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Tantra-Bude

Tantra-Bude

Auch sinnliche Wunscherfüllung ist eine Form der Selbstermächtigung.

Der Legende nach formte Gott aus der Rippe Adams die Frau und nannte sie Hawwah, was aus dem Hebräischen übersetzt „Mutter allen Lebens“ heißt. Sie war vermutlich das beste Resultat seiner Schöpfung, denn Gott sprach: „Siehe, das Ergebnis meines Schaffens ist sehr gut.“ Der Religionsstifter Apostel Paulus erkannte die überaus hohe Wertschätzung, die in Gottes Worten lag. Und als Mann, der er war, witterte er Konkurrenz. In seinem Brief an die Gemeinde zu Ephesus ordnete er an, dass sich die Frauen gefälligst ihren Männern unterzuordnen haben.

Das gefiel den Männern, denn die totale Unterwerfung wurde schließlich im Namen des Allmächtigen befohlen. Den Tyrannen dieser Welt kam die Order ebenfalls gelegen. Womit sie nicht gerechnet hatten: Die Frauen verfügten über Geschick, Anmut und diverse Reize, um sich der Unterjochung zu widersetzen.

Das macht jeden Macho richtig sauer. Ergebnis:

Die Frau wird bis zum heutigen Tag auf dem Altar seiner Geilheit geopfert. Das Tor zum Leben wird beschnitten, verstümmelt, verkauft, verbrannt, geschändet, vergewaltigt, hinter dichten Schleiern verbannt, entmündigt und gedemütigt.

Sonst noch was? Ich glaube, das reicht. Leben muss getötet werden. Wir kennen die Verkündigung Nietzsches: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unseren Messern verblutet.“ Nicht zu vergessen: Frauen waren es, die vor dem Kreuz niedersanken und wehklagten.

So viel als Vorspann. Nun zu Hawwah, die sich nach einer langen Ehe aus dem „Joch“ befreit hat. Diesen amtlich abgesegneten Bund gab es schon in der Antike. Er diente in erster Linie der Vermögensvermehrung und dem gesellschaftlichen Aufstieg. Daran hat sich nichts geändert. Reich heiratet schön und umgekehrt. Nicht gerade romantisch. Die dürren Heringe, die einen runden Pfannkuchen vor den Traualtar schleppen, sind doch eher die Ausnahme. Im wahrsten Sinne des Wortes trauen sie sich mal was. Eigentlich doch sehr sympathisch.

Nun, was macht Hawwah an einsamen Wochenenden als Single? Sie kommt auf wundersame Ideen. Bosseln in Ostfriesland oder ein Tantra-Wochenende in einem Schloss mit ayurvedischer Küche. Der Anbieter wirbt mit folgenden Worten: „Dabei kannst du nicht nur die facettenreichen tantrischen Körperübungen aus verschiedenen tantrischen Traditionen erleben, sondern auch die neuesten Methoden der Persönlichkeitsentwicklung für dich nutzen. Diese einzigartigen integralen Konzepte können dir den Zugang zu den vielfältigen Potenzialen und Fähigkeiten eröffnen, die tief in deinem intuitiven und unbewussten Erfahrungsbereich schlummern.“

Reinschnuppern kann man ja mal, auch wenn es ein halbes Vermögen kostet, so dachte Hawwah. Ein warmer, orangerot belichteter Raum. Bunte, seidene orientalische Sitzkissen laden zum Lümmeln ein. Die Frauen stehen barfüßig, leicht, aber nett bekleidet im Kreis. Der „Tantrameister“ betritt den Raum, er trägt einen enganliegenden Body, der wie ein Strampelanzug aussieht. Das „Riesenbaby“ kommt in Begleitung einer Männerschar, die ebenso merkwürdig angezogen ist. Die Frauen schmeißen sich vor Lachen auf den Boden. „Es fehlt ihm nur noch der Schnuller“, kichert eine Teilnehmerin. Die erotische Stimmung ist jedenfalls dahin. „Geht einfach wieder nach Hause. Wir amüsieren uns bestens“, ruft sie der verdutzten Männergruppe zu.

An den nächsten zwei Tagen folgten merkwürdige Übungen: eine tantrische, spirituelle Meditation, die keiner verstand. Man sollte dabei hinter das Licht geführt werden. Angeblich hoch spirituell. Chakren- und Atemarbeit, die eher einer Schwangerschaftsgruppe glich. Eine Ölmassage, die auch niemanden von der Bodenmatte zu reißen vermochte. Mehrere sinnliche Rituale folgten. War alles zu zuckersüß. Hawwah aber brauchte etwas Herbes.

Sie schielte schon das ganze Seminarwochenende auf einen großen, muskulösen und gut aussehenden Mann. Er war Norweger und wohnte in Hamburg. Das wäre nur eine Stunde Fahrt mit dem Zug, falls er auf ihr Angebot einginge. So dachte sie. Um es auszusprechen, brauchte sie eine gehörige Portion Mut. In dieser Tantra-Bude, so glaubte sie, müsste es zu schaffen sein. Antrinken konnte sie sich den Mut allerdings nicht, denn es bestand Alkoholverbot. Sie versuchte es mit einer holotropen Atemtechnik. Das ist nichts weiter als tiefes und beschleunigtes Atmen. Negative Denkmuster sollen dabei abgebaut werden. Ihr zu überwindendes Denkmuster: Du kannst doch nicht einfach einen Kerl anbaggern, um mit ihm ein paar erotische Wochenenden zu erleben. Genau das aber war ihr Wunsch.

Mit ein wenig Schwindelgefühl, das auf die Atemtechnik zurückzuführen war, ging Hawwah auf ihren Kandidaten zu und unterbreitete ihm ihr Angebot. Ungläubig sah er ihr in die Augen, dann auf die Taille, drehte sie im Kreis und meinte nach einer ausgiebigen Begutachtung: „Kann man gelten lassen. Ganz ehrlich, so etwas ist mir noch nie passiert.“ — „Mir auch nicht“, gestand auch sie ein.

Er willigte also ein, und beide hatte Gefallen an diesen überaus unkomplizierten Treffen ohne Heuchelei. Nach drei Monaten allerdings fühlte der Mann sich gedemütigt. Er wollte mehr als nur ein „Lover“ sein. Und er sprach plötzlich von Ausbeutung. Aber auch Hawwah hatte genug und fragte sich: Wie kann ich das Spiel beenden, ohne ihm weh zu tun?

Also überlegte sie sich ein Ritual, das sein Herz stärken sollte. Es war ganz einfach: Sie setzten sich auf dem Fußboden im Yogasitz gegenüber, ein paar Köstlichkeiten — Pralinen, Russisch Brot, getrocknete Feigen — waren ausgebreitet. Räucherstäbchen sorgten für das Aroma, Kerzen für die Stimmung. Sie berührten ihre Hände liebevoll und bedankten sich, was sie einander Gutes getan hatten. Es fielen viele Worte der Verehrung und Achtung, und das Ritual dauerte eine gute Stunde. Anschließend segneten sie sich mit allen guten erdenklichen Wünschen.

Es funktionierte. Sie gingen in Liebe und Harmonie auseinander. Keine Verletzung, kein Groll, keine Sehnsucht. Was blieb, war ein warmes, liebendes Gedenken. Bis heute, zwanzig Jahre später, erinnert sich Hawwah gerne an ihre Überwindung, Wünsche offen auszusprechen, und besonders an das heilende Ritual. Und das sinnliche Vergnügen? Na ja, sie hat es einfach mitgenommen. Ganz unspektakulär.


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