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Die Sakralsprache des Wokeismus

Die Sakralsprache des Wokeismus

Eine immer rigider agierende Correctness-Religion maßt sich die Kontrolle über ein Gemeingut an, das eigentlich allen dienen sollte: die Sprache.

Es waren beeindruckende Bilder: Eine Gruppe aus vorwiegend indigenen Männern aus dem Volk der Maori stoppte Mitte Februar die Auckland Rainbow Parade für wenige Minuten, um mit ihrem traditionellen Tanz namens Haka ein Statement unter dem Motto „Man up und Raising Fathers“ zu setzen. Während dieses Moments traf geballte, friedliche männliche Energie auf die woke Dekonstruktion des Geschlechts und die Kaperung des Regenbogens. Die Bilder sprachen für sich (1).

Nicht wenigen Beobachtern fiel wohl eines deutlich ins Auge: Der woken Bewegung, die auch die Anliegen der Indigenen für sich in Anspruch nimmt, mangelt es zuallererst an einer gesunden, kraftvollen und geheilten Männlichkeit. Schnell hat der Spuk ein Ende, wenn sich die Männlichkeit aus ihrem künstlichen Schlaf inmitten der angeblich Aufgewachten erhebt. Innerhalb der Diesseitsreligion des Wokeismus gilt Männlichkeit ja per se als toxisch. Der Begriff selbst wirkt dabei wie die einfache Kurzformel für toxische Männlichkeit. Besonders Universitäten, Medien und Kulturbetriebe geben dem Wokeismus mit seiner Cancel Culture, seinen Safe Spaces, Trigger-Warnungen, Opferkulten, seiner Geschlechtsmanie und so weiter enorm viel Raum.

Nicht umsonst konnten in diesem geistigen Umfeld zwei Wissenschaftler vor wenigen Jahren eine Spaßstudie mit der Bezeichnung „Der konzeptuelle Penis als soziales Konstrukt“ in einem renommierten Fachblatt veröffentlichen. Diese mit Bestnoten beurteilte Studie kam sogar zu dem Schluss, dass der Penis für die Klimaerwärmung verantwortlich sei (2).

Galt in den christlichen Religionen, besonders im Katholizismus, die Weiblichkeit jahrhundertelang als minderwertig, toxisch und gefährlich, so ist es nun zuerst die Männlichkeit, die abgewertet wird, um im Nachgang das Geschlecht an sich zu dekonstruieren.

Begann die woke Bewegung im vorigen Jahrhundert noch als vielversprechende und echte afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung, so ist sie mittlerweile die Diesseitsreligion junger, weißer und privilegierter Bürger.

Der Wokeismus als Diesseitsreligion

Seit 2020 erleben wir einen kometenhaften Aufstieg moderner, säkularer Kulte. Sie füllen das Vakuum, welches die etablierten Religionen hinterlassen haben. Verkleidet als die Wissenschaft an sich, geben diese Kulte auch atheistischen Menschen nun die Möglichkeit, religiöse Gefühle zu empfinden. Meist entstehen diese rettenden Kulte rund um Bedrohungsnarrative, die von den etablierten Medien in schnellen Abständen durch das globale Dorf getrieben werden. Hinter diesen großen, pseudopoetischen Erzählungen findet sich meist ein technokratischer und militaristischer Ungeist, der letztendlich den Weg in den Transhumanismus weist. Und auch eine materialistische Religion wie der Wokeismus braucht ein Unsterblichkeitsversprechen. Was wäre hier besser geeignet als der geistlose Transhumanismus, der den fehlerhaften Menschen mittels Technik transzendieren möchte und ihm damit materielle Unsterblichkeit, das ewige Leben eines optimierten Körpers verspricht?

