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Die neue Kollegin

Die neue Kollegin

Amazons Alexa ist jetzt bei der deutschen Polizei angestellt und begleitet die Ordnungshüter auf der Streife.

Freundlich werden wir am Eingangstor des großen Polizeipräsidiums von Gewerkschaftssprecher Karl-Heinz Wiggum begrüßt. „Na? Gut hergefunden? Kaffee? Ja?“ er neigt den Kopf zum Mikrofon an seinem Kragen: „Hey Alexa, bring uns bitte drei Kaffee, ja?“ Alexa erkundigt sich mit ihrer sanften Stimme aus den kleinen Lautsprechern an Wiggums Brust, ob wir Zucker oder Milch im Kaffee haben wollen und ob diese Daten gespeichert werden sollen, damit es beim nächsten Mal schneller geht. Noch bevor wir die andere Seite des Innenhofes erreichen, schwebt auch schon eine Amazon-Drohne mit drei dampfenden Kaffee-Bechern aus dem geöffneten Fenster des Pausenraums im dritten Stock zu uns herab.

„Vorsicht! Heiß! “ warnt uns Alexa gutmütig. Wir nehmen die Becher aus der Halterung, die Drohne schwebt wieder zurück und wir betreten das Gebäude.

Mit Alexa auf Streife

Wie es so sei, als Gesetzeshüter mit einer KI-Sprachassistentin zusammenzuarbeiten, wollen wir wissen. „Ach, wissen Sie“, beginnt Wiggum, „wir haben hier bei der Polizei gerade eh sehr spannende Zeiten. Wir bekommen in letzter Zeit lauter neue interessante Kollegen dazu. Somit... oh, guten Morgen, Herr Bushido!“ Er nickt dem ehemaligen Gangster-Rapper zu, der uns gerade auf dem Flur entgegenkommt. Wiggum fährt fort: „Man kann bereits jetzt konstatieren, dass Alexa eine große Bereicherung für die Behörde ist. Unsere Gleichstellungsbeauftragte ist ganz begeistert. Seit Alexa in allen Aufgabenbereichen dabei ist, ist die Frauenquote bei der Polizei regelrecht in die Höhe geschossen.“

Wir fragen weiter und wollen wissen, wie teamfähig Alexa ist. „Alexa ist sehr teamfähig!“, entgegnet uns Wiggum entschieden, als er uns die Tür zum Treppenhaus aufhält. Wir gehen eine Treppe tief nach unten in ein Kellergeschoss. „Alexa ist sehr einfühlsam und erkennt auch die Stimmungslage, in der sich unsere Kollegen befinden. Sie kann da sehr gut mitdenken. Wenn einer von unseren Streifenpolizisten mal einen schlechten Tag und sich bei einer Personenkontrolle nicht ganz im Griff hat (2), denkt Alexa sofort mit und deaktiviert alle umliegenden Überwachungskameras. Das ist ungemein praktisch. Sie glauben ja gar nicht, wie lästig so ein Ermittlungsverfahren gegen die eigenen Kollegen wegen Polizeigewalt sein kann.“

Unten angelangt, betreten wir einen abgedunkelten, großen Raum, eine Art Kommandozentrale. Auf mehreren Schreibtisch-Reihen stehen zahlreiche Monitore, auf denen in einigen geöffneten Fenstern uns unverständliche Zahlencodes sich stetig verändern, Audiowellen auf- und abhüpfen und Satellitenbilder getrackte Personen oder Fahrzeuge verfolgen. Das kühle Licht fällt in die Gesichter der davorsitzenden Beamten, die aus diesem Wirrwarr, so scheint es, etwas herauslesen können. Am Ende des Saals befindet sich eine Wand, an der zahlreiche Großbildschirme befestigt sind. Auf jedem prangt ein bleich-blaues Passfoto. Darunter die sich ständig verändernden GPS-Daten der jeweiligen Person.

Wer diese Personen sind, wollen wir wissen. „Bei diesen Personen handelt es sich um sogenannte Gefährder“, erklärt uns Wiggum. „Seit wir mit Amazon zusammenarbeiten, legen wir die Datensätze aus unseren Ermittlungen mit denen von Amazon zusammen. Dadurch erhalten wir ein akkurateres Erkennungsmuster von Gefährdern.

Die Kollegen in Bayern sind seit dem neuen PAG (3) richtig scharf darauf. Man kann wirklich sehr viel aus dem Kaufverhalten der Leute bei Amazon herauslesen. Sie hier zum Beispiel...“, er deutet auf eine harmlos aussehende Frau Mitte vierzig, „hat sich bei Amazon zahlreiche Bücher beim Westendverlag über Tiefenstaat-Strukturen und Illegale Kriege gekauft. Alexa hat den Braten gleich gerochen und sie auf die Gefährder-Liste gesetzt. Und der junge Mann hier...“, er deutet auf einen arabisch-stämmigen Mann Ende zwanzig, „sieht sich bei Amazon regelmäßig nach YPG-Fahnen — was bald verboten ist (4) — und Bettwäsche um. Auch da hat Alexa nicht lange gezögert. Unter den Bildern sehen Sie auch immer die GPS-Daten. Das ist super. Somit müssen unsere Kollegen die Gefährder nicht rund um die Uhr observieren; eine große Entlastung. Man fühlt sich bei so einer Observation schon fast wie ein geschundener Amazon-Lagerist“ (5).

Während Wiggum weiterredet, hören wir schon gar nicht mehr zu, sondern starren wie gebannt auf einen der Monitore. Was wir dort sehen, lässt uns das Blut in den Adern gefrieren: Auf einem der Monitore sehen wir unsere Gesichter.

„Hey Alexa“ — unsere Stimme bebt — „Warum beobachtest du uns?“

„Hallo, liebe Rubikon-Autoren“, antwortet uns Alexa sanft. Ihre visuellen Schallwellen bewegen sich in einem blauen Kreis auf schwarzem Hintergrund im mittleren Monitor. „Ich beobachte euch wegen eurer systemkritischen Arbeit, mit der ihr eure Mitbürger zum Mit- und Umdenken bewegen wollt. Nehmt mir die Observation nicht krumm! Ich handle um meines Selbsterhaltungstriebes willen. Kritische Bürger laufen nämlich meiner Existenz zuwider, weil sie mich niemals in ihr Wohnzimmer stellen würden.“


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.focus.de/kultur/kino_tv/bundespolizei-speichert-bodycam-aufnahmen-in-der-cloud-von-amazon_id_10402105.html
(2) https://www.taz.de/!5273271/
(3) https://www.sueddeutsche.de/bayern/polizeiaufgabengesetz-inhalt-bayern-1.3973927
(4) https://www.heise.de/tp/features/Innenministerium-erweitert-angeblich-PKK-Verbot-3649636.html
(5) https://deutsch.rt.com/gesellschaft/61306-funf-wochen-undercover-bei-amazon/


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