Viva la muerte (1)? Ein Kind schwimmt im Fluss und gerät in einen Sog. Ein Mann springt hinterher, schafft es aber nicht, das Kind zu retten. Eine Frau fährt in einem Boot vorbei. Der Mann ruft ihr zu, sie solle ihm ihren Rettungsring zuwerfen. Die Frau schüttelt den Kopf und fährt weiter. Das Kind ertrinkt. Diese „Black Story“ (2) habe ich kürzlich einem alten Freund von den Linken geschickt.
Die Lösung: Das Kind ist die Bundesrepublik, der Mann hatte ein AfD-T-Shirt an und die Frau ist von den Linken. Hintergrund: Die Linke hatte das Angebot ausgeschlagen, gemeinsam mit der AfD den neuen Bundestag nach Artikel 39 Abs 3 des Grundgesetzes einzuberufen, um die Verfassungsänderung, die grenzenlose Verschuldung ermöglicht, zu verhindern. Mein Freund verwies auf den Blog einer Bundestagsabgeordneten der Linken. Darin habe sie erläutert, warum das Vorhaben gescheitert wäre. Das mag sein, aber wenn einem etwas wirklich wichtig ist, lässt man doch nichts unversucht.
Diese Volksvertreterin leitete ihre mit juristischen Spitzfindigkeiten gespickte Begründung so ein: „Wie funktioniert Destabilisierung der Demokratie und Empörungsbewirtschaftung?“ (3). Es gibt heute nicht mehr viele, die sich für Frieden engagieren, aber es gibt sie. Sie reden, schreiben, machen, tun. Alles nur „Empörungsbewirtschaftung“? Diese Vokabel zeigt den Zynismus, mit dem unser Politbetrieb imprägniert ist, durch und durch. Meinem Freund war die Volksverachtung, die in dem Ausdruck liegt, nicht aufgefallen, ebenso wenig den Kollegen dieser Abgeordneten.
Auf einer Kundgebung des Antikriegsbündnisses in Frankfurt, auf der ich später dann eine Rede gehalten habe (4), stand meine Frau vor dem Plakat „Stoppt den Krieg“ und verteilte Flugblätter, auf denen unter anderem stand: „Kein Sozialkahlschlag für Aufrüstung und Krieg!“ (5) Jemand sprach sie an: „Wieso stehen Sie hier? Sie sehen doch ganz vernünftig aus.“ Es war Cary Drud, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Ortsbeirat für die Frankfurter Stadteile Niederrad, Oberrad und Sachsenhausen. Als ich kam, war er schon weg; ich habe ihm dann eine lange, freundliche Mail mit verschiedenen Links zu meinen Beiträgen geschickt. Er hat nicht geantwortet.
Was ist in die Grünen gefahren? Sie hatten mit Petra Kelly und Antje Vollmer doch mal ganz vernünftige Leute in ihren Reihen.
Der Zynismus des Politbetriebs und seiner Figuren geht mit einer allgemeinen Gleichgültigkeit der Gesellschaft einher, die sich mit Konsum betäubt. Wir gleiten langsam ab in eine Depression, vor allem auch psychisch. Caroline Muhr hat ihr erschütterndes Zeugnis über ihre jahrelange Odyssee durch die psychiatrischen Anstalten der Sechzigerjahre mit folgenden Worten beendet:
„Ich bin wieder normal, das heißt unempfindlich geworden. Zwar staune ich noch immer darüber, dass wir nicht verzweifeln. Aber das besagt nicht viel, es ist ein theoretisches Staunen. Ich esse wieder mein Filetsteak, auch wenn ich drei Stunden vorher gelesen habe, wie Menschen sterben und gefoltert werden. Es scheint, ich gehöre tatsächlich wieder zu den Normalen, zu denen, die sich abfinden, die sich arrangieren, zu denen, die aus ihren Erfahrungen das Fazit ziehen: So ist nun mal das Leben. Ich werde mir eine neue Arbeit suchen, ich werde eine bessere Ehefrau sein, ich werde durchschnittlich zufrieden leben. Aber ich fürchte, eines Tages werde ich wieder glauben, ich müsste nach einem anderen Fazit suchen“ (6).
