Wie nicht anders zu erwarten, monierten SPD und Grüne, wie herablassend Merz über linke Politik und deren Klientel sprach — sie scheinen selbst im Wahlkampf einen Safe Space zu suchen, in dem sie sicher sind vor den argen Angriffen wahlkämpferischer Wüteriche. Verräterisch war dabei eines: Die beiden Parteien der Restregierung machten mit ihrer zur Schau gestellten Betroffenheit klar, dass sie keinen Wahlkampf dulden wollen, bei dem Parteien auch nur versuchen, sich thematisch voneinander abzugrenzen. Sie redeten damit der puren Alternativlosigkeit das Wort. Und unterstrichen nochmals: Ihr Kampf gegen rechts, ist auch ein Kampf gegen den Konservatismus oder das, was sie für konservativ halten — und diese Haltung ist damit eine Kriegserklärung an alles, was vermeintlich nicht links sein will.
Todeskampf mit AfD
Sonntag, der 23. Februar 2025, war sicher auch ein großer Tag für Martin Schulz. Nach acht Jahren gibt er die rote Laterne endlich ab. Im Herbst 2017 war er der Kanzlerkandidat der SPD. Nach furiosen Umfragehochs landete er damals bei der Wahl schließlich ziemlich düpiert bei 20,5 Prozent. Das war der tiefste Tiefpunkt der Sozialdemokraten, ihr schlechtestes Bundestagswahlresultat aller Zeiten — bis zum 23. Februar 2025. Sage und schreibe 4 Prozentpunkte schlechter als 2017 schnitten die Partei und ihr Kanzler und Kanzlerkandidat Olaf Scholz ab. Damit hat er Martin Schulz abgelöst — anders als Schulz hatte Scholz aber auch nie ein Umfragehoch. Auch wenn er am Tag vor der Wahl noch davon sprach, vielleicht doch noch einmal für eine Sensation sorgen zu können. Woher er den Optimismus bezog, werden wir vermutlich nie erfahren. Er weiß es wahrscheinlich selbst nicht so genau.
Diese optimistische Einschätzung war wie ein Spiegelbild der gesamten Ampelpolitik: Viel Wunschtraum, ein Heer an Fantastischem und eine ordentliche Portion Realitätsleugnung. Immerhin übernahm Olaf Scholz Verantwortung und wollte — wie ein zum Tode Verurteilter — noch einen letzten Wunsch äußern: Seine Partei möge zusammenhalten und das Sozialdemokratische weiter ins Land hinaustragen. Seit dem Jahr 1998 war die SPD von 27 möglichen Jahren nicht weniger als 23 Jahre in Regierungsverantwortung — viel Zeit, um das Land sozialdemokratisch zu gestalten. Es passierte nur nie oder aber viel zu selten: Das Sozialdemokratische verabschiedete sich zunächst in die Linkspartei, siedelte dann weiter und zog ins Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hinüber. Scholz‘ Partei versuchte erst gar nicht, den alten Geist wiederzubeleben — sie ließ ihn lieber abwandern.
Aber wie Scholz am Wahlabend da so in seinem politischen Todeskampf auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus stand, fiel ihm noch eine Kleinigkeit zum Abschluss ein: Er werde sich niemals mit der AfD abfinden, rief er — unterkühlt wie immer — in die Runde. Die Anhänger der Untergangspartei jubelten — nicht frenetisch freilich, nicht euphorisch: Aber doch so, dass für einen Augenblick lang ein wenig Licht ins Dunkle dieses — aus Sozi-Sicht — missratenen Abends fiel. Scholz‘ Parteivorsitzende Saskia Esken ging mit dem abgestraften Bundeskanzler konform, ohne allerdings von eigener Verantwortung zu sprechen: Sie drosch auf die AfD ein, als habe ihre Partei nichts mit dem Wahlergebnis zu tun.
Selbst jetzt noch, da die Sozialdemokratie zu einem Nischenprojekt wurde, keine Einsicht, keine Selbstkritik von der Vorsitzenden — und kein Wort darüber, dass die SPD ihre Rolle nie ausgefüllt hat: Nämlich eine Alternative für Deutschland zu sein.
Die SPD wollte keine AfD sein
Diese Alternative wäre bitter nötig gewesen, als mit Angela Merkel jemand zur bleiernen, nicht zu verdrängenden Kanzlerin wurde. Diese Frau stieß das Land in eine triste Agonie, ließ die Infrastruktur auf Verschleiß fahren und stürzte die Wirtschaft in einen notorischen Stillstand. Gesunde Demokratien könnten Antagonisten vorweisen, die den Kurs der Regierung mit einer Gegenhaltung flankieren, vor allem in Wahlkämpfen. Deutschland konnte das allerdings nicht. Denn die Sozialdemokraten wollten sich nicht dagegenstellen. Sie zogen es vor, lieber falsch als gar nicht zu regieren. In dieses Vakuum stießen andere Parteien hinein. Keine so erfolgreich wie eine Partei, die den Namen annahm, der das Gebot der Stunde war: Alternative für Deutschland zu sein.
