Es ist klar, dass diese komplexe geschichtliche und nicht zuletzt auch emotional belastete Thematik hier nur angerissen werden kann. Auch deshalb seien als Einstimmung zwei Zitate von Hannah Arendt (1906 bis 1975) vorangestellt, denn in deren Sinne und unter deren Überschriften soll es im Folgenden bei der Suche nach Wahrheit gehen. Beide Zitate entstammen Arendts Essay-Sammlung, die die aus Nazi-Deutschland 1933 geflohene politische Theoretikerin und Totalitarismus-Forscherin in ihrem späteren Exil und ihrer Wahlheimat, den USA, geschriebenen Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung „Aufbau“:
„Die Geschichte der Menschheit ist kein Hotel, in das man sich beliebig einmieten könnte, auch kein Vehikel, aus dem man willkürlich ein- und aussteigen kann. Unsere Vergangenheit wird uns solange eine Last sein, unter der wir nur zusammenbrechen können, als wir uns weigern, die Gegenwart zu verstehen und für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Erst dann, dann aber sofort, wird aus der Last ein Segen werden, nämlich eine Waffe im Kampf um die Freiheit.“ (1)
Und: „Gelehrte sind merkwürdige Leute, und wir haben in letzter Zeit die traurigsten Erfahrungen mit ihnen gemacht. Irgendwann einmal, als sie der Herrschaft des Positivismus erlagen, sind sie ‚unpolitisch‘ geworden; sie vergaßen vor lauter Richtigkeiten, was Wahrheit ist, und trennten sich leichtsinnigen Herzens von der Sache der Freiheit und Gerechtigkeit. Seither sind sie bereit, jedem politischen System eine helfende Hand zu reichen. Ihrer Objektivität kann sich jedes Subjekt bedienen. Und wahrlich, an Subjekten hat es dann auch nicht mehr gefehlt.“ (2)
Arendt bezeichnet die Nazipropaganda als „Fabel von einer jüdischen Weltverschwörung“. Für die Deutschen, weil sie fast ausnahmslos gehorsam und damit, so Arendt, Unterstützer des Faschismus im „Dritten Reich“ waren, stellte sich gar nicht erst die Frage, „ob die jüdische Weltverschwörung vielleicht ein Hirngespinst ist. Man tat so, als ob sie wirklich wäre, und damit wurde sie wirklich. Der Wahn wurde einfach wahr gemacht.“ (3)
Dass hinter den kommunistischen Bewegungen in der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) wie auch in allen anderen Ländern „die Juden“ stecken würden, „dieses Pauschalurteil wurde dermaßen aufgeblasen und verdreht“, schreiben Robert K. Wittman und David Kinney, „bis das NS-Regime davon ausging, alle Juden seien Kommunisten, und um die rote Gefahr zu besiegen, müsse man folglich die Juden eliminieren“. (4)
Wittmans und Kinneys Buch „Die Rosenberg-Papiere – Die Suche nach den verschollenen Tagebüchern von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg“ ist 2015 in deutscher Übersetzung erschienen. Wittman war FBI-Ermittler, dessen, wie es einleitend heißt, „Hartnäckigkeit“ zu verdanken ist, dass die gesuchten Tagebücher dieses Mitgliedes der NS-Führungsriege nach Jahrzehnten aufgespürt und der Öffentlichkeit 2013 zugänglich gemacht werden konnten. Kinney hat als Journalist unter anderem für die New York Times, den Boston Globe und die Washington Post geschrieben und wurde im Jahr 2005 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Alle ihre Aussagen stützten die beiden US amerikanischen Autoren, neben den Tagebucheintragungen Rosenbergs, auf eine Vielzahl von Originaldokumenten und Quellen wie die der „National Archives“ in St. Louis und Maryland, Akten aus dem „Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof“ in Nürnberg sowie aus Werken wie denen von Jeremy Noakes und Geoffrey Pridham herausgegebenen „Nazism: A History in Documents and Eyewitness Accounts“.