Suizid war 2023 bei Jugendlichen zwischen 10 und unter 25 Jahren die häufigste Todesursache, gefolgt von Verkehrsunfällen und Krebs (7). Nach dem Amoklauf eines 18-jährigen Schülers im russischen Kertsch im Oktober 2018 meinte Wladimir Putin zu den Ursachen: „Das bedeutet, dass wir keine nützlichen, interessanten und wesentlichen Inhalte für junge Menschen schaffen“ (8).
Aber wo sind die Ideale, wo sind die Vorbilder heute? Mit 14 habe ich ein Jugendbuch über das Leben von Che Guevara verschlungen (9). Gleichzeitig habe ich im Konfirmandenunterricht gesungen: „Jesu geh voran, auf der Lebensbahn“ (10). Beides hat mich geprägt. Wofür brennt die Jugend heute? Ich weiß es nicht.
Wenn man Bekannte auf ihren elefantengleichen ökologischen Fußabdruck anspricht, mit dem sie die letzten Ressourcen unserer Erde zertrampeln, antworten sie: „Man kann die Entwicklung nicht aufhalten.“
Diesen Nihilismus ohne Ideale findet man oft in russischen Romanen des 19. Jahrhunderts. „Unser Handeln wird nur davon bestimmt, ob etwas nützlich ist“ (11), sagt Basarow, ein angehender, hochnäsiger Mediziner in Turgenjews „Vater und Söhne“. Aber was ist nützlich? Das Geld, der Profit, die Liebe, das ewige Leben? Lin Yutang sagt:
„Lebensweisheit ist, alles Überflüssige zu eliminieren und die philosophischen Probleme auf das Wesentliche zu reduzieren — die Freude zu Hause (die Beziehung zwischen Mann, Frau und Kind), im Leben, in der Natur und der Kultur. Alle anderen wissenschaftlichen Disziplinen und nutzloses Streben nach Wissen sollte man vom Hof jagen“ (12).
Dazu passt die biblische Erkenntnis: „Denn was kriegt der Mensch von all seiner Mühe und dem Streben seines Herzens, womit er sich abmüht unter der Sonne?“ (Prediger 2, 22) Die Gier nach immer mehr und weiter lässt die Herzen verstummen.
Glück und Zufriedenheit erlangt man, indem man Verantwortung übernimmt. So bin ich erzogen worden. Die vielen warmherzigen Kommentare, die ich für meine Beiträge im Overton-Magazin bekomme, lassen hoffen, aber viele Bekannte sind so autoritätsgläubig, dass sie sich fast ein wenig dafür schämen, wenn sie sich erlauben, mir für kurze Zeit zuzuhören. Was ist da zu tun? Wer an Gott glaubt, hat den Vorteil, Verantwortung abgeben zu können. Caroline Muhr schreibt, beim Hören von Bachs Präludien und Fugen könne sie sich das „Lächeln Gottes“ vorstellen, um sofort resigniert festzustellen:
„Aber welcher Gott lächelt schon? Kein Gott, an den ich glauben könnte. Wenn ich mir einen Gott über dieser Erde vorstelle, dann grinst er höchstens schwach, als wäre er verlegen“ (6).
Christliche Missionare, die als Erste in verlassene Winkel dieser Welt ausgesendet werden, schöpfen ihre Zuversicht aus der Erkenntnis, dass die, die säen, meist nicht die sind, die die Ernte einfahren. Es ist wichtig, dass es Langstreckenläufer gibt, „grauköpfige Romantiker“ (8), die allen Widrigkeiten zum Trotz unverdrossen die Fackel des Friedens weitertragen. Aber ich bin zu müde, um einer verrückten Welt hinterherzulaufen. Im eigenen Umfeld gibt es genug zu tun. Und für mein Geschreibsel gilt: „Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren“ (13).

