Elite-Medien am Ende
von Ulrich Kramer
Warum vertrauen Sie den (Leit-)Medien nicht mehr? Warum brauchen wir neue, demokratische Medien in Bürgerhand, Medien „von unten“? Ebenso gut ließen sich die Verben in beiden Fragen wechselseitig austauschen: Warum brauche ich die (Leit-)Medien nicht mehr? Warum vertraue ich neuen, demokratischen Medien in Bürgerhand, Medien „von unten“? Oder besser: Warum vertraue ich diesen nicht? Doch davon später.
Vertrauen kann ich nur jemandem, den ich gut genug kenne, sodass ich mich auf ihn verlassen kann – schon gar, wenn ich ihm die Leitung auf einem meiner Wege anvertraue. Ich setze dabei selbstverständlich voraus, dieser Jemand ist orts- oder sachkundig, denn ansonsten brauche ich ihn schlicht und ergreifend nicht. Was soll eine Leitung, meinetwegen auch ein Leitmedium, wenn ich davon ausgehen muss oder sogar definitiv weiß, dass der/die/das Betreffende seiner- oder ihrerseits ganz andere Absichten verfolgt als die, ausgerechnet mich zu leiten, soll heißen: mich gefahrlos von einem Punkt zu einem anderen zu geleiten?
„Die Pressefreiheit“, schrieb vor über 50 Jahren Paul Sethe, „ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Liebe digital natives: An der Richtigkeit dieses Satzes hat sich nichts geändert. Wer die letzten 50 Jahre nicht völlig verschlafen hat, müsste eigentlich mitbekommen haben, dass unsere Medien mitnichten nichts anderes im Sinn haben als eine wertneutrale, überparteiliche, umfassende Übermittlung von Tatsachen und Gegebenheiten, also von Fakten und Daten. Es handelt sich schließlich, ob eingestanden oder nicht, durchweg um Unternehmen, die – wie es sich für Unternehmen nun einmal gehört – mehr oder weniger ausgeprägt nur das eine Ziel vor Augen haben, nämlich Rendite zu erwirtschaften. Selbst da, wo sie, wie im Falle öffentlich-rechtlicher Institutionen, dies eigentlich gar nicht zu tun bräuchten, wird einfach so getan, als wäre man von so etwas wie Rendite abhängig. Wie anders ist sonst zu erklären, dass sie ebenso nach Einschaltquoten geiern wie die Privaten, die von derlei
Unfug immerhin existentiell abhängig sind.
Kurzum, wer möchte sich auf einer riskanten Gebirgstour schon einem Bergführer anvertrauen, wenn er gewärtig sein muss, von diesem bei erstbester Gelegenheit ausgeplündert oder irgendwelchem Räubergesindel ausgehändigt zu werden?
Kommen wir also zu der Fragevariante, wie ich sie eingangs – leicht abgeändert – eingeführt habe:
Warum brauche ich die (Leit-)Medien nicht mehr?
In dem von mir überblickten Zeitraum des bereits mehrfach erwähnten letzten halben Jahrhunderts hat sich einiges ereignet, was durchaus geeignet war, dass ich mir diese Frage stelle. Ende der 1960er Jahre lebte ich in Westberlin und durfte aus eigener Anschauung die Auswirkungen jener abartigen Hetze erleben, der die dortige Bevölkerung vermittels ihrer lokalen Leitmedien mit beispielloser Gnadenlosigkeit und Unversöhnlichkeit ausgesetzt war. Es genügte dann bereits, in der U-Bahn die damals noch übliche Aktentasche, statt sie am dafür vorgesehenen Griff haltend zu tragen, einfach unter den Arm zu klemmen. Sogleich wurde man als Student beargwöhnt und mit entsprechenden Invektiven überhäuft. Wenn man dann gar noch gegenüber Kollegen eingestand, man sei mit der S-Bahn zur Arbeit gekommen, war man nur noch einen Stinkefinger breit von einer veritablen Schlägerei entfernt. Die S-Bahn, muss man wissen, war damals im Besitz der DDR-Reichsbahn und von daher aus Mediensicht und mithin auch für die Frontstadtbewohner völlig indiskutabel. So hetzte man die Menschen gegeneinander
auf.
Leitmedium war für mich damals hauptsächlich der Berliner Extradienst, ein kleines linkes Informationsblättchen, das zweimal die Woche erschien und das Wichtigste für mich brachte. Ich kann mich nicht erinnern, in den über zwanzig Jahren meiner Westberliner Zeit eines jener dort beheimateten Springerprodukte auch nur angefasst, geschweige denn gelesen zu haben, und selbst der über allem thronende Tagesspiegel („rerum cognoscere causas“) war mir – damals wie heute – herzlich gleichgültig.
Während der letzten fünf Jahre jener Zeit pendelte ich berufsbedingt zwischen Berlin und München. Vor dem Besteigen des Flugzeugs in Tegel kaufte ich mir jeden Montagmorgen den Spiegel, obwohl mir von jeher bewusst war, es mit einer Art Bildzeitung für gehobene Stände zu tun zu haben. Ich ärgerte mich regelmäßig über mich selbst, stellte diese Gewohnheit aber erst dann schlagartig ein, als ich irgendwann einmal den Einfall hatte, doch einfach mal überschlägig abzuschätzen, wie groß eigentlich der redaktionell bearbeitete Teil dieses „Sturmgeschützes der Demokratie“ im Vergleich zu den dort abgedruckten Anzeigen war. Ich kam auf weniger als die Hälfte des Heftumfangs.
