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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Frieden braucht Abrüstung und eine Kultur der Friedfertigkeit, nicht immer mehr Waffen. Teil 2 von 2.

„Kleine weiße Friedenstaube, fliege übers Land;
allen Menschen, groß und kleinen, bist du wohlbekannt.

Du sollst fliegen, Friedenstaube, allen sag es hier;
dass nie wieder Krieg wir wollen, Frieden wollen wir.“

In der DDR kam keiner, wirklich keiner, an der „kleinen weißen Friedenstaube“ vorbei. Ihre schlichte Melodie ermöglichte das Mitsingen schon Kindergartenkindern. Getextet und komponiert hat sie die aus Niederschlesien vertriebene Erika Schirmer im Jahr 1949, unmittelbar nachdem Pablo Picasso mit der Friedenstaube eines der bekanntesten Symbole der Welt und das Symbol für den Frieden schlechthin schuf.

„Fliege übers große Wasser, über Berg und Tal;
bringe allen Menschen Frieden, grüß‘ sie tausendmal.“

Obwohl die „kleine weiße Friedenstaube“ (YouTube) nur den Frieden in die Welt tragen sollte und nicht Sozialismus oder Kommunismus, ist sie uns abhandengekommen. Bereits in der ersten Neuauflage durch den Cornelsen-Verlag, der den DDR-Schulbuchverlag nach der Wende übernahm, war sie verschwunden. Weg, entflogen. Auf Nimmerwiedersehen? Nicht mal ein Kinderlied für den Frieden war es wert, in Ost-Schulen nach der Wende gesungen zu werden oder gar ins Kinderliedgut des nun geeinten Landes einzugehen.

Brauchten wir sie nicht mehr, weil wir ja jetzt Frieden hatten? Den hatten wir zwar bei weitem nicht auf der ganzen Welt, aber immerhin auf deutschem Boden, trotz des Kalten Krieges, trotz jahrzehntelanger Rüstungsspirale inklusive atomarer Hochrüstung auch auf deutschem Boden. Aber vielleicht wegen der Schlussakte von Helsinki 1975, wegen des „Gleichgewichts des Schreckens“, wegen der „Bewegung der Blockfreien Staaten“ mit Politikern wie Tito, Nasser oder Sukarno, wegen besonnener Politiker wie Bruno Kreisky, Urho Kekkonen oder Olof Palme, oder wegen der Friedensbewegung der späten 70er und frühen 80er Jahre?

Diese gab es auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges. Im Westen war Picassos Friedenstaube ihr einigendes Symbol. Im Osten gab es sie sogar doppelt: Unter dem Dach der Kirche, von der Obrigkeit nicht gelitten, mit dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“, seit dem „Berliner Appell“ 1982 unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“. Und es gab sie staatlich gelenkt.

Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge haben immer weniger Bestand, die NATO stationiert Raketensysteme in Polen und Rumänien, ihre Rüstungsausgaben sind so hoch wie nie, die ukrainische Führung will den Bündnisfall herbeiführen, die EU-Außenbeauftragte möchte Russland zerschlagen, über die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine denken mehrere Staatenlenker in der EU nach, Friedrich Merz und nun auch Christian Lindner befürworten die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, die NATO errichtet ihren größten europäischen Stützpunkt in Rumänien, statt weit weg von Russland in Portugal. In Rostock wurde gerade ein maritimes NATO-Hauptquartier eröffnet, welches man flugs umbenannte, um den Verstoß gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag weniger offensichtlich zu machen, und im nächsten Jahr sollen nicht nur „Tomahawk“-Marschflugkörper mitten in Deutschland stationiert werden, sondern auch Hyperschallraketen mit einer Reichweite von bis zu 3.000 Kilometern. Diese sind vermutlich nicht gegen Liechtenstein oder die Schweiz gerichtet …

Ein Großteil von Politikern und Medien faselt seit Jahren eine Situation herbei, die einen Krieg als unausweichlich erscheinen lässt.

Am 10. Februar 2024 initiierten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer ein „Manifest für den Frieden“. Nicht mal eine Million Bürger dieses Landes hat nach elf Monaten dieses Manifest unterschrieben. Anders ausgedrückt: Fast 99 Prozent ist es egal, sie lehnen es ab oder kennen es nicht.

