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Licht am Ende des Tunnels

Licht am Ende des Tunnels

Es sind die, die durch die Hölle gegangen sind, die uns heute leiten können.

„Seien Sie heiter und ruhig an diesem Tage“ ― viele der Briefe, die Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis schrieb, enden in einer frischen Leichtigkeit, einem unbedingten Vertrauen in den kommenden Frühling und eine bessere Welt (1). Auch der französische Widerstandskämpfer und Philosoph Jacques Lusseyran fand im Konzentrationslager Buchenwald wegweisende Worte:

„Im Gefängnis müssen wir mehr denn je in uns selbst leben“ (2).

Die Jüdin Etty Hillesum schrieb aus tiefer Pein heraus:

„Das Elend ist wirklich groß, und dennoch laufe ich oft am Abend, wenn der Tag hinter mir in der Tiefe versunken ist, mit federnden Schritten am Stacheldraht entlang, und dann quillt es mir immer wieder aus dem Herzen herauf ― ich kann nichts dafür, es ist nun einmal so, es ist von elementarer Gewalt: Das Leben ist etwas Herrliches und Großes ...“ (3).

Es sind drei Beispiele von Menschen, die, hinter Stacheldraht und mit dem Tode konfrontiert, die Schönheit und Freude nicht aus den Augen verloren haben. Diese Menschen stehen uns heute zur Seite und erinnern uns daran, was es bedeutet, den Frieden wirklich zu lieben. Wenn die Welt bebt und aus den Angeln gehoben zu werden droht, dann ist der Moment der Bewährung. Es zeigt sich, ob wir es ernst meinen mit unseren positiven Gedanken und frommen Sprüchen.

Kein Entrinnen

Wie kann es gelingen, in einer Welt, in der es keine äußeren Zufluchtsorte mehr gibt, die Hoffnung nicht zu verlieren? Wie können wir heiter und ruhig sein, wenn überall Chaos herrscht?

Wie ist es möglich, sich die Freude zu bewahren, wenn die alten Weggefährten eine andere Richtung eingeschlagen haben, die Familie sich abgewendet hat und das, worauf wir uns ein Leben lang gestützt haben, nach und nach wegbröckelt?

Vor mehr als 20 Jahren begegnete mir in einem orthodoxen Kloster im Burgund ein junger Mönch. Aus scheinbarer Zusammenhangslosigkeit heraus sagte er mir ein paar Worte, die ich nicht verstand und die ich mir dennoch gemerkt habe:

„Bewahre dein Herz in der Hölle und verliere das Vertrauen nicht.“

War es dieser Gedanke, der Menschen wie Rosa Luxemburg, Jacques Lusseyran und Etty Hillesum geleitet hat? Hilft er den Menschen in den Kriegsgebieten und in den Gefängnissen dieser Welt, hilft er den Flüchtenden zu Wasser und zu Land, den unzähligen Menschen, die Leid, Gewalt und Unrecht erfahren? Hilft er mir, die erschüttert ist von der Härte der Welt und von dem Wahnsinn, der einen großen Teil der Menschheit erfasst hat?

In der Hölle

Ich sehe Menschen, die vorgeben, Harmonie zu wollen, doch Krieg führen, wenn die Welt nicht nach ihrer Musik tanzt. Ich sehe Machtmissbrauch, Unrecht und globale Zerstörung. Ich sehe Menschen, die sich fügen, weil es anderswo noch schlimmer ist. Ich sehe abwesende Väter, Mütter, die nicht lieben können, und Geschwister, die Intrigen spinnen. Ich sehe Partner, die einander nicht zuhören, und Freunde, die sich gegenseitig verurteilen und verraten.

Angesichts dieser verdrehten Welt fühle ich mich hilflos, wütend, manchmal verzweifelt. Wie mit glühenden Zangen erfasst mich die Ungeheuerlichkeit der Geschehnisse, der so viele gleichgültig gegenüberstehen. Ich bin erschüttert von Menschen, die immer noch meinen, die Dinge seien im Grunde so in Ordnung und würden sich schon irgendwie wieder einrenken.