Gemeinhin erklärt man, dass diese AfD vom Fleische der Union stammt. In einer verkürzten Betrachtung der Umstände mag man das annehmen dürfen — die erste Generation der AfD-Veteranen rekrutierte sich auch tatsächlich vornehmlich aus enttäuschten Christdemokraten. Wer sich aber etwas weniger kurzatmig damit befasst, nimmt die gesamte parteipolitische Entwicklung mit ins Visier. Also fällt ihm auf, dass zur Regierungspolitik der Union keine nennenswerten Gegenspieler auftraten. Die Alternativlosigkeit war nicht nur sprichwörtlich gemeint in jenen Merkel-Jahren, sie schlug sich in den politischen Realitäten nieder. Die SPD hat ihren historischen Auftrag während dieser Jahre nicht erkannt und deswegen auch nicht angenommen. Sie hat die Bundeskanzlerin gestärkt, statt ihr und ihrer Partei Widersacherin zu sein. Und das alles über Jahre, mehr als eine Dekade lang.
Während die SPD jetzt ihre letzten Zuckungen damit zubringt, die Schuld bei anderen zu suchen und ihr letztes Gefecht mit der AfD, dem Produkt ihres eigenen Versagens, austragen will, haben die politischen Ränder ansehnliche Ergebnisse eingeholt. Als politischen Rand deklarierten die Berichterstatter des Wahlabends die AfD und das BSW: Parteien also, denen man die demokratische Erdung aberkennt — und die man als extremen Rand einordnet.
Die Grünen galten auch am Wahlabend als Partei der Mitte, obgleich deren politische Vorstellungen so weit von der Lebensrealität der Mittelklasse-Bürger entfernt ist wie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands vom Kanzleramt.
Sie nahmen in Kauf, dass die halbe Gesellschaft an den finanziellen Folgen eines Heizungsgesetzes verarmt wäre, ohne auch nur einen Funken Verständnis oder späte Reue für diesen versuchten Anschlag auf die Bürger zu zeigen — und sie fochten identitätspolitische Kämpfe mit einer Intensität aus, die im ganzen Land Befremden auslöste.
Friedrich ist so konservativ, wie Habeck sozialistisch
Wie kann man dieser Partei, die zudem noch mit einer eiskalten Chuzpe ihr einstiges Erbe des Pazifismus kaschierend in die Waagschale warf, um den Krieg in der Ukraine zu befeuern, eigentlich „politische Mitte“ attestieren wollen? Die Grünen sind politischer Rand, sie sind extremistische Outsider: Nur behandelt man sie anders, weil in deutschen Redaktionsstuben der grüne Anhang überrepräsentiert ist — und weil die Wähler der Grünen, was mit der redaktionellen Bevorzugung konform geht, eben vermögender sind als die ostdeutschen Habenichtse, die die AfD wählen oder die notorisch klammen gesamtdeutschen Wähler des BSW.
Indessen haben die Sozialdemokraten großes Glück: Noch sind sie nicht ganz entbehrlich, noch braucht man sie, damit die andere Volkspartei, die auch nur noch eine Partei ohne Volk ist, einen Bundeskanzler stellen kann. Womöglich ist diese Bundestagswahl 2025 die letzte ihrer Art, mit den Parteien, die aus der alten Bundesrepublik stammen, die die Bonner Republik noch kannten — und den neuen, die Gewächse der Berliner Republik sind. Spätestens 2029 werden sich die Verhältnisse neu ordnen, die Republik politisch neu aufstellen.
Übergangswahlen: So könnte man diese Bundestagswahl vom vergangenen Sonntag nennen. Und Friedrich Merz, er dürfte anders als Helmut Kohl und Intimfeindin Angela Merkel auch nur ein Übergangskanzler sein — unfähig die tiefsitzenden Probleme der Bürger zu verstehen und zur Problembeseitigung zu schreiten.
Die gesellschaftliche Spaltung wird sich durch Bundeskanzler Friedrich Merz — wie seltsam sich das schreibt! — noch vertiefen: Was auch sehr damit zu tun hat, dass dieser Mann eben kein Konservativer ist. Denn ganz anders als viele nun behaupten, hat Merz keinen bewahrenden, keinen konservierenden Kompass für seine Politik. Er will verändern, aushöhlen, entleeren und liberalisieren: Sein Konzept heißt Vereinzelung und Flexibilisierung der Lebensumstände, kurz: Entwurzelung. So wie es der neoliberalen Agenda immer anstand. Erhalten, pflegen, gar die Schöpfung kultivieren: Das wären konservative Ansätze. Aber mit Friedrich Merz ist das nicht zu machen. Er ist nämlich so konservativ, wie Habeck sozialistisch ist und die Ampelregierung links war.

Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.