Am 4. Dezember 2024 wurde ein „Appell der 38“ veröffentlicht, in dem 38 Personen des öffentlichen Lebens darauf hinwiesen, dass es eine Minute vor zwölf ist und es gelte, einen großen europäischen Krieg zu verhindern. Außer einer Meldung am gleichen oder nächsten Tag fiel der Appell den wahrhaftig wichtigen Dingen zum Opfer. Welchen? Welche könnten wichtiger sein? Welche könnten wichtiger sein, wenn die Menschheit zu existieren aufhörte?

Wahrscheinlich ist dieser Denkansatz völlig falsch. Wahrscheinlich liegt es daran, dass solche „Spinner“ wie Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine oder Alice Schwarzer unterschrieben haben. Ich befürchte, dass allein das bei vielen reicht, um die Unterstützung zu versagen. Mir fällt bei den Unterzeichnern des Appells gerade kein Mitglied der einstigen Pazifisten-Partei, der Grünen, auf, kein Mitglied der Nächstenliebe-Parteien CDU und CSU und, man mag es kaum glauben, kein Mitglied der Linken. Man unterstützt einen Friedensappell nicht, weil ihn „die falschen Leute“ initiieren. Da fehlen mir die Worte. Andererseits ist es bezeichnend für den Zustand unserer Gesellschaft: zu viele Lager, zu viele Blasen.

Ich wünsche mir nicht viele Dinge. Aber neben Gesundheit, um noch möglichst lange und möglichst oft zu Fuß oder ohne Motor am Rad die Berge raufzukommen, gehört Frieden zu den wenigen Dingen, die ich mir wünsche. Frieden, nicht als Abwesenheit von Krieg, nicht als Waffenstillstand. Frieden als Völkerverständigung, Abwesenheit von Nationalismus, von Gewalt und Unterdrückung, nicht beschränkt auf Länder und ihre Grenzen. Für mich bedeutet Frieden, dass es keine Gewalt und Unterdrückung von Minderheiten, Volksgruppen, Frauen, Kindern, körperlich Schwächeren, Andersdenkenden, Andersgläubigen, Anderssprachigen, Andersfarbigen oder Andersliebenden gibt. Zu diesem Frieden braucht es Friedfertigkeit. Friedfertigkeit ist kein Zustand, sondern eine Gesinnung, eine Denkweise, eine Haltung, auch wenn letzterer Begriff von den Braunen strapaziert wurde.

Ich kenne den Zweiten Weltkrieg zum Glück nur aus der Geschichtsschreibung, genauer gesagt: aus zwei Geschichtsschreibungen. Meine Mutter kam mit ihrer Familie aus Oberschlesien, arm an Materiellem, aber reich an Kindern. Über vieles in der Zeit zwischen dem Eintreffen der Roten Armee und der Aussiedlung Erlebte haben die „Mutti“ und der „Papa“ sowie die großen Schwestern meiner Mutter beharrlich geschwiegen.

Vielleicht geht es uns, die wir nach dem Krieg geboren wurden, zu gut, um den Wert des Friedens wirklich zu schätzen, um ihn nicht floskelhaft abstrakt in den Mund zu nehmen. Allerdings habe ich wenige Jahre nach Ende des Vietnamkrieges sehen können, was der Einsatz von Agent Orange durch die Amerikaner in diesem Land angerichtet hat. Die entlaubte, verdorrte Vegetation war am Anfang allenfalls irritierend. Die Menschen mit Missbildungen und Hautschäden sehen zu müssen, war schwer zu verkraften. Wer (im wahrsten Sinne des Wortes) angesichts dessen nicht für den Frieden ist, dem mag vermutlich nichts mehr helfen. Der Krieg der Amerikaner in Vietnam kostete zwischen 600.000 und vier Millionen zivile Todesopfer. Weder wurden die USA politisch isoliert noch wirtschaftlich sanktioniert oder auch nur ihre Sportler von Veranstaltungen ausgeschlossen.

Anfang 2024 konnten wir in Deutschland „Demos gegen rechts“ beobachten. Gegen wen richteten sich diese Demonstrationen? Gegen „rechts von der Mitte“, also auch gegen CDU und CSU? Wäre das nicht logisch, wo doch Franz Josef Strauß einst behauptete, dass rechts von der CSU kein Platz mehr sei? Gegen die AfD und mit ihr gegen „Die Heimat“, den „III. Weg“ oder die „Freien Sachsen“? Vielleicht auch gegen „dieBasis“ und die Freien Wähler? Mir waren diese Demos suspekt, weil ich, zugegebenermaßen, nicht verstanden habe, wer die Menschen damals mobilisiert hat. Für die Öffentlichkeit sahen sie nach Graswurzelbewegung aus, was sie aber unmöglich sein konnten. Inzwischen werden sie auch als „Demonstrationen für die Demokratie“ bezeichnet. Das ist gut. Für etwas zu sein, ist immer besser, als bloß gegen etwas zu sein, und wenn es „gegen rechts“ ist.

