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Die gesundheitsfördernde Einsicht

Die gesundheitsfördernde Einsicht

Wenn wir uns weigern, die naturgegebenen Ordnungen zu achten, die uns bis hierher geführt haben, riskieren wir langfristig den Fortbestand unserer Spezies.

Ein genauer Befund der global-gesellschaftlichen Krankheit ist schwer. Grundlegende Größen scheinen aus der Stabilität gefallen, und alle Menschen sowie ihre Mitwelt sind Opfer dieser plötzlichen Katastrophen kataklystischen Ausmaßes. Sind sie über uns gekommen? Oder haben wir sie selbst über uns gebracht? Ist es — metaphorisch gesprochen — ein „Unfall“ oder sind es die Folgen eines jahrzehntelangen „ungesunden Lebensstils“?

Beginnen wir mit der Diagnose, und arbeiten wir uns durch einige Symptome, die dank ihrer umfassenden Größe leicht mit Normalität verwechselt werden können. Den Anfang bildet der Einzelne, besser gesagt das, was den Einzelnen antreibt. Dort finden sich zwei einander widersprechende Kräfte: zum einen das Bedürfnis nach Sicherheit, zum anderen die Sehnsucht nach Wachstum. Expansion und Konsolidierung wollen also immer im Fließgleichgewicht gehalten werden, um die psychosoziale Gesundheit sicherzustellen.

Wachstum versus Entwicklung

Über Jahrhunderte spielte Wachstum im menschlichen Selbstverständnis keine maßgebliche Rolle. Dorfbewohner konnten nicht mehr produzieren, als ihre menschlichen und natürlichen Ressourcen hergaben. Die Abgabe des „Zehnten“ an die Lehnsherren sah auch keine inflationsbedingte Teuerung vor. Wachstum konnte nur in kriegerisch-imperialistischer Weise ermöglicht werden und war daher nur eine Größe von nationaler beziehungsweise territorialer, aber nicht individueller Bedeutung.Die Option des persönlichen Wachstums existierte nur als spirituelle Größe und erforderte ein Leben als Eremit oder Mönch beziehungsweise Nonne. Nach Etablierung des Giralgeldes wurde ein Wachstum der Wirtschaft unumgänglich, denn nun wurden Geldmengen geschaffen, ohne dass die entsprechenden Werte hinterlegt waren. Damit wurden die Wirtschaftssysteme von „zirkulär“ auf „unendlich“ umgestellt, was früher oder später problematisch werden und sich unweigerlich auf die globale Gesundheit auswirken musste.

Nun sind wir heute in diesem „Später“ angelangt. Die entsprechende Krankheitseinsicht müsste jetzt darin bestehen, zu erkennen, dass gesunde Wirtschaftssysteme nur nachhaltig funktionieren, wenn sie zirkulär sind, und dass Wachstum nur solange sinnvoll ist, wie es die natürlich gegebene Begrenztheit eines Planeten berücksichtigt.

Damit kommen wir zur nächsten erforderlichen Einsicht. Was ist denn dieser Planet überhaupt im Verhältnis zu uns Menschen oder umgekehrt? Betrachten wir uns als reine Bewohner dieser Welt, bleiben wir lediglich ihre Nutzer, aktuell mehr ihre Verbraucher. Können wir uns hingegen vorstellen, dass Evolution ein intelligenter Vorgang ist, welcher in autopoietischer Weise sich selbst erschafft, dürfte es nicht schwierig sein, uns als integrale Verkörperung dieses Planeten und seiner Entwicklung selbst wahrzunehmen. Das könnte zu einer Ethik führen, die jede destruktive Praxis von vornherein ausschließt: Mit einem Selbstverständnis als „Organ“ unserer Heimatwelt, sowohl physisch als auch geistig, würde sich alles autoaggressive Verhalten von selbst verbieten.

Grundlagen für eine nachhaltige Ethik

Wagen wir uns weiter hinaus in den Raum hypothetischer Alternativen. Wenn es uns gelänge, das Primat der nüchternen Naturwissenschaft um die Erfahrungen tausender Menschen mit kongruenten Nahtoderlebnissen oder hellsichtigen Fähigkeiten zu erweitern und diese mit altehrwürdigen Weisheitslehren aller Völker zu verknüpfen, könnten wir leicht jede „Nach-mir-die-Sintflut“-Mentalität überwinden.

Wenn der physische Tod nicht als das absolute Ende betrachtet würde, könnte sich eine Ethik wirklich nachhaltiger Verantwortung durchsetzen. Die Zusammenhänge würden von einem um ein Vielfaches erweiterten Blickwinkel betrachtet, der kurzfristige Nutzen jeder Handlung müsste sich am Maßstab dieser nachhaltigen Verantwortlichkeit messen.

