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Die übervorsichtige Rebellin

Die übervorsichtige Rebellin

Markus Lanz versuchte Sahra Wagenknecht in seiner Talkshow wieder einmal vorzuführen. Die allerdings schmiegte sich zu sehr den Erwartungen des Mainstreams an.

Dass wir Medienkritiker uns so selten der molekularen Innenarchtitektur von Talkshows zugewendet haben, zeugt von kulturellen Defiziten.

Um nun nicht Vorurteile mit Vorurteilen zu kontern, soll hier zunächst chronologisch in die Anatomie des Talks vom 25. September 24 eingestiegen werden. In Sekunde 32 begrüßt ein warmherziger Lanz seinen Gast:

„Herzlich willkommen, Sahra Wagenknecht, ich freue mich sehr. Guten Abend!“

Zu derlei Überschwang hatte der Talk-Großmeister auch zweieinhalb gute Gründe:

  • 1. Für sein pausenlos rüdes Abwürgen der damaligen Links-MdB Wagenknecht am 16. Januar 2014 hatte er sich unter dem Druck einer Onlinepetition mit über 150.000 Unterzeichnern öffentlich bei ihr entschuldigen müssen.
  • 2. Der Name Wagenknecht bürgt für hohe TV-Quote wie kaum einer sonst.
  • 2½. Wer jetzt, in wahlkampffreier Zeit, Wagenknecht häufig einlädt, braucht es später, kurz vor der Bundestagswahl, nicht mehr, nämlich dann, wenn die FDP wieder hochgesendet werden muss und eben nicht BSW und AfD. Immerhin hatte die ARD das BSW vor der Europawahl von einer Parteientalkrunde auszuschließen versucht — bis zu einem gerichtlichen Einspruch.

Warum sich allerdings Sahra Wagenknecht gerade jetzt die vielen, sich kannibalisierenden und inflationierenden TV-Einladungen antut, ist wohl eher mit dem Gerangel um die Landesregierungen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erklärbar.

Zunächst fragt Lanz, wie das BSW eigentlich mitregieren wolle. Dabei erspart er Wagenknecht die Frage, woher ihr Sinnesumbruch rührt, war sie doch in der Linkspartei noch empört gegen jegliches Mitregieren vor die Mikros gestapft.

Wagenknecht 103 Mal unterbrochen

Karg begrüßt Lanz den grünen Staatssekretär Michael Kellner. Zuvor hatte er Sabine Adler vorgestellt, die frühere Pressesprecherin des Bundestages, die sich selbst 2012 das Prädikat ausstellte „Mir fehlte das dienende Gen“ — um danach wieder beim Deutschlandfunk zu dienen.

Ach, und dann war bei Lanz ja auch noch der Elektromotoren-Lobbyist Stefan Bratzel — „Autoexperte“ —, der aber erst spät, in Minute 56:39, die Runde mutig mit der Neuigkeit verzückte, dass „ein Putin nur Stärke versteht“.

Lanz, Adler, Kellner und Bratzel talkten also gegen Sahra Wagenknecht solo, die darob 103 mal unterbrochen wurde. 55-mal von Adler, 48-mal von Lanz. Wagenknecht selbst unterbrach nur 12-mal, tastend, meist nachdem sie selbst unterbrochen worden war. Alle anderen wurden insgesamt achtmal unterbrochen. Viermal davon unterbrachen sie sich gegenseitig — im Wettlauf, Sahra Wagenknecht doch bitte zuerst ins Wort fallen zu dürfen.

Das scheint der Sinn von Talkshows im herrschenden System zu sein: ein brennendes Thema aufzugreifen und so zu zertalken, bis sein Kern vernebelt ist. Das erklärt auch die gebremste Fragelust von Markus Lanz gegenüber dem grünen Staatssekretär, bei dem nie nachgebohrt wurde. Etwa zu Abweichungen der soeben zurückgetretenen Grünenspitze vom künftigen Kanzlerkandidaten Habeck bei Sozialstaatsfragen, Aufrüstung, Israel-Supports, Wärmepumpen, der De-Industrialisierung Deutschlands et cetera.