War man womöglich für die Umkehrung des schleichenden Demokratieabbaus, von Grundrechteeinschränkungen durch Teile der Bundesregierung sowie für die Abkehr von immer stärkeren Überwachungsgelüsten, und ich habe davon nichts mitbekommen? Und warum lässt sich derzeit für den Frieden, für Abrüstung und Konfliktbeilegung nicht ein Bruchteil an Menschen mobilisieren? Wie kann das sein, wo sich doch im Falle eines Krieges in Deutschland alle innenpolitischen Debatten sprichwörtlich in Rauch auflösen würden?

Derzeit in unserem Land „für den Frieden“ zu sein, vielleicht sogar für ihn auf die Straße zu gehen, ist kompliziert. Man könnte für einen Frieden in der Ukraine auf die Straße gehen. Aber wir wollen ja die Ukraine bis zum „Endsieg“ unterstützen, oder? Außerdem gilt: Wer behauptet, für einen Frieden in der Ukraine zu sein, will doch keinen wirklichen Frieden, sondern bloß einen Waffenstillstand mit Gebietsabtretungen an Russland. Wer das will, gilt als Putinversteher. Mit Putinverstehern kann man sich nicht gemein machen, nicht mal, wenn es um die wichtigste Sache überhaupt geht: den Frieden.

Wer ernsthaft für den Frieden ist, muss auch für einen Frieden im Nahen Osten sein. Wer für einen Frieden im Nahen Osten ist, kommt gar nicht umhin, gegen das Vorgehen Israels zu sein. Wer aber gegen das Vorgehen Israels ist, gilt als Antisemit. Als solcher gebrandmarkt zu werden, ist unschön, äußerst unschön in unserem Land. Strafverfahren lauern, Reputationsverlust droht, mit ihm öffentliche Ausgrenzung, bei Beamten gar Arbeitsplatzverlust.

Es ist ein Dilemma: Bin ich für den Frieden in der Ukraine, ist das nur dann richtig, wenn ich entweder will, dass wir die Ukraine so lange militärisch unterstützen, bis sie Russland besiegt und den Frieden selbst erkämpft hat, oder wenn sich Russland freiwillig hinter die Grenzen von 1991 zurückzieht, auch wenn es dafür an historischen Beispielen mangelt.

Bin ich für Frieden im Nahen Osten, dann bitte nur, wenn die Palästinenser die Waffen niederlegen und sich wie seit 75 Jahren jede Übergriffigkeit Israels gefallen lassen. Warum sollten sie? Weil wir Deutschen der Meinung waren, die Juden ausrotten zu müssen und unsere Schuld auf Kosten anderer abtragen wollen?

Am unverfänglichsten ist es, man ist für Frieden im Sudan, im Südsudan, in Burkina Faso, Myanmar, Mali, Somalia, Äthiopien, im Niger oder einem der zahlreichen anderen Kriegsherde auf dem Planeten. Die sind uns nicht so wichtig. Am besten also ist es, man ist nicht für den ganzen Frieden, sondern für „ein bisschen Frieden“. Damit konnte man sogar den Grand Prix gewinnen.

Wie wir sehen, gibt es angesichts der von den uns Regierenden verbreiteten Stimmung im Land gute Gründe, ein „Manifest für den Frieden“ nicht zu unterzeichnen, nicht an einer von Sahra Wagenknecht initiierten Friedensdemo teilzunehmen, nicht von Nachbarn, Freunden oder Kollegen wahlweise als Putinversteher oder Antisemit erkannt zu werden. So weit sind wir schon wieder …

Was ich in meiner ostsozialisierten, also zwangsläufig begrenzten, weil nicht transatlantischen Weltsicht nicht verstehe: Wieso lassen wir uns in der für die Menschheit wichtigsten Angelegenheit dermaßen auseinanderdividieren?

Was zählt unser Wohlstand, wenn er Hyperschallraketen und Marschflugkörpern zum Opfer fällt? Was nützen den VW-Mitarbeitern ihre jüngsten Vereinbarungen, wenn sie einem Erstschlag oder auch nur einem Zweitschlag zum Opfer fallen? Was jucken uns angesichts dessen steigende Kraftstoff- oder Butterpreise?

