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Die große Gereiztheit

Die große Gereiztheit

Im Wahlkampf haben Beleidigungen, Nötigung und körperliche Gewalt ein nie gekanntes Ausmaß angenommen — „führend“ sind derzeit die sogenannten linken Kräfte.

„Was lag in der Luft? — Zanksucht. Kriselnde Gereiztheit. Namenlose Ungeduld. Eine allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel, zum Wutausbruch, ja zum Handgemenge. Erbitterter Streit, zügelloses Hin- und Hergeschrei entsprang alle Tage zwischen einzelnen und ganzen Gruppen …“

Im „Zauberberg“, einem idyllisch gelegenen Lungensanatorium in den Schweizer Alpen, geht es hoch her in den Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Thomas Mann fasste die Zeitstimmung in einem Kapitel seines Romans, „Die große Gereiztheit“, in drastische Worte. Insassen der Luxusklinik, die noch bis vor Kurzem gepflegt über bildungsbürgerliche Inhalte parliert hatten, gehen unversehens aufeinander los.

„Sie gingen einander mit den Krallen ins Gesicht, hielten sich an Nase und Kehle, während sie aufeinander losschlugen, umschlangen sich, wälzten sich in furchtbarem und radikalem Ernste am Boden, spien nacheinander, traten, stießen, zerrten, hieben und schäumten.“

Noch verblüffender für Leser des gewichtigen Bildungsromans: Herr Naphta fordert Herrn Settembrini zum Duell. Die beiden waren geistige Lieblingsfeinde gewesen, die sich in endlosen philosophischen und politischen Debatten ineinander verhakten. Naphta und Settembrini waren quasi Nord- und Südpol des weltanschaulichen Koordinatensystems, das Thomas Mann vor seinen Lesern ausbreitet. Letztgenannter verkörperte eher die bürgerlich-liberale „Mitte“, Ersterer sämtliche „Ränder“ auf einmal — ein Extremist des Denkens, mal religiöser Fanatiker, mal ein mit kruden Thesen hervortretender Diktatur-Befürworter. Dabei waren beide aber im Tonfall stets moderat geblieben und hatten den Rahmen einer rein geistigen Auseinandersetzung nie verlassen.

„Radikalere Möglichkeiten des Hasses“

Und nun das. Eine Forderung zum Duell. Nicht zum „TV-Duell“, sondern mit Pistolen, auf Leben und Tod. Und Settembrini, Inbegriff gesitteter „Humanität“, nimmt an. Warum um Himmels Willen reicht den beiden Widersachen das Gespräch nicht mehr? Warum müssen sie auf derart brutale Weise die Ebene der Auseinandersetzung wechseln? Hans Castorp, juveniler Protagonist des Romans, zeigt sich im Gespräch mit Settembrini fassungslos. „Das Geistige kann niemals persönlich sein“, argumentiert er.

Settembrini widerspricht.

„Sie gehen jedoch vor allem fehl in Ihrer Einschätzung des Geistigen überhaupt, das Sie offenbar für zu schwach halten, um Konflikte und Leidenschaften zu zeitigen von der Härte derjenigen, die das reale Leben mit sich bringt und die keinen anderen Ausweg lassen als den des Waffengangs (…) Das Abstrakte, das Gereinigte, das Ideelle ist zugleich auch das Absolute, es ist damit das eigentlich Strenge, und es birgt viel tiefere und radikalere Möglichkeiten des Hasses, der unbedingten und unversöhnlichen Gegnerschaft, als das soziale Leben.“

Castorp muss am Ende seinen Widerstand gegen diesen ungeheuerlichen Ausbruch der Barbarei aufgeben.

„Und er begriff mit Grauen, dass am Ende aller Dinge nur das Körperliche blieb, die Nägel, die Zähne.“

Das Duell findet statt, und am Ende liegt Naphta tot auf dem Feld. Wie das zugegangen ist, ist eine andere Geschichte.

Beschleunigter politischer Erregungsaufbau

Mir ist die Kapitelüberschrift „Die große Gereiztheit“ häufiger in den Sinn gekommen, als sich 2020, zu Beginn der Coronakrise, der Tonfall zwischen den Menschen im privaten wie im öffentlichen Leben urplötzlich drastisch verschärfte. Freunde und langjährige Weggefährten gingen mit blitzenden Augen und sich überschlagender Stimme aufeinander zu. Türen schlugen zu, bewährte Verbindungen zerrissen jäh.

