Wer für Frieden eintritt, wenn das Kriegsfeuer lodert, wird immer der Naivität bezichtigt. Man wirft ihm vor, die Gnadenlosigkeit eines Feindes zu unterschätzen, der erst Ruhe gibt, wenn wir vernichtet sind. Mit einem unerbittlichen Gegner zu verhandeln, sei der Gipfel der Torheit. Und somit sei ein Verfechter des Friedens nicht nur naiv, sondern ein Verräter. Er untergräbt die Entschlossenheit, die sich aus der Überlebensnotwendigkeit des Kampfes um alles oder nichts ergibt, und spielt nur dem Feind in die Karten.
Mahatma Gandhis „Appelliere an ihren Verstand und ihr Gewissen“ zu folgen sei Quatsch, wenn der Gegner über keinerlei derartige Qualitäten verfügt.
Okay, aber in diesem Fall ist der Gegner wirklich unerbittlich und unverbesserlich. Von welchem Fall spreche ich? Immer von dem Krieg, der gerade stattfindet. Für die Kriegstreiber ist der neueste Krieg immer die Ausnahme. Sie haben eine lange Liste von Gräueltaten parat, die belegt, dass mit diesem Feind, dieser Person, dieser Gruppe, dieser Nation eine Versöhnung nicht mehr möglich ist. Die einzige Sprache, die sie verstehen, ist Gewalt.
Erst vor Kurzem begegnete mir diese Denkweise, als ich mich bemühte, Robert F. Kennedy Jr. und andere glühende Zionisten davon zu überzeugen, dass sie sich für eine Verhandlungslösung, einen Waffenstillstand und eine friedliche Lösung für den Konflikt in Palästina einsetzen sollten. Sie hielten mich wirklich für naiv. „Wissen Sie nicht, dass der radikale Islam seinen Anhängern verbietet, je mit einem Juden zu verhandeln, außer als List?“ „Wissen Sie nicht, dass die nie zufrieden sein werden, bis sie jeden Juden vom Angesicht der Erde getilgt haben?“ Hier haben Sie einige Aussagen, die das bestätigen. Hier, sehen Sie sich die Hamas-Charta an. Ein Waffenstillstand gibt denen nur Zeit zur Wiederbewaffnung. Sie sind nur auf Zerstörung aus.
Menschen mit solchen Ansichten dazu zu bringen, ihre Meinung zu ändern, ist schwierig, besonders, wenn sie sehr intelligent sind. Lege einen beliebigen Beweis vor, und sie können immer einen Gegenbeweis finden. Sie werden Punkte auswählen, die in ihr Narrativ passen, und — aus ähnlich vernünftigen Gründen — alles ablehnen, was dem widerspricht. Wenn dieses Narrativ umstrittene Themen und Personen betrifft, bekommen sie viel Unterstützung, um es aufrechtzuerhalten. Im Falle der (wie ich es sehe) ethnischen Säuberung Palästinas können sie sich auf ein komplettes Propaganda-Ökosystem stützen, sowie auf eine Gesinnungsgemeinschaft von anderen intelligenten Menschen, die ihnen versichern, Recht zu haben. Dasselbe gilt für jede andere Überzeugung, die vom Establishment getragen wird.
Diejenigen von uns, die für Frieden plädieren, sind nicht blind gegenüber den Gräueltaten, die die Hamas am 7. Oktober verübt hat. Aber ohne den ideologischen Filter, der sie als unheilbar böse darstellt, sind wir in der Lage, das in einem größeren Zusammenhang zu sehen.
Wir können fragen: „Welche Bedingungen führen zu so einem Ausbruch von Gewalt? Was verursacht eine solche Verzweiflung?“ Wir geben uns nicht zufrieden mit vereinfachenden Erklärungen wie „Sie lernen den Hass in der Schule“ oder „Ihre Religion lehrt Hass“.
In der US-amerikanischen Innenpolitik herrscht dieselbe Dynamik: Das Informations-Ökosystem jeder Seite bietet seinen Anhängern Sinnhaftigkeit, Bedeutung und Identität und lässt die andere Seite als böse, dumm, unmoralisch, ignorant, kindisch und/oder krank erscheinen. Tatsächlich braucht ein Teil der Identität, die aus politischer Loyalität erwächst, eine verurteilenswerte Opposition als Gegenpart.
