Der 7. Oktober. Bei diesem Datum zucke ich. Immer noch. Die DDR ist lange tot und tief in mir begraben, aber manchmal steht sie auf, an Tagen wie heute vor allem. Wie ein Zombie. Am Anfang war es leicht, die Erinnerungen zu vertreiben. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Auf in die bunt-kommerzielle Medienwelt. Lasst den grauen PR-Journalismus der Einheitspartei auf ewig ruhen.
Jetzt sind Gespenst und Wirklichkeit oft gar nicht mehr zu unterscheiden. Mein Kronzeuge ist ein Wessi: Mathias Döpfner, Axel-Springer-Chef. „Neuer DDR-Obrigkeitsstaat“ stand im Herbst 2021 in einer SMS, in der Döpfner seinen Star Julian Reichelt feierte — als letzten Felsen in einem Meer voller „Propaganda-Assistenten“.
Für mich ist das eine feine Sache. Bei Vorträgen und Veranstaltungen werde ich endlich nach Dingen gefragt, über die ich wirklich gerne spreche und bei denen ich mich besser auskenne als die meisten anderen. Die DDR. Der Journalismus dort. Überhaupt: Die Parallelen, die jetzt viele ziehen. Wie war es 1989? Habt ihr das damals kommen sehen? War es schlimmer als heute, genauso schlimm oder vielleicht sogar besser?
Vermutlich sind die Leute einfach nett und wissen, dass sie mir mit solchen Fragen einen Gefallen tun. Ich kann dann erzählen, dass in der DDR jeder wusste, wem Funk und Presse gehören und wem sie deshalb dienen. Das wusste auch jeder, der dort arbeiten wollte. Ein Dissident im Zentralorgan oder bei der Aktuellen Kamera? Genauso undenkbar wie die Idee, dass dort irgendwelche Oppositionellen zu Wort kommen. Ich habe später mit vielen Ostdeutschen über ihr Medienleben gesprochen (1). Selbst bei den größten „Fans von Egon Krenz“ (DDR-Deutsch für FDJ-Mitglieder) bekam ich nur ein Schulterzucken. Die Informationspolitik. Was soll man dazu sagen? Der dickste Sargnagel von allen.
Normalerweise müsste ich jetzt schreiben: Geschichte wiederholt sich nicht und man kann auch nichts aus ihr lernen. Vor ein paar Wochen hätte ich das auch noch so gemacht. Dann kam ein Buchtipp von René Schlott, einem Historikerkollegen mit DDR-Vergangenheit. Václav Havel musst du lesen. Versuch, in der Wahrheit zu leben (2).
Es war Sommer und ich dachte gerade über das neue Interesse an der DDR nach. Ist es die AfD? Die Coronapolitik? Russland? Was ist mit dem historischen Abstand, was mit dem Wechsel der Generationen? Das Büchlein von Václav Havel hat mir dann die Augen geöffnet.
Vielleicht kann man nicht aus der Geschichte lernen, aber von den Menschen, die sie erlebt haben. Was Havel beschreibt, ist Vergangenheit und Gegenwart zugleich.
Die Ausgabe, die mir der Onlinehändler geschickt hat, ist ein halbes Jahr vor dem Mauerfall erschienen. Es gibt ein kurzes Vorwort von Freimut Duve, der fast zwei Jahrzehnte Lektor bei Rowohlt war und auf dieser Bastion eine politische Karriere gründete, die ihn bis in den Bundestag führte. Die Neuauflage des Buches von 1978 sei ein „Zeichen des Respekts vor dem großen tschechischen Autor“, schreibt der SPD-Mann aus Hamburg am 7. März 1989.
„Václav Havels Stimme ist immer weit über sein Land hinaus gehört worden: auch in den langen Zeiten, in denen er eingesperrt war. Seine Stimme und sein Text sind der lebendige Ausdruck des Widerstands und der Hoffnung“ (3).
Vielleicht hat Freimut Duve am 9. November gefeiert und dann noch einmal am 29. Dezember, als Václav Havel Staatspräsident wurde. Hoffnung erfüllt sozusagen. Ich, Freimut Duve, Kopf hinter der Reihe „rororo Essay“, hatte den richtigen Riecher. Vielleicht ist der Sekt aber auch im Schrank geblieben. Wenn Duve den Text genau gelesen hat, dann wusste er, dass Havels Kritik keineswegs nur auf den real existierenden Sozialismus zielte, sondern den Westen einschloss.