Eines ist all diesen Kulten gemein: Sie sehen den Menschen als fehlerhaft und reparaturbedürftig — eine weitere Parallele zur christlichen Kirche. Im Prinzip gilt der Mensch als schuldig. Wer seine Schuld — und den einen wahren Weg aus dieser — anerkennt, wird als gut befunden. Den Rest ereilt, wie bei Religionen meist üblich, der Ausschluss aus der Herde der Guten. Dem Wokeismus bleibt dabei nur das Diesseits, umso heftiger muss die Separation in Form der Cancel Culture erfolgen.

Vor Kurzem entdeckte ich einen ironischen Warnhinweis im Netz, der sinnbildlich vor dem Regenbogen-Land Wokeistan platziert war:

„Warnung — das ist eine inklusive Gesellschaft, und wenn wir fühlen, dass du auf eine nicht inklusive Weise sprichst, denkst oder handelst, dann wirst du exkludiert.“

Unerwünschte Gedanken gelten innerhalb dieser Denkweise als bösartig und demokratiegefährdend und werden im Namen von Demokratie dämonisiert und gecancelt.

Für den Begriff „böse“ findet sich in der säkularen, westlichen Welt das moderne Zauberwort „rechts“ beziehungsweise „rechtsradikal“ — denn wer fürchtet sich heute noch davor, in einem Schwung mit dem Teufel genannt zu werden? Aber in einer Kontaktschuld mit dem großen dunklen Führer und seiner Botschaft zu stehen, das ist der irdische Highway to Hell. Unter der regenbogenfarbenen Glasur findet sich also ein schwarzweißer Untergrund, eine zutiefst manichäische Lehre ohne Transzendenz.

Die eigene Kulturgeschichte wird als eine ausschließlich patriarchale Verfehlung gelesen und soll an der Wurzel gekappt werden. In diesem Sinne stellt der Wokeismus eine hochsubventionierte und mit Soft Power vorangetriebene Form einer Kulturrevolution dar, welcher das kulturaufbauende Element völlig zu fehlen scheint. Alles Alte gilt als verderblich, identitätsstiftende Wurzeln müssen durchtrennt werden. Die Ablehnung der eigenen nationalen, ethnischen, religiösen, geschlechtlichen und sprachlichen Identität gilt damit als moralische Qualität und Selbstverständlichkeit, Selbsthass als Tugend. Und was ließe sich dabei wohl einfacher umbauen als die Sprache selbst? Noch dazu, wo die postmoderne und konstruktivistische Denkweise des Wokeismus davon ausgeht, dass Sprache sogleich Realitäten schafft.

Das Geschlecht als goldenes Kalb

Das goldene Kalb, um das woke Menschen aktuell am allerliebsten tanzen, ist das Geschlecht. Viele woke Bürger sind von Beginn an vom Geschlecht geradezu besessen, ob vom biologischen, sozialen oder grammatischen. Egal. Jede Frage scheint falsch gestellt, bei der nicht Geschlecht als Antwort erscheint. Dabei geht es oft wild zur Sache, jedoch ausschließlich bei der verhängnisvollen Verwechslung der drei Arten von Geschlecht. „Deutschland ist besessen von Genitalien“ und „Gendern ist eine sexistische Praxis, deren Ziel es ist, Sexismus zu bekämpfen“, formulierte die Schriftstellerin Nele Pollatschek mit Blick auf die vermeintlich geschlechtergerechte Sprache (3).

Jede Form des Geschlechts müsse aber tief in die Sprache gebrannt werden, die Grammatik umgebaut und die neue Herde an ihrer neu aufgesetzten Sprache erkannt werden. So wiederum die Forderung der Wokeisten, von denen viele durchaus in guter Absicht ihrer Ideologie folgen — einer Ideologie jedoch, die mit moralischer Hybris ihre eigene Agenda über die Sprachwirklichkeit stellt.