Es gibt bestimmt einige Machthaber, die unerbittlich blutrünstig sind, die entweder psychopathisch sind oder so tief in Hass-Ideologien stecken, dass ihr Herz unerreichbar ist. Ich habe ein paar solche Menschen getroffen. An einen denke ich gerade besonders. Eine einflussreiche Person. Mir gefror das Blut in den Adern, als ich seinem Blick begegnete. Es kam mir vor, als sei seine Seele in einer Gruft eingeschlossen. Aber die meisten Menschen, die wir dämonisieren, sind nicht so.
Wirklich gefährlich für unsere Gesellschaft ist die Unsitte, dieses Böse einer Person oder Gruppe zuzuschreiben, die dann als der Feind dargestellt wird. Gefährlich ist unsere Empfänglichkeit für den Erzählstrang, in dem die Welt vor dem Bösen gerettet wird, das personifiziert wird durch [Namen hier eintragen]. Das war das Narrativ hinter praktisch jeder Kriegs- oder Umsturzoperation, die mein Land zu meinen Lebzeiten ausgeführt hat. Diese spezielle Gewalt-Episode ist notwendig, wissen Sie, weil wir dem nächsten Hitler Einhalt gebieten müssen. Saddam Hussein. Manuel Noriega. Bashar al-Assad. Muammar al-Gaddafi. Hugo Chávez. Wladimir Putin. Oder, wenn kein charismatischer Führer oder starker Mann zur Verfügung steht, ist es eine Ideologie oder Religion oder Volkszugehörigkeit, die aufgehalten werden muss, jetzt, bevor es zu spät ist.
Nun, einige dieser Männer waren recht brutale Tyrannen, und manche Ideologien propagieren Hass. Und wie ich schon sagte, laufen wirklich furchterregende menschliche Raubtiere in unserer Welt herum und kommen in Machtsystemen leicht zum Zug. Diese Individuen geben den Farbton für die Malen-nach-Zahlen-Palette vor, die Kriegs-Narrative benutzen, um ein Bild von Gut im Kampf gegen Böse zu malen: Demokratie gegen Faschismus; traditionelle Werte gegen Wokismus; Befreiung gegen weiße Vorherrschaft und so weiter. Die Linke und die Rechte sind gleichermaßen süchtig danach.
„Ja, aber dieser Krieg ist anders.“
„Dieser Krieg“ ist immer anders. Dieser ist immer gerechtfertigt. Jeder Krieg ist gerechtfertigt. Genauso ist jeder Hass gerechtfertigt. Dieses eine Mal ist Soundso wirklich ein Ungeheuer, ein Raubtier, ein Psychopath. In diesem historischen Augenblick sind unsere Gegner wirklich der Inbegriff des Bösen, und jedes Mittel ist recht, um sie aufzuhalten. Hie und da ist das wahr. Es gibt unter uns Psychopathen, unbarmherzige Triebtäter. Aber solche Leute gibt es viel seltener, als es aus der Gut/Böse-Sicht scheint. Weißt du, wie es bei dem Ehepaar in einer erbitterten Scheidung zugeht?
Jede Seite glaubt ganz tief, dass die andere endlich ihre wahren, grässlichen Farben gezeigt hat. Wenn die eine Seite einen Vorschlag zur Güte startet, sieht es die andere als zynische List.
Wenn man es mit einer „Cluster-B-Persönlichkeit“ wie einem Psychopathen oder malignen Narzissten zu tun hat, stimmt das wahrscheinlich. In solchen Fällen gibt es zum Kampf keine Alternative.
Mit solchen Personen sollte man nicht verhandeln — außer als Täuschungsmanöver. Aber du verstehst hoffentlich, wo das Problem liegt. Wenn beide Seiten glauben, dass die andere Seite nur zum Schein verhandelt, wird das zu einer gegenseitigen selbsterfüllenden Prophezeiung. Jede wird zu dem, was sie in der anderen wahrnimmt. Ironischerweise war es dieses Jahr Israel, das mit der Hamas zum Schein verhandelte und mitten in den Sitzungen seine Verhandlungspartner ermordete. Ebenso waren es die Vereinigten Staaten, die zum Schein mit Russland verhandelten, indem sie das Minsker Protokoll unterzeichneten, um Zeit für die Bewaffnung der Ukraine zu gewinnen.