Anfang 1934 ernannte Hitler Rosenberg zum „Beauftragter des Führers zur Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“. „Der endlos lange Titel,“ so Wittman und Kinney, „er stammte natürlich von Rosenberg selbst – war nicht viel kürzer als die zwei Sätze umfassende Ernennungsurkunde mit Hitlers Unterschrift.“ (5) Rosenberg hatte zuvor unter anderem die Nazi-Publikationen „Völkischer Beobachter“ und „NS-Monatshefte“ herausgegeben sowie, so Gustave M. Gilbert, „in zahlreichen von ihm verfassten Büchern die Nazi-Lehren“ entwickelt und verbreitet“. Nach Hitlers Machtantritt leitete er das „Außenpolitische Amt der NSDAP (APA)“ „eine Organisation, deren Agenten in allen Teilen der Welt Nazi-Intrigen betrieben“. 1941 übertrug Hitler ihm das Amt des Ministers für die besetzten Ostgebiete. (6) – Im Oktober 1946 ist Rosenberg wie weitere neun Spitzenfunktionäre des Nazi-Regimes im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg hingerichtet worden. (7)
„Hitler machte sich diesen absurden Fehlschluss zu eigen“, dass Juden und Kommunisten identisch seien, schreiben Wittman und Kinney, „und im Vorfeld des Überfalls auf die Sowjetunion wurde er zu einer der Grundlagen der Befehle an die vorwärtsstürmenden Truppen“. Eingeschworen wurden die Wehrmachtssoldaten darauf, dass dies kein gewöhnlicher Krieg sei, „sondern das Aufeinandertreffen zweier unversöhnlicher Weltanschauungen, des Nationalsozialismus und des Bolschewismus, und zweier Rassen, der Arier und der Juden“. In den vorbereitenden Reden an die Wehrmachtsführung drängte Hitler die Generäle, in diesem „Vernichtungskampf“ unter ‚Anwendung brutalster Gewalt‘ gegen jeden „zum Todfeind“ erklärten Rotarmisten vorzugehen“ (8).
Hitlers Kriegsziel: UdSSR beherrschen, verwalten, ausbeuten
Die fünf von ihm im Juli 1941 auf die „Wolfsschanze“ bestellten „Spitzenfunktionäre“ des „Dritten Reiches“, neben Alfred Rosenberg Hermann Göring, Martin Bormann, Hans-Heinrich Lammers und Wilhelm Keitel, legte Hitler auf die „Formel“ fest: „Die Deutschen seien als Befreier zu den Völkern der UdSSR gekommen. Zumindest sei das die offizielle Version. Der wahre Grund müsse natürlich streng geheim bleiben. Niemand wisse bisher, dass es um eine dauerhafte Besiedlung gehe.“
Es sei jetzt die Aufgabe der Nationalsozialisten, „den riesenhaften Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können“. (9) Bei den begehrten Ressourcen handelte es sich in erster Linie um die Gas- und Erdöl-Schätze in Russland und um die Getreidefelder in der Ukraine.
