Was die andere Besorgnis betrifft... Ach so, du hältst dich nicht für alt? Schön. Also besteht noch Hoffnung für dich.
Nimm Platz. Bist ja hinreichend sensibilisiert heute. Dann schauen wir doch mal in die Wunderlampe. Unsensibler Nachrichtenjournalismus ist wieder dran – gequirlte Widerwärtigkeit.
Sensibilität steht nicht in den Programmrichtlinien des Rundfunkstaatsvertrags? Journalismus soll nur wahrheitsgetreu, um Objektivität bemüht und sachlich sein? Was du nicht sagst. Ist nur die Telefonseelsorge für einfühlsamen Umgang mit Informationen zuständig, während Journalisten sich benehmen können wie der Furz im Parfümladen?
Entschuldige. Klären wir erst mal, was Sache ist und worum es uns heute geht: Um Journalismus, wie er nicht sein sollte, weil er genau so ist, wie die Berliner Regierungstruppe Politik macht, wie die nicht sein sollte.
Eine simple Ableitung, gelle?
Russland hat mit einer Militärparade in Wolgograd - so heißt Stalingrad heute - des 75. Jahrestags des Sieges der Roten Armee über Nazi-Deutschlands eingeschlossene Truppen in Stalingrad gedacht. Armee und Luftwaffe zeigten historisches und modernes Kriegsgerät. Geehrt und beteiligt wurden die wenigen noch verbliebenen Stalingrad-Überlebenden und Veteranen, das Erinnern galt den mehr als 800 000 Toten der Schlacht um Stalingrad – von denen die meisten Sowjetsoldaten waren.
Darüber berichtete ARD-aktuell natürlich. Allerdings nur scheinsachlich, scheinneutral, sich der geschichtlichen Gegebenheiten nur scheinbar bewusst. In Wirklichkeit mit bösen Untertönen, die im Wesentlichen zwei Vorwürfe transportierten: Statt eines ehrenden Totengedenkens sei ein militaristisches Schauspiel zur Erzeugung guter Gefühle inszeniert worden. Präsident Putin habe die Gelegenheit zur Steigerung nationalistischer Emotionen und zu seiner Selbstdarstellung genutzt, denn in wenigen Wochen stünden ja wieder Wahlen in Russland an...
Gehässig, widerwärtig, arrogant, ganz nach Art des Hauses ARD-aktuell.
Du hast die Tagesschau-Beiträge nicht gesehen? Dir bleibt die Spucke weg? Ja, im Unterschied zu dir haben wir uns die Sendungen mehrmals angetan. Und wir fanden sie von Mal zu Mal schlimmer: oberlehrerhaft, moralisierend, herablassend, teilnahmslos, aber dem Publikum in feinster Dosierung subkutan verabreicht, ganz im Rahmen der wirksamen antirussischen Dauerbehandlung.
War und ist es nicht einzig und allein eine Sache der Russen, wie und mit welchen Mitteln sie ihr Erinnern gestalten?
Wäre es nicht die Sache Deutschlands gewesen, sich ebenfalls an diesen Tag zu erinnern?
Stattdessen setzte uns ARD-aktuell ein peinliches und beschämendes antirussisches Propagandastück vor. Nicht einmal angesichts des Gedenkens unserer Nachbarn an hunderttausende von Deutschen ermordete Sowjetmenschen konnten deutsche journalistische Schandmäuler es unterlassen, moralisierend und abfällig zu verkünden, Russland habe den Sieg der Roten Armee in "martialischer" und "pompöser“ Art gefeiert.
Und selbstverständlich musste auch bei dieser Gelegenheit wieder gegen Präsident Putin gestänkert werden.
Stand eine solch anmaßende Kritik am russischen Stalingrad-Gedenken ausgerechnet einem deutschen Sender zu? Zudem er sich hier wie ein moralisierendes Staats- und Propagandainstitut aufführte?
Um die verleumderische Zielsetzung des Internet-Beitrages zu tarnen, verbrämte ihn die Redaktion pseudowissenschaftlich mit Interview-Kommentaren des Militärhistorikers Sönke Neitzel. Genauer: Die ARD-Moderatorin gab die Stichworte, und Neitzel lieferte die gewünschten Propagandaversatzstücke.
