von Sasha Stern
Zunehmende Hitzewellen und exponentiell ansteigende Jahresmitteltemperaturen müssen uns nicht den Schweiß auf die Stirn treiben. Ich hab‘s mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Ohren gehört und erst recht mit vollem Bewusstsein wahrgenommen: Deutschland ist eiskalt, grimmig, abgestumpft und stur. Unsere Herzen sind dermaßen leer und ausgekühlt, dass wir uns alle Präventivmaßnahmen zur Erderwärmung sparen können. Wenn wir so weitermachen, dann reicht unsere Kaltherzigkeit, unsere erbarmungslose Unachtsamkeit und die kühle Manier unserer durch schlechten Schlaf ausgehöhlten Augen aus, um außer dem Planeten Erde vielleicht sogar noch ein, zwei Nachbarplaneten einzufrieren. Ganzjähriges Rodeln, Schlittschuhlaufen und Eisstockschießen. Spitzensache!
Selbst bei hohen zweistelligen Außentemperaturen hat es mich gefröstelt, als ich in eine Straßenbahn voll lebloser Menschen eingestiegen bin. Gespenstische Stille. Ein Großteil nur noch über Smartphone und Ohrenstöpsel am apathischen Existenzminimum gehalten: „Einatmen, Ausatmen, Einatmen, Ausatmen, …“. Die Mundwinkel in Richtung Boden fest verankert, hatte ich große Sorge, ein kleines Mädchen anzulächeln, das neugierig einen am Fenster vorbeisausenden Schmetterling fokussierte.
Auf meiner Südostasienreise hatte ich schon Angst, was wohl aus all der armutsbehafteten Herzlichkeit, der Daseinsfreude und der Offenheit werden soll, die mir dort so völlig unerwartet begegnete. Aber klar, diese Leute auf der anderen Seite der Welt haben schließlich keine Ahnung, wie mühsam und verflochten es ist, mit einem Bankkonto voller Geld, einem eigenen Bett und einem stets gefüllten Kühlschrank zu leben. Die sind sicherlich nur oberflächlich und haben kein Gespür für Black-Friday-Sales, Mindestlöhne und übervolle Kaufhäuser. Also warum überhaupt was von ihnen über das Leben lernen wollen.
Zurück Zuhause war ich sehr zufrieden, als mich bereits der zweite Erdling anschnauzte, warum ich denn mit meinem Fahrrad auf dem Fußweg unterwegs sei. Schlussendlich wurde mir klar, dass Deutschland wahrlich auf einem guten Weg ist, der Erwärmung des Globus entgegenzuwirken: Weiter so mit unserer zwischenmenschlichen Gleichgültigkeit, weiter so mit unseren mechanischen Tagesabläufen, mit unserer Förmlichkeit, dem adeligen Siezen und den unterkühlten Tramfahrten. Bei der (Gefühls-)Kälte, die einem da entgegenschlägt, braucht sich niemand über die Klimaprobleme auch nur Gedanken zu machen.
Bitte gebt auf euch Acht! Isoliert euch! Seid trübselig, knurrig und seht euch auf dem Fußweg niemals in die Augen! Es könnten Menschen sein, die euch begegnen ...
Jan Schöpe, Jahrgang 1996, studiert Philosophie, Politikwissenschaften und Geschichte an der TU Dresden. Neben dem Studium arbeitet er am Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte. Dazu gehören nicht nur weitreichende Einblicke in den akademischen Alltag, sondern ebenso die Möglichkeit, Tutorien zu organisieren. Für seine Freizeit ist sportlicher Ausgleich und der Kampf gegen seine immer höher werdenden Bücherstapel essentiell.
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