„Das Deutsche Reich bekäme damit genug fruchtbares Getreideland und alle Erdölfelder, die es brauchte, um Autarkie zu erreichen. ‚Was für England Indien war, wird für uns der Ostraum sein,‘“ zitieren Wittman und Kinney Hitler: (10) „Über die zu treffenden Maßnahmen“ müsse die Führung absolut einig sein: „Erschießen und Aussiedeln et cetera“
In dieser von Rosenberg und von Bormann, der Protokoll führte, festgehaltenen Besprechung sahen sich die leitenden Politiker des Nazi-Reiches anhand von Karten an, wie der Diktator sich die territoriale Neugliederung in Osteuropa vorstellte: „Die Krim sei von den Russen zu räumen und mit Volksdeutschen neu zu besiedeln, die Stadt Leningrad dem Erdboden gleichzumachen.“ Die eroberten Gebiete sollten aufgeteilt werden „erstens das ‚Ostland‘ mit dem Baltikum und Weißrussland und zweitens die Ukraine“. Alles unter der Verwaltungszuständigkeit des von Rosenberg geleiteten „Ostministeriums“. Weißrussland bewertete dieser als „hoffnungsloser Fall – rückständig und voller Juden,“ das anders als die Ukraine – nach der Ausplünderung während des Krieges – niemals unabhängig werden könne. Rosenberg wollte „einheimische antikommunistische Kräfte (...) fördern; sie würden Deutschland im Kampf gegen die Sowjets helfen und nach dem Krieg einen Sicherheitsgürtel um das geschlagene Russland legen“. Die „‚jüdisch-bolschewistische Staatsverwaltung‘ sollte vernichtet werden; eine Nachfolgeregierung dürfe es nicht geben“. (11)
„Göring sollte den Abtransport der Rohstoffe für die Rüstungsindustrie organisieren, und – was ebenso wichtig war – den der Nahrungsmittel für die Bevölkerung im Reich.“ Herbert Backe, Staatssekretär, später „Geschäftsführender Minister“ im „Reichsernährungsministerium“ hatte bereits im Winter 1940/41 einen Plan entwickelt, „der die Getreideversorgung Deutschlands aus der Ukraine, ‚dem Brotkorb Russlands‘ sicherstellen sollte“. Für den studierten Diplom-Landwirt „waren die Völker der Sowjetunion Untermenschen, und er wollte für sie ‚die schrecklichste Hungersnot‘ herbeiführen“, zitieren Wittman und Kinney aus Dokumenten des Nazi-Funktionärs: „Wir wollen die Russen nicht zum Nationalsozialismus bekehren, sondern sie zu unserem Werkzeug machen.“ (12)
Unmittelbar nach dem „Überfall“ der deutschen Truppe auf die Sowjetunion vom 22. Juni 1941 leitete Rosenberg, „eine Besprechung mit dem wichtigsten Zuständigen“ seines Ministeriums, bei der es um die geplante wirtschaftliche Ausplünderung Osteuropas ging. Deren Folgen wurden ungeschminkt ausgesprochen, so die Autoren: „Wenn die Wehrmacht ihren Bedarf aus den besetzten Gebieten deckte, würden ‚zweifellos zig Millionen Menschen‘ verhungern, darunter auch sowjetische Kriegsgefangene, für deren Versorgung keinerlei Maßnahmen getroffen wurden.“ Ende 1941 „waren bereits dreihunderttausend kriegsgefangene Sowjetsoldaten umgekommen“, so Wittman und Kinney, „bis Kriegsende sollte die Zahl auf über drei Millionen steigen.“ (13)
Rosenberg ging wie die gesamte Nazi-Führungsriege von einen schnellen militärischen Sieg über die sowjetische Rote Armee aus, vergleichbar dem „Polenfeldzug“. Als der Krieg „unerwartet“ weiterging, trägt Rosenberg am 12. September 1941 in sein Tagebuch ein: „Die Gesetze der Geschichte seien nun einmal hart.“ Die Russen hätten schließlich Hunderttausende Volksdeutsche getötet und verbrannt. „Für diese Morde wird eben die russische Nation als Ganzes bezahlen müssen.“ Die Russen seien selbst schuld, „sie hätten niemals die Kommunisten an die Macht kommen lassen dürfen. Eigentlich seien sie wie Gefangene, die sich mit ihren Wärtern verbündeten und stattdessen ihre Befreier, die es nur gut meinten, bekämpfen“. (14)
In seiner „Instruktion für einen Reichskommissar im Ostland“ schreibt Rosenberg am 8. Mai 1941: „(...) dieser kommende Kampf ist ein Kampf um Ernährung und Rohstoffversorgung sowohl für das Deutsche Reich als auch für den gesamten europäischen Raum, ein Kampf weltanschaulicher Natur, in dem der letzte jüdisch-marxistische Gegner niedergerungen werden muß, ein staatspolitischer Krieg, der eine neue staatliche Konzeption in sich birgt und das eigentliche Europa in entscheidender Weise nach Osten vorrückt.“ (15)
Ausführung der Shoa durch ukrainische Nationalisten
Ergänzend zu diesem historischen Rückblick sei an dieser Stelle aus dem Buch von Peter Scholl-Latour (1924 bis 2014) „Der Fluch der bösen Tat. Das Scheitern des Westens im Orient“ zitiert. Die „Reporterlegende“ greift darin auf Erkenntnisse der Geschichtswissenschaftler Timothy Snyder aus den USA und dessen französischen Kollegen Christian Ingrao zurück: „Ich erinnere an die zwielichtigen Zustände, die während des Zweiten Weltkrieges in Ost-Galizien, im ehemals österreichischen und polnischen Teil der heutigen West-Ukraine vorherrschten.“
Die Nazis, so gibt Scholl-Latour Snyder wieder, „waren der Ansicht, die westlich des Dnjepr lebende Bevölkerung assimilieren zu können. Östlich davon führten sie einen Vernichtungskrieg. (...) Im Westen der Ukraine wurden die Deutschen oft als Befreier empfangen“.