Wer einen Kreuzzug gegen das Böse führt (oder was auch immer dessen Äquivalent in deren Wortschatz ist — Kommunismus, Terrorismus, Trumpismus und so weiter), verkörpert am Ende selbst das Böse. Was sonst könnte es sein, wenn der Gouverneur von Pennsylvania Josh Shapiro 155mm-Artilleriemunition signiert, die dazu bestimmt ist, russische Rekruten zu zerfetzen? Oder wenn Nikki Haley und Mike Pence dasselbe mit Bomben gegen Gaza tun? Oder wenn das US-Militär in Vietnam dachte, sie müssten „das Dorf zerstören, um es zu retten“? Oder wenn eine politische Partei die Demokratie untergräbt, um sie zu retten? Alles ist gerechtfertigt, wenn die Bedrohung alles andere übertrumpft.
Und wieder gilt: Es gibt Zeiten im Menschheits-Drama, wo man einen Kampf um alles oder nichts wagen muss. Das Problem ist nicht das Kämpfen an sich; es ist die Ausrichtung aufs Kämpfen. Es ist eine Haltung, Einstellung, Sichtweise, die von vornherein jeglichen Widerstand gegen einen selbst oder die eigene Nation und jede Gewalt als Ausdruck des Bösen ansieht. Noch grundlegender ist es eine Betrachtungsweise des Menschen, die von den Rechtswissenschaftlern Hanson und Yosifon als Dispositionismus bezeichnet wird: die Vorstellung, dass Menschen böse Sachen machen, weil sie böse Menschen sind, und gute Sachen, weil sie gute Menschen sind. Die Alternative, die Situationismus genannt wird, besagt, dass Menschen aus der Gesamtheit der Umstände heraus handeln. Kommt ein Mensch in eine andere Umgebung, unter andere Leute, wird er selbst zu einer anderen Person. Ganz klar lässt der Situationismus mehr Mitgefühl zu als der Dispositionismus, denn man interessiert sich für die Bedingungen der Person, die man beurteilt. Wenn jemand aus grundsätzlicher, natürlicher Bosheit (oder Güte) handelt, dann gibt es nichts weiter zu verstehen.
Die Neigung zu Dispositionismus, zum Bewerten, zur eilfertigen Zuschreibung eines bösen Charakters an alle, die uns angreifen oder verletzen, macht die Gesellschaft zu einer leichten Beute von Kriegsnarrativen. Ohne diese Neigung wäre es nicht möglich, die nötige Zustimmung zu bekommen.
Heute haben Kriegsnarrative den öffentlichen Diskurs in den Vereinigten Staaten vereinnahmt. Ich meine damit nicht einen Krieg gegen fremde Mächte, obwohl diese Narrative auch immer höher im Kurs stehen. Ich meine den Krieg gegen uns selbst — einen Bürgerkrieg.
Aus diesem Grund warne ich vor der Dämonisierung von Donald Trump und seinen Anhängern. Ich tue das nicht aus einer besonderen Zuneigung für den Mann. Ich habe ihn noch nie getroffen, und ich bin mit fast nichts einverstanden, das aus seinem Munde kommt, sowohl was den Inhalt als auch was den Tonfall angeht. Anstatt ihn mit substanziellen Themen zu konfrontieren, verlegen sich seine Gegner auf überzogene Zuspitzung, Verdrehung und glatte Erfindung, um ihn als menschliches Ungeheuer darzustellen — etwas, das er nicht ist — und seine Anhänger als einen Haufen jämmerlicher Gestalten — etwas, das sie nicht sind. Nach zwei Attentatsversuchen ist es sehr beunruhigend zu sehen, dass gewählte Repräsentanten seine „Beseitigung“ fordern und Kommentarspalten vor Aussagen wie „Aller guten Dinge sind drei!“ überquellen. Solche Stimmungen drücken die oben beschriebene Neigung aus.
Ebenso beunruhigend ist der Ausdruck derselben Neigung bei denen, die mit Trump auf einer Linie liegen. Wenn wir das Böse auf die Verwalter heutiger Machtzentren projizieren — die Milliardäre, das World Economic Forum, BlackRock, Vanguard, State Street, die Hedgefonds, die FDA, die CIA, die WHO, die Konzerne, das Stanford Internet Observatory und so weiter und so fort — geraten wir in dieselbe Falle von Dispositionismus. Man könnte jede einzelne dieser Personen gegen jemanden aus der örtlichen Anarchistenkommune austauschen, und es würde sich wenig ändern. Immer wieder wiegeln Regierungen Volksaufstände ab, indem sie ein paar der unbeliebtesten Beamten entlassen. Sie könnten sogar ihre glühendsten Kritiker in die Regierung aufnehmen. Egal. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, macht die Stellung die Person aus.