Weil ja in großen Talkshows auch entscheidend ist, was nicht gefragt wird, wurden inhaltliche Differenzen zwischen Ricarda Lang und Robert Habeck unhinterfragt im Dunkel belassen.

„Sie sind doch eine Meisterin darin, Dinge aus dem Kontext herauszureißen.“

Dann wandte sich Lanz zur eigentlichen Verursacherin der geistig-moralischen Klimavergiftungen:

„Frau Wagenknecht (…) so ein Satz wie ‚Die Grünen richten mehr Schaden an, weil sie im Unterschied zur AfD regieren‘ (…)“ (13:06).

Worauf der Talk, in Minute 13:43, durch Wagenknecht zum ersten Mal politisch wurde:

„(...) wenn man zum Beispiel den CO2-Preis erhöht, wo jeder weiß, das nützt nicht dem Klima, sondern sollte Haushaltslöcher stopfen.“

Hier wäre noch eine weitere Grundregel für Talkshows aus der Großküche des nachrichtendienstlich-medialen Komplexes einzufügen: Wenn jemand substanziell widerspricht, muss schnellstmöglich in den abstrakten Nebel eines Nebenthemas umgelenkt werden.

Lanz:

„Es gibt noch so einen Satz von Ihnen: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung traut sich nicht mehr, frei ihre Meinung zu sagen. Die Grünen sind die Haupttreiber (14:57) dieser autoritären Cancel-Culture, die, ich zitiere wörtlich, ‚totalitäre Züge‘ trägt“ (15:06).

Darauf zitiert Sahra Wagenknecht eine dies belegende Umfrage. Während ansonsten Talkmeister vor Meinungsumfragen geradezu niederknien, zumal der „geheimdienstlich-mediale Komplex“ Demoskopie-Institute ebenso stimuliert wie Talkmeister, überhört Lanz die Umfrage und bringt seine ganze Wut an die Frau:

„Sie sind doch eine Meisterin darin, Dinge aus dem Kontext herauszureißen“ (15:40).

Die Hauptstoßrichtung des Talks gegen Sahra Wagenknecht bahnt sich an. Unter anderem, weil sie von der „dümmsten Regierung der Welt“ gesprochen habe (16:01). Adler sichtlich erbost: „Geht es ein bisschen differenzierter?“ Wagenknecht unterbricht zum ersten Mal: „Europas habe ich gesagt.“ Für die differenzierende Adler machen aber Welt und Europa keine Differenz. Wagenknecht wolle „gesellschaftliches Klima anheizen und vergiften“.

Dagegen Wagenknecht:

„Habeck hat behauptet, wir werden von Putin finanziert (…). Wirklich eine Ungeheuerlichkeit“ (16:49).

Da Habeck da nicht mehr zu retten ist, gesteht Lanz seiner Gegnerin diesen Punkt kulant zu. Um dann noch die Grüne Künast zu zitieren, Wagenknecht sei „die faulste Abgeordnete als auch Radio Moskau in einer Person“ (17:07).

Aber Lanz will viel lieber „diesen Punkt mit dem Totalitarismus (...). Also jetzt ernsthaft? Sagt man irgendwie, diese Grünen sind sozusagen so was wie eine totalitäre Partei?“ (17:23).

Kleinlaut erwidert Wagenknecht: „Ich habe nicht gesagt: totalitäre Partei“ (17:30). — In der Bergpredigt heißt es: „Eure Rede sei: Ja! Ja! Nein! Nein!“

Präzise Zuspitzung

Nun jedoch spitzt Wagenknecht den Talk präzise zu: Verfassungsschutz und Faeser wollten einen neuen Straftatbestand einführen, „die Delegitimierung des Staates“. Lanz pult sich nervös zwischen den Zähnen. Auch er hat wohl mal irgendwo gehört, dass „radikale Kritik am Staat“ eigentlich zum Potenzial jedes gescheiten Journalismus gehören soll. Und zur Satirekunst — sogar einst bei Böhmermann und Welke, bevor die zu Staats-Comedians konvertierten. „Delegitimierung des Staats“ also zum Straftatbestand machen zu wollen, wäre schon Totalitarismus pur. Wofür Wagenknecht sogar die Süddeutsche Zeitung zitiert (18:02).
Lanz muss also sofort von dieser Brisanz wegkommen:

