Nach so viel sieht es erst einmal gar nicht aus, als wir zum Drehen einer Reportage für den Rubikon-YouTube-Kanal kurz nach 11 Uhr am Brandenburger Tor in Berlin ankommen. Einige LKWs und circa 3.000 Demonstranten direkt am Anfang der Straße des 17. Juni. Ein ziemlicher Reinfall für den Veranstalter Michael Ballweg aus Stuttgart, der bereits seit Wochen um 500.000 Besucher für diesen Tag geworben hatte. Jene, die dem Ereignis optimistisch entgegenblickten, dachten meistens, ein Zehntel dessen wäre schon etwas Besonderes. Dass es am Ende mehr als doppelt so viele werden würden — damit hatten wohl nicht einmal die Veranstalter und Organisatoren selbst gerechnet.
Eine Parade durch Berlin
Der kleine Demozug setzt sich den LKWs folgend in Bewegung. Und dann plötzlich weiß keiner mehr so genau, wo die ganzen Menschen auf einmal herkommen. Wir versuchen, für unseren Bericht Bilder einzufangen; wollen abschätzen, wie viele Demonstranten gekommen sind, aber sowohl vorne als auch hinten ist kein Ende in Sicht. Das müssen viele sein, sehr viele! 100.000, 200.000, vielleicht sogar die angekündigten 500.000?
Dass wir die Lage noch deutlich unterschätzen, wird uns erst bewusst, als wir von der S-Bahn-Station der Friedrichstraße auf den Demozug herunterschauen und immer noch kein Ende zu erkennen ist. Der Zug geht durch die gesamte Innenstadt und fast die gesamte Strecke ist vollständig mit Menschen ausgefüllt. Ganz normale Bürger, mehrheitlich aus dem Mittelstand, die einfach genug haben, weil die Unterdrückung nun unweigerlich nicht mehr abstrakt und nicht mehr zu verdrängen ist.
Das ganze Leid der letzten Wochen und Monate scheint an einem heißen Sommertag mitten in Berlin plötzlich kollektiv aufzubrechen: der Psychoterror und die Panikmache der Medien, die massiven Existenzängste und realen Existenzzerstörungen durch den Lockdown, gesellschaftliche Ausgrenzung, weil man nicht die Regierungsmeinung vertritt, und vor allem die ständig präsente kognitive Dissonanz zwischen der eigenen logischen Wahrnehmung und dem, was einem an angstinduzierender Propaganda nahezu überall entgegenspringt.
Es sind Busse aus Ungarn da. Fast jede deutsche Kleinstadt ist vertreten. Man hört russisch- und englischsprechende Menschen und sie alle wirken überwältigt von der Masse, die sie selbst unerwarteterweise darstellen. Auch die Berliner Technoszene ist dabei und so finden wir uns wieder in einer Art Love-Parade-Feeling, nur mit einem ganz anderen Flow, weil es hier nicht darum geht zu feiern, sondern um das Recht darauf, es zu tun. Es wehen Länderflaggen aus Deutschland, Spanien, Frankreich und den USA, begleitet von gigantischen Friedenstauben, LGBTQ-Fahnen und durchgestrichenen Hakenkreuzen.
Vereinzelt wehen auch Q-Flaggen und sogar zwei mit dem Motiv des Reichsadlers. Sympathisanten dieser Symbole bewegen sich prozentual auf die Größe der Versammlung bezogen nicht nur im absoluten Promillebereich, sondern werden auch von den anderen Teilnehmern friedlich zurechtgewiesen. Eine junge Frau auf dem lautesten Raver-Wagen fordert öffentlich dazu auf, diese Flaggen herunterzunehmen und macht deutlich, dass dafür auf dieser Veranstaltung kein Platz ist. Sie erntet eine Welle tosenden Applauses. Der Versuch von rechten Gruppierungen, die Bewegung gegen die Grundrechtseinschränkungen durch die Coronamaßnahmen zu unterwandern, ist — was die Mehrheitsverhältnisse auf dieser Demo anbelangt — in jedem Fall gescheitert.
Dass die Grundrechtsbewegung keine kleine Randgruppe der Gesellschaft und auch nicht — wie allzu oft in den Mainstreammedien proklamiert — eine bunte Mischung aus Spinnern ist, wurde uns spätestens einen Tag vorher klar, als wir auf einer kleineren, auf Samstag vorbereitenden Demonstration der Zeitung „Demokratischer Widerstand“ zugegen waren und beobachten durften, wie direkt am Alexanderplatz ein großer Doppeldeckerzug über die Bahnbrücke fuhr, für uns mehrmals laut hupte und der Lokführer sich mit zum Himmel gehobener Faust aus dem Fenster lehnte.
Dass dann am ersten August wirklich die breite Masse der Bevölkerung in Berlin für ihre Freiheit und Selbstbestimmung einstand, überraschte selbst die Polizei. Manchmal haben wir während des Demozuges mit mehreren hunderttausend Menschen über zwei Stunden keinen einzigen Polizisten zu Gesicht bekommen.