Neitzel, der gezielt Auserwählte: In einem SPIEGEL-Beitrag hatte er sich bereits vor einigen Monaten als aggressiver Militarist geoutet, der darauf besteht, dass sich die Bundeswehr in die Traditionslinie der (auf „unseren Führer Hitler" eingeschworenen!) Wehrmacht stelle. Sie, die Bundeswehr, müsse ein „Instrument des Kampfes“ sein. Man könne „Panzergrenadieren oder Fallschirmjägern“ doch nicht “lauter nicht-kämpfende Vorbilder anbieten“. Sie „sollen kämpfen und töten können“ und könnten sich deshalb nicht auf „Traditionselemente“ beschränken, „die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entsprechen“.
Ein richtig feinsinniger, sympathischer Zeitgenosse, nicht wahr? Jetzt bist du platt, was?
Du siehst mal wieder: Man muss sich nur die richtigen Leute aussuchen, wenn man einer Sendung den gewünschten Pep verpassen will. Unser Nachrichtenjournalismus bewegt sich bereits auf dem Niveau von Margarine-Reklame, schmieriger kann er nicht mehr werden.
Frag dich selbst: War ein Neitzel der geeignete Gesprächspartner für ein Interview aus Anlass des russischen Stalingrad-Gedenkens? Was waren wohl die gedanklichen Fundamente der ARD-aktuell, sich über die russische Siegesparade moralisch zu erheben, gestützt auf das empathiefrei-intellektualistische Gewölle einer solchen akademischen Gestalt?
Ausgerechnet Revisionisten wie Neitzel führt ARD-aktuell ins Feld, um die Erinnerungskultur Russlands als verfehlt zu bekritteln und dem russischen Präsidenten zu unterstellen, er nutze die Gelegenheit wie einen "Ball vor dem leeren Tor“. Dabei, so darf dieser Neitzel unwidersprochen daherlabern, gehe es “überhaupt nicht um Geschichte, um die Grautöne, die Opfer, vielleicht zu viele Opfer damals?" Nein: "Es geht allein darum, ein gutes Gefühl zu haben.“
Was maßt sich ein deutscher „Militärhistoriker“ an, die russischen Gefühle beim Stalingradgedenken zu kennen? Wie repräsentativ für deutsches Denken ist sein reaktionäres Geschwätz? Wie weit weg von jedem politischen Gespür sind wir alle eigentlich, die meisten niemals zu echter gesellschaftlicher Teilhabe und Empathie erzogen, dass wir uns solche Sprücheklopfer auf die ARD-aktuell-Kanzel stellen lassen? Was meinst du?
Standen einem regierungsfrommen deutschen Sender solche Belehrungen und Einschätzungen zu? Gehörte das in die Kategorie "journalistischer Anstand", aus dem in Wolgograd gegebenen Anlass auch gleich noch die Millionenzahl an hingemordeten sowjetischen Bürgern anzuzweifeln und den Russen indirekt vorzuwerfen, sie hätten selbst seinerzeit unnötig Menschen geopfert? Da maßte sich ein Nachfahre des deutschen Völkermords an, den Russen mangelhafte Aufarbeitung ihrer Geschichte vorzuwerfen und das deutsche Verhältnis zur eigenen Vergangenheit als höher stehend auszugeben:
"... soweit ist Russland noch nicht“.
Aber wir, die Guten, die Besseren, wir sind längst soweit? Wir haben bereits so viel moralisch hochwertige, kritische Distanz zu allem Militärischen, dass wir uns für die bedeutsamere Lebensform halten dürfen? Unsere derzeit 21 Bundeswehr-Einsätze im Ausland, darunter mindestens der in Syrien sogar völkerrechtswidrig, die machen uns zu besseren Menschen – oder was?
Was nützt wohl unsere Aufarbeitung der Vergangenheit, wenn wir erkennbar nichts draus gelernt haben – außer fromme Sprüche zu kloppen? Stehen russische Truppen etwa an der deutschen Grenze – oder verhält es sich nicht vielmehr genau umgekehrt? Was hat die Bundeswehr im Baltikum verloren?