Als ich mich dann schließlich in Bielefeld niederließ, abonnierte ich voller guter Vorsätze eines der hiesigen Lokalblätter. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht ganz verstehe, wurde allerdings die Qualität dieser Zeitung zusehends schlechter. Die Druckfehlerteufelchen übernahmen nach und nach die Redaktionsstuben. Als man dann auch noch einen ausgewiesenen Boulevard-Journalisten zum Chefredakteur auserkor, zog ich die Reißleine und kündigte das Abonnement.
Jene 1990er Jahre waren ohnehin geprägt von einer zunehmend hysterisch werdenden Berichterstattung aus und über Jugoslawien. Dies steigerte sich beängstigend wahrnehmbar. Bei den damals gerade in Mode gekommenen TV-Polit-Talkrunden gefiel man sich darin, immer mal wieder irgendein armes Würstchen dazuzuladen, das zur Besonnenheit zu ermahnen versuchte, nur um dann von den anderen vier, fünf Kriegstreibern mit vereinten Kräften niedergepöbelt zu werden. Die zunächst noch schwebende, dann aber allmählich sich wechselseitig synchronisierende Einfalt einer offenbar selbsttätig sich gleich schaltenden Medienlandschaft konnte man jeden Morgen in der Presseschau des Hörfunks mit Staunen und Besorgnis vernehmen. Warnende Stimmen, die zur Mäßigung aufriefen, brauchten irgendwann noch nicht einmal mehr ihrer Kuriosität halber berücksichtigt zu werden.
Glücklicherweise verfügte ich ab Mitte der 1990er Jahre in meinem Büro über einen eigenen Internetzugang. Als die Geschehnisse auf einen offenkundigen, nicht UN-mandatierten Angriffskrieg der NATO gegen Serbien zutrieben, konnte ich mir so immerhin die reichlich zugänglichen Informationen aus aller Welt verschaffen. Den Krieg und das mit ihm einhergehende mediale Getöse wenigstens über Ostern 1999 nervlich einigermaßen gesund zu überstehen, half mir die Übersetzung einer übers Internet bezogenen längeren Arbeit von Michel Chossudowsky von der Universität Ottawa über die wirtschaftlichen Hintergründe des Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien.
Von da an erwies und bewährte sich das Internet als mein Leitmedium. Wobei man das „Leit-“ guten Gewissens streichen kann, denn es ist einfach nur das Medium. Und zwar sowohl im wissenschaftlichen Sinn als Träger und Vermittler von Information, als auch seinem verallgemeinerten Sinn nach als vermittelndes Element. Nur: Leiten muss man sich dabei eben selber.
Dies beantwortet zum Teil auch die andere Frage, nämlich ob wir neue, demokratische Medien in Bürgerhand brauchen. Zu „Bürgerhand“ fällt mir spontan eigentlich nur CB-Funk seligen analogen Angedenkens ein; das C stand, wenn ich mich recht entsinne, für Citizen, also für Bürger. Wer sich dort aus Langeweile oder Spaß einmal herumgetrieben hatte, war mit jeder nur denkbaren Kompetenz ausgestattet vorherzusagen, was uns in den heutigen digital social media so alles erwarten würde. Es ist eben ein Irrtum zu glauben, das Medium sei die Nachricht – soll heißen: würde also erst einmal digital zur Sache gegangen werden, wäre alles ganz von alleine besser. Weil doch jedes Kind weiß, digital ist besser als analog. Nein: Ein Medium ist ein Medium ist ein Medium … Und als solches ist das Medium Internet, ob in Bürgerhand oder nicht, relativ gleichgültig gegenüber dem Schwachsinn, von dem es durchflutet wird.
Das Einzige, worauf die viel beschworene Zivilgesellschaft demokratisch einzuwirken gehabt hätte, ist: 1. die Sicherstellung des Zugriff auf dieses Medium, also aufs Internet, für alle ohne Ansehen der Person; 2. die Wahrung gesetzlicher Standards, denn das Medium eröffnet selbstverständlich keinen rechtsfreien Raum, das heißt die Freiheit jedes Benutzers, jeder Benutzerin endet – wie im richtigen Leben auch – dort, wo die Freiheit eines oder einer anderen eingeschränkt wird; 3. die Abwehr jeglichen Versuchs, das Medium für merkantile, militärische oder geheimdienstliche Zwecke zu vereinnahmen. Nach Lage der Dinge sind solche Forderungen längst auf dem besten Weg, sich zu utopischen Appellen zu verflüchtigen. Zudem verschärft das Medium Internet die sich seit langem anbahnende Informationskatastrophe, und zwar nicht nur im Wissenschaftsbereich, wie sie Stanisław Lem bereits 1964 in seiner „Summa Technologiae“ konstatierte.
Die Megabitbombe tickt schon lange nicht mehr – sie ist vielmehr, wie Lem in seinem am 12. September 2001 (!) publizierten Artikel „Die Megabitbombe“ feststellte, längst schon „explodiert und befindet sich in vollem Splitterflug“. Und schlimmer noch: Sie verwandelt sich „in eine Giga- und Terabitexplosion, bei der die kleinen Stücke der ‚unwiderlegbaren Wahrheit‘, zum Beispiel die Sterblichkeit der Menschen, wie Seifenblasen in den Himmel emporsteigen“. Daher vermutlich auch die zunehmende Hysterisierung gerade sich bestinformiert wähnender Zeitgenossen. Es herrscht, wie immer, wenn wir nicht weiter wissen, Krieg: Krieg im Netz. Und wir wären die einzigen, die ihrer eigenen informationellen Zertrümmerung zusehen würden, so als ginge es lediglich um einen grandiosen stimmungsvollen Sonnenuntergang. Es sei denn, wir zögen uns aus alledem zurück und kehrten reumütig in unsere kleine analoge Welt zurück.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.rubikon.news/artikel/gemeinsam-verandern-wir-die-welt
(2) https://www.rubikon.news/kolumnen/leser-aktion
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