Dort hatten sich „150.000 ukrainische Nationalisten in die Waffen-SS oder Verteidigungsmilizen gemeldet. (...) Sie waren unentbehrlich für die Ausführung der Shoa. Im Lager Belzec (600.000 Opfer) gab es nur fünfzehn bis zwanzig deutsche Soldaten“. Noch bis 1950, so Scholl-Latour, hatte im Westen der Ukraine „der Widerstand gegen die Sowjetarmee mit extremer Heftigkeit angedauert“.
Der Journalist folgert: „Es berührt seltsam, wenn Warschau und Kiew heute eine enge Verbrüderung feiern. Marschall Pilsudski, der nach dem Ersten Weltkrieg die Wiedergeburt der polnischen ‚Responspolita‘ vollzog, hatte vorübergehend Kiew besetzt und die ukrainische Hauptstadt für seinen Staat reklamiert. Während der Maidan-Unruhen 2014 brachen aus der Umgebung von Lemberg, das die Polen Lvov und die Ukrainer Lwiw nennen, militärisch organisierte Stoßtrupps auf, die sich bei ihrem Kampf für ein nach Westen ausgerichtetes Regime auf den Nationalhelden Stepan Bandera beriefen, obwohl dieser zur Zeit des von den Nazis eingerichteten Generalgouvernements Jagd auf Polen, Russen und Juden gemacht hatte. Aber an dieser düsteren Vergangenheit (...) wagt im Westen offenbar niemand zu rühren.“ (16)
Jeffrey Veidlinger, Professor für Geschichte und Judaistik an der University of Michigan, erinnert mit seinem aktuellen Buch „Mitten im zivilisierten Europa“ an „die Pogrome von 1918 bis 1921 an der jüdischen Bevölkerung in der Ukraine“, die, so sein Rezensent Klaus Nilius, „die Vorgeschichte des Holocaust“ bildeten. So zitiert er Veidlinger, der über Zerstörungen am 15. Februar 1919 in der Stadt Proskuriv, heute Chmelnyzkyj, schreibt: An dem Nachmittag „ermordeten ukrainische Soldaten über 1000 jüdische Zivilisten in der bis dahin vielleicht mörderischsten Episode, die dem jüdischen Volk in seiner langen Geschichte der Unterdrückung zugestoßen war“. Zwischen November 1918 und März 1921 seien während des Bürgerkrieges, der auf den Ersten Weltkrieg folgte, „über 1000 antijüdische Unruhen und Militäraktionen – beide wurden meist als Pogrom bezeichnet – an über 500 unterschiedlichen Orten auf dem Gebiet dokumentiert, das heute zur Ukraine gehört“. Nach vorsichtigen Schätzungen seien, laut den Erkenntnissen des Historikers, „40.000 Juden direkt bei den Unruhen und weitere 70.000 an den Folgen der Angriffe“ gestorben. „Millionen Juden flüchteten innerhalb des Landes, 600.000 in andere Länder, wo ihnen zunehmend alles andere als eine Aufnahme mit offenen Armen widerfuhr.“
Ziel der „Pogrombewegung“ sei „die Vertreibung aller Juden aus der Ukraine gewesen“, wegen des Wahns der „Feindschaft gegen den Bolschewismus und der vermeintlichen Prominenz von Juden in dieser Bewegung“. Die Gegner der russischen Oktoberrevolution hätten auf die in der Zarenzeit weit verbreiteten antijüdischen Feindbilder gesetzt, als sie in ihrer Propaganda das Schlagwort vom „jüdischen Bolschewismus“ prägten. Es sei, gibt der Rezensent die Folgerungen des Buchautoren wieder, „eine Anspielung auf führende Revolutionäre wie Lew Dawidowitsch Bornstein, genannt Trotzki, und damit einen der maßgeblichen Organisatoren der Oktoberrevolution. Damit sollte der Eindruck erweckt werden, die Partei der Bolschewiken bestehe vor allem aus Juden, Bolschewiki und Juden seien Synonyme“.