Die „Demokratie vom traditionellen parlamentarischen Typ“, daran lässt Václav Havel keinen Zweifel, ist für ihn Teil des Problems und auf keinen Fall die Lösung. Im Gegenteil: Dieser Künstler und Politiker, Jahrgang 1936, der daheim Aufführungs- und Publikationsverbot, Haft und Hausarrest erlebt und so allen Grund hatte, die regierende Partei und ihren Sozialismus zu verdammen, stellte beide Systeme auf eine Stufe und war sich nicht einmal sicher, welche Seite gefährlicher ist. Die Manipulation jedenfalls sei drüben „unendlich feiner und raffinierter als die brutale Art des posttotalitären Systems“ (4).
Das führt direkt zum Kern von Havels Gesellschafts- und Machtanalyse, die es niemandem erlaubt, jede Schuld zu verneinen und sich ausschließlich als Opfer zu fühlen — zumindest all denen nicht, die auf Sicherheit aus sind oder auf materielle Güter und die deshalb nicht nur mitspielen, sondern selbst zu „Instrumenten“ der „Beherrschung“ werden und damit zu Tätern (5).
Opfer und Täter: Diese Doppelrolle gibt es bei Havel unten und oben, beim Gemüsehändler genauso wie beim Angestellten im Apparat und an dessen Spitze. Diktatur? Für Havel genauso falsch wie die Idee der „Sowjetologen“, das ganze Land sei der Willkür einiger weniger Funktionäre ausgeliefert. „Führende Personen“ wie die Generalsekretäre der kommunistischen Parteien und ihre Adlaten in den Politbüros beschreibt er als „eine blinde Funktion der Gesetzmäßigkeiten des Systems, Gesetzmäßigkeiten, die sie dazu noch nicht einmal selbst reflektieren und die sie nicht reflektieren können“ (6).
Was Havel „posttotalitär“ nennt, ist nah am „umgekehrten Totalitarismus“ von Sheldon Wolin, einem Politikwissenschaftler, der die Post-9/11-USA als eine „neue Art von politischem System“ gesehen hat, ein System, das „offenbar von abstrakten totalisierenden Mächten angetrieben wird, nicht von persönlicher Herrschaft“. Sheldon Wolin sagt: Für die Kontrolle genüge es, „ein kollektives Gefühl der Abhängigkeit zu schaffen“ sowie das zu nutzen, was heute an Methoden der „Einschüchterung und Massenmanipulation“ verfügbar ist. Und, sicher nicht unwichtig, da hinter „abstrakten totalisierenden Mächten“ ja immer Menschen stehen: An den Schaltstellen sind „Machthaber und Bürger, die sich der tieferen Auswirkungen ihrs Tuns oder Unterlassens oftmals gar nicht bewusst zu sein scheinen“ (7).
Václav Havel steht nicht in Wolins Literaturverzeichnis. Osteuropa reduziert dieser Doyen der kritischen Demokratieanalyse auf Stalin, den er neben Hitler als Prototyp des ‚reinen‘ Totalitarismus nutzt, um dann zeigen zu können, dass „totale Macht“ weder Lager braucht noch charismatische Führer und auch keine „ideologische Einheitlichkeit“ erzwingen muss (8). Umgekehrter Totalitarismus: In der Lesart von Sheldon Wolin ist das „kollektive Angst“ plus „individuelle Ohnmacht“. Der Arbeitsplatz, die Altersvorsorge, Gesundheitskosten. Dazu das Tempo im Job, der Stress im Alltag, die ständigen Aufreger um irgendwelche Politikskandale. Ergebnis: eine „Gesellschaft, die es gewohnt ist, neue Gewohnheiten gegen alte auszutauschen, sich an rasante Veränderungen, Unsicherheiten und soziale Verwerfungen anzupassen und ihr Schicksal von entfernten Mächten bestimmen zu lassen, auf die man keinen Einfluss hat“ (9).
Ich bin mir sicher: Václav Havel hätte das nicht gereicht. Václav Havel hätte widersprochen, vor allem in Sachen „ideologische Einheitlichkeit“. Seine Diagnose geht 30 Jahre vor Wolin tiefer — vielleicht, weil er selbst erlebt hat, wie eine Gesellschaft Stalin abschütteln und vom Gulag nach und nach auf das Totschweigen ihrer Kritiker umschalten konnte.
