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Das tote Kapital

Das tote Kapital

Das Patriarchat will die Natur in ihr Gegenteil verkehren und sie durch seine eigenen utopischen Schöpfungen ersetzen.

20 Thesen zur patriarchal-kapitalistischen Religion

These 1

Es gibt kein Natur-Kapital, denn Kapital ist das Gegenteil von Natur.

These 2

Alles Kapital hat einen gewalttätigen Ursprung, da es aus der Natur geschlagen (Karl Marx) wurde.

These 3

Ohne Natur gibt es kein Kapital.

These 4

Es gibt keinen Weg zurück vom Kapital zur Natur: Es ist eine Einbahnstraße.
Da die Natur begrenzt ist, ist es auch das Kapital: Wenn alles in Kapital verwandelt wurde, gibt es keine Natur und somit auch kein Kapital mehr.

These 5

Die Natur ist sowohl zum Feind als auch zur Voraussetzung des Kapitals geworden.

These 6

Historisch gesehen stammt die Idee, die Natur in ihr Gegenteil zu verkehren, aus dem Patriarchat, das die Natur durch seine eigenen utopischen Schöpfungen ersetzen will.
Die Methode, mit der versucht wurde, die Natur in ihr Gegenteil zu verwandeln, wurde in der Antike „Alchemie“ genannt. Sie bestand darin, lebende Materie in die sogenannte materia prima aufzulösen und mit anderen Materien zu verschmelzen, um etwas Neues und angeblich Besseres zu erschaffen — das „opus magnum“, Gold und/oder Leben.

These 7

Auf dieser Grundlage entwickelte sich der Kapitalismus, der die Methode der Alchemie nutzte und die (Natur-)Wissenschaft als eine moderne Form der Alchemie erfand.

Seit dem Auftreten des Kapitalismus besteht die Beziehung zur Natur darin, sie als „tote Materie“ ohne jeden Wert darzustellen, sie aufzulösen und sie zusammen mit anderen Materien in etwas scheinbar Wertvolles und Lebendiges zu verwandeln — das Opus magnum des Kapitals.

These 8

Nach seiner eigenen Definition ist Kapital als Wert und Leben das Gegenteil von Natur, die angeblich wertlos und tot ist.

Aus Natursicht ist es jedoch umgekehrt, da Kapital „geronnenes, ehemaliges Leben“ (Marx) ist, also tot, weil es das Ergebnis eines Tötungsprozesses ist und Natur an sich lebendig ist, Leben als solches. In Wirklichkeit wird die lebendige Natur durch das tote Kapital getötet, anstatt dass das Kapital lebendig wird, indem es tote Natur transformiert.

Diese Verkehrung führt, wenn man ihr Glauben schenkt, zum Fetischismus. Das Kapital wird als die bessere und höhere Natur fetischisiert, die endlich wertvoll und lebendig ist. Nur durch diese Verkehrung kann der paradoxe Begriff „Naturkapital“ verstanden werden: als die Lüge, die er ist.

These 9

Auf diese Weise erscheint der moderne Mensch als Schöpfer einer neuen Natur, die einen Wert hat und lebendig ist, während er in Wirklichkeit der Mörder der Natur und des Lebens ist.

These 10

Monsieur le Capital und Madame la Nature — wie Marx sie nannte — befinden sich auf diese Weise schon immer im Krieg, weil das Kapital versucht, die Natur zu ersetzen — das alte Programm und Projekt der patriarchalen Zivilisation seit jeher.

Das moderne Patriarchat basiert auf dem Kapitalismus und der modernen Alchemie, die versprechen, die Utopie einer von Männern — anstelle von Frauen und der Natur — geschaffenen Welt zu verwirklichen.

Der Mythos vom Kapital als „natürlich“ basiert auf der alten patriarchalen Annahme, die bis heute überlebt hat, dass die Natur ein Geheimnis hat, nämlich dass sie will, dass Männer anstelle von Frauen die Schöpfer des Lebens sind.

Die Umwandlung der Natur in Kapital erscheint daher als ihr eigener Wille und als ihre Verbesserung.