Während die Beamten die kleinere Veranstaltung am Vortag noch voll unter Kontrolle hatten und den Demozug vom Reichstag zum Rosa-Luxemburg-Platz immer wieder stoppten, bis alle die in Berlin geltende Maskenpflicht auf Demonstrationen und den Abstand von 1,5 Meter einhielten oder sich zumindest die neue Ausgabe des Demokratischen Wiederstandes vor das Gesicht hielten, dominierten am Samstag dann auf Seiten der Polizei vor allem Überforderung und bei den Demonstranten kreatives Chaos und Improvisation, welche jedoch zum Glück absolut friedlich verlief. Mehrmals wurde sich in Sprechchören bei der Polizei bedankt und sie aufgefordert, sich anzuschließen. Auch wenn die meisten dies nicht taten, haben wir irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft Polizisten uns zuwinkten, anlächelten oder im Takt der Musik mitwippten.
Wir lieben zurück!
Wenn es irgendjemanden gab, der noch überraschter und überforderter von den Dimensionen dieses historischen Tages war, so war das die Antifa. Einige Male sind wir an vergleichsweise winzigen Gegendemonstrationen vorbeigekommen, die sich nie über die geringe Anzahl weniger hundert Menschen hinaus bewegten. Das Entsetzten und die Verwirrung war einigen Vertretern der antideutschen Szene und der Grünen buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Besonders, als eine Gruppe von ca. 30 bis 40 Menschen mit Bündnis 90/Die Grünen-Flaggen einen „Nazis raus“-Sprechgesang anstimmten und der schon über Stunden an ihnen vorbeiquellende Demozug plötzlich mit einstimmte.
Wir waren beeindruckt, aber auch befremdet von dem Bild eines Zauns, der zwei Menschengruppen trennte, die sich denselben Satz entgegenriefen. Nichts hätte die Spaltung unserer Gesellschaft deutlicher auf den Punkt bringen können.
Immer wieder wurde den Rufen der Antifa zugestimmt, um klarzustellen, dass man auch hier gegen rechtes Gedankengut ist. Besonders lustig war die Situation, als ein Anwohner aus Ärger über die seiner Meinung nach rechten Menschenströme zwei große Boxen in seine Fenster stellte und laut „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten anstimmte. Seine Verwirrung war ihm deutlich anzusehen, als die ganze Straße unter seinem Fenster begann, begeistert zu dem Lied zu tanzen.
Das WTC7-Erlebnis
Schließlich kommen eine Million Menschen wieder am Brandenburger Tor und der riesigen Bühne sowie den gigantischen Leinwänden auf der Straße des 17. Juni an. Die Polizei lässt bereits keine Menschen mehr durch. Auf einem digitalen Anzeiger steht „Kundgebung überfüllt“. Links und rechts neben der Straße sind die Büsche und Parks gefüllt mit Menschen, die nicht mehr zur Bühne kommen und so nur den Jubel und das ohrenbetäubende Getöse hören können. Wir stehen jetzt direkt neben der Bühne und filmen das Spektakel, als wir eine Nachricht von Spiegel Online lesen:
Die Polizei habe die Kundgebung mit angeblichen 17.000 Demonstranten aufgelöst und der Veranstalter Michael Ballweg habe das von der Bühne aus bekanntgegeben. Wir müssen lachen.
Auf der Bühne steht Michael Ballweg mit einigen anderen Rednern und sie alle sind weit davon entfernt, irgendetwas für beendet erklärt zu haben. Die Polizei ist auch nicht zu sehen. „Also wie uninformiert müssen die Journalisten beim Spiegel bitte sein“, denken wir, dass sie einmal die Zahl der Teilnehmer so unfassbar unterschätzen und zum anderen Dinge schreiben, die offensichtlich gar nicht stimmen.
Es dauert nur einige Minuten, bis unser Lachen sich in Entsetzen verwandelt. Etwa eine halbe Stunde nach Veröffentlichung des Spiegelartikels passiert das, was als längst geschehen beschrieben wurde, wirklich. Die Polizei kommt auf die Bühne, es wird verhandelt. Den Rednern und Musikern wird der Strom abgedreht und mit mehreren Durchsagen die Veranstaltung für aufgelöst erklärt. Es erinnert ein wenig an die Berichterstattung von BBC über den Einsturz von WTC7, als dieses in Wirklichkeit noch stand. Erst das Ereignis, dann die Meldung? Ganz offensichtlich nicht am ersten August in Berlin.
Was dann passiert, zieht sich bis in die späten Abendstunden. Die Polizei ist nicht in der Lage, eine Veranstaltung mit über einer Million Menschen zu räumen. Viele bleiben sitzen, andere ziehen zum Reichstag und Kanzleramt, um dort „Angela, dein Volk ist da“ zu rufen. Durch das große Fenster sieht man, wie ein entsetzter Kanzleramtsmitarbeiter Fotos von der Menge macht.
Was an diesem Tag in Berlin passiert ist, ist absolut einzigartig und mindestens ein historisches Ereignis. Es liegt jetzt an uns, ihn zum Auftakt einer Bewegung zu machen, die ihre Grundrechte und emanzipatorischen Errungenschaften mit friedlicher Militanz zurückgewinnt.
One hour in 4 Minutes
Tag der Freiheit-Livestream aus Berlin
Tag der Freiheit-Livestream aus Berlin
Tag der Freiheit-Livestream aus Berlin
Tag der Freiheit-Livestream aus Berlin
Zigzehntausende starten bei Demozug auf der Straße des 17. Juni
Diese Bilder werden euch die Mainstream-Medien nicht zeigen
Die Polizei beendet die Veranstaltung
Rede von Michael Ballweg in Mannheim
Rede von Michael Ballweg in Stuttgart
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