Veidlinger spannt den geschichtlichen Bogen weiter: „Was den ukrainischen Juden während des Zweiten Weltkrieges zustieß, wurzelt in dem, was den Juden in derselben Region zwei Jahrzehnte vorher zugestoßen war. Die Pogrome etablierten Gewalt gegen Juden als akzeptable Reaktion auf die Exzesse des Bolschewismus. (...) Als die deutschen kamen, angestachelt von antibolschewistischen Hass und antisemitischer Ideologie, fanden sie eine jahrzehntealte Todeszone vor, wo sich der Massenmord an unschuldigen Juden in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hatte, wo das Unvorstellbare bereits Realität geworden war.“ (17)
An diese Erkenntnisse zu den geschichtlichen Hintergründen der Ukraine knüpft auch der US-amerikanischen Autor Evan Reif an in seinem Beitrag: „1944 prügelten sie Juden zu Tode, 1945 wurden sie Amerikas beliebteste ‚Freiheitskämpfer‘ …“. Reif stellt unter anderem heraus, dass auf Anweisung Rosenbergs 1943 ein Komitee der unterworfenen Nationen gegründet wurde, „welches alle antisowjetischen Partisanen unter einem Banner vereinen sollte“.
Die meisten von ihnen, so der Autor, „waren Soldaten der von Stephan Bandera gegründeten „Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN)“, deren Anführer und zweiter Kommandant Jaroslaw Stetsko war. Ihn zitiert Reif wie folgt: „Deshalb stehe ich für die Einrichtung der Judenvernichtung und die Zweckmäßigkeit der Übernahme der deutschen Methoden zur Vernichtung der Juden in der Ukraine, wobei ihre Assimilierung ausgeschlossen ist.“ Wie Bandera war Stetsko „ein militanter Antisemit, der Marxismus und Judentum gleichsetzte und die Ausrottung beider forderte“.
Das von Rosenberg initiierte Komitee änderte 1946 seinen Namen in „Antibolschewistischer Block der Nationen (ABN)“ und wurde so zunehmend für die Herrschenden der USA und ihres Geheimdienstes CIA interessant und von letzterem mehr und mehr protegiert. Um weitere Finanzspritzen zu erhalten, wechselte der ABN, so Reif, auch seine Rhetorik „von Blut und Boden zu Freiheit und Demokratie“. Später gab die 1966 gegründete „World Anti-Communist League (WACL)“ „der alten OUN die Möglichkeit (...) ihre Art von Terror weltweit zu exportieren“. Die Organisation war auf vier Kontinenten „aktiv“, so der Autor, wodurch sich ihr „neue Geschäftsmöglichkeiten für den Handel mit Drogen und Waffen sowie für ihr altes Handwerk: Mord und Folter“ ergaben. (18)
Wenn Rockefeller Demokratie sagt, meint er Oligarchie und Weltregierung