Wir sind die Guten!
Dass wir unsere großkotzigen Pirouetten auf äußerst dünnem Eis drehen, merken wir so lange nicht, bis wir mal wieder gründlich einbrechen.
ARD-aktuell gibt einem widerwärtigen und peinlich revanchistischen Gedröhne das Forum – und kaum einer unter uns merkt es. Die Gemeinde ist längst abgestumpft. Danke, ARD-aktuell: So sieht es aus, das Ergebnis deines Überangebots an fauler Masseninformation.
Der Beitrag auf der Internet-Seite der Tagesschau hatte nichts mit objektiver Berichterstattung zu tun. Er ist ein Pamphlet, Geschichtsklitterei, Ausdruck von Arroganz, Unbelehrbarkeit, Verachtung gegenüber Russland, Zeugnis deutschen Herrenmenschen-Denkens. Ohne Taktgefühl, von mieser deutschnationaler Warte aus fabriziert und in jeder Hinsicht ungeeignet, zur Völkerverständigung beizutragen.
Obwohl ein entsprechender Beitrag aus gegebenem Anlass besonders wichtig gewesen wäre.
Was man sich darunter vorstellen könnte?
Gemach. Klären wir gleich. Schauen wir erst noch zu Ende, was ARD-aktuell stattdessen servierte.
Die Korrespondentin Birgit Virnich aus der Frontberichts-Zentrale des Moskauer ARD-Studios bespöttelt in ihrer Reportage gleichfalls die Militärparade in Wolgograd als Reklame-Rummel für Präsident Putin. An historischer Genauigkeit war sie anscheinend ebenso wenig interessiert wie an der Wahrung journalistischen Anstands: Sie redet vom "Angriff der Russen auf Stalingrad", obwohl damals auch andere Sowjetsoldaten an den Kämpfen beteiligt und ihre Aktionen keine Angriffe, sondern Verteidigungshandlungen der Roten Armee waren.
Simple Sprache, simples Denken...
Wie Neitzel bedient sich auch Virnich in abwertender Absicht eines Vokabulars mit Qualifizierungen wie "martialisch" und "pompös". Und was sie selbst nicht sagen will, lässt sie im Interview den russischen Journalisten Swanidse sagen: "Je weiter der Krieg zurückliegt, desto pompöser werden die Paraden.“ Sein Irrtum, denn zum Gedenken an den "Großen Vaterländischen Krieg" hat es vielfach größere Paraden gegeben als die hier in Rede stehende mit ihren nur 1500 Soldaten. Frau Virnich nutzt aber die objektiv unzutreffende Einschätzung eines Kritikers – statt sie zu korrigieren – für den agitatorischen Zweck, den sie mit ihrem Beitrag verfolgt: runtermachen, das Ganze. Und zwar so hinterhältig, dass man´s erst auf den zweiten Blick merkt. Dann wirkt es länger...
So. Nun wollen wir, bevor wir uns endlich deiner Frage nach alternativer Berichterstattung zuwenden, noch ein wenig über Doppelstandards und Heuchelei sprechen. Einverstanden?
Geh mal in Gedanken ein halbes Jahr zurück. Frankreich feierte am 14. Juli seinen Nationalfeiertag. Mit einer Militärparade auf der Avenue des Champs-Elysées, an der zehnmal so viele Soldaten aller Waffengattungen teilnahmen wie jetzt in Wolgograd. Fraglos ein pompöses und martialisches Schauspiel. Selbst die Fremdenlegion fehlte nicht, die Söldnertruppe, Stolz der französischen Nation. Die französischen Staatsoberhäupter nutzen das Ereignis ganz selbstverständlich auch zur „Selbstinszenierung“, letztens bot Präsident Macron seinem Kollegen Trump die Gelegenheit zur Mitwirkung. Macron fuhr selbst an der Spitze der Parade! Repräsentanten Deutschlands sind in Paris übrigens auch immer mit von der militärischen Schauspiel-Partie, und die Bundeswehr stellt oft große Gast-Kontingente bei diesen Aufmärschen.
