. Dabei zeigt er Nick eine Medaille und ein Foto als vermeintliche Beweise. Doch Nicks Skepsis wächst, als die Details zu perfekt erscheinen. Die Szene gipfelt darin, dass Gatsby Nick mit Meyer Wolfsheim, einem zwielichtigen Geschäftspartner, bekannt macht — ein Treffen, das Gatsbys Geheimnisse nur noch düsterer erscheinen lässt.

Sicher kann auch der beste Lügner unmöglich darüber Buch führen, wem er welche Geschichte erzählt hat. Er gerät also von Zeit zu Zeit in Schwierigkeiten und verheddert sich in seinen eigenen Widersprüchen, was zu Zweifeln und Misstrauen führt.

Das heißt allerdings nicht, und das lernen wir über Gatsby, dass alles Lüge durch und durch ist. Es gibt durchaus kriminelle Machenschaften, zwielichtige Geschäftspartner und, so wird dieses Buch im Falle Epsteins offenbaren, durchaus vertrauliche Missionen im nationalen Interesse von globaler Bedeutung. Hierfür ist eine tiefere Beschäftigung mit Epsteins „verlorenen“ sechs Jahren nötig, um zu erkennen, dass er nicht nur bloß aus heißer Luft besteht.

Laut Steven Hoffenberg, einem späteren Geschäftspartner, beginnt Epstein in den 1980er-Jahren damit, den Schwarzmarkt zu bedienen. So trifft er auf den berüchtigten saudischen Waffenhändler, der zwar nicht tatsächlich der „reichste Mann der Welt“ war, aber diesen Ruf erlangte, weil er in seiner Blütezeit täglich 250.000 Dollar ausgab, um seinen extravaganten Lebensstil zu finanzieren. Er heißt Adnan Khashoggi. Der Name Khashoggi gerät 2018 erneut in den Fokus der Öffentlichkeit, als der Journalist Jamal Khashoggi auf brutale Weise im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet wird, was weltweit für Empörung sorgt. Dies geschieht mutmaßlich auf Befehl des saudischen Kronprinzen bin Salman, da Khashoggi ein scharfer Kritiker des Regimes war. Jamal Khashoggi ist ein Neffe von Adnan.

Ein weiteres kurioses Verwandtschaftsverhältnis ist die Verbindung von Adnan Khashoggi zu Mohamed Al-Fayed, dem ägyptischen Milliardär und Besitzer des Luxuskaufhauses Harrods sowie des berühmten Luxushotels Ritz. Khashoggis Schwester Samira war mit Mohamed Al-Fayed verheiratet, und ihr gemeinsamer Sohn war Dodi Al-Fayed, der mit Prinzessin Diana liiert war. Die beiden starben 1997 bei einem Autounfall in Paris. Mohamed Al-Fayed äußert in Interviews wiederholt den Verdacht, dass der Unfall ein Mordkomplott gewesen sein könnte, das von westlichen Geheimdiensten wie der CIA in Zusammenarbeit mit dem britischen Königshaus sowie zwei Polizeichefs inszeniert wurde.

Adnan Khashoggi ist eine zentrale Figur beim Aufstieg Saudi-Arabiens zur zeitweise führenden Militärmacht im Nahen Osten. Geboren wird Adnan 1935 als Sohn von Muhammad Khashoggi, dem Leibarzt des saudischen Königs Abdulaziz ibn Saud. Ein Blick auf den historischen Kontext lohnt sich, den der Historiker Daniel Yergin in seinem Standardwerk zur Geschichte des Erdöls „The Prize“ (1991) beschreibt.

Anfang der 1930er-Jahre hat die Herrscherfamilie Ibn Saud durch mehrere Feldzüge die arabische Halbinsel unterworfen und dabei ihre Macht konsolidiert. Doch in der Weltwirtschaftskrise brechen die Einnahmen des Königreichs massiv ein. Insbesondere gehen die Pilgerreisen nach Mekka zurück, die eine wichtige Einnahmequelle für Saudi-Arabien darstellen. Anfänglich ist Ibn Saud etwas zögerlich, westliche Einflüsse in sein Land zu lassen, indem die Ölreserven erschlossen werden. Er befürchtet, die traditionellen Werte sowie die Kontrolle über sein Königreich zu verlieren. Als aber weder Steuererhöhungen Erfolg haben noch die Versuche seines Sohnes Faisal, in Europa Investoren oder Kreditgeber zu finden, öffnet das Königreich der Ölförderung seine Tore.

1933 wird die Konzession zur Förderung von Öl in Saudi-Arabien dem US-Konzern Standard Oil unter der Führung von John D. Rockefeller gewährt. Rockefeller, der ein Monopol auf die Raffinierung, den Transport und den Verkauf von Öl in den USA hat, legt mit diesem Deal den Grundstein für die bis heute andauernde enge Allianz zwischen Saudi-Arabien und den USA. Saudi-Arabien hilft den USA, ihre militärische Position im Nahen Osten zu stärken und ihre Energieversorgung auf Jahrzehnte zu sichern. Im Gegenzug verwandeln die USA die karge Wüste mit einer überwiegend nomadischen, analphabetischen Bevölkerung innerhalb von 20 Jahren in ein blühendes Land mit moderner Infrastruktur und globalem Einfluss.

Mitte der 1950er-Jahre kehrt Adnan Khashoggi nach seinem Studium an mehreren amerikanischen Ivy-League-Unis nach Saudi-Arabien zurück. Er nutzt den Ölreichtum des Landes und seine Zugänge zum saudischen Königshaus, um mehrere bedeutende Infrastruktur- und Rüstungsprojekte zwischen westlichen Unternehmen und der saudischen Regierung zu vermitteln. In den 1970ern gehen laut einem Bericht des US-Senats 80 Prozent aller Waffenlieferungen der USA an Saudi-Arabien durch die Hände Khashoggis. Als Waffenhändler für amerikanische Rüstungskonzerne wie Raytheon, Lockheed oder Northrop, aber auch für französische und deutsche Hersteller verdient er Provisionen und Vermittlungsgebühren in Millionenhöhe pro eingefädeltem Deal.

Als sich der Kalte Krieg auf seinem Höhepunkt befindet, suchen die USA gemeinsam mit Saudi-Arabien den Schulterschluss im Nahen und Mittleren Osten im Kampf gegen den Kommunismus. Hierbei nutzen sie Öl, Rüstung, Handel und politische Allianzen als Hebel, um ihre Macht in der Region zu festigen. Die dadurch entstehenden Spannungen und Machtverschiebungen rufen Figuren wie Jamal Khashoggi, aber auch jemanden wie Jeffrey Epstein auf den Plan. Laut Recherchen der investigativen Journalistin Vicky Ward für Rolling Stone innerhalb von Geheimdienstkreisen soll Epstein zu dieser Zeit vor allem mit Waffen, Drogen und Diamanten ein Vermögen verdienen.

Wards Quellen nennen Epstein einen „Mittelsmann sowohl in Afrika als auch im Nahen Osten“. Er ist in der Welt der Geheimdienste als „Hyper-Fixer“ bekannt, als jemand, der zwischen verschiedenen Kulturen und Netzwerken vermitteln kann.


Dieser Text ist ein Auszug aus „Wem diente Jeffrey Epstein?“ von Tahir Chaudhry

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