„Unsere Demokratie“. Ist es noch unsere? Oder meinen Nancy Faeser, ihre Kolleginnen und Kollegen tatsächlich ihre Demokratie, welche sie sich unter den Nagel gerissen haben? Es wird noch so weit kommen, dass viele Menschen das Wort „Demokratie“ nicht mehr hören können — so sehr wird das Wort inflationär ge- und seitens der Herrschenden missbraucht. Es wird einen zugleich abgestandenen, heuchlerischen und konformistischen Klang bekommen, wie einst der Begriff „Sozialismus“ in den letzten Jahren der DDR, auf den sich gezwungenermaßen jeder bei jeder Gelegenheit beziehen musste. „Demokratie“ — so haben wir in den letzten Jahren gelernt — ist die Kampf- und Selbstvergewisserungsvokabel derer, die eben diese Demokratie Schritt für Schritt aushöhlen und schließlich zerstören wollen.
Dabei bräuchte es tatsächlich echte Demokratie, bräuchte mindestens ein Zurückgehen zu den nicht idealen, jedoch erträglichen Zuständen vor 2020. Hört man das Wort „Demokratieförderungsgesetz“, so könnte man meinen, jetzt werde Bundesinnenministerin Nancy Faeser wohl die Direkte Demokratie mittels bundesweiter Volksabstimmungen einführen, werde mehr innerbetriebliche Demokratie gesetzlich festschreiben, werde verhindern, dass politische Türhüter der großen Online-Plattformen die Meinungsfreiheit in Deutschland weiter verhöhnen können, werde die grassierende Polizeigewalt bei Demonstrationen stoppen, werde die während der Coronazeit gefährlich ineinander geflossenen demokratischen Institutionen und Gerichte wieder säuberlich und zum Wohle der Allgemeinheit trennen.
Nichts dergleichen geschieht. Geplant ist stattdessen eine weitere Verengung des Handlungs- und Denkspielraums für die Bürger, ist eine maßlose Ausweitung staatlicher Machtbefugnisse, ist ein Verbots- und Bespitzelungsstaat, orchestriert von einem zunehmend paranoiden und offen repressiven Regierungsapparat. Geplant ist die Verewigung der Blockparteienherrschaft, der Schutz der Parteien-Oligarchie vor der Demokratie. Nie wurden brutalere Angriffe auf die Demokratie geführt als gerade in den späten Merkel- und frühen Scholz-Jahren. Nie hat sich zugleich eine Regierung, die so fundamental versagt hat, auf so peinliche Weise selbst beweihräuchert und als Lordsiegelbewahrerin „der Demokratie“ inszeniert.
Wer keinen Respekt mehr genießt, muss mit Angst regieren
Die Menschen merken das in nicht geringer Zahl. Der Respekt vor Regierungsvertretern schwindet, was diese mit einer Mischung aus Larmoyanz und dem Ruf nach mehr Repression beantworten. Weil die Mächtigen nicht zu merken scheinen, wie weit sie sich verirrt haben, bleibt als letzter Weg für den Machterhalt nur der Versuch, denen den Mund zu verschließen, die genau das bemerken. Ich benötige keine Belehrungen seitens der chronisch Unbelehrbaren. Jetzt, da die Demokratie von ihren „Vertretern“ in den Schmutz gezogen wird, wächst eher mein Liebe zu wirklicher Demokratie, die als schöne Idee weiterexistiert, die mit Abstrichen aber auch während meiner Lebenszeit in Deutschland real existierte, bevor Leute wie Merkel, Scholz, Lauterbach oder Faeser an die Macht kamen.