Hass und Verachtung erhoben sich, wo zuvor ein mildes, von gegenseitiger Sympathie geprägtes Gesprächsklima geherrscht hatte. Der unverantwortliche Menschen-Gefährder stand da plötzlich dem sich feige wegduckenden Systemknecht gegenüber. Und beide Seiten warfen der jeweils anderen — wie es in Deutschland offenbar unvermeidlich ist — vor, einer neuen Diktatur den Weg zu bereiten.

Es gibt Zeiten, in denen der politische Erregungsaufbau beschleunigt abläuft. Wir waren nur über Jahrzehnte nicht mehr daran gewöhnt gewesen — allenfalls noch in den „heißen“ 68er-Jahren.

Und die allgemeine Gereiztheit kochte seit 2020 kaum herunter. Speziell ist es derzeit der Kampf gegen oder für „rechts“, der die Gemüter erhitzt. Wie das enden wird, wissen wir nicht. Zunächst läuft der „deutsche Bürgerkrieg“ überwiegend auf der verbalen Ebene ab. Aber die Vorkommnisse, bei denen die Auseinandersetzung körperlich werden, häufen sich. „Tiefere und radikalere Möglichkeiten des Hasses“ zeigen sich. Von „Fieberschüben der Demokratie“ sprach der Schweizer Journalist Roger Köppel.

Es ist an sich kein unbekanntes Phänomen. Die Geschichte hat gezeigt, dass in kollektiven Stresssituationen selbst in kultivierten, gut domestizierten Gesellschaften ältere Bewusstseinsstufen durchbrechen können. Es erfolgt eine kollektive Regression. Es geht dann scheinbar nur noch ums nackte Überleben, die „Sensibilität“ gesitteter Bürger weicht unduldsamem Keifen und Agitieren, bis auch die Hemmschwelle zur Gewalt fällt.

In der Gegenwart denkt man, wenn es um Rückfälle in die Barbarei geht, vielleicht zuerst an Videos des Islamischen Staates (IS), in denen Menschen vor laufender Kamera geköpft wurden. Man denkt hierzulande an Bandenkriminalität und das Abfackeln von Asylbewerberheimen, wie es sich in den frühen 1990ern im wiedervereinigten Deutschland vollzog. Man denkt an die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, die Ulrike Meinhof aufforderte, anstatt politische Missstände immer nur in Artikeln zu beklagen, endlich zu handeln. Das Scheitern des zivilisierten Diskurses „verlangt“ offenbar in bestimmten Situationen das Überwechseln auf eine neue, archaischere Handlungsebene.

Ein Bußprediger im Bundestag

Als Zwischenschritt, bevor, wie es Thomas Mann ausdrückte, „Zähne und Nägel“ eingesetzt werden, dient zunächst verbale Radikalisierung. Diese wird von „den demokratischen Parteien“ zwar mit Vorliebe „Querdenkern“, „Rechten“ und anderen „Staatsdelegitimierern“ zur Last gelegt – jedoch ist dies neutral betrachtet eher ein typischer Fall von Schattenprojektion. Die Bundestagsdebatten am 29. und 31. Januar 2025, in denen es um zwei Abstimmungen zur Migrationspolitik ging, offenbarten eine dramatische Erosion von Vernunft und verbaler Angemessenheit.

Dies zeigte sich etwa in der Bußpredigt des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, angesichts der von der Union mit Stimmen der AfD gewonnenen Abstimmung über einen Entschließungsantrag. Mützenich rief in den Plenarsaal:

„Meine Damen und Herren, es ist nicht zu spät! Der Sündenfall wird Sie für immer begleiten. Aber das Tor zur Hölle können wir noch gemeinsam schließen.“

Friedrich Merz wurde damit nicht nur als Nachfolger des Ursünderpaars Adam und Eva identifiziert, er öffnete auch dem Bösen Tür und Tor, sodass dank der von ihm verschuldeten Öffnung Dämonisches in die heiligen Hallen der Parlaments einströmen konnte.