Entsprechend ordnete Rudi Dutschke (1940 bis 1979, Dutschke starb an den Spätfolgen des 1968 auf ihn verübten Attentats) in seiner im Juni 1976 gehaltenen Rede über „Die Internationalisierung der ‚Stammheime‘“ auf dem Pfingstkongress der ‚Sozialistischen Büros‘ in Frankfurt am Main die Rhetorik von David Rockefeller als einen Höhepunkt der „Verwirrung und Vernebelung, die real die Welt durchdringt“ ein, wenn dieser Vertreter des US-Imperialismus „hier im Lande von der ‚amerikanischen Demokratie‘ redet“. (19)
Was Rockefeller, er starb 2017 im Alter von 98 Jahren, ohne „Verwirrung und Vernebelung“, unter „Demokratie“ wirklich verstand, wird deutlich, als er 1992 auf dem Bilderberger-Treffen, dem „Club der Milliardäre“ samt ihres Stabes aus Politik, Militär, Geheimdienst und Medien, in Baden-Baden den Verdienst der jahrzehntelangen Nachrichtenunterdrückung der großen US-amerikanischen Zeitungshäuser lobte und sich dafür bei den anwesenden Verlegern bedankte: „Die Welt ist nun fortschrittlicher und bereit, in Richtung einer Weltregierung zu marschieren. [...] Die internationale Herrschaft einer intellektuellen Elite und der Weltbankiers ist sicherlich vorzuziehen gegenüber der in früheren Jahrhunderten praktizierten nationalen Selbstbestimmung.“ (20)
Die entscheidende Funktion des Faschismus liege „in der Verhinderung jeder selbständigen Regung, im Zurückdrängen des Klassenkampfes unter die gesellschaftliche Oberfläche, seiner Zersplitterung in zahllose winzige Einzelbeschreibungen“, analysierte der promovierte Nationalökonom und Autor Richard Löwenthal (1908 bis 1991). Daher sei der Faschismus auch „kein vorkapitalistisches Überbleibsel, sondern das ureigenste Produkt der kapitalistischen Entwicklung selbst“. Mit ihm ist „die Bourgeoisie noch weit enger verbunden als mit anderen Diktaturen“. (21)
Löwenthal gehörte dem „Einheitsfront“-Widerstandskreis „Neu beginnen“ an. Unter seinem Pseudonym „Paul Sering“ veröffentlichte er 1935 und 1936 seine Analyse über „Faschismus und Monopol Kapitalismus“ in der „Zeitschrift für Sozialismus“, die illegal vertrieben wurde. Löwenthal emigrierte 1935 zunächst nach Prag (CSR) und schließlich nach London. 1948 kehrt er als britischer Korrespondent nach Deutschland zurück.1961 wurde er auf Deutschlands erstmals eingerichteten Lehrstuhl für Außenpolitik am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin berufen. (22)
Georgi Dimitrow, auf den Bernhard Trautvetter in seinem Beitrag „Antifaschismus und Friedensarbeit“ („Ossietzky“, 10/2023) verweist, definiert Faschismus als die brutalste Form der Repression, als „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. (23)
„Die Feinde des Volkes rechnen mit der Vergeßlichkeit der Massen – wir setzen dieser Spekulation entgegen: Alles lernen, nichts vergessen!“, so seinerzeit Karl Liebknecht (1871 bis 1919) in seinem Flugblatt „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ vom Mai 1915 (24).