Neue Zeichen inmitten von Wörtern

Neue Symbole, die die deutsche Orthografie inmitten von aus Buchstaben geformten Wörtern bisher nicht kannte, kommen zum Einsatz: Gendersterne, Doppelpunkte, Unterstriche, Schrägstriche und so weiter durchschneiden das Wort, um auch nonbinäre Menschen mittels einer Gedenksekunde während des Redens sicht- und — nicht — hörbar zu machen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Transkription einer afrikanischen Sprache vor sich zu haben, in der Zusatzzeichen wie Schrägstriche verwendet werden, um Laute darzustellen, die in unserer Sprache nicht existieren. Der Eingriff in die deutsche Sprache ist so vehement, dass selbst die manipulative „Mutter“ der sogenannten gendergerechten deutschen Sprache, Luise F. Pusch, die aktuelle operative Geschlechtsumwandlung der Sprache kritisiert. Besonders den woken Implantaten der dritten Feminismuswelle in Form von Sonderzeichen kann sie als Vertreterin der zweiten Feminismuswelle wenig abgewinnen, fühlt sich doch die zweite von der dritten Welle vielfach geradezu überrollt.

Der Eingriff in die Sprachstruktur und die Diskriminierung von Kritikern

In der Geschichte war es bislang noch keinem Kult gelungen, in die Sprachstruktur selbst einzugreifen. Auf einer semantischen Ebene griffen bereits totalitäre Ideologien wie der Nationalsozialismus oder der Kommunismus in die Sprache ein. Auch der Wokeismus nimmt Einfluss auf Sprachinhalte, oft mit hehrem, moralischem Anspruch — teils auf fehlerhafter Grundlage.

Ein Beispiel ist der Begriff Eskimo, der durch die nicht gleichbedeutende Bezeichnung Inuit ersetzt werden sollte, weil man annahm, Eskimo meine „Rohfleischesser“. Diese Annahme erwies sich jedoch als falsch. Tatsächlich bedeutet Eskimo entweder „Schneeschuhflechter“ oder „Menschen, die eine andere Sprache sprechen“.

Zudem soll der einzige deutsche Sammelbegriff für die indigenen Völker Nordamerikas, Indianer, nicht mehr verwendet werden — obwohl Deutschland keine koloniale Vergangenheit in Nordamerika vorzuweisen hat und sich viele indigene Nordamerikaner selbst als Indians bezeichnen.

Man denke nur an das American Indian Movement. Im Deutschen wird zudem klar zwischen Indianern und Indern unterschieden, während diese Unterscheidung im Englischen weniger eindeutig ist.

Der Wokeismus entpuppt sich zunehmend als ein im Kern rein auf die Umgestaltung der Sprache ausgerichtetes Projekt, das zwar Sprachopferkulte zelebriert, echten Opfern direkte und strukturelle Hilfe jedoch kaum angedeihen lässt.

In diesem Sinne zeigt sich der woke Kult als eine elitäre Morallehre und nicht als die inklusive Heilslehre, die er gerne vorgibt zu sein!

Der Wokeismus, moralisch bis auf die Zähne bewaffnet, verlangt in seinem Sendungsbewusstsein vehement von allen, woke zu sein. Während er sich in Safe Spaces aufgrund von möglichen Mikroaggressionen seines Gegenübers flüchtet, ist er im Kern aggressiv missionarisch und zu modernen Kreuzzügen bereit, wenn nur die passende Erzählung gefunden werden kann. Seit Spindoktoren vor Jahrzehnten das Ruder des woken Urschiffes übernommen haben, ist bloß noch seine Hülle übrig.

Der Wokeismus wurde unter dem sechsfarbenen Regenbogen zu einer lebensverneinenden Honigtopf-Lehre gedreht, um Menschen mit seinen großen Moralerzählungen aus ihrer inneren Heimat zu vertreiben und ihnen eine neue künstliche Identität zu verleihen.

Der Druck auf jene, die diese Narrativlinien durchkreuzen, war und ist gerade im europäischen Raum immer noch enorm. Dies gilt auch für die Kritik an der Installation einer vermeintlich gendersensiblen Sprache, die mit wenig Sensibilität umgesetzt wird.