Das „posttotalitäre System“, von dem er als Augenzeuge sprechen kann, ist „auf dem Boden der historischen Begegnung der Diktatur mit der Konsumgesellschaft gewachsen“ und auch deshalb „eine Art Memento für den Westen“, weil der Osten „seine latenten Richtungstendenzen“ enthüllt. Hier wie dort beobachtet Havel eine „allgemeine Unlust des Konsummenschen“, „etwas von seinen materiellen Sicherheiten zugunsten seiner geistigen und sittlichen Integrität zu opfern“.
Auf eine Formel gebracht: „Es geht um etwas viel Schlimmeres — um die Krise der Identität selbst“ (10).
Havels Schlüsselbegriff heißt Ideologie. Das ist zunächst nicht weiter verwunderlich, wenn es um Gesellschaften im sowjetischen Einflussbereich geht. Václav Havel interessiert sich aber nur am Rande für Marx, Engels oder Lenin. Ideologie ist für ihn ein „Instrument der Kommunikation innerhalb der Machtstruktur, die ihr den inneren Zusammenhalt sichert“ — ein Instrument, das viel wichtiger ist als die „physische“ Seite der Macht. Ideologie: Das ist „einer der Pfeiler der äußeren Stabilität dieses Systems“. Dieser Pfeiler ist allerdings, das kommt als Havels Clou, „auf Sand gebaut — nämlich auf der Lüge“ (11).
Um das nachvollziehen zu können, muss man Havels Begrifflichkeit übernehmen. Ideologie ist bei ihm die „Machtinterpretation der Wirklichkeit“ (12). In meiner Sprache und auf das Hier und Jetzt gemünzt (13): die Realität der Leitmedien, die wir nicht nutzen, weil wir uns über die Wirklichkeit informieren wollen (über das, was ohne unser Wollen da ist), sondern weil wir wissen wollen, was die anderen wissen oder zu wissen glauben (vor allem die, die über unser Leben entscheiden), und weil wir die Definitionsmachtverhältnisse kennen müssen, um zu überleben. Wer hat es geschafft, seine Themen und seine Perspektiven auf die große Bühne zu bringen, in die Tagesschau, in die Süddeutsche Zeitung, in den Spiegel?
Václav Havel sagt: Die „Machtinterpretation der Wirklichkeit ist letzten Endes immer den Machtinteressen untergeordnet; deshalb hat sie in ihrem Wesen die Tendenz, sich von der Wirklichkeit zu emanzipieren, eine Welt des ‚Scheins‘ zu schaffen, sich zu ritualisieren“ (14).
Das Beispiel, an dem Havel diese Welt des Scheins und der Rituale ausbuchstabiert, hat auf den ersten Blick wenig mit uns zu tun. Ein Gemüsehändler, der in seinem Laden eine Losung aufhängt. Proletarier aller Länder, vereinigt euch! In einem Gemüseladen, wie gesagt, wo die Proletarier weit weg sind und die anderen Länder sowieso. Der Inhalt, das wird schnell klar, spielt aber gar keine Rolle.
Wichtig ist nur, dass es sich um „gewisse ‚überpersönliche‘ und zweckfreie Werte“ handelt, die es dem Gemüsehändler erlauben, das Gesicht zu wahren und die „Erniedrigung“ zu verschleiern, die mit dem Anbringen der Parole verbunden ist. Hinter der Fassade des Zitats aus dem Kommunistischen Manifest steckt eine ganz andere Botschaft, „nach oben gerichtet, an die Vorgesetzten des Gemüsehändlers“: „Ich habe Angst und bin deshalb bedingungslos gehorsam“. Der Ladenbetreiber versteckt sich hinter etwas „Höherem“ — genau wie seine Kunden oder der Spitzenfunktionär, „der sein Interesse, sich an der Macht zu halten, in Worte von seinem Dienst an der Arbeiterklasse kleiden kann“ (15).
Noch einmal anders formuliert, wieder in der Sprache von Václav Havel: Die Ideologie „ist ein Alibi, das für alle verwendbar ist“, und zugleich eine Erklärung, warum „oft auch die liberaleren Vertreter der Machtstruktur“ die Erwartungen nicht erfüllen, wenn sie an die Spitze kommen. Selbst die, die so tun, als sei ihnen egal, was sich der Apparat ausdenkt, sind bei Havel wichtig für das Funktionieren des Systems:
„In Wirklichkeit zwingt einer den anderen durch sein Spruchband, das vorgegebene Spiel zu akzeptieren und dadurch auch die gegebene Macht zu bestätigen, einer hält einfach den anderen in Gehorsam. Beide sind Objekte der Beherrschung, zugleich aber ihre Subjekte; sie sind Opfer des Systems und seine Instrumente“ (16).