Wird schon nichts passieren? Woraus könnte, woraus sollte sich diese Hoffnung speisen?

Aus dem „verantwortungsvollen Handeln“ der uns Regierenden? Mir wird schlecht, wenn sich Sozialdemokraten für einen neuen Rüstungswettlauf mit Raketen, die bis Moskau fliegen können, aussprechen. Wer denkt da nicht an die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD vor dem Ersten Weltkrieg? Mir wird speiübel, wenn sich ein Christian Lindner bei Friedrich Merz anbiedert, indem nun auch er die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern fordert.

Wird schon nichts passieren … weil die NATO so „schön“ stark ist, dass sich an sie keiner rantraut? Im Ernst? Wir sprachen im Kalten Krieg vom „Gleichgewicht des Schreckens“. Dieses hat die Lage, so fragil sie auch gewesen sein mag, nicht eskalieren lassen.

Jedoch: Nie war die Asymmetrie größer als jetzt. Die NATO-Rüstungsausgaben betrugen in den Jahren 2008 bis 2023 kumuliert mehr als das 14-Fache im Vergleich zu Russland (16.524.994 Millionen US-Dollar (USD) (1) zu 1.160.020 Millionen USD (2)), selbst im Kriegsjahr 2023 fast das 12-Fache. Der Abstand in absoluten Zahlen wächst mit jedem Jahr.

Wenn diese Zahlen dann noch damit verbunden werden, dass die NATO sich immer weiter auf Russlands Grenzen zubewegte, welche Schlussfolgerung wäre aus russischer Sicht denn naheliegend? Frauen gesteht die Gesellschaft das Recht auf Unbehagen zu, wenn ihnen auch nur ein Mann unerlaubt zu nahekommt. Frau rüstet also auf, zum Beispiel mit Pfefferspray. Im Laufe von Jahren sammelten sich bei mir sogar mehrere an. Ausprobiert habe ich noch keines; der Ernstfall blieb mir bisher auch erspart.

Russland aber sprechen wir das Recht ab, sich bedroht zu fühlen, wenn sich ein Militärbündnis mit zigfach höherem Potential unentwegt nach Osten, auf Russland zu, ausbreitet. Russland hat all das unserer Meinung nach klaglos hinzunehmen.

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas ließ uns dieser Tage wissen, dass Russland 9 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Rüstung ausgibt, wir, „die Guten“, dagegen viel weniger. Kein schlechter Taschenspielertrick, aber nur, weil die Supermarktverkäuferin für ihren Dacia prozentual dreimal so viel ihres Gehaltes ausgibt wie die Personalchefin für ihren 911er, wird sie diesem noch lange nicht davonfahren.

Wer in der Lage ist, diese Zahlen verständig zu würdigen, sollte erkennen können, dass ein Angriff auf die NATO für Russland ein Himmelfahrtskommando sondergleichen wäre. Wer zudem erkennt, welche Übermacht hier in der Lage ist, Russland zu bedrängen, sollte den Frieden im Rest Europas ernsthaft in Gefahr sehen. Nur dass diese Gefahr ursächlich nicht von Russland ausgeht.

Dennoch fordert Robert Habeck eine Erhöhung der Rüstungsausgaben in Deutschland von zwei auf dreieinhalb Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Auch hier lohnt ein Blick auf die Zahlen. Die Rüstungsausgaben Deutschlands von 2008 bis 2023 betrugen 813.949 Millionen USD (1). Das sind absolut zwar „nur“ 70 Prozent der Ausgaben Russlands, pro Kopf der Bevölkerung aber 22 Prozent mehr. Selbst im Kriegsjahr 2023 lagen die Pro-Kopf-Rüstungsausgaben Deutschlands 17,3 Prozent über denen Russlands. Bei der von Habeck geforderten Steigerung auf 3,5 Prozent betrügen die deutschen Rüstungsausgaben pro Kopf der Bevölkerung gut das Doppelte im Vergleich zu Russland. Donald Trump fordert gar 5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Dann lägen wir bei fast dem Dreifachen.