In diesem Sinne liegt der Schwerpunkt des 2. Teils dieses Beitrags auf der Darstellung Serings Analyse des Faschismus mit seinen geschichtlichen Bezügen und den Blick auf die spezifischen Bedingungen seiner Ausgestaltung in Deutschland.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Hanna Arendt, „Moses oder Washington (This Means You)“, 27. März 1942, aus: „Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Mond sicher, Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung ‚Aufbau’ 1941 – 1945“,(„Aufbau“), Marie Luise Knott, Hrsg., München 2000, Seite 43 folgende
(2) Hannah Arendt, „Papier und Wirklichkeit (This Means You)“, 10. April 1942“, „Aufbau“ aaO., Seite 48 folgende
(3) Hannah Arendt, „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus“, 11. Auflage, München 2006, S. 764;
vergleiche Alois Prinz, „Hannah Arendt oder Die Liebe zur Welt“, Berlin, 2021, 16. Auflage, Seite 140 folgende
4) Robert K. Wittman, David Kinney, „Die Rosenberg-Papiere – die Suche nach den verschollenen Tagebüchern von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg“, München 2016, Seite 375 folgende
(5) Wittman/ Kinney, aaO., Seite 166
(6) Gustave M. Gilbert, „Nürnberger Tagebuch, Gespräche der Angeklagten mit dem Gerichtspsychologen“, Frankfurt am Main, 2017, 16. Auflage, Seite 435 folgende
vergleiche Wittman/ Kinney, aaO., Seite 349 und 155 folgende;
vergleiche „Alfred Rosenberg, Die Tagebücher von 1934 bis 1944“ (Rosenberg, Tagebücher“), herausgegeben und kommentiert von Jürgen Matthäus und Frank Bajohr, Frankfurt am Main 2018., Eintrag vom 2. April 1941, Seite 11 folgende und Seite 372;
vergleiche Franz Fühmann, „König Ödipus“ in: „Kapitulation, Erzählungen“, München 1985, Seite146 folgende, Seite 164 folgende und Seite 198
(7) Gilbert, aaO. Seite 426 folgende;
vergleiche „Die Vollstreckung der Urteile der Nürnberger Prozesse“, Redaktion Zukunft braucht Erinnerung, 6. November 2004, https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/die-vollstreckung-der-urteile-der-nuernberger-prozesse/
(8) Wittman/ Kinney, aaO., Seite 377
(9) Wittman/ Kinney, aaO., Seite 368
(10) Wittman/ Kinney, aaO., Seite 353
(11) Wittman/ Kinney, aaO., Seite 368 folgende
(12) Wittman/ Kinney, aaO. Seite 354 folgende
vergleiche Klaus Gietinger, „Der Konterrevolutionär, Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere“, (Gietinger I), Hamburg, 2008, Seite 320 folgende;
vergleiche „Herbert Backe“, der ‚Ernährungsdiktator‘ des ‚Dritten Reiches‘“, „Jahresbericht 2021, HAIT“, Ankündigung eines Forschungs- und Promotionsprojektes von Anselm Meyer, Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden, Seite 11 folgende, https://hait.tu-dresden.de/ext/institut/jahresberichte.asp;
vergleiche „Herbert Backe“, wikipedia, (Recherche, 24. Juni 2023), https://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Backe
(13) Wittman/ Kinney, aaO. Seite 360 folgende
vergleiche wikipedia, „Hungerplan“, (Recherche, 13. Juni 2023), https://de.wikipedia.org/wiki/Hungerplan
(14) Wittman/ Kinney, aaO. Seite 368;
vergleiche Rosenberg, „Tagebücher“, aaO., Seite 408 folgende
(15) „Nürnberger Prozess Bd. 26, Seite 573 folgende (1029-PS und 1030-PS)“, zitiert aus: „Rosenberg, Tagebücher“, aaO., Seite 105, Anmerkung 169, und Seite 408 folgende;
vergleiche Wittman/ Kinney, aaO., Seite 368
(16) Peter Scholl-Latour, „Der Fluch der bösen Tat. Das Scheitern des Westens im Orient“, Berlin, 7. Auflage, 2020, Seite 25 folgende
(17) Klaus Nilius, „In grenzenlosen Hass vereint“, Ossietzky 10/2023, Seite 350 folgende, Rezension des Buches „Jeffrey Veidlinger: Mitten im zivilisierten Europa – Die Pogrome von 1918 bis 1921 und die Vorgeschichte des Holocaust“, München 2022, https://www.ossietzky.net/artikel/in-grenzenlosem-hass-vereint/