Sheldon Wolin beschreibt eine Gesellschaft, in der die „Macht der Konzerne“ politisch geworden ist und in der eine „Koalition zwischen den Unternehmen und dem Staat“ eine „Kultur“ geschaffen hat, „die die Konsumenten dahingehend erzieht, Veränderungen und private Vergnügungen zu begrüßen und gleichzeitig politische Passivität zu akzeptieren“ (17). Der Einzelne bleibt selbst in einer solch kritischen Analyse Spielball anonymer Mächte und damit ohne Verantwortung für das große Ganze. Bei Václav Havel sind die allermeisten mehr — auch dann, wenn sie zu Hause meckern.
Ich erwähne Sheldon Wolin hier, weil er am Lack der westlichen Gegenwartsideologie kratzt. Demokratie. Für Wolin ist das ganz im Geist von Havel eine „weitgehend rhetorische Funktion innerhalb eines zunehmend korrupten politischen Systems“ und ein „Markenname für ein Produkt, das zu Hause kontrollierbar und im Ausland vermarktbar ist“ (18).
Ich muss das nicht weiter ausführen. Jeder kann in sich gehen und nach dem „Höheren“ (Havel) suchen, auf das man sich heute berufen kann und manchmal auch muss, wenn man aufsteigen, oben bleiben oder wenigstens seine Ruhe haben will (19). Wir kämpfen gegen Rassismus, Sexismus und natürlich gegen Rechts und für das Klima. Wir tragen Masken, um ein ganz bestimmtes Virus abzuschrecken, und streuen Sterne und Doppelpunkte über unsere Texte, Ästhetik und Sprachgefühl hin oder her. Der Gemüsehändler aus Prag hätte das verstanden oder wenigstens genauso gemacht.
Das Gegenprogramm von Václav Havel steht im Buchtitel. „Politische Arbeit im traditionellen Sinne des Wortes“ (20), eine „Widerstandsbewegung“ gar? Keine Chance. Nicht die „geringste Hoffnung auf eine minimale soziale Resonanz“, da die „grundsätzlichen Konflikte“ in posttotalitären Gesellschaften „vor allem im Menschen“ selbst verlaufen (21).
Havels Empfehlung: „das Spiel als solches“ abschaffen. Jedem zeigen, dass es anders geht. Die Gegenprobe liefern, wenn man so will. In „der Wahrheit leben“, das „Leben in Lüge“ so als Prinzip negieren und damit „als Ganzes“ bedrohen, weil das System „Universalität“ braucht: „Es muss alles umfassen und alles durchdringen“ (22). Dieses Leben „in Wahrheit“ wird schon deshalb nicht konkret, weil es Havel um ein „sehr weites, unklar abgegrenztes und sehr schwer fixierbares Gebiet kleiner menschlicher Handlungen“ geht.
„Der größte Teil dieser Versuche verbleibt in der Phase der elementaren Auflehnung gegen die Manipulation: Der Einzelne richtet sich auf und lebt — als Einzelner — würdiger“ (23).
Wer die Volten nicht mitmachen konnte oder wollte, die die herrschende Ideologie seit März 2020 schlägt, findet in Václav Havel nicht nur einen Leidensgenossen, sondern auch einen Ratgeber — nicht irgendeinen, sondern jemanden, den die Geschichte legitimiert und vielleicht sogar freigesprochen hat. Auswandern, ins Kloster gehen, vor Gericht ziehen? Nein, nein und ja, antwortet Václav Havel. Die „Rechtsordnung“ sieht er auf der gleichen Stufe wie die Ideologie — ein „Alibi“, das die Machtausübung „in das erhabene Gewand ihres ‚Buchstabens‘“ hüllt und deshalb gebraucht wird. Havel sagt: Nehmt das System beim Wort, beruft euch auf das Gesetz und bedroht so „den ganzen verlogenen Bau eben in seiner Verlogenheit“ (24).
Er spricht auch über „Parallelstrukturen“ (vor fast einem halben Jahrhundert schon) — von einer „zweiten Kultur“, zu der „elementare Organisationsformen“ wie „Verlagsreihen und Zeitschriften“ gehören, „private Theatervorstellungen und Konzerte“ und die ein „Informationsnetz“ genauso selbstverständlich einschließen wie Bildung, Gewerkschaften, internationale Beziehungen und eine „Parallelwirtschaft“ (im Realsozialismus allerdings nur „hypothetisch“). Wichtig ist Havel dabei eine „gewisse Universalität“ (25). Das heißt: Der Ausweg muss allen offenstehen. Das gilt weder für die Enklave in Serbien noch für die abgeschottete Gemeinschaft in den Steppen Brandenburgs.