Aber das kann man doch nicht gleichsetzen! In Deutschland bekommt man doch für einen Dollar viel weniger als in Russland! Dieses Argument führen die Befürworter höherer Rüstungsausgaben gern ins Feld. Dass man sich da aber mal nicht täuscht: Zu Beginn des genannten Zeitraums, im Jahr 2008, betrug die Kaufkraftparität 89,7 Prozent. Im Laufe des Jahres 2021 überholte uns Russland. Ende 2023 lag die Kaufkraftparität bei 110,7 Prozent (3). Das heißt: Wir bekommen für einen ausgegebenen Dollar fast elf Prozent mehr. Was man daraus auch ersehen kann, ist, wie hoch der Preis der Wirtschaftspolitik der Ampel ausfällt.

Nicht Russlands Krieg in der Ukraine sollte uns Angst machen, gleich gar nicht unterstellte Angriffsgelüste in Richtung NATO. Die Höhe unserer Rüstungsausgaben sollte uns Angst machen. Denn wozu bedarf es angesichts des unweigerlich weit unterlegenen Gegners überhaupt solch hoher und weiter steigender Rüstungsausgaben? Um den Frieden zu sichern, ein Gleichgewicht herzustellen? Dazu reichte weit weniger. Ich hätte viele Vorstellungen, wo das so freiwerdende Geld hinfließen könnte: Bildung, Krankenhäuser, Verkehrsinfrastruktur …

Es gibt also viele gute Gründe, für den Frieden, vor allem für Abrüstung, auf die Straße zu gehen. Es gibt viele gute Gründe, die Doppelmoral unserer Politiker und der gedankenlosen Journaille anzuprangern. Möglicherweise ist es aber gar keine Doppelmoral, sondern das schiere Nichtbeherrschen der Grundrechenarten oder antrainiertes Ignorieren von Fakten. Das sollte uns allerdings noch mehr Angst machen.

Und uns sollte zu denken geben, dass man uns einredet, die Bundeswehr sei „kaputtgespart“ oder „heruntergewirtschaftet“ worden, obwohl unsere Rüstungsausgaben innerhalb von 15 Jahren die russischen pro Kopf um 22 Prozent überstiegen. Wie spart man etwas kaputt, wenn man mehr ausgibt als der angebliche Feind? Das geht nur durch Misswirtschaft, die sich sehr wahrscheinlich quer durch den staatlichen Sektor zieht.

„Statistik ist für mich das Informationsmaterial der Mündigen. Wer mit ihr umgehen kann, kann weniger leicht manipuliert werden.“

Der Satz stammt von Elisabeth Noelle-Neumann, der Gründerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach. Sie war auch die Begründerin der Theorie von der Schweigespirale. Danach machen Menschen ihren Mut zur eigenen Meinungsäußerung davon abhängig, wie konform diese zum allgemeinen Meinungsklima ist. Wie richtig diese Theorie ist und dass sie offenbar wieder mal gut ins Kalkül unserer Politiker und Mainstreammedien passt, erleben wir seit Corona-Beginn.

„Statistik ist das Märchen der Vernunft“, formulierte der Aphoristiker Martin Kessel. Was aber, wenn die Vernunft schweigt? Diesem Thema widmete kürzlich Daniela Dahn ein kleines, schwer zumutbares, dennoch großartiges Buch. „Schwer zumutbar“ jedoch nur, weil man so einiges, um es sacken zu lassen, mehrmals lesen muss, und der Verlag hierfür eine viel zu kleine Schrift gewählt hat. Die Lektüre des Bändchens hilft, zu verstehen, warum es eine Friedensbewegung in einer Zeit, in der der Wertewesten fast schon verzweifelt versucht, die unipolare Weltordnung am Leben zu erhalten, schwer hat.

Wenn wir es schon nicht schaffen, „für den Frieden“ auf die Straße zu gehen, weil wir uns nicht einig sind, welchen Frieden wir meinen, sollten wir uns angesichts der NATO-Aufrüstung und der für 2026 geplanten Stationierung amerikanischer Waffensysteme in Deutschland wenigstens „für Abrüstung“ stark machen. Das hat vor 45 Jahren schon einmal funktioniert. Was „Friedensbewegung“ hieß, meinte Abrüstung.

Und wenn es schon Personen des öffentlichen Lebens, unter ihnen namhafte Intellektuelle, nicht gelingt, hierfür zu mobilisieren — was kein Vorwurf meinerseits ist —, dann können wir vielleicht auch hier auf etwas zurückgreifen, was vor 45 Jahren schon mal funktionierte: die Musik.

Musiker hatten es damals in Ost und West geschafft, die Leute für das wichtigste Thema der Menschheit zu sensibilisieren.