Stilistisch erinnert der Vorstoß des Sozialdemokraten an eine Rede von Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz, der Friedensaktivisten im August 2023 bei einer öffentlichen Rede als „gefallene Engel aus der Hölle“ bezeichnete. Eine für den nüchternen Mann erstaunlich alttestamentarisch anmutende Wortwahl. Indirekt wollten Mützenich und Scholz damit auch ausdrücken, dass sie — ähnlich den Blues Brothers auf dem gleichnamigen Film — „im Namen des Herren unterwegs“ sind. Wer den Teufel an die Wand malt, empfiehlt sich selbst als Exorzist und versucht so durch Angstmache auch mit erkennbar mieser Politik irgendwie „durchzukommen“.

„Auf die Barrikaden!“

In ähnlicher Weise macht auch die Rede von Linken-Gruppenchefin Heidi Reichinnek Furore, deren Tonfall während ihres Statements schon in Schreien und Weinen umkippte.

„Wir alle, wir werden auf die Straße gehen. Wir alle, wir werden an die Wahlurnen gehen. Und das kann ich Ihnen sagen: Wir werden dafür sorgen, dass das jetzt ein Ende hat. (…) Gebt nicht auf! Leistet Widerstand gegen den Faschismus im Land! Auf die Barrikaden!“

Man kann dies als ehrlich gemeinte Besorgnis einer Vertreterin „unserer Demokratie“ über das Vordringen rechter Konzepte zur Migrationspolitik ja bis zu einem gewissen Grad verstehen. Gegen die AfD kann man vieles einwenden — Hochrüstungspolitik, soziale Kälte, autoritäres Staatsverständnis —, aber es ist wichtig, den Redebeitrag genau zu analysieren.

Der Entschließungsantrag vom 29. Januar wurde mit demokratischer Mehrheit der gewählten Abgeordneten angenommen. Das „linke“ Lage unterlag diesmal. Eine Vertreterin der unterlegenen „Mannschaft“ drohte daraufhin, den Streit auf die Straße zu tragen und dafür zu sorgen, dass „ein Ende hat“, was zu diesem Zeitpunkt ja im Parlament und auch in der Bevölkerung Mehrheitsmeinung war: eine restriktivere Migrationspolitik. Der Begriff „Barrikaden“ steht symbolisch für gewaltsame Kämpfe, wie sie etwas in der französischen Julirevolution 1830 üblich waren, und die damals auch Menschenleben kosteten.

Die Polyphonie der Debatten

Weiter ist im Bundestag in letzter Zeit auch eine wachsende Anzahl und Schärfe von Zwischenrufen festzustellen. Kamen diese früher normalerweise nur als vereinzelte Einwürfe daher, so bestand in den Debatten vom 29. und 31. Januar ganz offenbar die Absicht, die Redner daran zu hindern, ihre Gedanken zu Ende zu bringen. Dabei wurde auch Verletzendes zu Gehör gebracht. Als Friedrich Merz angab, eine weitere Laissez-faire-Politik „nach dem furchtbaren Anschlag in Magdeburg und den tödlichen Messerangriffen in Aschaffenburg“ nicht länger mit seinem Gewissen verantworten zu können, wandte ein Zwischenrufer ein: „Welches Gewissen? Wenn sie mit denen zusammenarbeiten, welches Gewissen?“

Debatten laufen heutzutage generell — wenn man diesen musikalischen Begriff heranziehen will — polyphon ab: mehrstimmig. Jemand redet und gleichzeitig oder zeitverschoben hebt jemand zu einer eigenen Rede an.

In Bundestagsdebatten nimmt das Phänomen ebenso zu wie in Talkshows im Stil der Haltungsjournalistin Caren Miosga. Es wird für Redner somit schwieriger, ihren Gedanken zu Ende zu bringen, und für Zuhörer, deren Inhalt aufzunehmen. Auch die Anzahl der Ordnungsrufe im Bundestag, ausgesprochen von der Bundestagspräsidentin oder einer Vertretung, hat drastisch zugenommen: von 57 (2023) auf 150 (2024).

Rabiate „Güte“

Der Weg „auf die Barrikaden“ kam dann tatsächlich wiederholt in Form von Großdemonstrationen „gegen rechts“ zum Ausdruck. Diese Demonstrationen sind nicht nur formal erlaubt und im Einklang mit dem „Geist“ der Demokratie — ich halte es auch persönlich für wichtig, dass sie ungehindert ablaufen können, unabhängig davon, ob man mit dem Inhalt übereinstimmt. Gerade in Coronazeiten stießen mir die fortlaufenden Versuche der Staatsmacht, Demonstrierende zu schikanieren und sogar gewaltsam an der Wahrnehmung ihrer Rechte zu hindern, sauer auf. Ich freue mich über Bürgerengagement und auch über Skepsis gegenüber Friedrich Merz und Alice Weidel.

