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Freiwilliger Zwang

Freiwilliger Zwang

Selbst sollte die Corona-App wirklich datenschutzsicher sein, wird sie unser Verständnis von Zusammenleben nachhaltig verändern.

Klingt doch alles gut, die größten Bedenken sind zerstreut. Nun heißt es: Downloaden was das Zeug hält. Freiwillig natürlich. Auch das war eine Forderung im Vorfeld. Man dürfe die Leute schließlich nicht zwingen. Braucht man sich also keinen Kopf mehr machen? Oder sind Zweifel weiterhin erlaubt? Wenn schon nicht im Hinblick auf Datenschutz, so doch auf das, was ein solches Gimmick im sozialen Kontext anrichtet? Können wir mit der Technologie überhaupt Schritt halten als Menschen?

Die Regierung empfiehlt, die Zivilgesellschaft drängt

Erstmal Entwarnung. Wer nicht will, braucht die App nicht auf sein Handy packen. Alles kann, nichts muss. Die Bundesregierung sieht keinerlei Notwendigkeit darin, mehr als eine Empfehlung auszusprechen. Die Regierungssprecher bestätigte das nochmals ausdrücklich. Auch rechtliche Bedenken haben zu dieser offiziellen Haltung beigetragen. Damit ist quasi jeder aus dem Schneider, der sich frei von dieser App halten möchte? Nicht ganz: Die Bundesregierung möchte, anders als etwa Linke oder Grüne, keine Gesetzeslage schaffen.

Damit erhält die Freiwilligkeit eben auch keinen Gesetzesrang. Wenn nun der Zwang von der Gesellschaft ausgeht, also durch das in den letzten Monaten schon oft beobachtbare Shaming etwa, dann kann sich keiner, der nicht mitzieht, auf sein potenzielles Recht zurückziehen.

So behält sich die Bundesregierung quasi offen, den Druck auf Verweigerer nicht selbst, sondern durch die gesellschaftlichen Mitspieler ausüben zu lassen. Arbeitgeber etwa — oder Dienstleister.

Schon jetzt stellen Juristen klar, dass zwar Arbeitgeber nicht einfach Mitarbeiter zur Nutzung der App verpflichten könnten — aber mittels Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sähe die Sache anders aus. Auch Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs könnten Fahrgäste zur Nutzung drängen und die eigentliche Freiwilligkeit des Unterfangens unterlaufen.

Am Ende: Doch als Pflicht?

In einem solchen Szenario geht es sicherlich nicht darum, eine etwaige Sicherheit zu gewährleisten, sondern es geht um Psychologie. Die Kräfte innerhalb der Zivilgesellschaft sind dazu übergegangen, eine Schicksalsgemeinschaft auf Grundlage von Hygieneplänen zu konstruieren. Mitmachen gilt da als eine Form sozialer Verträglichkeit — ob das Sinn macht, rechtlich überhaupt zulässig ist: Das spielt alles bestenfalls eine zweitrangige Rolle.

Es geht darum, als zur Gemeinschaft zugehörig anerkannt zu werden. Um Initiation; um eine teils hysterische, oft aber auch ahnungslose Form der Corona-Weihe. Innerhalb dieser Logik gilt eine kritische Dialektik wenig bis gar nichts. Sie stört nur den Kult des Aktivismus, der vorgibt, dass etwas zu tun immer besser sei, als zögerlich oder nachdenklich zu sein. Daher gilt Händewaschen weiterhin als wichtigstes Gebot, obgleich die Schmierinfektion ausgeschlossen ist. Aber sich die Hände zu waschen gibt ein beruhigendes Gefühl — und schadet ja auch nicht.

Kaufhäuser drängen Kunden zur Desinfizierung ihrer Hände — obgleich auch davon kein nennenswerter Vorteil im Hinblick auf eine etwaige Infektion ausgeht. Hauptsache man tut was, macht mit. Wer an der Kaufhaustür nicht mitzieht, der kommt nicht rein, auf dem lasten die Blicke der anderen.

Die soziale Ächtung ist spürbar: Dieser Tage in allen Lebenslagen. Es reicht nicht mitzuziehen — man muss verinnerlichen.

Die App mag also freiwillig im Raum stehen. Die Schicksalsgemeinschaft der Hygieneplaner wird den Zwang allerdings ausüben, den die Bundesregierung zunächst ausschloss. Sollen doch die Arbeitgeber drücken — darin sind sie a) geübt und b) kuschen Bürger als Arbeitnehmer stets besser.

Technologischer Fortschritt und der Affe in uns

Diese Schicksalsgemeinschaft hat nun mit der App ja auch nochmal ein ganz besonderes Gimmick zur Hand. Nicht nur windige Zellstoffmasken oder banale Seife: Nein, richtige Technologie. Und die, wir wissen es doch seit einem Jahrhundert, gewinnt am Ende jeden Kampf. Religiöse Einbindungen des Menschen in der Gesellschaft mögen verschwunden sein, viel ist in dieses sinnentleerte Vakuum ersatzweise nicht eingedrungen. Höchstens vielleicht die Technikgläubigkeit. Sie hat den Fatalismus an einen Gott zu glauben profaniert.

Heute glaubt man an die Macht der Tracks und der Algorithmen. Während der Gott unserer Vorfahren ein menschliches Gegenstück war — der Mensch erschuf laut Ludwig Feuerbach Gott und nicht etwa andersherum —, sind es die auf Binärcodes gestützten Zahlenreihen der neuen Übermacht nicht. Sie sind unmenschlich, weil hinter ihnen weder menschliches noch überhaupt eine Denkweise steht. Wir allerdings sind dieselben Primaten geblieben, die wir immer waren. Da mag Yuval Noah Harari noch so eloquent über den „Homo Deus“ schwadronieren: Es zeigt sich, auch der moderne Mensch ist der Affe, der er immer war und tickt nicht plötzlich anders, runder, auf- und abgeklärter.

An der Corona-Warn-App mag sich im Grunde wiederholen, was wir in den sozialen Netzwerken schon seit geraumer Zeit beobachten: Wir haben Technologien, die Welt wird uns zu klein, Kommunikation ist ein Klacks geworden: Aber der Mensch hält mental, moralisch, empathisch damit nicht Schritt. Er läuft mit Heugabel und Fackel durch digitale Landstriche. Immer auf der Suche nach Wut, nach Hassobjekten und jenen, die er als dümmer als sich selbst bewertet. Grundzutaten für jedes Shaming und Mobbing, die Freiwilligkeit zum einem Drahtseilakt machen.


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