Nach Greta Thunbergs Rede vor den Vereinten Nationen hat Angela Merkel sich mit der jungen Schwedin getroffen, allgemeine und unspezifische, bloß nicht verpflichtende Zustimmung geäußert, ihr aber in einem Punkt widersprochen: Greta ignoriere die Technologie und Innovation als Mittel, die vielfältigen Krisen zu lösen. Auch Christian Lindner betont, ganz wie man es vom Vorsitzenden einer parteigewordenen Lobbyorganisation erwartet, dass der technische Fortschritt, also der sogenannte freie Markt das Problem lösen wird, und Friedrich-Blackrock-Merz stößt in dasselbe Horn.
Auch auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) wurde diese Geisteshaltung deutlich. Die Automobilindustrie präsentierte dort der wenig interessiert wirkenden Bundeskanzlerin die „Zukunft“ der Elektromobilität. Sogar die Wissenschaft ist vor dieser Ideologie nicht gefeit. So setzt auch der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Weltklimarat genannt, in seinem Szenario, das die Erwärmung der Erde auf 1,5° C begrenzen soll, bereits auf Technologie. Sie soll das Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre filtern und binden. Diese Technologie existiert zwar schon, ist aber weder wirtschaftlich noch effektiv genug.
Was die Elektromobilität betrifft, ist diese als „Lösung“ für den Klimawandel schnell abgehakt: Die Produktion setzt etwa doppelt so viel CO2 Emissionen frei wie das konventionelle Vergleichsobjekt und auch die Batterien sind wenig ökologisch, denn sie enthalten unter anderem Lithium, dessen Abbau in Lateinamerika ganze Landstriche verseucht. Das verbaute Plastik sowie die Entsorgung des Autos nach Beendigung des Lebenszyklus muss daher gar nicht erst thematisiert werden. Ein Festhalten am Benziner oder Diesel ist aber auch keine Option. Die einzige Lösung, die bleibt, ist daher: Ein konsequentes Umdenken in Sachen Mobilität, weg von der Individualmobilität, ja sogar weg von der ausufernden Notwendigkeit der Mobilität an sich.
Der Mobilitätssektor steht damit stellvertretend für alle anderen Sektoren.
Statt auf immer neue technische Innovationen zu setzen, müsste die ganze Gesellschaft radikal verändert werden, ein Prozess, der viele Chancen auf größere Freiheit und Zufriedenheit eröffnet, den die Politik aber scheut. Wenn jedoch technische Lösungen nicht möglich sind, wieso wird dann so auf diese gepocht?
Eigentlich genügt schon ein Blick auf die Vertreter dieses Ansatzes: Christian Lindner, Friedrich Merz, Angela Merkel. Alle sind nichts Anderes als Lobbyisten des Marktradikalismus, die es in wichtige Funktionen in Parteien und Bundestag geschafft haben. Ganz selbstverständlich nutzen sie den Klimawandel dazu, neue Märkte zu erschließen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben, zumal in einer Zeit der drohenden Rezession. Denn schon seit Jahren will die Wirtschaft einfach nicht mehr so wachsen, wie man es gewohnt ist. Da trifft es sich gut, dass der Klimawandel Veränderungen notwendig macht. So kann der Staat beispielsweise Elektroautos subventionieren, was die Autofahrer dazu anregen soll, ihre alten Benziner zu entsorgen und neue Elektroautos zu kaufen. Umverteilung mit staatlicher Hilfe. Es sind immer dieselben Konzerne, die davon profitieren.
Beruhigungspille
Doch der Ansatz der technischen Lösungen und der sogenannten Innovationen hat noch einen anderen, für die Herrschenden positiven Effekt: Er wirkt wie eine Beruhigungspille. Hauptsache man kann die Massen von Folgendem überzeugen: Ein tief greifender Wandel ist nicht notwendig, alles kann so weitergehen wie bisher, wenn man nur ein paar Energieträger austauscht, und dies können dieselben Akteure vornehmen, die schon durch das fossile Zeitalter unglaubliche Macht und unvorstellbaren Reichtum akkumuliert haben.
So lange sichert man sich eben jene Macht und jenen Reichtum. Denn so lange die Mehrheit der Bevölkerung davon überzeugt ist, dass irgendwann in der Zukunft eine Technologie kommen wird, die uns alle errettet, so lange nur eine Minderheit versteht, dass die gesamte Gesellschaft vollkommen umgekrempelt und vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss, so lange muss man keine Aufstände gegen die oligarchische Klientelpolitik befürchten. Alle Krisen werden so zu rein technischen Problemen definiert, nicht aber zu den gesellschaftlichen, die sie sind.
Dabei hat der Glaube an eine Technologie, die da kommen wird, um uns alle in das Paradies zu führen, schon längst religiöse Züge angenommen. Wie früher die Menschen glaubten, dass einst ein Erlöser kommen werde, so hat sich heute nur das Gesicht des Erlösers drastisch geändert, denn er trägt nun die Züge von Profitgier und Wirtschaftswachstum. Doch Religion verstand immer schon, die Mehrheit auf den Sankt Nimmerleinstag zu vertrösten, der ihnen endlich das gute Leben bringen sollte. Sie diente immer schon einzig dem Machterhalt einer kleinen, herrschenden Klasse.