Ich schließe mich aber hier der Meinung des nicht durch „alternativen“ Journalismus bekannten Tagesspiegel an:

„Nicht in Ordnung ist es, wenn ein kleiner Teil der Anti-CDU-Demonstranten daraus das Recht ableitet, Unionsleute an Wahlkampfständen bespucken oder bedrohen zu dürfen oder Kreisgeschäftsstellen zu beschmieren und zu besetzen. Das verbietet sich im demokratischen Diskurs, den es doch gerade zu verteidigen gilt. Gewalttätiger Protest schadet der politischen Mitte und ihrem Anliegen.“

Die neueren Aufmärsche „gegen rechts“ sind so gut organisiert, dass man davon ausgehen muss, dass sie schon vorher für den Fall geplant waren, dass die Abstimmung im Bundestag „so“ ausgehen, dass also die AfD als Mehrheitsbeschafferin für Maßnahmen der „Zustrombegrenzung“ fungieren würde. Nützlich auch als Schützenhilfe für Grüne, SPD und Linke im Wahlkampf, waren die Kundgebungen dutzender Organisationen, die vielfach direkt oder indirekt aus dem Steuersäckel finanziert sind, sicher geschickt orchestriert. Natürlich inszenierten die Demonstrationen auf spektakuläre Weise eine scheinbare migrationsfreundliche Mehrheit, die im Gegensatz zu einer „stillen“ migrationskritischen Mehrheit steht. Trotz dieser Einwände, sind Demonstrationen, die ja vielfach Partikularinteressen zum Ausdruck bringen und normalerweise nicht für „alle“ zu sprechen beanspruchen, selbstverständlich legitim.

„Make Nazis afraid again“

In diesem Artikel geht es mir aber eher um die Form als um den Inhalt, sodass ich auf unfaire Ausdrucksformen und eine Verwilderung der Sitten hinweisen muss. Viele der Plakate hatten in ihrer Überspitzung fragwürdige Inhalte. So waren zu sehen:

„Mit Herz gegen EkelhAFDen Merz.“

„Fritze Merz fischt frische Faschos.“

„196 x CDU“ + 67 x FDP = Pakt mit dem Teufel AfD“

Weiter ein Plakat, auf dem eine brennende Reichstagskuppel zu sehen war. Davor Merz und Weidel, zwischen ihnen ein Dreispitz, Symbol des Teufels.

Sehr fragwürdig auch eine auf die Berliner Siegessäule projizierte Leuchtschrift: „Ganz Berlin hasst die CDU.“ Das ist verletzend, sachlich falsch und versucht, Meinungsgegner mittels der Fiktion, nun „allein gegen alle“ zu stehen, einzuschüchtern. Gleichzeitig richtet sich der Vorwurf, mit „Hass und Hetze“ zu arbeiten, weiterhin gegen AfD und Union.

Das Plakat „Make Nazis afraid again“ bringt jene Parteien, die es derzeit zusammen auf etwa 50 Prozent der Wählerstimmen bringen — zusammen mit der gemäßigten FDP und dem politisch diversen BSW sogar 60 Prozent —, mit dem Nationalsozialismus, also mit Völkermord, in Verbindung. Offenbar möchte das selbst ernannte „Team Güte“ seinen Gegnern Angst einjagen, anstatt sie überzeugen zu wollen.

Angst, wovor?