„Mir geht es trotzdem um eine Formulierung (…). Die Grünen sind die Haupttreiber dieser totalitären Entwicklung auch in der Coronazeit?“ (18:29)

Das lässt sich Sahra Wagenknecht nicht zweimal sagen. Ihre Retourkutsche wird ein Glanzpunkt dieser Talkshow (18:33):

„Wer war am aggressivsten, um Ungeimpfte zu ächten, um Schulschließungen, Lockdown zu fordern? Auch die Grünen (…), Lauterbach, schlimm, dass der Mann noch im Amt ist (...) Pandemie der Ungeimpften (…) Selbst das RKI hat gesagt, das war falsch“ (18:46 bis 19:06).

Schnell (19:07) bindet Lanz das Thema „RKI-Files“ ab und holt sich Schützenhilfe von oben:

„Ich würde kurz Herrn Kellner fragen, was ihm durch den Kopf geht.“

Und der grüne Kopf offenbart sich:

„Als totalitär bezeichnen wir eigentlich Regimes wie Stalin oder Hitler.“

Woher soll ein Staatssekretär auch wissen, dass die Expertin für „Totalitarismus“, Hannah Arendt, von der „Banalität“ des Bösen gesprochen hatte, also weit unterhalb von Kellners Messlatte „Hitler und Stalin“? Aber Kellner setzt nun „vergleichen“ mit „gleichsetzen“ gleich und macht sein Gleichsetzen nur noch schiefer:

„Und dieser Vergleich ist so was von ehrabschneidend und einfach eine Vergiftung des politischen Diskurses (…).“

Wer hält Hof?

Lanz, der in einem Kölner Studio Hof hält, wirft Wagenknecht vor, in Berlin Hof zu halten, um Ministerpräsidenten zu treffen, stellt gehäuft Fragen nach der Reiseroute. Worauf Wagenknecht scheu anmerkt: „Was ist denn das für ein Niveau?“ (26:18)

Dann bekennt sie sich zu einer „gemeinsamen Regierung — wohl mit den BlackRock-Parteien CDU und SPD? —, die sich nicht fünf Jahre lang bekämpft wie die Ampel, bis die AfD die absolute Mehrheit hat.“

Glaubt sie wirklich, mit dem Motto „Wir alle Demokraten gegen die AfD“ Leute wie Lanz und Adler, Merz und Pistorius milde stimmen zu können?

Geplänkel und Attacke

Also führt Adler das Geplänkel ab 30:23 zur Attacke: „Sie haben die Riesenhürde aufgebaut: die Stationierung der Mittelstreckenraketen — nicht mit uns!“ (30:30), und das BSW würde sich ja insgeheim wünschen, der Ukrainekrieg ginge „eigentlich bis zur nächsten Bundestagswahl“ (31:07).

Dann behauptet die Adler, „dass die jeweiligen Ministerpräsidenten da überhaupt keinen Einfluss darauf haben“ (30:39). Obwohl das Verfassungsorgan Bundesrat bei jeglicher Gesetzgebung „mitwirkt“ und sogar einen eigenen Ausschuss für Außenpolitik unterhält.

Aber Lanz und Adler sind jetzt in ihrem Element. Beim Eingemachten und Einmachen von Wagenknecht, also bei der medialen Kriegsertüchtigung, sodass die Gefahr eines dritten atomaren Weltkriegs zur rethorischen Lappalie schrumpfen soll:

„Glauben Sie das wirklich, Frau Wagenknecht, dass in Russland irgendjemand denkt, die NATO könne Russland angreifen demnächst?“ (32:27)

In dieser Sekunde blendet die Redaktion ein Wagenknecht-Plakat ein mit der Zeile: „Diplomatie statt Kriegstreiberei“. Auf diese Zeile also war vieles vorbereitet, und nun verschärft Lanz die Gangart.