Der Einzelne wäre weniger Spielball der Ereignisse und unüberschaubaren Zufälligkeiten des Lebens, sondern vielmehr eingebunden in langfristige Entwicklungen eines Bewusstseins, dessen Träger und Ausdruck er selbst ist. Diese Gewissheit würde zu einer größeren Akzeptanz sich selbst gegenüber führen, zu weniger Zweifel an der eigenen Situation und einer souveräneren und umfassenderen Perspektive auf das eigene Schicksal, denn möglicherweise habe „ich“ das selbst so gewählt, genauso wie meinen Körper, meine Eltern, meine Herkunft und vieles mehr.

Selbstachtung und die Zuschreibung von Würde für sich und andere hingen dann in einem Rahmen, der nicht nur von bloßer physischer Existenz getragen ist. Solch ein Verständnis von Menschenwürde ist genau genommen eine Farce: Denn wenn Menschenwürde nur eine Zuschreibung auf dieser Grundlage ist, hat sie keine Tiefe, sie muss nur eine Annahme bleiben, eine Hypothese, denn danach wirkt im Menschen keine besondere Kraft, kein Bewusstsein, welches mehr ist als ein Produkt von neuronaler Aktivität, gebunden an rein biologische Vorgänge, die bei deren Aussetzen zu existieren aufhören.

Es ist anzunehmen, dass mit einem solchen Verständnis menschlicher Existenz niemand mehr seinen Wert durch Leistung unter Beweis stellen müsste und sich damit ungesunde Konkurrenz erübrigen würde. Selbstbewusstsein wäre ein umfassendes Bewusstsein über die eigene Natur und das eigene „So-gemeint-Sein“, was unweigerlich eine Selbstachtung nach sich zöge, die von jeder Selbstoptimierung in Richtung verallgemeinerter Ideale frei wäre.

Natürlich würde der Begriff der Globalisierung eine Bedeutung annehmen, die weniger mit Ökonomie als mit der Tatsache zu tun hat, dass alle Menschen eine Familie sind. Das würde möglicherweise zu einer Haltung führen, die Schuld nicht woanders sucht und deshalb Feindbilder erschaffen muss. Der Einzelne würde sich kaum mehr vor den Interessenskarren geopolitischer Lobbyisten spannen lassen — wenn es sie denn gäbe —, die uns erklären, wie und gegen wen man für seine „Freiheit“ zu kämpfen hat.

Überzeichnet würde gelten, dass wir Leid ebenso wie Glück globalisieren würden, denn das Wissen um einen gemeinsamen geistigen Bewusstseinsraum, den wir alle teilen, würde jede Erfahrung darauf ausweiten. Mitgefühl wäre dann zwangsläufig mehr als eine empathische Geste.

Letzten Endes hätten wir auch ein gesünderes Verhältnis zum Tod. Ist der Tod nur ein Übergang und das Ende einer Episode zum Zwecke einer bestimmten Entwicklung, wird es langfristig selbstverständlich, dass ich diese Welt in einem besseren Zustand verlasse, als ich sie vorgefunden habe, und dass ich mich nicht selbst wichtiger mache, als es mein unverfälschtes Dasein ergibt — denn genau damit bin ich eine Bereicherung für die Welt. Aber nicht nur ich empfinde mich dann als Bereicherung, sondern auch jeden anderen Menschen. Auf dieser Basis ist Respekt vor dem Leben nichts, was man gegebenenfalls abstellen kann, wenn es ein Embargo, ein Krieg oder der Profit erfordern.

Je mehr sich der Mensch in naturgegebene Ordnungen einfügt, welche die Rahmenbedingungen echter Nachhaltigkeit in der Ökonomie bilden, umso weniger wäre Kontrolle nötig, die immer ein destruktives Element in sich trägt.

Es wäre das Ende der unheiligen Spirale aus Besitz, dessen Schutz durch Macht und der Sicherung von Macht durch Kontrolle.Diese „naturgegebenen Ordnungen“ müssen gefunden oder besser wiederentdeckt werden. Wir verdanken ihnen unsere Existenz. Sie sind die ewigen Regelgeber des Lebens und ein tiefes Verständnis ihrer Funktionen, ihrer Logiken und Interdependenzen ist unumgänglich, will man als intelligente Spezies in „the Long Run“ bestehen bleiben. Die Idee der Tiefenökologie, wie sie der norwegische Philosoph Arne Naess (1) vorgestellt hat, könnte sich in der Krankheitseinsicht konkretisieren. Nachhaltige Systeme funktionieren demnach immer durch Rückkopplung und gewährleisten damit ihre Kompatibilität. Das kann von kaum einem aktuellen technologischen oder wirtschaftlichen Konstrukt behauptet werden.