Metallkugeln und Brandsätze

  • In Hamburg wurden auf einer Wahlveranstaltung mit Tino Chrupalla Gegenstände auf Polizisten geworfen. Sechs Polizisten wurden verletzt.
  • In Berlin Dahlem wurde das Restaurant „Alter Krug“ überfallen. Es kam zu Akten des Vandalismus.
  • In Borken konnte ein Brandanschlag auf die CDU-Geschäftsstelle nur knapp verhindert werden. Brennbare Substanzen waren schon überall verteilt worden, als ein Passant die Polizei rief.
  • Die CDU-Geschäftsstelle in Hannover wurde gestürmt, auf dem Balkon wurden Feuerwerkskörper entzündet und ein Plakat mit der Aufschrift „Friedrich von Hindenburg“ entrollt.
  • Ein Wahlkampfhelfer der AfD wurde am Bein durch eine Metallkugel, abgefeuert mit einer Art Steinschleuder, verletzt.
  • FDP-Chef Christian Lindner bekam bei einer Wahlkampfveranstaltung eine Torte ins Gesicht geworfen

Auffällig bei allen genannten gewalttätigen Aktionen ist auch die inflationäre Ausweitung des Bereichs des „Bösen“ auf immer mehr nicht-linke Gruppierungen. Lag die AfD Anfang 2015 noch bei etwas 3 Prozent der Wählerstimmen, sehen sie manche Umfragen heute bei 22 Prozent, wozu man als „sekundär dämonische“ Kräfte heute mindestens noch CDU, CSU und FDP hinzu addieren musste. Merkt Ihr was, liebe „Antifaschisten“?

Aufgrund mäßiger politischer „Leistungen“; mangelnder Rücksichtnahme auf die Wünsche der Mehrheitsbevölkerung und eher rüder Formen des Selbstausdrucks schrumpft die Zustimmung zu einer im Kern ja begrüßenswerten sozial-ökologischen, weltoffenen Denkrichtung permanent. Dem versuchen die von Wählern Verschmähten durch das Höherstellen des Lautstärkereglers bei Straßenkundgebungen entgegenzuwirken.

Und zunehmend leider auch mit Gewalt.

Pöbeleien links und rechts

Dabei möchte ich nicht den Eindruck erwecken, „rechts“ ginge alles immer gesittet zu. Noch immer ist die Anzahl der Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Flüchtlingseinrichtungen hoch, 2024 waren es 1.905 Vorfälle. Auch ein Gegner des AfD-Parteitags in Riesa, der Linken-Abgeordnete Nam Duy Nguyen, wurde misshandelt — von der Polizei. AfD-Chef Tino Chrupalla unterbricht seine Debattenpartner mitunter rüde, wie unlängst bei Markus Lanz zu besichtigen war.

Wenn dennoch selbst der Mainstream-Presse auffällt, dass sich unfaire Manöver, Beleidigungen und Gewalttaten gerade aus dem „linken“ Lager häufen, ist dies ein Armutszeugnis. Speziell auch mit Blick auf den hochmoralischen Anspruch, mit dem dieses Milieu gern auftritt. Bei Rechtsradikalen ist ein rüpelhaftes Verhalten und erkennbare geistige Schlichtheit ja keine wirkliche Überraschung. Man kann dies unter anderem in diesem Video besichtigen — es zeigt Rechte, die „Groß, Groß, Großdeutschland!“ brüllen und einen Medienvertreter anraunzen: „Wir reden nisch mit der Presse, jetz verpiss disch hier!“

Wenn Linke jetzt jedoch mit diesen Kräften in einen Niveau-Unterbietungswettbewerb treten und quasi antifaschistische Sturmabteilungen auf der Straße entfesseln, empfinde ich das als beängstigend und demokratiegefährdend.

Um einmal von „anekdotischen Beweisen“ wegzukommen, hier eine Statistik: Es gab 2024 Gewaltangriffe auf Politiker folgender Parteien: AfD: 93. Grüne: 20. Linke: 20. SPD: 8. CDU 7. Hierzu ist zu sagen, dass die Statistik für 2025 gewiss einen starken Anstieg der Angriffe auf Unions-Politiker aufweisen wird. Wer andere Zahlen im Gedächtnis hat, die besagen, dass die Grünen am häufigsten Opfer waren — dies stimmt im Bezug auf „Äußerungsdelikte“, zum Beispiel Beleidigungen. Auch das ist nicht in Ordnung, selbst wenn man voraussetzt, dass die grüne Seele als besonders zartbesaitet und daher anzeigenfreudig gilt. Warum können nicht alle einfach die Argumente sprechen lassen und den Wählerwillen als Ergebnis fairer Debatten anerkennen?