Schlager und volkstümliches Gedudel haben unverändert Hochkonjunktur, „Bauch Beine Po“ war 2024 angesagt. Je unpolitischer, desto geringer die Gefahr, missverstanden zu werden. Warum holen die Musikredakteure Deutschlands nicht als Anfang mal wieder die Lieder von damals hervor? Weil sie zu jung sind, um die Lieder zu kennen? Weil sie glauben, das wolle keiner hören?

In den 80ern entstanden Lieder zum Thema, die nichts an Aktualität und nur wenig von ihrem Zauber verloren haben.

Wir im Osten hatten es da gut. Bei uns wurden Friedenslieder aus Ost und West gespielt, bis auf eine Ausnahme: Nicoles „Ein bißchen Frieden“. Nur „Ein bißchen Frieden“ war unseren Vordenkern allerdings nicht genug.

Eine ganze Reihe von DDR-Bands hatte dazu Lieder entstehen lassen, die über Liedermacher-Charme mit ohnehin begrenztem Publikum hinausgingen, rockig oder lyrisch waren, hymnisch oder balladesk, textlich unmissverständlich.

1980 entstand daraus eine eigene Veranstaltung: „Rock für den Frieden“. Den gab es von 1982 bis 1987 im Palast der Republik jährlich an vier Tagen im Januar. Vertreten waren fast alle namhaften Bands der DDR. Das Motto war ab 1988 passé, weil die Musiker die politische Vereinnahmung durch die Veranstalter leid waren; die Veranstaltung selbst blieb. Was zu hören war, war das Musikereignis von und mit DDR-Bands in jedem Jahr schlechthin.

Da die ostdeutsche Musikszene im Westen weitgehend unbekannt sein dürfte, füge ich an dieser Stelle gern einige Links zu — noch immer hörenswerten — Liedern dieser Zeit an.

Ein anderes Lied, fernab von Rock und Pop, berührt mich aber wie kein zweites:

Der einfache Frieden“ (YouTube) von Gisela Steineckert, Schriftstellerin und eine der bekanntesten und produktivsten Texterinnen für Sänger und Bands in der DDR.

Wenn ein Gras wächst, wo nah ein Haus steht,
und vom Schornstein steigt der Rauch,
soll‘n die Leute beieinander sitzen,
vor sich Brot und Ruhe auch,
und Ruhe auch.

Das ist der einfache Frieden,
den schätze nicht gering.
Es ist um den einfachen Frieden
seit Tausenden von Jahren
ein beschwerlich Ding.

Wo ein Mann ist, soll eine Frau sein,
dass da eins das andre wärmt,
soll‘n sich lieben und soll‘n sich streiten,
von der Angst nicht abgehärmt,
nicht abgehärmt.

Das ist der einfache Frieden …

Wo ein Ball liegt, soll nah ein Kind spiel‘n,
das zwei gute Eltern hat,
und soll alle Aussicht haben,
ob im Land, ob in der Stadt,
ob in der Stadt.

Das ist der einfache Frieden …
Wo ein Leben war, da soll ein Tod sein
unter Tränen still ins Grab,
wo der Nachfahr manchmal hingeht,
zu dem Menschen, den es gab,
den es gab.

Das ist der einfache Frieden …

Ohne Abrüstung kann und wird es keinen Frieden geben. Im März 1893 verfasste Friedrich Engels seine Schrift: „Kann Europa abrüsten?“ Darin stellt er fest: „Seit fünfundzwanzig Jahren rüstet ganz Europa in bisher unerhörtem Maß. Jeder Großstaat sucht dem andern den Rang abzugewinnen in Kriegsmacht und Kriegsbereitschaft. … Ich behaupte: Die Abrüstung und damit die Garantie des Friedens ist möglich, sie ist sogar verhältnismäßig leicht durchführbar, und Deutschland, mehr als ein andrer zivilisierter Staat, hat zu ihrer Durchführung die Macht wie den Beruf.“

Hab‘ ich noch einen Wunsch frei?

Dann wünsche ich mir, dass die Ukrainer den Russen einst verzeihen können, verzeihen, wie es uns die Österreicher nach 1866 und trotz zweier Weltkriege auch die Franzosen konnten.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5993/umfrage/militaerausgaben-der-wichtigsten-natostaaten/
(2) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/150888/umfrage/militaerausgaben-von-russland-seit-2000/
(3) https://www.imf.org/external/datamapper/PPPGDP@WEO/DEU/RUS

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