Doch es gibt auch eine ganz andere Realität aus Gaza zu berichten. Etliche Jugendliche und junge Erwachsene suchen in der Kunst eine Möglichkeit, ihre Gefühle und Gedanken zu ihrer gegenwärtigen Situation auszudrücken. Sie beschäftigen sich mit verschiedenen Kunstformen, von denen wir hier zunächst zwei vorstellen wollen: Sandplastiken und Trümmer-Parcours. Die Beschreibungen zu den Bildern lieferte Mohammed Abu Ramadan, dem es vor einiger Zeit gelang, Gaza aus gesundheitlichen Gründen zu verlassen und der derzeit in der Türkei lebt. Seine Künstler- und Fotografenfreunde beliefern ihn regelmäßig mit Bildern und aktuellen Informationen aus Gaza.
Die Geschichte des „Gaza Parcour Teams“ begann im Jahre 2005, als der junge Abdullah Anshasi – heute einer der Köpfe der Parkour-Jungs – eine britische Dokumentation über London Leap entdeckte, den ersten offiziellen Parcour-Park Londons, in dem junge Menschen ihre Fähigkeiten trainieren, sich möglichst geschickt, schnell und lautlos von einem Ort zum anderen zu bewegen und dabei die schwierigsten Hindernisse zu überwinden.
Abdullah Anshasi durchforstete das Internet und fand dort, was er suchte: Anweisungen, Übungen, Vorbilder – und vor allem eine Möglichkeit, seine Energie und Anspannung zu entladen, die sich aufgrund seiner Lebenssituation aufgestaut hatten, die bestimmt ist von Unterdrückung und Armut. Lebensbedingungen, die ein Ergebnis der fast 11-jährigen Blockade Gazas durch Israel sind.
Das Parcour-Team in Gaza besteht derzeit aus 12 jungen Leuten – leider ist kein einziges Mädchen dabei – von denen jeder seine eigene Vorstellung und Aufgabe im Team hat. Sie trainieren Kinder und Jugendliche und bemühen sich, ihre sportlichen Fähigkeiten zu erweitern und ihr einzigartiges Hobby lebendig zu halten.
Die Gruppe hat Dächer, Schuttberge zerstörter Häuser, den Strand von Gaza und sogar Friedhöfe zur Bühne ihres täglichen Trainings auserkoren.
Mutig, waghalsig, oft halsbrecherisch und übermütig wagen sie Sprünge und Saltos, um die Härte ihres täglichen Lebens erträglicher zu gestalten. Um zumindest den Hauch eines Lebens in Freiheit zu schmecken.
Auf Sand gebaut
Der 27-jährige Osama Sbeata nutzt für seine vergängliche Kunst den feinen Sand an Gazas Strand. Manchmal verwendet er zusätzlich Sprayfarben, die er aus einer Bücherei bekommt. Sein jüngstes Werk hat er dem Fotojournalisten Yaser Mourtaja gewidmet, dessen Namen er zwischen zwei kunstvoll gestaltete Flügel platziert hat. Der 31-jährige Mourtaja, Vater eines Kleinkindes, wurde von israelischen Scharfschützen am zweiten Protestfreitag tödlich getroffen, obwohl er gut erkennbar eine Schutzweste mit der Aufschrift PRESS trug. Yaser Mourtaja hatte Gaza zeitlebens nie verlassen, aber immer davon geträumt, sein Land von oben zu sehen.
In Solidarität mit Tausenden palästinensischer Gefangener, darunter etwa 400 Minderjährige, entstand diese Sandplastik von Osama Sbeata. Die Schrift besagt: „Wir sind alle mit Euch.“
Auch in diesem Sandgemälde wird die palästinensische Gefangenheit thematisiert – ebenso wie der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung.
Dieses Werk ist das letzte, das der Sandkünstler Mohamed Abu Amr schaffen konnte. Der 25-Jährige war für seine besonders schönen Skulpturen bekannt, die er im Sand von Gazas Strand kreierte. Unter dem Hashtag „#ichwerdezurückkehren“ verabschiedete er sich für immer von dieser Welt — kurz danach wurde er am Karfreitag, dem ersten Tag des Großen Rückkehrmarsches, getötet.
Ob es in diesem Jahr 2018 etwas zu lachen oder doch mehr zu weinen geben wird für die Menschen aus Gaza? Das Smiley in diesem Bild zeigt eine Vorahnung.
Und dennoch: Mit und durch Kunst ist eine andere Perspektive, vielleicht sogar mal Entspannung zwischendurch ein erfüllbarer Wunsch.
Fotos: Gaza Parkour Team, Osama Sbeata, Mustafa Thraya (Sandbilder).
Text: Mohammed Abu Ramadan, Nirit Sommerfeld (Text und Übersetzungen).
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.medico.de/blog/eskalation-mit-ansage-17028/
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