Leute in Machtstellungen haben einen gewissen Entscheidungsspielraum für Veränderungen, aber wenn sie sich zu weit von den Interessen der Matrix der Elite-Institutionen entfernen, wird sich das System, das ihnen Macht einräumte, rasch gegen sie richten.
Ich habe Verständnis für alle, die finden, dass ich völlig abgedreht bin zu glauben, Trump könne etwas anderes sein als eine singuläre Bedrohung für die Demokratie, ein faschistischer starker Mann auf einer Welle von weißer Vorherrschaft und Fanatismus. Für diejenigen, die tief ins Mainstream-Informationssystem eingebettet sind, erscheint es völlig offensichtlich, dass er genau das ist. Folglich muss ich einer moralischen Schwäche erlegen sein. Vielleicht interessiert mich das Geld. Vielleicht fasziniert mich die Nähe zur Macht. Vielleicht verbinde ich mich, wie ein Kritiker andeutete, lieber mit anderen weißen Männern, weil mir nicht wohl ist mit einer schwarzen Frau wie Kamala Harris als Präsidentin. Vielleicht wurde ich vom Rechtsaußen-Informationssystem hypnotisiert. Das sind ein paar der Theorien, die im Internet mit großer Gewissheit als Kritik geäußert wurden. Es muss doch irgendetwas geben, um das ansonsten Unerklärliche zu erklären. Wie anders könnte jemand, der immer für Postkolonialismus, Tiefenökologie, alternative Wirtschaftsformen, Indigenen-Rechte und Friedensbewusstsein eingetreten ist, es versäumen, den Inbegriff des Bösen unserer Zeit in Bausch und Bogen zu verurteilen? Das muss verwirren.
Ich kann natürlich nicht völlig sicher sein, dass keine der Schatten-Motivationen, die mir zugeschrieben werden, im Hintergrund arbeitet. Ich hoffe sehr, dass dem nicht so ist.
Aber ich bestehe ja nicht aus einem besonderen Stoff, der gegen die Einflüsterungen von Geld und Macht immun ist. Was ich jedoch sagen kann, ist, dass meine innersten Überzeugungen dieselben geblieben sind, und dass weder Trump noch Harris diese auch nur im Entferntesten verkörpern.
Ich bin zwar kein Anhänger der MAGA (Make America Great Again) Bewegung, sehe darin jedoch das — noch zu schöpfende — Potenzial, eine wirklich erneuernde Volksbewegung zu werden. In meinem letzten Essay habe ich sechs grundlegende Prinzipien des Mitgefühls dargelegt, die eine solche Bewegung und ihre Führung beherzigen müssen. Sie sind die Grundbedingung, um das größte Hindernis für die volle Ausbildung einer Volksbewegung zu überwinden, nämlich — wie immer — die künstliche Spaltung der Bevölkerung.
Kennedys Beteiligung an MAGA ließ einige wichtige einigende Themen sichtbar werden: zum Beispiel chronische Krankheiten, die Verschlechterung der Lebensmittelversorgung, die Opposition gegen Krieg und bürgerliche Freiheiten. Sein Beitritt verändert den Charakter der Bewegung, aber es ist noch ein langer Weg, bevor sie ihr volles Potenzial in der Bevölkerung erlangt. Zum einen muss eine wirklich amerikanische Volksbewegung alle ethnischen Gruppen vereinigen. Momentan fühlt sich eine Mehrheit der weißen Arbeiterklasse zu Trump hingezogen. Demokraten haben im Durchschnitt mehr Einkommen, Bildung und Vermögen als Republikaner, womit sie den Status Quo der 1980er Jahre umkehren, dennoch erhalten sie mehrheitlich Unterstützung von Schwarzen und Latino-Wählern (obwohl dieser Vorsprung im Schwinden begriffen ist, besonders unter den weniger Gebildeten). Wenn sich Schwarze, Weiße und Latinos, die in immer stärkere Abwärtsspiralen von Elend, Krankheit, Armut, Sucht und Gewalt geraten, nicht zusammenschließen und stattdessen auf entgegengesetzten Seiten der politischen Spaltung bleiben, gibt es keinerlei Hoffnung darauf, die notwendige transformierende Kraft aufzubringen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern.