(18) Evan Reif, „1944 prügelten sie Juden zu Tode, 1945 wurden sie Amerikas beliebteste ‚Freiheitskämpfer‘ …“, Free21, Ausgabe Oktober 2022, https://free21.org/1944-pruegelten-sie-juden-zu-tode-1945-wurden-sie-amerikas-beliebteste-freiheitskaempfer/;
vergleiche „Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine“ im Gespräch mit Tilo Jung, Jung & Naiv, Folge 580, Timecode ab 1:40 h, https://www.youtube.com/watch?v=JVEGR7apzoI;
vergleiche Nils Metzger, „Debatte mit Ukraine-Botschafter. Experten kritisieren Melnyks Bandera-Aussagen“, Zweites Deutsches Fernsehen, 1. Juli 2022, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/melnyk-bandera-interview-botschafter-ukraine-100.html
(19) Rudi Dutschke, „Die Internationalisierung der ‚Stammheime“ (Rede auf dem Pfingstkongress der ‚Sozialistischen Büros‘ im Juni 1976 in Frankfurt“, aus: „Geschichte ist machbar – Texte über das herrschende Falsche und die Radikalität des Friedens“, Berlin, Auflage 1981, Seite 157 folgende;
vergleiche John Pilger, „Die Verräter von Julian Assange“, Ossietzky 12/2023, Seite 424 folgende, https://www.ossietzky.net/artikel/die-verraeter-von-julian-assange/;
vergleiche Markus Kompa, „Grüne und Linke auf der Atlantik-Brücke – Wie glaubwürdig sind TTIP-Kritiker?“, Telepolis, 20 April 2014, (Zugang eingeschränkt) https://www.telepolis.de/features/Gruene-und-Linke-auf-der-Atlantik-Bruecke-3364927.html
(20) Michael Morris, „Lock Down – Es war nur der willkommene Auslöser für das größte, je gewagte Experiment am Menschen. Es wird kein Zurück zu alten Normalität geben!“, Fichtenau, 2. Auflage, 2020, Seite 101, Quellenangabe des Autoren für sein Rockefeller-Zitat: www.goodreads.com/quotes/288636-we-are-grateful-to-the-washington-post-the-new-yor;
vergleiche Bertram Burian, „Die finale Systemfrage“, Manova, (vormals „Rubikon“), Teil 1, 17. und Teil 2, 21. Februar 2023, https://www.manova.news/artikel/die-finale-systemfrage und https://www.manova.news/artikel/die-finale-systemfrage-2
(21) Paul Sering (Pseudonym von Richard Löwenthal), „Die Aufgaben der deutschen Revolution“, Zeitschrift für Sozialismus, aus: „Faschismus und Monopolkapitalismus, 6 frühe Aufsätze“, Juni 1936, Seite 80 folgende
(22) „Richard Löwenthal, 15. April 1908 - 9. August 1991“, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/richard-loewenthal/;
vergleiche Axel Ulrich, „Neu beginnen“, https://www.ns-dokuzentrum-rlp.de/dokumentationszentrum/themenfelder/widerstand/linke-kleingruppen/neu-beginnen;
vergleiche Ulrich Falke, „Im Falschen leben. Die globale Oligarchie möchte die letzten Bastionen der Freiheit endgültig zu Fall bringen“, Manova (vormals „Rubikon“), Teil 1, 7. und Teil 2, 10. Januar 2023, https://www.manova.news/artikel/im-falschen-leben-2 und https://www.manova.news/artikel/im-falschen-leben
(23) Bernhard Trautvetter, „Anitfaschismus und Friedensarbeit“, Ossietzky 10/2023, Seite 246 folgende, https://www.ossietzky.net/artikel/antifaschismus-und-friedensarbeit/;
vergleiche Anneliese Fikentscher, Andreas Neumann, „Wie der Weltkrieg der Nazis finanziert wurde“, Neue Rheinische Zeitung, NRZ online, 2023, http://nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21134;
vergleiche „Ernst Wolff nennt Ross und Reiter: Die Struktur der digital-finanziellen Globalherrschaft (Interview mit Ernst Wolff), Kla.TV/22827, 17. Juni 2022, https://www.kla.tv/22827
(24) Karl Liebknecht, „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“, Flugblatt von Mai 1915, zitiert aus: „Reden und Schriften gegen Militarismus und Krieg“, Berlin 2019, Seite 173 folgende
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