Wagenknecht versucht es zunächst noch mit einem kleinen Kotau:

„Ich verurteile diesen Krieg, und ich habe keine Sympathie für Putin, um das noch mal sehr, sehr deutlich zu sagen. Trotzdem sollten wir uns in Positionen, wenn es um Leben und Tod geht, immer versuchen, auch in das Gegenüber hineinzuversetzen; verstehen, warum Russland die NATO als Bedrohung empfindet. Darum geht es doch nur“ (32:57).

Wollte gerade die BSW-Führerin dem ihr zugeneigten Talkzuschauer damit sagen, dass Russland diese Bedrohung „nur empfindet“? Als ob die Bedrohlichkeit der NATO nur eine subjektive Paranoia Russlands sei?

Lanz spürt diese Unsicherheit bei seiner Gegnerin und betätigt sich als Militärstratege, fragt, „warum Russland von der finnischen Grenze massiv Truppen abzieht, wenn Finnland doch in der NATO ist?“.

Dies widerlegt sie ihm souverän, weil nämlich Finnland „intelligenterweise“ noch gar keine US-Truppen zugelassen habe.

Aber weil Lügen durch Wiederholungen wirkmächtig werden, unterbricht Lanz sofort, dass „diese Erzählung von der bösen NATO, die das arme Russland bedroht, nicht so richtig glaubwürdig“ sei (33:50).

Um dann vollends abenteuerlich zu werden:

„Das ist jetzt mein anderer Punkt, dass da sozusagen Nuklear-Sprengköpfe plötzlich wieder in Deutschland stationiert werden. Das ist so erst mal nicht richtig“ (34:17).

Hier erlaubt sich Wagenknecht, ihn zu unterbrechen, aber mit gebremstem Schaum:

„Nein, dass wir zum Zielpunkt von russischen Nuklear-Sprengköpfen werden.“

Wenn sie schon unterbricht, warum erwähnt sie nicht Büchel und Ramstein und die anderen zehn Stationierungsorte in Deutschland für Sprengköpfe?

Wer nicht angreift, hält im Boxkampf den Gegner nicht auf Distanz. Und so schlägt Lanz zu:

„Was Sie dann auf Ihren Wahlkampfveranstaltungen (...) immer einfach unterschlagen und weglassen, ist, dass offensichtlich Russland schon aus dem Abkommen ausgestiegen ist und 64 Mittelstreckenraketen in Kaliningrad und Belarus stationiert hat“ (34:50).

Dass Russland den Abzug angeboten hatte und der Westen dennoch seine eigenen Raketen stationiert hat, kann Wagenknecht eben noch sagen, wonach sie in 40 Sekunden (bis 36:20) fünfmal von Adler und Lanz unterbrochen wird.

Dann geht es um vertane Friedenschancen, und da kommt Adler zu dem angeblichen Grund, warum die Verhandlungen von Istanbul zwischen der Ukraine und Russland unter britischem Einfluss abgebrochen worden waren:

„Das war wegen Butscha — sagt Ihnen das was?“ (39:02)

Früher hätte Sahra Wagenknecht wohl einzelne CIA-„Fakten“ zu Butscha angezweifelt. Aber jetzt spürt man ihre Rücksicht auf potenzielle Bündnispartner bei den Koalitionsverhandlungen in den drei Bundesländern. Zweifeln am Butscha-Narrativ wäre denen wohl zu starker Tobak gewesen. Also belässt sie es dabei, die US-Diplomatin Victoria Nuland zu zitieren, „dass es nicht Butscha war“.

Nun schreitet Lanz energisch ein, weil wohl auch er Butscha als Abbruchgrund für die Istanbuler Verhandlungen nicht sonderlich weit traut. Nach Lanz‘ Lesart war nämlich „Istanbul gescheitert, weil Russland nicht bereit war, Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu akzeptieren“ (39:57).