Pfadabhängigkeit
Wer einmal etwas eingehender und tiefer über das Mantra der technischen Lösungen nachdenkt, dem muss doch folgende Frage in den Sinn kommen: Wie soll etwas zu deren Lösung beitragen, das uns die gegenwärtige Krise überhaupt erst eingebrockt hat? Ist es sinnvoll, die Pest mit der Pest zu bekämpfen? Feuer mit Feuer?
Denn alles, was uns die sogenannte technische Revolution seit Erfindung der Dampfmaschine gebracht hat, ist eine ständige Steigerung des Energie- und Ressourcenbedarfs, eben jener Faktoren, die eigentlich drastisch reduziert werden müssen.
Auch die viel gepriesene Digitalisierung, die alle unsere Probleme lösen soll, macht ein Mehr an Energie erforderlich. Ganz davon abgesehen wird sie zur großflächigen Verschmutzung und Zerstörung ganzer Landstriche beitragen, wie schon am Beispiel des Lithiums beschrieben. Zudem führt dieser sogenannte Fortschritt zu einer immer größeren Abhängigkeit der Menschen von den wenigen Mächtigen, die ihn maßgeblich vorantreiben und zur Kontrolle immer mehr Überwachung einsetzen.
Was die Menschheit derzeit besonders drastisch erlebt, ist das Problem der sogenannten Pfadabhängigkeit. Diese definiert Wikipedia folgendermaßen:
Pfadabhängigkeit ist ein analytisches Konzept in den Sozialwissenschaften, das Prozessmodelle beschreibt, deren zeitlicher Verlauf strukturell einem Pfad ähnelt. Wie bei einem Pfad gibt es dort Anfänge und Kreuzungen, an denen mehrere Alternativen oder Wege zur Auswahl stehen. Anschließend, nach Auswahl einer solchen Alternative, folgt eine stabile Phase, in der die Entwicklung durch positive Feedback-Effekte auf dem eingeschlagenen Weg gehalten wird.
Während an den Kreuzungspunkten kleine Störungen einen großen Effekt haben können, bewirken sie in der darauf folgenden stabilen Phase kaum mehr eine Richtungsabweichung. Ein späteres Umschwenken auf eine der am Kreuzungspunkt noch mühelos erreichbaren Alternativen wird in der stabilen Phase nach der Entscheidung zunehmend aufwendiger, da Rückkopplungseffekte Hindernisse aufbauen. So wird an einem Pfad unter Umständen selbst dann festgehalten, wenn sich später herausstellt, dass eine Alternative überlegen gewesen wäre.
Pfadabhängige Prozesse verhalten sich an den Kreuzungspunkten nicht deterministisch, sondern chaotisch. Eine kleine Störung führt über positive Rückkopplung zu einem ganz anderen Ausgang. Da andererseits der Übergang in eine stabile Phase unabhängig von der Qualität der getroffenen Entscheidung stattfindet, sind pfadabhängige Prozesse nicht selbstkorrigierend, sondern im Gegenteil dazu prädestiniert, Fehler zu verfestigen.
Der fatale Pfad, den die Menschheit eingeschlagen hat, ist jener der Industrialisierung mit einer Fixierung auf fossile Energieträger. Lange Zeit gab es positive Feedback-Effekte in Form von Wirtschaftswachstum und eine Steigerung des Lebensstandards, welche zu der Überzeugung geführt haben, dass dieser Weg der richtige ist. Der anfängliche Fehler wurde somit verfestigt. Nun aber stehen wir an einer Kreuzung, an der die Prozesse zunehmend chaotisch verlaufen. Man erkennt dies nicht allein am Klimawandel, sondern auch an dem aus dem Ruder laufenden Kapitalismus und der wirtschaftlichen Dauerkrise.
Diese Kreuzung muss allerdings nun auch die Mehrheit der Menschen als Kreuzung erkennen und die Gelegenheit zum Wandel ergreifen. Die rein technischen Lösungen sind eine Fortführung des bisherigen Pfades des Wirtschaftswachstums und der Profitakkumulation. An dieser historischen Kreuzung muss sie Menschheit insgesamt die Abzweigung zu einer zukunftsfähigen, regenerativen Gesellschaft nehmen.
Das würde aber bedeuten, dass die Gesellschaften an sich grundlegend umgestaltet werden müssten. Für solche drastischen Änderungen sind Zeiten des Chaos und der Katastrophe am besten geeignet. Denn in ihnen manifestieren sich die Mängel des herrschenden Systems, und die glänzende Fassade bekommt Risse, die in den Abgrund dahinter blicken lassen.
Seit Jahren befinden wir uns in einer fortwährenden Katastrophe, angefangen mit ständiger Kriegstreiberei überall auf der Welt über die seit einem Jahrzehnt kriselnde Wirtschaft bis hin zu Klimawandel und ökologischer Zerstörung. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, den Wandel einzuleiten. Es könnte zudem der letztmögliche Zeitpunkt sein.
Ergreifen wir also die Chance, befreien uns aus der Pfadabhängigkeit und dem Würgegriff der Macht, und gestalten die Welt zu Gunsten aller Menschen!
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