Wer den Umbau der Sprache nicht mittragen möchte, braucht für die Rettung seines vielleicht gerade zuvor noch hervorragenden Rufes ein äußerst schnelles Pferd. Diskriminierungen nach privilegierten Merkmalen sind an der Tagesordnung. Gegner der Gendersprache werden oftmals als alte, weiße Männer dargestellt, die Gralshütern gleich über eine angeblich veraltete Sprache wachen.

Das Desinteresse am Eigentlichen und die investigative Reise zu den Quellen der deutschen Sprache

Der Wokeismus interessiert sich dabei kaum für Inhalte. Das Fehlen dieser wird durch identitätsstiftende und emotional hoch aufgeladene Moralerzählungen kompensiert. Während der Wokeismus behauptet, gegen Diskriminierungen anzutreten, fragmentiert er Menschen in Gruppen und interessiert sich ausschließlich für Identitätsmerkmale wie Alter, Hautfarbe oder Geschlecht. Nicht das Bild steht im Zentrum der Aufmerksamkeit des Wokeismus, sondern vielmehr der Rahmen, der ihn in seinen Bann zieht. Phänomene werden nach äußeren Merkmalen untersucht und markiert. Genau dies erlebt auch die deutsche Sprache. So wird bei ihr eine männliche Identität diagnostiziert, ohne tiefer zu blicken.

Mein Buch „Ausgegendert — eine investigative Reise zu den Quellen der deutschen Sprache“ (4) lädt dazu ein, tiefer einzutauchen und 5.000 Jahre zurückzureisen, um von der Entstehung des ersten grammatischen Geschlechts bis in die Gegenwart jene abenteuerliche Fährte zu verfolgen, die uns ganz klar zeigt, dass das grammatische Geschlecht nicht für das biologische entwickelt wurde. Das erste grammatische Geschlecht ist bis heute das Standardgenus und wurde nicht von Männern für Männer in einem Akt der Verschwörung gegenüber Frauen erfunden, auch wenn das Standardgenus irreführenderweise als „generisches Maskulinum“ bezeichnet wird. Unsere Muttersprache ist somit in der Tat keine Männersprache. Das generische Maskulinum braucht und soll somit nicht in eine sogenannte gendergerechte Sprache transformiert werden.

„Es gibt kein linguistisches Patriarchat“, formuliert die Philosophin Gwendolin Walter-Kirchhoff bei ihrer Rezension des Buches.

„Für mich ist das Gendern einer von momentan vielen Versuchen, die Menschen in Verwirrung und Kraftlosigkeit zu treiben — und uns dabei auch in der Sprache von unseren Wurzeln zu trennen“, fügt die Schauspielerin Eva Herzig hinzu (5).

Die Fata Morgana der gendergerechten Sprache

So ist es an der Zeit, sich auf die Suche nach den Wurzeln, den Quellen der deutschen Sprache zu begeben, insbesondere dorthin, wo das Genus-System seinen Anfang nahm. Diese Entdeckungsreise anzutreten, ist hoch spannend und sehr erhellend. Sie legt spektakulär frei, dass die Gendersprache auf den tönernen Füßen von Irrtümern, Fehlinterpretationen, Trugschlüssen, Verwechslungen, Missverständnissen, Revanchismus und Ablehnung des männlichen Prinzips sowie ideologischer Entfremdung von der Sprachwirklichkeit steht.

Wo die Gendersprache aktuell gelandet ist, zeigt die Wortspende der Abgeordneten Katalin Gennburg von der Fraktion Die Linke zur allgemeinen „Pinkelgerechtigkeit“: Sie beklagte bei dieser im Berliner Abgeordnetenhaus den privilegierten Zugang zu öffentlichen Pissoirs für Penisträger*innen gegenüber Sitzpinkler*innen (6).

