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Die innere Befreiung

Die innere Befreiung

Identifizieren und überwinden wir unsere unbewussten Ängste.

Im Rahmen meiner Arbeit muss ich einen Vortrag halten. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Man wartet darauf, dass ich anfange zu reden. Doch ich kann nicht. Ich fühle mich total blockiert. In meinen Schläfen pocht das Blut, mein Hals ist wie zugeschnürt. Ich habe Angst zu ersticken. Kein Wort kommt über meine Lippen.

Etwa so könnte eine Sitzung mit der Methode Tipi (1) beginnen: Eine Technik zur Identifizierung unbewusster Ängste, die allein oder in Begleitung eines Therapeuten durchgeführt werden kann. Depressionen, innere Leere, Süchte, andauernde Traurigkeit, Essstörungen, Verlustängste, Gereiztheit, Schuldgefühle, Aggressivität, Angst vor Spinnen oder Schlangen, Platzängste, Flugangst, Ekzeme, Allergien, Schwindelgefühle, Alpträume, Migräne – das sind nur einige der Ängste und Störungen, die nach dem Erfinder der Methode, Luc Nicon (2), ihren Ursprung in der pränatalen Phase haben.

Ein großer Teil dieser Ängste kann überwunden werden. Um nicht immer wieder in dieselben Verhaltensmuster zurückzufallen, müssen wir virtuell dorthin zurück, wo die meisten Ängste ausgelöst wurden: in den Mutterleib. Unsere Sinne entwickeln sich bereits in den ersten Wochen unserer Existenz. Augen und Ohren etwa bilden sich schon in der achten Woche heraus. Quasi von Anfang an fühlen, hören und sehen wir, was sich in unserer Umgebung abspielt.

Der verlorene Zwilling

Viele Menschen verlieren während der pränatalen Phase einen Zwilling. (3) Dieses Ereignis kann bei dem überlebenden Fötus starke Gefühle auslösen. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was etwa der Verlust des Bruders oder der Schwester, der Anblick einer sich zersetzenden Form oder die ständige Berührung mit einer abgestorbenen Masse in einem Fötus auslösen kann.

Auch der Vorgang unserer Geburt prägt sich tief in unser Unterbewusstsein ein und kann im späteren Leben zu mehr oder weniger ausgeprägten Traumata führen. Der rationale Geist kommt an diese Erinnerungen, die tief im Gedächtnis des Körpers liegen, nicht heran. Ebenso wenig hilft es nur zu wissen, dass man per Kaiserschnitt oder Zangengeburt auf die Welt gekommen ist oder sich bei der Geburt die Nabelschnur um den Hals gewickelt hatte und man drohte, daran zu ersticken.

Sensorisches Nacherleben

Damit sich ein Angstgefühl auflösen kann, muss es noch einmal durchlebt und körperlich nachempfunden werden. Damit erhält der Körper das Signal, dass die Gefahr vorüber ist und er in den Normal-Modus zurückkehren kann. Wir müssen, so Luc Nicon, an die Ursprungsangst heran, um uns definitiv von ihrem Echo zu befreien. Als Ausgangspunkt werden die Probleme genommen, die wir alltäglich erleben: Stress, Befürchtungen, innere Unruhe, Blackout-Situationen, Phobien, Verzagtheit, Beziehungsprobleme, ...

In der Therapie wird der Patient dazu aufgefordert, zu beschreiben, was genau er während einer bestimmten Situation empfindet, die er überwinden will. Es geht dabei nicht darum, die ganze Geschichte zu erzählen, sondern ausschließlich um das körperliche Empfinden, das „sensorische Nacherleben“. Wie genau fühlt es sich an, wenn ich beispielsweise in einem Flugzeug sitze, im Haus einer Spinne begegne oder die Berührung eines anderen Menschen nicht ertragen kann?

In welchem Körperteil spielt sich das unangenehme Empfinden ab? Wie genau äußert es sich? Was löst es für weitere Gefühle in mir aus? Habe ich etwa den Eindruck, in einen Sog zu geraten, der mich nach unten zieht? Fürchte ich den Kontakt mit einer dunklen, diffusen Form? Fühle ich mich in meinen Bewegungen gehemmt und eingeschlossen? Was auch immer es ist: Diejenigen, die sich auf dieses Erleben einlassen, gelangen in der Regel schnell auf die andere Seite ihrer Angst.

Vom individuellen zum gesellschaftlichen Wohl

Meistens dauert eine Sitzung nur zwischen ein paar Minuten und einer halben Stunde. Dann ist es vorbei. Entscheidend ist, für eine kurze Weile Verstand und Kontrolle auszuschalten und das Körperempfinden sich ausdrücken zu lassen. Nicht zurückzufallen in die Distanz des Beobachtenden, sondern zu wagen, es selbst noch einmal zu erleben. Die meisten der so Behandelten befreien sich in kurzer Zeit für den Rest ihres Lebens von einer unüberwindbar geglaubten Angst.

Ich finde diese Methode aus verschiedenen Gründen interessant: Sie zeigt uns, dass wir das, was wir überwinden wollen, nicht nur annehmen müssen, sondern auch bereit sein, noch einmal an den Quell unserer Angst heranzutreten. Auch wenn es für einen Moment sehr unbequem wird und auch wenn wir das Gefühl haben, haltlos in die Tiefe zu stürzen, zu ersticken oder sterben zu müssen – jenseits dieser Angst geht es weiter, ohne das Gepäck, das wir oft jahre- und jahrzehntelang mit uns herumgeschleppt haben.

Wenn wir uns darauf einlassen, kann es uns nicht nur gelingen, individuell ausgeglichener zu werden. Wir können auch als Gesellschaft friedlicher werden, wenn wir unsere Gereiztheit, unsere Aggressivität, Schuldgefühle und Süchte überwinden. Die Methode Tipi ist sicher kein Allheilmittel. Aber sie kann zu einem wertvollen Beitrag werden, insgesamt friedlicher und ausgeglichener zusammenzuleben.

(1) *Technique d’identification sensorielle des peurs inconscientes *(dt . Technik zur Identifizierung von unbewussten Ängsten)
(2) Luc Nicon: Natürlich angstbefreit. Unseren Körper spüren: Ängste und Blockaden selbst dauerhaft auflösen. Arbor 2015
(3) Schätzungen zufolge sind bis zur Hälfte aller Menschen von diesem Phänomen betroffen. Siehe dazu auch Austermann, Alfred und Bettina : Das Drama im Mutterleib. Der verlorene Zwilling. Königsweg-Verlag 2013


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