Fast hätte ich geschrieben: Von Václav Havel lernen, heißt siegen lernen. Zumindest bietet er einen Ausweg aus der „Krise der modernen technischen Zivilisation insgesamt“. Parallelstrukturen. In eine Frage gekleidet:
„Sind nicht diese informellen, unbürokratischen, dynamischen und offenen Gemeinschaften, diese ganze ‚parallele Polis‘, eine Art Keim oder symbolisches Mikromodell jener sinnvollen ‚postdemokratischen‘ politischen Strukturen, die eine bessere Ordnung der Gesellschaft begründen könnten?“ (26).
Als er das schreibt, ist es noch weit bis zum Mauerfall. Freimut Duve hat dem Text die Rede vorangestellt, die Havel am 21. Februar 1989 vor einem Prager Gericht gehalten hat. Er war sich dort sicher, „nicht noch einmal erneut ohne Grund verurteilt“ zu werden (27). Das Urteil: neun Monate Haft. Später war Havel mehrfach für den Friedensnobelpreis im Gespräch. Bekommen hat er ihn nicht. Als Kronzeuge der hegemonialen Ideologie taugen andere besser.
Ich erinnere mich noch sehr genau an den 7. Oktober 1989, den letzten Nationalfeiertag der DDR. Ich war Journalistikstudent am „Roten Kloster“ in Leipzig und verbrachte das Wochenende bei meiner Freundin und ihrer Familie in der Nähe von Karl-Marx-Stadt. Schwiegermutter hatte eine hohe Funktion in Kreis, und auch Schwiegervater war nicht irgendwer. Eigentlich wollte ich zum Fußball gehen.
Am 8. Oktober, einem Sonntag, spielte die DDR im Ernst-Thälmann-Stadion gegen die Sowjetunion. WM-Qualifikation. Ein Muss für einen Fan wie mich, da dieser Bruderkampf immer ausartete. Das hätte aber bedeutet, das Haus zu verlassen. Draußen war es ungemütlich, nicht nur wegen des Wetters. Wir starrten die ganze Zeit auf das Telefon. Irgendwann würde der Anruf kommen, der unsere Welt zusammenbrechen ließ. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es den Funktionären der Gegenwart schon genauso geht. Auf der Vaclav-Havel-Zeitachse stehen wir bei 1978, frühestens.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Vergleiche Michael Meyen: Denver Clan und Neues Deutschland. Mediennutzung in der DDR, Ch. Links, Berlin 2003.
(2) Václav Havel: Versuch, in der Wahrheit zu leben. Aus dem Tschechischen von Gabriel Laub. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1989.
(3) Ebenda, Seite 5.
(4) Ebenda, Seite 85.
(5) Ebenda, Seite 24.
(6) Ebenda, Seite 21.
(7) Sheldon S. Wolin: Umgekehrter Totalitarismus. Faktische Machtverhältnisse und ihre zerstörerischen Auswirkungen auf unsere Demokratie. Westend, Frankfurt am Main, 2022, Seite 56, 118, 192.
(8) Ebenda, Seite 134.
(9) Ebenda, Seite 116, 352.
(10) Havel, Wahrheit, Seite 26.
(11) Ebenda, Seite 22.
(12) Ebenda, Seite 19.
(13) Vergleiche Michael Meyen: Die Propaganda-Matrix. Der Kampf für freie Medien entscheidet über unsere Zukunft, Rubikon, München, 2021.
(14) Havel, Wahrheit, Seite 19.
(15) Ebenda, Seite 15 bis 16.
(16) Ebenda, Seite 16, 22, 24
(17) Wolin, Umgekehrter Totalitarismus, Seite 61bis 63.
(18) Ebenda, Seite 138, 221.
(19) Vergleiche Batya Ungar-Sargon: Bad News. How Woke Media Is Undermining Democracy, Encounter Books, New York 2021.
(20) Havel, Wahrheit, Seite 39.
(21) Ebenda, Seite 62.
(22) Ebenda, Seite 27 bis 28.
(23) Ebenda, Seite 55.
(24) Ebenda, Seite 65, 68.
(25) Ebenda, Seite 70 bis 72.
(26) Ebenda, Seite 82, 90.
(27) Ebenda, Seite 8.
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