Die Entwicklung der Gender-Schreibweise

Betrachten wir die Chronologie des Genderns anhand des generischen Oberbegriffs „der Bürger“: Aus dem Begriff Bürger, der geschlechtsabstrahierend alle Menschen meint, wurde aufgrund der Dämonisierung des generischen Maskulinums in der zweiten feministischen Welle „Bürgerinnen und Bürger“, dann „BürgerInnen“ mit Binnen-I. Mit der dritten Welle entwickelte sich unter dem Einsatz von Sonderzeichen, die nicht Teil der deutschen Orthografie sind, „Bürger*innen“ oder „Bürger:innen“.

Gendern — eine künstliche Offenbarungs- und Gesinnungssprache

„Mit natürlichem Sprachwandel hat Gendersprache nicht das Geringste zu tun, denn Sprachen wandeln sich niemals in Richtung Unfug“, kommentierte der emeritierte Sprachwissenschaftler Josef Bayer diesen künstlichen Top-down-Eingriff in die Genetik der Sprache (7). Die Gender-Rechtfertigung „Sprachen wandeln sich nun mal“ stellt in diesem Fall einen Etikettenschwindel dar, den man mit dem modernen Anglizismus „Astroturfing“, der Bezeichnung für eine künstliche Graswurzelbewegung, benennen könnte.

Nur, wem gehört die deutsche Sprache? Einer neuen technokratischen Brahmanen- beziehungsweise Priesterkaste, die ihre Gesinnung sogleich in der Sprache markiert und die ihrer Glaubensgemeinschaft, die sie euphemistisch Zivilgesellschaft nennt, die neue Sprache, statt sie ihnen ans Herz zu legen, in ihre Gehirne hämmert?

Die Gendersprache macht mit ihren Sonderzeichen nicht nur Geschlechter beziehungsweise Nichtgeschlechter sichtbar, sie offenbart aufgrund des Eingriffs in die Grammatik unmittelbar und durchgängig ihre angeblich heilige Gesinnung. Eine neu geschaffene Offenbarungs-Sprache!

Aber hat Sprache nicht etwas Anarchistisches an sich, gehört sie nicht allen zugleich? Noch dazu lehnt die Mehrheit der Bevölkerung und der Sprachwissenschaft die von selbst ernannten Moraleliten modellierte Gendersprache ausdrücklich ab.

Deutsch war in seiner Geschichte stets eine widerständige Sprache, eine echte Graswurzelbewegung. Die deutsche Sprache hatte sich gegen die Geringschätzung großer Teile des Klerus und des Adels über Jahrhunderte zu behaupten. Deutsch als Weltkultursprache ist somit ein Geschenk aus der Mitte der Bevölkerung und entwickelt sich wie jede natürliche Sprache aus ihrer Schwarmintelligenz, ohne dass sich die Sprachträger selbst dessen gewahr sind.

Der Mensch ist mehr als seine Merkmale und die Wertschätzung der generischen Form

„Bevor ich gendere, lerne ich Klingonisch“, ist auf dem T-Shirt einer jungen Frau zu lesen. Doch in keinem Land der Welt wird dermaßen systematisch versucht, die Sprache umzubauen wie in Deutschland. Der Duft der Poesie einer Weltliteratursprache weicht immer mehr der Kälte der Technokratie. Die Haltung hinter dem Eingriff scheint „oversexed and underfucked“, auch die neue Techno-Sakral-Sprache selbst.

Diese Übersexualisierung dringt nicht in die Tiefe vor, sie verfängt sich an der Oberfläche. Merkmale werden zum Wesentlichen hochstilisiert. Nur, wollen wir in Zukunft neben dem Geschlecht alle Merkmale in der Sprachgrammatik abbilden, wegen derer Menschen jemals Opfer von Diskriminierungen wurden? Reicht nicht die semantische, also inhaltliche Ebene, um besondere Merkmale, wenn im konkreten Fall notwendig oder gewünscht, individualisiert zu formulieren? Müssen Merkmale dauersichtbar und kollektiviert in die Grammatik eingebaut werden, um eine inklusive Sprache zu schaffen? Wir sind doch mehr als unsere Merkmale!