Und so brauche ich heute mehr denn je die Erinnerung an Menschen, die den Mut hatten, durch die Hölle zu gehen, und daran nicht innerlich zerbrochen sind. Sie haben die Freude und die Schönheit im Blick gehalten, den Frieden im Herzen genährt und das Vertrauen nicht verloren. Sie riskierten ihr Leben, um andere Leben zu schützen. Sie begleiteten diejenigen, die sie liebten, und sie verziehen, wo ihnen Unrecht und Schmerz zugefügt wurden.

Durch des Herzens Tor

In einem eindrücklichen Artikel beschreibt die Journalistin Christa Leila Dregger das Schicksal der jungen Etty Hillesum, die uns in ihren Briefen und Tagebüchern ein leuchtendes Vermächtnis hinterlassen hat (4). Selbst noch im Lager fand sie das Leben schön und sinnvoll. In jeder einzelnen Minute, obwohl sie manchmal das Gefühl hatte, als säße sie in einem höllischen Fegefeuer und würde zu etwas geschmiedet.

Freiwillig war sie in den Zug gestiegen, der sie in den Tod fuhr. Bereitwillig teilte sie das Schicksal ihres Volkes und wurde ein Leuchtturm der Menschenliebe inmitten des Horrors. Sie kämpfte nicht dagegen an.

„Entscheidend ist letzten Endes, wie man das Leiden, das in diesem Leben eine wesentliche Rolle spielt, trägt und erträgt und innerlich verarbeitet und dass man einen Teil seiner Seele unverletzt über alles hinwegrettet.“

Durch diese Zeiten, das ist das Vermächtnis Etty Hillesums, kommen wir nur durch des Herzens Tor. Allein die Liebe kann uns aus der Hölle befreien. Nicht die Liebe eines stolzen Retters auf seinem Pferd, sondern unsere eigene Liebe, die wir für unsere Mitmenschen und uns selbst empfinden. Wenn wir unseren Nächsten lieben wie uns selbst, finden wir den Ausgang der Hölle. Dann können wir erkennen, dass wir nicht von allen guten Geistern verlassen, sondern geführt sind.

An treuer Hand

Am Ende seines Lebens, so erzählt eine Geschichte, schaut ein Mensch zurück. Er sieht die Spuren im Sand: seine eigenen Schritte und diejenigen, die er als die seines Schutzengels erkennt. Doch manchmal ist nur eine Spur sichtbar. Wo warst du da? Warum hast du mich verlassen? Das, so sagt ihm sein treuer Begleiter, waren die Momente, in denen ich dich getragen habe.

Vergessen wir nicht, dass nicht wir es sind, die den Überblick haben. Vor allem in den Momenten der Verzweiflung brennt uns Rauch in den Augen und versperrt uns die Sicht. Doch es gibt, und davon zeugen die Schicksale vieler, eine Macht, die uns leitet und niemals verlässt.

Der Einfachheit halber nannte Etty Hillesum sie die Hand Gottes, an der sie gehen wollte, ohne sich allzu sehr zu sträuben.

In dunkelster Stunde wollte sie sich eine Weile mit zum Himmel erhobenen Augen auf den Rücken im Ozean treiben lassen und dann in ergebener Gelassenheit versinken. Sie, die dem Terror so mutig die Stirn bot, hat sich ihrem Schicksal hingegeben. Sie hat nicht gegen ihre eigenen Gefühle gewehrt, nicht gegen die Wut, die Empörung und auch nicht den Hass. Sie konnte es, weil sie in dem Geschehen einen Sinn erkannte, auch wenn sie ihn selber nicht verstand.

Was ein Mensch vorgelebt hat, das können andere auch. Der Weg ist gebahnt. So ist es nun an uns, uns an die Hand nehmen zu lassen. Fassen wir uns ein Herz. Nehmen wir es hin, dass das Ego leidet. Doch die Seele tanzt. Denn sie erfasst die Möglichkeiten der Entwicklung, die sich uns in der Krise offenbaren. Lassen wir los, was uns beschwert, und geben uns der Gnade hin, die uns erwartet.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Rosa Luxemburg: Briefe aus dem Gefängnis, CreateSpace Indpendant Publishing Platform 2016.
(2) Jacques Lusseyran: Das wiedergefundene Licht. Die Lebensgeschichte eines Blinden im französischen Widerstand, Klett-Cotta 2019.
(3) Etty Hillesum: Das denkende Herz: Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941-1943, Rowohlt Taschenbuch 1985.
(4) https://zeitpunkt.ch/hingabe-und-widerstand-das-denkende-herz


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