In Amerika haben etablierte Politiker immer die Spannung zwischen den Ethnien ausgenützt, um die ökonomische Unterschicht an einer Einigung zu hindern. Kennedy hatte die Gelegenheit, sie zu vereinen, vor dem Hintergrund seiner Geschichte als Streiter für Schwarze und indigene Gemeinschaften als Anwalt für Umweltrecht, ganz zu schweigen vom Einsatz seines Vaters für die Bürgerrechte. Trump hat keinen derartigen Hintergrund, dennoch lässt die Tatsache, dass so viele Schwarze hinter seiner Kandidatur stehen, die Möglichkeit einer vereinigten Volksbewegung erahnen, die im Entstehen ist. Sie glauben daran, dass weder Trump noch die meisten seiner Anhänger bösartige Rassisten sind. Sie klatschten ihm Beifall, weil er den First Step Act unterzeichnete und Universitäten, die von jeher vor allem von Schwarzen besucht werden, besser finanzierte. Aber Trump und MAGA werden sehr viel mehr tun müssen, wenn sie die ethnische Kluft überwinden wollen.
Der erste Schritt ist die Frage, die das Mitgefühl stellt: „Wie ist es, du zu sein?“ Stelle diese Frage und höre der Antwort respektvoll zu, und alle entmenschlichenden Narrative lösen sich auf. Wie ist es, ein Teenager in einer Straßengang zu sein? Wie ist es, im Gefängnis zu leben? Wie ist es, eine alleinerziehende Mutter zu sein, die von Sozialhilfe lebt? Wie ist es, ein illegaler Einwanderer zu sein? Sobald Menschen gegenseitig in ihre Geschichten eintauchen, finden sie eine gemeinsame Basis.
Eine Freundin von mir, eine nichtbinäre Frau afrikanischer Abstammung, begegnete einer Frau, die vor einer Abtreibungsklinik an der Westküste gegen Abtreibung protestierte. Meine Freundin ging mit aufrichtigem Interesse und gutem Willen auf die Protestierende zu. Ich glaube nicht, dass eine von ihnen ihre Meinung geändert hat, aber die Hitze ihrer Streitpunkte kühlte ab bis zu dem Punkt, wo sie Freundschaft schlossen. Die Protestierende ist immer noch gegen Abtreibung, aber sie schikaniert jetzt nicht mehr Menschen vor Abtreibungskliniken. Sie versteht die schwierigen menschlichen Geschichten besser, die zu dem Entschluss führen, eine Schwangerschaft abzubrechen. Die Grenzfälle von grausamen Spät-Abtreibungen, die so viel Wut entfachen, definieren ihr Narrativ nicht mehr. Dies ist ein ganz flüchtiger Blick auf die Wunder an Frieden und Versöhnung, die möglich werden, wenn die Menschen die Kriegsmentalität ablegen.
Eine ernsthafte Friedensgeste ist immer etwas naiv, wenn man aus der Kriegsdenke kommt, die die Welt voller unerbittlicher Feinde sieht, die allenfalls zum Schein verhandeln würden. Wer Frieden macht, kann und muss praktisch sein. Ohne ein kleines bisschen Naivität wird jedoch keine Seite ihr Bollwerk verlassen.
Ich habe in dieser Essayreihe gezögert, irgendetwas in der Art meiner obigen Feststellung zu sagen, dass ich mit fast allem nicht einverstanden bin, was aus Trumps Mund kommt. Und zwar, weil ich dem Impuls zum Distanzieren und Anprangern nicht nachgehen wollte. In diesem Moment steht etwas Wichtigeres auf dem Spiel. Die Entmenschlichung von Trump und MAGA stellt eine größere Gefahr dar als Trump und MAGA selbst. Beide haben gute und schlechte Seiten. Genauso hat das Establishment gute und schlechte Seiten. Es ist schließlich keine monolithische Einheit, sondern eine Matrix aus Menschen, Organisationen, Narrativen und Beziehungen ohne klare Grenzen. Sie beinhaltet mehr oder weniger jedes Mitglied der modernen Gesellschaft.
Wenn wir nicht damit aufhören, gewohnheitsmäßig nach dem „Bösen“ zum Bekämpfen Ausschau zu halten, werden wir bis in alle Ewigkeit nach dem einen „Bösen“ gleich das nächste sehen. Und wir werden immer kämpfen.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „More Naiveté, Please“ auf dem Substack von Charles Eisenstein. Er wurde von Ingrid Suprayan, Bobby Langer und Vanessa Groß übersetzt und korrekturgelesen. Er ist unter einer Creative-Commons-Lizenz (Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 3.0 Deutschland) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen darf er verbreitet und vervielfältigt werden.
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