Insofern können wir die Bewusstseinsstufe, auf der wir als Menschen angelangt sind, als Angebot verstehen. In dieser Bewusstseinsstufe haben wir den animalischen Automatik-Modus des Daseins verlassen, müssen aber einsehen, dass es keine dauerhafte Möglichkeit gibt, unabhängig von diesen Ordnungen zu existieren. Ein skelettiertes, rein wissenschaftlich-abstraktes Weltverständnis alleine bindet uns ganz offensichtlich nicht daran, denn das ist allenfalls eine Geste der Überwindung religiös-naiven Aberglaubens.

Was ich hier beschreibe, kann als Möglichkeit einer Utopie aufgefasst werden; gemeint ist es aber als Definition mentaler Gesundheit. Es ist dasjenige Selbstverständnis, das wir gerne bei indigenen Völkern verklärt bewundern. Diese Kulturen leiden auch nicht seit Jahrtausenden an der Geschlechtskrankheit der „Erbsünde“: Von Geburt an haftet uns der Makel einer Mangelhaftigkeit an, die Schuld in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt hat und von dem wir uns zwar nicht mehr durch religiöse Strategien zu erlösen suchen, wohl aber durch Fleiß, Leistung, Selbstoptimierung und technologischen Größenwahn.

Immer besser?

Eine weitere Krankheitseinsicht, die vonnöten ist, ist die Renovierung des Begriffs von Fortschritt. Fortschritt steht inzwischen fast ausschließlich synonym für die Verwirklichung des technisch Machbaren. Der Fortschritt auf den Gebieten der Mobilität, der Landwirtschaft oder der Güterproduktion hat bekanntermaßen in den vergangenen 100 Jahren Probleme zur Folge gehabt, an deren Bewältigung unser Überleben hängt; ein Umstand, der verdeutlicht, dass Wissen und dessen Anwendung nicht automatisch im Sinne des Anwenders sein müssen.

Fortschritt, der nur Profit verspricht oder der oben angesprochenen Erlösung von der unsichtbar wirkenden Schuld dient, bleibt Selbstzweck. Er bedient sich des Menschen, dient ihm aber nicht wirklich. Dieser Fortschritt lebt von der Ausbeutung von Mensch und Umwelt und zerstört damit unsere Existenzgrundlage.

Natürlich könnte man heute Einsicht unterstellen, wenn neue Technologien umweltschonender konzipiert werden. Nur werden diese auf denselben Prämissen errichtet wie eh und je: Wachstum, Profit, die Beibehaltung des etablierten und unhinterfragten westlichen Lebensstandards mit seinem Energiehunger, der monopolisiert geweckt und gestillt wird. Zudem verursacht die Herstellung dieser Technologien neue nachhaltige ökologische Probleme.

Der Einzelne hat kaum den Raum, neue Möglichkeiten einer alternativen Lebens- und Wertekultur für sich zu erkunden und zu verwirklichen. Der Konsens dessen, was „normal“ ist, ist schwer zu durchbrechen. Zudem sind nahezu alle Lebensbereiche gesetzlich eingefasst und normiert, beginnend beim Zwangs-Beschulungssystem über Bau- und Energieverordnungen, Bebauungspläne, Einspeiseverordnungen, die „geplante Obsoleszenz“ — das eingebaute „Verfallsdatum“ elektronischer Geräte — bis hin zur GEZ-Zwangsabgabe.

Mitmachen, mitspielen und im System bleiben ist die stille Maßgabe. Überzeugt wird der an der Erbsünde leidende und damit schuldanfällige Bürger mit der Verpflichtung zur Übernahme einer Pseudo-Verantwortung beispielsweise für nichts Geringeres als das Erdklima.

Dem Klima ist durch solchen Aktionismus vermutlich nicht zu helfen, doch zeigt er die Hybris des „Homo oeconomicus“, der es versteht, seine Angst und Gier in erstaunlicher Balance zu halten, während er sich selbst als unverzichtbarer Lenker planetarer Vorgänge wahrnimmt.

Globalisiert bedeutet eben leider nicht, was der Begriff vermuten lässt. Globalisiert sind Wirtschaft, Kommunikation und Mobilität, aber leider nicht die Menschheit selbst. Zwar erleben wir in Deutschland eine multinationale Öffnung sondergleichen, doch lässt die sich nicht als Zeichen einer Entwicklung hin zu einer vereinten Menschheit deuten. Davon ausgeschlossen sind nämlich diejenigen Nationen, die vom Bann der tonangebenden Politik stigmatisiert werden. Zudem wird — möglicherweise intendiert — übersehen, dass eine allzu invasive kulturelle Vermischung zu einem Identitätsverlust führen muss.