Doppelstandard: In der Berichterstattung über die Ereignisse am französischen Nationalfeiertag hütet sich ARD-aktuell vor abfälligem Vokabular wie „pompös“ und „martialisch“. Da wahrt die Hamburger Qualitätsjournalistentruppe auf einmal den nötigen Respekt vor dem Anlass solcher militärischer Aufzüge: dem nationalen Gedenken.
Noch eins drauf: Chefredakteur Dr. Gniffkes Qualitäts-Elitetruppe hält sich sogar gegenüber den fraglos unappetitlichen „Großer-Zapfenstreich“-Aufführungen mit ihrem pseudoreligiösen Beiwerk in Berlin mit Kritik zurück. Schau dir das an: Ehrenkompanie mit Fackeln. „Helm ab! – zum Gebet!". Und dann wird, unüberbietbare Perversion, die Melodie des geistlichen Liedes “Für dich sei ganz mein Herz und Leben”, abgespielt. Dessen vierte Strophe beginnt mit den Worten: “Ich bete an die Macht der Liebe.”
Was, du brauchst schon wieder unseren Kotzkübel?
Na bitte. Geht´s wieder?
Wir stehen in der Tradition, dass derjenige Geld- oder gar Freiheitsstrafe riskiert, der öffentlich den Tucholsky-Satz zitiert: “Soldaten sind Mörder.” Nochmal die Frage: Steht es unserer Journaille zu, sich über die Gedenk-Rituale in Russland zu mokieren? Die Russen hatten einen großen Sieg zu feiern!
Aber entschuldige. Wir wollen nicht noch weiter abschweifen, sondern jetzt endlich auf deine Frage zurückkommen. Wie könnte ein anständiger, einfühlsamer Bericht aus Wolgograd aussehen?
Ein guter Beitrag wäre von drei Grundströmen getragen. Erstens: mitfühlendes Verständnis für das feierliche Gemisch aus ehrendem Heldengedenken und Stolz der Russen auf ihren Sieg in Stalingrad, der den Sieg über Nazi-Deutschland einleitete. Zweitens: tiefe Dankbarkeit gegenüber Russland, weil die Sowjetunion unser Land von der Nazipest befreite – unter Hinnahme von 26 Millionen Toten. Drittens: Dankbarkeit dafür, dass die Sowjetunion Deutschland seine staatliche Einheit zurückgab, sogar gegen den Willen der Regierungen in London und in Paris und trotz des Zögerns der USA.
Und ein Viertes hätte nicht fehlen dürfen in einem guten Bericht aus Wolgograd: Die kritische Frage an die Bundesregierung, warum sie weder in Deutschland ein angemessenes Gedenken an die Schlacht von Stalingrad anordnete, noch sich in geeigneter Form an der Gedenkfeier in Wolgograd beteiligte.
Stell dir mal vor, wie es hätte sein können: Kanzlerin Merkel bittet die russische Regierung um Erlaubnis, dass Deutschland an der Parade in Wolgograd mitwirkt. Mit einer Ehrenkompanie. Ohne Waffen. Aber mit “Helm ab!”. Ohne “... zum Gebet!”. Aber mit Musik! Ohne pseudoreligiösen Schmalz. Dafür mit Liedern der Sowjetarmee. Das Musikkorps der Bundeswehr könnte diese Melodien problemlos einüben und darbieten.
Stell dir das nur mal vor! Weißt du, was passiert wäre?
Vermutlich hätten die Begeisterungsstürme der Menschen in Russland nicht größer sein können.
Und wir hier bei uns zuhause hätten einen Grund gehabt, den Tag voller Freude zu genießen.
Ausdruck von Völkerfreundschaft, was meinst du wohl, wie sehr ihn die Menschen auch hierzulande genossen hätten? „Die Herzen im Sturm erobern“, nennt man das.
Leider hat sich das Berliner Kabinett geschäftsführender Schießbudenfiguren nicht zu einer nennenswerten Geste des Anstands und der Friedensbereitschaft durchringen können. Drum darf uns nicht verwundern, dass auch die Propagandaabteilung „ARD-Studio Moskau“ nicht über ihren Schatten sprang.
“Wie der Herr, so´s Gescherr,” sagt der Volksmund.
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