Somit wäre es klüger, merkmalabstrahierend statt immer komplizierter merkmalinklusiv zu formulieren. In diesem Sinne kann der Weg raus aus der Verkomplizierung der Sprache nur ein geschlechtsabstrahierender sein — eine Renaturierung der Sprache selbst.

Deutsch kann dies — und zwar mit seinem geschlechtsneutralen Standardgenus.

Wir sollten einfach wieder verstehen, dass Begriffe wie „der Bürger“ oder „die Bürger“ das Geschlecht unsichtbar und unadressiert lassen, dass diese Begriffe parallel aber auch zur Spezifizierung von Männern verwendet werden können. Das Maskulinum hat eben eine Doppelfunktion.

Deutsch besitzt übrigens generische Formen in allen drei grammatischen Geschlechtern. Denken wir nur an folgenden Satz, der drei generische Begriffe in drei verschiedenen grammatischen Geschlechtern beinhaltet: Miles Davis war der Mensch, die Koryphäe*und *das Genie, welches ich nur bewundern konnte.

Es finden sich in der deutschen Sprache auch erstaunlich viele generisch weibliche Formen, die für alle Geschlechter verwendet werden und somit nichts über den Sexus erzählen. Hier eine Auswahl: Person, Leiche, Aushilfe, Berühmtheit, Geisel, Wache, Gestalt, Autorität, Majestät, Fachkraft, Jungfrau, Giraffe, Eule, Ente, Gazelle und so weiter.

Sie werden bei den genannten Wörtern wahrscheinlich nicht tendenziell an Frauen denken, außer vielleicht beim Begriff Jungfrau. Bei einem Treffen von Führungskräften assoziieren Sie eventuell sogar Männer, obwohl das Wort „Führungskraft“ ein feminines ist. Genauso lässt Sie das Wort „die Männlichkeit“ nicht an Frauen denken, trotz des femininen Genus.

Wer meint, Leser des Oberbegriffs „Lehrer“ würden nur Männer assoziieren, muss sich die Frage gefallen lassen, warum dann Frauen an Schulen schon lange in der Mehrheit sind.

Vielen mag das Gendern wie betreutes Sprechen erscheinen, ein Stolpern durch den heiligen Plastiksprachwald von Wokeistan.

Die Gendersprache steht unter keinem guten Stern

Die deutsche Sprache wird jedoch ihre Lebendigkeit nicht verlieren wollen und sich jenseits von Begradigungen ihren Weg bahnen, einen Weg, der nicht am Reißbrett, nicht als Computermodell geplant werden kann. Gendern steht unter keinem guten Stern, dieser scheint angesichts der sich verändernden Welt immer stärker zu verblassen. Der Wokeismus war als Religionskult für viele hoch im Kurs, er hat jedoch als konsequenter Denkfehler einen enormen Flurschaden angerichtet. Er weckte die Sehnsucht nach positiven und notwendigen Werten wie Solidarität, Umweltschutz, Gerechtigkeit, Inklusion, Gleichwertigkeit, Sensibilität und so weiter. Nur, er hat diese Werte technokratisch gedreht, missbraucht und manipuliert, mit der bitteren Folge, dass sie nun bei viel zu vielen einen Kurssturz erlebten.

Es wird interessant zu beobachten sein, ob die toxische Unmännlichkeit des Wokeismus tatsächlich in Richtung einer toxischen Männlichkeit pendelt. Man kann eben von beiden Seiten vom Pferd fallen. Oder sich natürlich bei einem wilden Ritt auch im Sattel halten.

Das Gutsein benötigt keine elitäre Sakralsprache

Es wird ebenso spannend zu beobachten sein, ob die Sakralsprache der woken Techno-Priester ihren verführerischen Reiz aufgrund der schnellen Sichtbarmachung des eigenen Gutseins verliert und wie viele Sprecher wieder ihre Sprachroben ablegen und sich demütig unter die lebenden Wörter der deutschen Sprache mischen. Gut kann man ja auch aus sich selbst heraus sein. Dafür ist keine künstliche Sakralsprache nötig.