Gesundheitsfördernde Faktoren

Nüchtern betrachtet gilt, dass ein großer Teil der thematisierten Gesundheit an der Bereitschaft zur Ehrlichkeit hängt. Wer interessiert sich wirklich für die lobbyistischen Verquickungen zwischen Politik und Wirtschaft? Wer möchte sich eingestehen, dass Manipulation der Massen unumgänglicher Bestandteil einer kapitalistischen Marktwirtschaft ist? Wer will einsehen, dass Frieden in sich selbst beginnt und einen gewaltfreien Umgang mit der gesamten Mitwelt beinhaltet, einschließlich mit sich selbst? Wer behandelt sich selbst wirklich mit Achtung und Liebe? Wer übernimmt tatsächlich die Verantwortung für sich? Zu gerne sehen wir uns als Opfer von Sachzwängen, von „wissenschaftlich Bewiesenem“, von „Tatsachen“ und dulden alternative Deutungen nicht, ja bekämpfen sie in religiösem Eifer, weil wir Wahrheit für etwas Beweisbares halten, in dessen privilegiertem Besitz wir uns jeweils wähnen. Es ist kaum möglich, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, solange man sich einer solchen äußeren Zwangsordnung unterwirft, die man für wahr hält. Dann gibt es immer ein Feindbild, besetzt mit denen, die es einfach nicht verstehen wollen.

Wie viel Ehrlichkeit verträgt der aufgeklärte Mensch? Er redet von Selbstachtung, während schon ein Blick auf seine Essgewohnheiten in qualitativer und quantitativer Hinsicht eher Geringschätzung sich selbst gegenüber verrät. Er redet von Mündigkeit, Informiertheit und Selbstbestimmung, ohne sich darüber gewahr sein zu wollen, dass er genau die Meinung vertritt, die er vertreten soll, und sich verhält, wie es von ihm erwartet wird. Er redet von Ökobewusstsein und nimmt nur dankbar die von Interessenvertretern bereitgestellten Scheinlösungen an. Er spricht von Toleranz und Solidarität, beschränkt diese aber sofort auf die innerhalb der offiziell proklamierten Wahrheit befindlichen Dimensionen.

Leider funktioniert aufklärende Information, die diese Dimensionen sprengen könnten, in der Regel nicht. Das liegt nicht nur an dem inzwischen unleugbaren Umstand, dass via Zensur und Diskreditierung entsprechende Quellen unterdrückt werden.

Wirklichkeit muss erfahren werden, insbesondere der illusorische Charakter selbsterschaffender Glaubenssysteme. Jedes Scheitern ermöglicht eine solche Erfahrung, wenn auch zum Preis des Verlustes bereits erreichter Errungenschaften und Freiheiten.

Ein realistisches Selbstverständnis gehört zur mentalen Gesundheit des Individuums. Fehlt dieses, verfügt unser Sozialsystem über institutionalisierte Hilfesysteme, die dem Betreffenden entsprechende Hilfestellungen zur Alltagsbewältigung zukommen lassen, ungeachtet seiner Krankheitseinsicht oder seiner Fähigkeit dazu. Kollektiv gesehen fehlt uns eine solch regulierende Einrichtung. Daher schafft sich langfristig jedes System ab, welches oben angerissene Sicherung durch Rückkopplung verweigert. Diesen Umstand hat unser Menschengeschlecht bisher immer wieder durch tapferes Scheitern ausgeglichen und gemeistert. Doch stand der Phönix immer wieder aus derselben Asche auf, um sich jeweils aufs Neue noch epischer zu verbrennen.

Die Phase der Rekonvaleszenz könnte nach dem kommenden Scheitern des gegenwärtigen Zyklus länger dauern als bisher, haben wir uns doch fast völlig abhängig gemacht von einem hochkomplexen wie anfälligen Versorgungssystem. Es bleibt zu hoffen, dass die nötigen Krankheitseinsichten Eingang in die neuen Systemarchitekturen finden werden und mehr sein werden als der Neustart des alten Programmes oder — schlimmer noch — der Installation eines Systems nach den Vorstellungen der Macht- und Kapitalinhaber.

Doch hoffen wir auf die Krankheitseinsicht der betroffenen Mehrheit, denn ohne die Vielen lässt sich auch der lebensfeindlichste Plan nicht verwirklichen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Buchtipps zur Vertiefung:

„Die Zukunft in unseren Händen: Eine tiefenökologische Philosophie“, herausgegeben von David Rothenberg, Peter Hammer Verlag

Jochen Kirchhoff: „Was die Erde will. Mensch, Kosmos, Tiefenökologie“
Joanna Macy und Molly Brown: „Für das Leben! Ohne Warum: Ermutigung zu einer spirituell-ökologischen Revolution“


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