Julian gegen die Wand

Oft beginnt die Eskalation mit Gesprächsverweigerung, geboren aus Hilflosigkeit oder auch dem Versuch, den Gegner einzuschüchtern. Ein Beispiel ist ein Video, in dem der als konservativ-libertär geltende Journalist Julian Reichelt versucht, die Teilnehmer einer Demonstration zur Rede zu stellen, die sich gegen ihn selbst richtet.

Reichelt: „Guten Abend! Julian Reichelt. Warum bist du heute Abend hier und warum glaubst du, dass ihr darüber entscheiden solltet, wer noch eine Bühne bekommt?“

Antifaschist (laut): „Reichelt, Reichelt, jetzt reicht’s uns! Reichelt, Reichelt, jetzt reicht’s uns!“

Reichelt: „Kannst du was anderes als brüllen?“

Antifaschist: „Das musst du gerade sagen. (Laut) Reichelt, jetzt reicht’s uns!“

Reichelt: „Also noch mal die Frage: Hast du das Gefühl, dass du was anderes kannst als doofe Parolen brüllen?“

Antifaschist (laut): „Reichelt, Reichelt, jetzt reicht’s uns! Antifaschista!“

Reichelt: „Irgendwas anderes als Parolen?“

Antifaschist: „Antifaschista!“

Natürlich ist auch Julian Reichelts Verhalten provokant und nicht frei von Überheblichkeit. Andererseits hätte sich für die Antifa ja hier eine willkommene Gelegenheit geboten, ihren Lieblingsfeind mittels geschliffener Reden mit seinen Fehlern zu konfrontieren. Seiner zutiefst neoliberalen Grundeinstellung, seiner Liebe zur Atomenergie, der bedingungslosen Solidarität mit der gewalttätigen israelischen Regierung, seiner Fixierung auf Migrantenkriminalität… Nichts davon. So wie der „Dialog“ ablief, stand Reichelt als Sieger der Auseinandersetzung mit eher einfältig und schon in ihrem Wortschatz beschränkt wirkenden Gegnern da. Was wäre passiert, wenn die Brüller mit ebenso tumb agierenden Gegendemonstranten konfrontiert worden wären?

Vier Gefahrenquellen

Die Serie „Dogs of Berlin“ zeigt verstörende Bilder eines möglichen deutschen Bürgerkriegs. In der Serie gehen eine Bande aus dem migrantischem Milieu und ein „rechter“ Kampfverband in offenem Vernichtungswillen wie in einer Feldschlacht aufeinander los. Dieses Szenario könnte sich als durchaus realitätsnah erweisen, speziell wenn eine dritte gewaltbereite Gruppe hinzukommt: die radikale Linke.

Momentan droht von mindestens vier Seiten Gewalt: Flüchtlinge kommen oft stark traumatisiert nach Deutschland, finden sich in beengten Wohnverhältnissen, mit ungewissen Zukunftsaussichten wieder und bringen häufig auch allerhand ideologischen Ballast mit. Manche rasten aus. Die Gründe für die sich in letzter Zeit häufenden Gewalttaten sind teilweise nur schwer zu ergründen. Manche scheinen wie besessen, rammen mitunter ihr Messer sogar in die Körper von ihnen völlig unbekannten Kleinkindern. Aus solchen sich wiederholenden, in den Medien sehr präsenten Fällen könnte schon bald Gewalt gegen Migranten entstehen, die sich nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern gegen das „Migriert-Sein“ als solches richtet — also wahllos gegen nicht ursprünglich deutsche Personen. In Großbritannien hat es solche Vorfälle schon gegeben.

Was die Deutschen auf die Straße treibt

Und, so falsch pauschalisierender Hass auch ist — ein politisches Establishment, das sich mit Feuereifer in den Kampf gegen die Begrenzung von Migration stürzt, könnte bei manchen Menschen den Eindruck erwecken, sie müssten das Heft des Handelns nun selbst in die Hand nehmen. Zum Schutz der eigenen Familien, wie sie argumentieren würden. Sobald Gewalt gegen Migranten ein gewisses Ausmaß annähme, würden gut orchestrierte und eingespielte „antifaschistische“ Gruppierungen auf den Straßen weiter eskalieren. Sie hätten ja dann gewichtigere reale Gründe, als es etwa die vorübergehende Kooperation von Union und AfD im Bundestag war.

Die Demonstrationswelle, die dann losbräche, wäre für das gegnerische Lager wiederum höchst provozierend.