Meister Eckhart, der geniale deutsche Mystiker, Theologe und Philosoph, predigte im Hochmittelalter in der Sprache des Volkes — und nicht auf Latein. Um das zu beschreiben, was ist, erfand er als beeindruckender Wortschöpfer unter anderem den Begriff „Wirklichkeit“. So ist es an der Zeit, dass gerade der deutschsprachige Raum, dessen Schatten sich allzu gerne an äußerlichen Ideologien und Personen festklammert, sich auch an der Sprachwirklichkeit orientiert.

Das Dudenkorpus verzeichnet 23 Millionen Begriffe in der deutschen Sprache, die von 103 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen wird. Keine andere Sprache der Welt soll über eine derart große Wortfülle verfügen (8).

Die deutsche Sprache gehört uns allen, auf diesen Schatz gibt es kein Patent und kein Schürfrecht von selbst ernannten Eliten.

So schließe ich mit einer Aufforderung zu echter Demut gegenüber der Größe der deutschen Sprache und mit einem Zitat des legendären Weisen Laotse, das an die falschen neuen Priester und ihre simulierte Heiligkeit gerichtet ist:

Die Welt ist heilig, man kann sie nicht verbessern. Willst du sie manipulieren, dann wirst du sie zugrunde richten. Behandelst du sie wie einen Gegenstand, dann wirst du sie verlieren. (9)

Gerald Ehegartner veröffentlichte vor kurzem im Massel-Verlag sein neues Buch „Ausgegendert — eine investigative Reise zu den Quellen der deutschen Sprache“. Dieses rebellische und aktuelle Sachbuch wird hervorragend rezensiert — unter anderem von dem Neurobiologen und Bestsellerautor Gerald Hüther, den Schauspielerinnen Eva Herzig und Eva Maria Neubauer, der Philosophin Gwendolin Walter-Kirchhoff und dem Musikautorenpreisträger Gerhard Stäbler.

Weitere Bücher des Autors und Pädagogen sind die Romane „Kopfsprung ins Herz — Als Old Man Coyote das Schulsystem sprengte“, „Feuer ins Herz — Wie ich lernte, mit der Angst zu tanzen“ sowie seine Textsammlungen „Gedanken in einer (w)irren Zeit — tiefsinnige und humorvolle Texte zu brisanten Themen unserer Zeit“ und „Menschsein — rebellische und humorvolle Texte für eine lebenswertere Welt“.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.youtube.com/watch?v=idLqCTeG8-0
(2) https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/satirischer-fachartikel-schafft-es-in-fachzeitschrift-15034229.html
https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/penis-schuld-am-klimawandel-forscher-narren-fachmagazin-a-1148845.html
(3) https://www.deutschlandfunkkultur.de/aus-den-feuilletons-gendern-als-sexistische-praxis-100.html
(4) Ausgegendert — eine investigative Reise zu den Quellen der deutschen Sprache
https://www.masselverlag.de/Programm/Ausgegendert-Eine-investigative-Reise-zu-den-Quellen-der-deutschen-Sprache//
(5) Ausgegendert — eine investigative Reise zu den Quellen der deutschen Sprache
https://geraldehegartner.com/buecher/ausgegendert/
(6) https://weltwoche.de/daily/wieso-haben-penistraegerinnen-einen-privilegierten-zugang-zu-stehpissoirs-berliner-linken-politikerin-kaempft-gegen-die-benachteiligung-von-sitzpinklerinnen/
(7) Ausgegendert — eine investigative Reise zu den Quellen der deutschen Sprache, Seite 87
(8) https://www.welt.de/kultur/article167820246/Es-gibt-viel-mehr-deutsche-Woerter-als-wir-wussten.html
(9) Ausgegendert — eine investigative Reise zu den Quellen der deutschen Sprache, Seite 8

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