These 11

Die daraus resultierende „zweite Natur“ soll die bessere und höhere Natur sein, nämlich das „Naturkapital“, damit der Skandal, eine vergangene Natur, eine getötete Natur oder eine Antinatur zu sein, verborgen werden kann. Kapital als zweite Natur scheint der beste Weg zu sein, um die Natur in einen Wert zu verwandeln, zu verbessern, zu schützen und zu bewahren.

These 12

Anstelle von Natur spricht man heute von „Ökosystemen“, einer Art ursprünglicher, mechanischer Ordnung, die dem Kapital nicht unähnlich ist.

Die tautologische Verschmelzung von Begriffen erlaubt es, selbst die Maschine als natürlich zu definieren. So erscheint der Kapitalismus als ökologisches Unterfangen, während der daraus resultierende „Tod der Natur“ (Carolyn Merchant) nicht mehr wahrgenommen werden kann.

These 13

Indem die gesamte Natur in Werte verwandelt und dadurch mit einem Preis versehen wird, wird der Rest der ursprünglichen, wilden Natur als Reserve, Reservat, Kolonie oder Einfriedung gehalten, um sie bei Bedarf oder Wunsch jederzeit in verschiedene Formen von Kapital umwandeln zu können.

Die Be-Wertung von immer mehr Natur bedeutet, den konstanten Fluss der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation zu erweitern, der auf diese Weise in immer größerem Umfang für die Kapitalakkumulation insgesamt zur Verfügung steht.

These 14

Der Prozess der Umwandlung von letztlich der gesamten Natur in Kapital wird nicht von selbst aufhören.

These 15

Leben wird selten, da Kapital nicht lebendig ist, selbst wenn Menschen daran glauben.

These 16

Die ultimative Form der Natur, die in Kapital verwandelt werden soll, ist das menschliche Leben.

Die neue, vierte industrielle Revolution plant daher, den Menschen als solchen in Kapital in Form von lebenden Maschinen oder maschinellem Leben zu verwandeln, definiert als Trans- und Posthumanismus, die angeblich höhere, bessere und „evolutioniertere“ Form des menschlichen Lebens.

In Wirklichkeit bedeutet dies die Abschaffung des menschlichen Lebens, so wie es bei anderen Formen der lebenden Natur der Fall war, die in Kapital verwandelt wurden.

These 17

Die Hybris der „grünen“ Politik der „Naturkapitalisten“ besteht darin, dass sie versuchen, die Mutter — sowohl Mutter Natur als auch die menschliche Mutter — durch ihre neue „Ökologie“ oder ihre „kreative“ und smarte neue „Naturwelt“ zu ersetzen.

These 18

Heute wird argumentiert, dass es ohnehin keine wilde oder ursprüngliche Natur mehr gebe. Daher ist die fortschreitende Umwandlung der Natur in Naturkapital willkommen, und vorgeblich ist damit gerade keine Zerstörung verbunden.

These 19

Die ganze Argumentation erweist sich als tautologisch. Was bleibt, ist der Endkampf gegen die gesamte Natur und das Leben, bis es womöglich zu einem Omnizid, dem Tod von allem (Rosalie Bertell), kommt.

These 20

Der Glaube an Fortschritt und Entwicklung erzeugt eine Illusion und eine „Apokalypse-Blindheit“ (Günther Anders), die es den Menschen verwehrt zu sehen, was sie tun oder getan haben, wobei das Naturkapital als „besseres Leben“ der Hauptfetisch ihrer patriarchal-kapitalistischen Religion ist.


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Quellen und Anmerkungen:

  • Ursprüngliche Fassung: Werlhof, Claudia von, 2024: „There is no „natural capital“, in: DEP, Venedig, Nr. 53, April, Seiten 125 bis 127.

  • Anders, Günther, 2018: Die Antiquiertheit des Menschen, C.H. Beck, München.

  • Bertell, Rosalie, 2020: Kriegswaffe Planet Erde, J. K. Fischer, Gelnhausen, 5. Auflage.

  • Merchant, Carolyn, 1982: The Death of Nature. Women, Ecology, and the Scientific Revolution, Harper and Row, New York.

  • Werlhof, Claudia von, 2025: Väter des Nichts. Zum Wahn einer Neuschöpfung der Welt, zwei Bände, Zeitgeist, Höhr-Grenzhausen.

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