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Quellen und Anmerkungen:
(1) Viva la muerte (Es lebe der Tod). Motto des Franco-Generals Millán Astray. Zitiert nach: Fromm, Erich (1974): Anatomie der menschlichen Destruktivität. Kapitel 12: Die bösartige Nekrophilie, Seite 372. Auflage 164-167 Tsd. Rowohlt: Reinbek.
(2) Bösch, Holger (2004), Grafik: Bernhard Skopnik: Black stories. Kartenspiel. Moses. Verlag: Kempen.
(3) Wawziniak, Halina (16. März 2025): Konstituierung des Bundestags und Artikel 39 Absatz 3 Grundgesetz. Blog von Halina Wawzyniak. Berlin. https://blog.wawzyniak.de/konstituierung-des-bundestages-und-art-39-abs-3-gg/
(4) Nold, Stefan (17. März 2025): No money, no die. Rede auf der Kundgebung des Antikriegsbündnisses in Frankfurt. https://overton-magazin.de/top-story/no-money-no-die/. Buchkomplizen Köln.
(5) Baumer, Klaus (17. März 2025): Keine Rüstungskredite und „Sondervermögen“! Stoppt das Blutvergießen in der Ukraine. Flugblatt zur Kundgebung des Antikriegsbündnisses FFM am 17. März, Hauptwache Frankfurt. Klaus Baumer, Frankfurt.
(6) Muhr, Caroline (1970): Depressionen. Tagebuch einer Krankheit. Januar 1967, Seite 223. Dezember 1963, Seite 7. 2. Auflage (1973) Kiepenheuer & Witsch, Köln.
(7) Statistisches Bundesamt (10. September 2024): Suizid bei 10- bis unter 25-Jährigen die häufigste Todesursache. Kinderschutz in Niedersachsen. Vernetzungsstelle für Gleichberechtigung e. V., Hannover. https://www.kinderschutz-niedersachsen.de/aktuelles/suizid-bei-10-bis-unter-25-jaehrigen-haeufigste-todesursache
(8) Putin, Wladimir (19. Oktober 2018). Putin zu tödlichem Angriff in Kertsch und warum immer mehr junge Menschen Amok laufen. TV Novosti Moskau: https://www.dert.site/kurzclips/video/77856-putin-zu-toedlichem-angriff-in-kertsch/
(9) Hetmann, Frederik (1972): „Ich habe sieben Leben“. Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt CHE. Beltz Verlag, Weinheim und Basel
(10) Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von (1721 bis 1725), Melodie: Adam Drese, 1698: Jesu geh voran. Evangelisches Gesangbuch Nr. 391. Verlagsgemeinschaft Gütersloher Verlagsgemeinschaft, Gütersloh.
(11) Turgenjew, Iwan (1862): Väter und Söhne. 10. Kapitel, Seite 49, 4. Kapitel, Seite 19. Emil Vollmer: Wiesbaden.
(12) Yutang, Lin (1937): The importance of living.
„And after all, the wisdom of life consists in the elimination of the non-essentials, in reducing the problems of philosophy to just a few – the enjoyment of the home (the relationship between man and woman and child), of living of Nature and of culture – and in showing all the other irrelevant scientific disciplines and futile chases after knowledge to the door.“ Chapter One, II, Seite 10. Quill Edition: 1998, William Morrow, New York.
(13) Goethe, Johann Wolfgang von (1808): Faust. Eine Tragödie.
Vorspiel auf dem Theater: „Was glänzt, ist für den Augenblick geboren; das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.” Paul Stapf (Herausgeber): Goethe Werke in 8 Bänden (1967), Band 2, Seite 1008.