Wagenknecht möchte dies widerlegen, wird aber sofort wieder unterbrochen, und zwar von Lanz und Adler. Und beide unterbrechen sich in Minute 40:12 sogar noch gegenseitig, indem sie Wagenknecht unterbrechen. Als Sahra Wagenknecht in Minute 40:45 dies und die 12 aufgestöberten CIA-Basen auf ukrainischem Boden anspricht, versteigt sich Lanz gar zu der Groteske:

„Es waren keine CIA-Basen.“

Das Getänzel im Boxring geht jetzt bereits um einen Lucky Punch. Sahra Wagenknecht ist zu oft in den Seilen beim Wort „Kriegstreiber“. Man ahnt allmählich, warum zuvor das Wagenknecht-Plakat mit der Zeile „Diplomatie statt Kriegstreiberei“ redaktionell eingeblendet worden war.

Dann unterläuft Sahra Wagenknecht in Minute 42:12 ein echter Lapsus mit der Behauptung, die Deutschen hätten bei Friedensverhandlungen in der Ukraine „relativ wenig zu melden“.

Sofort gibt Frau Adler ihrer Kontrahentin „absolut recht“ (42:13). Womit sich dann aber dem Fernsehzuschauer die Frage stellt, warum das BSW gerade einen solchen Bohei in Thüringen, Brandenburg und Sachsen für „Verhandlungen“ mit Russland veranstaltet, wenn die Deutschen sowieso dabei nur „relativ wenig zu melden“ hätten. Und warum dann deutsche Friedensdemos?

Später folgen ein erneuter Anlauf von Wagenknecht für Waffenstillstand und wieder vier Unterbrechungen durch Adler, die dann behauptet, der chinesisch-brasilianische Friedensplan sei ja sowieso der russische Plan (43:07).

Sofort greift Lanz wieder ein und kommt wieder auf „Kriegstreiberei“ zurück:

„Denen, die jetzt Waffen liefern und jemandem helfen, sich selber zu verteidigen, zu unterstellen, dass die nicht an Frieden interessiert seien, finden Sie das okay?“ (46:19)

Statt eines klaren „Ja!“ weicht Sahra Wagenknecht zur Seite:

„Ich unterstelle nichts“ (46:21).

Viermal nun ergötzt sich Lanz daran, Wagenknecht an ihr „Kriegstreiberei“-Plakat zu erinnern und wie sie sich nicht dazu bekennt, sondern eiert:

„Dass wir durch die Art, wie wir und wir sage ich jetzt, also der Westen, die USA, aber auch Europa, wie wir auf diesen Krieg reagiert haben (...) und auf diesen Überfall, indem wir bisher alle Verhandlungoptionen abgeblockt haben, anders als die Länder des Südens, verlängern wir den Krieg, und wenn wir den Krieg verlängern, ist das nicht moralisch, sondern es ist (…).“

„Die Bundesregierung, das sind Kriegstreiber?“

Später fragt Lanz: „Frau Wagenknecht, die Bundesregierung, das sind Kriegstreiber?“ Statt eines geraden „Jawoll!“ gerät sie wieder ins Stocken, als ob sich die Koalitionsverhandlungen in Thüringen wie Schlingpflanzen um ihren Flow schnüren.

Das ganze Gehuddel geht bis Minute 52, wo sie dann endlich, endlich wieder in die Offensive kommt, weil Merz Taurusraketen liefern will und Kiesewetter den Krieg nach Russland tragen.

Da gibt Adler voll den Kriegsfalken:

„Denn von dort aus werden die Langstreckenwaffen losgelassen auf die Ukraine“ (52:56).

Adlers Gezeter verhilft ihrer Gegnerin dazu, die Weltkriegsgefahr konkreter zu skizzieren. Sodass Lanz der Adler wieder zur Seite springen muss. Er stößt noch ein paarmal in Wagenknechts offensichtliche Blöße, ob Bundesregierung und Kanzler „Kriegstreiber“ seien. Hält dann eine Eloge auf Olaf Scholz und dessen Verhandlungswillen:

„Sie beschimpfen Scholz als Vasallen-Kanzler. Er will doch das Gleiche wie Sie?“

Als Wagenknecht noch mal einen atomaren Weltkrieg anspricht, kichert Lanz böse und unterbricht sie:

„Russland wollte in die Ukraine einmarschieren, das ganze Land einkassieren“ (54:00).