Warum, so könnten „Rechte“ fragen, protestieren die Deutschen, die sonst kaum den Schritt auf die Straße wagen, ausgerechnet dann am eifrigsten, wenn es gegen Maßnahmen geht, die Migrantenkriminalität bekämpfen könnten?

Und wo bleibt das Mitgefühl mit den Opfern, wie jenen von Magdeburg und Aschaffenburg? Bei so viel Zoff „müsste“ die Staatsmacht dann massiv eingreifen, Gesetze verschärfen, Polizeibefugnisse erweitern, Bürgerrechte schleifen — all das also, was Politiker vom Typ Nancy Faesers ohnehin gern tun.

Die Dynamik der Ausgrenzung

Was könnte die Lage, betreffend die zunehmende Gereiztheit in der Gesellschaft, verbessern? Zunächst, alles zu unterlassen, was dazu beitragen könnte, sie zu verschärfen. Der Nius-Reporter Julius Böhm, einer der moderateren Sprecher seines Teams, riet in einer Sendung davon ab, als „rechts“ markierte Personen auszugrenzen und analysierte deren Psychodynamik „Es ist auch entscheidend, dass alle miteinander reden“, sagte Böhm.

„Denn Menschen, die ausgegrenzt werden, verhalten sich auch wie Ausgegrenzte. Menschen, die Parias sind, die hinterfragen auch: ‚Warum ist das so? Ich versteh das nicht. Ich mach‘ doch nur, was ich schon immer gesagt habe. (…) Ich seh‘ doch die Meldungen in den Zeitungen. Was mach‘ ich denn falsch, dass ich jetzt hier der Depp bin, dass ich Ärger auf der Arbeit bekomme, dass meine Freunde, meine Familie, dass sich Leute nicht mehr melden?“

Für Böhm liegt das auch an „simplen Kategorien wie rechts, links, out of order oder eben nicht“. Er beklagt:

„Manche halten sich für die Guten und halten es für richtig und geboten und menschlich und demokratisch, andere auszuschließen. Und diese Ausgeschlossenen werden sich wie Ausgeschlossene verhalten und quasi in die Radikalisierung getrieben.“

Diese Analyse erscheint plausibel. Mindestens AfD und BSW, immer stärker aber auch Union und FDP sowie deren Sympathisanten könnten davon betroffen sein. Es wäre die größte diskriminierte „Minderheit“, die es je gab — mit rund 60 Prozent der Bevölkerung sogar größer als die Gruppe der Frauen. Wer ausgegrenzt wird, sieht seinen Weg zurück zur „Mitte“ mitunter versperrt, weil im Zuge von ihm aufgezwungenen Auseinandersetzungen Porzellan zerschlagen und Brücken abgebrochen wurden. Er fühlt sich durch die unduldsame Verfolgungsbetreuung seitens „antifaschistischer“ Zeitgenossen vielleicht derart zermürbt, dass er den Wunsch, noch vor deren Augen Gnade zu finden, längst aufgegeben hat. Gleichzeitig findet er im Milieu der „bösen Buben“ Anerkennung und wärmende Gemeinschaft. Irgendwann geht er dann den Schritt zu sagen: „Ich bin rechts, und das ist gut so.“ Denn, so könnte er überlegen, wie fähig und moralisch überlegen haben sich Linke denn in den letzten Jahren gezeigt? Will ich überhaupt noch zu „denen“ gehören?

Was schlimmstenfalls passieren kann

Die „Mitte“ wird weiterhin Menschen verlieren, wenn sie diese Dynamik nicht begreift. Sie wird das Anständigkeitsgetue einer selbstzufriedenen Mehrheitsgesellschaft so lange gegen Abweichler in Stellung bringen, bis eben diese Mehrheit irgendwann nicht mehr existiert — bis schließlich ressentimentgeladene ehemalige politische Parias nach der Macht greifen. Dann, fürchte ich, wird alles noch schlimmer.

Das auf „Die große Gereiztheit“ folgende und abschließende Kapitel aus „Der Zauberberg“ heißt übrigens: „Der Donnerschlag“. Gemeint ist bei Thomas Mann der Erste Weltkrieg. Ein Krieg ist auch in der aktuellen Situation nicht ausgeschlossen. Zunächst könnte aber etwas anderes anstehen: ein Bürgerkrieg.


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