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Krebs und Krieg

Krebs und Krieg

Seit bei dem Journalisten Arno Luik Krebs diagnostiziert wurde, dominiert dies seine Gedanken — doch nicht nur die Krankheit, auch sein krankes Land macht ihm Sorgen.

Ein Buch, das Übergänge beschreibt

Sei Buch heißt „Rauhnächte“: Damit sind gemeinhin die Nächte um den Jahreswechsel gemeint. Es sind Nächte des Übergangs. Im Buch dokumentiert Luik auf seine Weise Übergänge: Von Gesundheit zu Krankheit, von politischer Ordnung zu rauschhaftem Chaos – und zu einer Öffentlichkeit, die immer mehr in kalkulierte Spaltung übergeht.

Arno Luik berichtet zuallererst natürlich davon, wie sich sein Leben mit einem Schlag veränderte. Der Krebs macht ihn zuweilen schlaflos, nimmt ihn auch psychisch in Beschlag – schon in jenen Tagen, als er ihn noch gar nicht spürte, nur durch die Darmspiegelung davon wusste, brannte er sich in sein Denken ein. Das „garstige Viech“ in ihm, wie Luik den Krebs nennt, besetzt fast alle seine Gedanken, alles andere wurde zur Nebensächlichkeit. Dass es wieder wie früher werden soll: Darum kreiste sein gesamtes Denken.

Der Autor hat in seinem Journalistenleben recht oft mit Menschen gesprochen, die ihre eigene Endlichkeit vor Augen hatten. Mit Manfred Rommel etwa, dem ehemaligen Bürgermeister Stuttgarts, der erstaunlich gelassen war in seiner letzten Zeit. Auch über all diese Begegnungen denkt Luik in seinem Tagebuch nach.

Immer wieder berichtet er aus seinem Berufsleben, erinnert sich und entführt seine Leser an Punkte seines Wirkens, in denen er als fragender Journalist die Menschlichkeit der Befragten blanklegte. In PR-Zeiten kein ganz leichtes Unterfangen, es braucht viel Vorbereitung, Einfühlungsvermögen und Gespür. Luik war der berüchtigtste Interviewer der Republik, stellte den Mächtigen unangenehme Fragen – gleichzeitig gelang es ihm hin und wieder, den Menschen hinter oder in der Machtperson aufzudecken. Wenigstens in Nuancen taten sich Einblicke auf, die man anders nicht erhalten hätte.

Szenen eines Berufslebens

An einer Stelle in seinem neuen Buch lässt er Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff zu Wort kommen. Er traf sie 2008 in Berlin. Damals war Schrobsdorff schon dem Tode geweiht – sie sprach in schonungsloser Offenheit über ihr Leben und ihr Leiden. Und darüber, dass sie sich die „völlige Auslöschung“ wünsche, „spurlos verschwinden“ wolle. Solche Antworten als Fragender auszuhalten: Das muss man auch ertragen können. Luik konnte es, stieg darauf ein und kitzelte ein Gespräch hervor, das einen bewegt, berührt und in seiner Brutalität empört.

An diese Gespräche denkt der Autor, wenn er nachts nicht schlafen kann. Die Gelassenheit vieler, die er an der Schwelle zum Lebensende befragte, beschäftigt ihn.

Man sollte sich Luik in diesem Buch allerdings nicht als unglücklichen Menschen vorstellen. Denn seine Gier nach Leben macht sich deutlich bemerkbar. Der Krebs ist eine Hürde, die er überspringen möchte – dass ihm das auch gelingen wird, steht eigentlich nicht zur Debatte.

Nachdem der Autor anfänglich darlegt, dass alles, was ihm einst wichtig war, insbesondere auch die Politik, nicht mehr den früheren Stellenwert hat, weil er natürlich mit sich selbst beschäftigt ist, läuft er wieder zur Form eines durch und durch kritischen Journalisten auf. Luiks Krankheit fällt in eine unglaubliche Zeit. Deutschland will wieder jemand sein in der Welt, ganz groß in einen Krieg einsteigen, der das Potenzial dazu hat, sich zu einem Weltkrieg auszuwachsen. Zwischen langen Nächten und Chemotherapie rechnet Luik mit diesem Wahnsinn ab.

Zwischen Krankheit und krankem Land

Und dieser Wahnsinn spielt sich zwischen einer Medienlandschaft ab, die als Hofberichterstattung fungiert, und politischen Parteien – insbesondere den Grünen –, die längst ihre Ursprünge verlassen haben. Luik erinnert in seinem Buch daran, dass die Grünen nicht erst neulich zu einer Partei mutierten, die sich zwar pazifistisch nennt, aber stets kriegsbereit ist. Damals im Jugoslawien-Krieg manifestierte sich dieser Kurs bereits. Und die taz flankierte diesen schizophrenen Kurs: Luik packte damals seinen Koffer und verließ das „linke“ Blatt.

Es ist ein krankes Land, das uns der Autor in seinem Krankentagebuch präsentiert. Ein krankes Land, mit dem er abrechnet. Luik ist Pazifist, seine räumliche – und zeitliche – Herkunft machten ihn dazu. Was sich jetzt ereignet, man spürt, wie es ihn empört, beschäftigt – ja, man spürt, wie ihn diese Empörung von seiner Krankheit ablenkt.

Der Passage mit der oben genannten Autorin Schrobsdorff stellt Luik eine Leserreaktion nach, die da lautete: „Ich habe in meinem Leben noch nie etwas so Menschliches gelesen.“ Dem Rezensenten geht es an dieser Stelle wie jenem unbekannten Leser: Er hat noch nie so etwas Menschliches gelesen wie jene „Rauhnächte“ von Arno Luik. Letzterer buhlt in seinem Buch nicht um Mitleid, er betreibt keine billige „Menschelei“: Solche Bücher gibt es viele. Seines ist trotz Schicksalsschlag souverän. Der Mensch Luik schimmert dennoch durch, kommt zwischen Analyse und Abrechnung zum Vorschein.

Letztlich haben wir es hier nicht mit einem Buch über den Tod zu tun, auch wenn man das vielleicht annehmen könnte. Das Gegenteil stimmt.

Die Betrachtung dieses Buches lässt sich nur mit einem Satz beenden, einer persönlichen Schlussnote: Lieber Arno Luik, ich wünschen Ihnen von Herzen beste Genesung!


Arno Luik „Rauhnächte


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