Bei soviel Unsinn muss jetzt die Adler Lanz wieder zu Hilfe kommen. Mit einer Lüge: In der Schweiz, in Bürgenstock, hätten sehr viele Länder verhandelt, aber Russland hätte nicht kommen wollen.

Wagenknecht korrigiert, Russland sei nicht eingeladen gewesen.

Es folgt mehrminütiges Gezerre, bis sie sagt:

„Glaubt noch jemand daran, dass die Ukraine siegt? Also, das ist doch völlig illusorisch. Egal, ob man sich das wünscht und ob das moralisch geboten ist und völkerrechtlich angebracht.“

Und dann sagt Wagenknecht ins Stimmengewirr:

„Das mag man alles so sehen, und das ist auch so! Aber es nützt doch nichts“ (56:19).

Wie bitte? fragt sich der BSW-Wähler: Ein militärischer Sieg der Ukraine wäre für Wagenknecht „moralisch geboten“? Und: „Das ist auch so!“?

Lanz kann es kaum fassen: Wagenknecht hat gerade das Narrativ bestätigt, ein Sieg über den „Kriegsverbrecher“ Putin wäre „geboten. Das ist auch so! Aber es nützt doch nichts.“

Jetzt muss er sich nur noch selbst zum Talkgast machen. Und beginnt, ellenlange (58 bis 59:40), „gruselige“ Einzelerlebnisse von der ukrainischen Front zu erwähnen. Wie aus dem Nichts erscheint dazu im Hintergrund ein Foto von Putin.

Nach Minute 60 kommt Lanz dann zu dem vorgefassten Resümee, welches ihn als Diskussionleiter zwar disqualifiziert, aber als Infighter aus dem Boxstall „nachrichtendienstlich-medialer Komplex“ prämiert:

„Der Mann, der den Krieg beenden kann, ist dahinten (deutet auf Putin), und ich möchte nicht, dass Leute, die Selenskyj und der Ukraine helfen, ich möchte nicht, dass die in der deutschen Debatte als Kriegstreiber verunglimpft werden. Ich möchte das nicht. Ich finde das nicht in Ordnung. Sie plakatieren das. Lassen Sie uns das einfach so stehen lassen!“ (1:00)

Wagenknecht eher kleinlaut:

„Ich sehe eine große Gefahr für unser Land (...).“

Und der Moderator, bevor er sich dem Elektroauto-Lobbyisten zuwendet:

„Sie beschimpfen die Falschen. Das ist das Problem!“

Der Disput ist rum. Lanz darf mit sich zufrieden sein, vor aller Augen die wirkmächtigste Fighterin aus dem Friedenslager von ihrem „Kriegstreiber“-Vorwurf weit weggetalkt, die Anti-AfD-Brandmauer nachgebessert und etwas matt glänzendes Sprach-Perlmutt — „die NATO hilft nur, zu verteidigen“ — ins imperialistische Innengewölbe geklebt zu haben.

Aber war das echt das Talent von Lanz? Oder waren es nicht eher die parlamentaristischen Druckwellen aus den Thüringer Koalitionsanbahnungen? Dass für Wagenknecht Putin ein Kriegsverbrecher, ein Sieg der Ukraine zwar moralisch geboten, aber illusorisch sei? Dass sie jetzt weder Ampel noch sonst jemand „Kriegstreiberei unterstellen“ will? Dass die Bedrohung durch die NATO „von Russland eher nur empfunden wird“? Dass die Nazi-Milizen unter Selenskyj und deren Rolle gegen Minsk II weggeschwiegen blieben?

Wagenknecht hat zwar, ohne narrative Tabus aus der Vorgeschichte von 2022 auch nur angesprochen zu haben, etwas von „Weltkriegsgefahr“ und für „Waffenstillstand“ durchbekommen. Sagen wir, vielleicht 60 Prozent ihrer eigenen Zielvorgaben. Früher wären es wohl mal 100 Prozent gewesen.


Redaktionelle Anmerkung: Wir danken Tobias Riegel für die Vorredaktion.


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