Ich lasse mich gerne vor der AfD warnen. Ihre Fehler und die Gefahren einer möglichen Regierungsübernahme durch diese Partei sehe auch ich. Ich wünschte nur, die Warner wären glaubwürdiger. Denn: Wer sieht, dass die „Alternative für Deutschland“ weder eine soziale noch eine pazifistische Partei ist, sieht, dass sie die Probleme der globalen Flüchtlingsströme kaum anders als durch radikale Abschottung zu „lösen“ versucht, sieht, dass hier ein überwiegend unsympathisches Personal, das ungenügend von wirklich radikal „rechten“ Kräften abgegrenzt ist, mehr von der Schwäche des Gegners als von wirklicher eigener Stärke profitiert, hat eigentlich kaum vernünftige Gründe, diese Partei zu wählen.
Die geraubte Zukunft
Für viele Bürger könnte sich eine gewisse Anziehungskraft der AfD aber allein dadurch ergeben, dass sie von Nancy Faeser und mentalitätsähnlichen Politikern gehasst und erbittert bekämpft wird. „Wenn die jemanden nicht mögen, hat er vielleicht sein Gutes“, könnten politisch heimatlos gewordene Menschen denken. Oder: „Dass es denen nach verlorener Wahl schlecht geht, ist mir wichtiger, als dass es mir selbst gut geht.“ Ein solches Denken könnte gefährliche Folgen haben. Ebenso der Wertverlust des Wortes „Demokratie“ infolge seines Missbrauchs seitens der Etablierten.
„Sie geben sich respektlos und sehnen sich danach, achten zu können“, schrieb der Schriftsteller Wolfgang Koeppen in seinem Nachkriegsroman „Tauben im Gras“, bezogen auf junge Menschen. So geht es vielen von uns. Wir sind eigentlich nicht gern zynisch, nicht gern so abgeklärt und ausgenüchtert durch die wieder und wieder erlebten schweren Enttäuschungen mit der herrschenden Politik. Wir sehnen uns nicht nur danach, respektiert zu werden — wie es Olaf Scholz in seinem Wahlkampf eigentlich plakatiert hatte —, sondern auch danach, selbst wieder respektieren zu können. Wie wir vielleicht Willy Brandt respektieren konnten. Und selbst Helmut Kohl und Hans-Dietrich-Genscher, zumindest wegen ihrer Leistungen für die Wiedervereinigung. Selbst wenn hinter diesem Respekt auch ein Gutteil rückblickender Verklärung seitens älterer Beobachter der politischen Landschaft stehen mag. Wir wollen einmal wieder in die Zukunft schauen können, ohne dass diese — wie Udo Jürgens es in einem Lied beschreibt — nur noch als „drohende“ Wand erscheint, als die permanent anwesende Bedrohung durch die leider realistische Erwartung des Immer-noch-schlimmer-Werdens.
Ein Kampf ohne glaubwürdige Kämpfer
Wie könnte man die Entwicklungen der letzten Wochen beschreiben, seit ich in einem Artikel Zweifel an der Sinnhaftigkeit der noch immer laufenden großen „Gegen-Rechts-Demonstrationen“ angemeldet habe? Die Demonstranten konnten die Umfragewerte der AfD nach mittlerweile vier Wochen medialem Dauerfeuer reduzieren. Um 1 oder 2 Prozent, je nachdem, auf welche Umfrage man schaut. Man mag diesen Rückgang als hoch oder niedrig bewerten — jedenfalls verändert er die politische Landschaft nicht grundlegend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Zeit eher gegen die Regierung arbeitet, weil diese Zug um Zug Maßnahmen beschließt, die als schlimmstmögliche Antiwerbung für sie selbst verstanden werden können. Weil die Folgen ihrer Fehler die Regierenden ebenso wie ihre Opfer mit wachsender katastrophaler Vehemenz einholen.
Bei Umfragen, die Durchschnittswerte für das ganze Land aufzeigen, kann man einen bescheidenen Erfolg des „Kampfes gegen rechts“ ablesen. Ein schlechteres Bild für die Etablierten zeigen die Umfragen für die bald anstehenden Wahlen in der EU (…) sowie auch drei der ostdeutschen Bundesländer.
Aus der Perspektive der „nicht-rechten“ Kräfte im Land sieht das so aus, als hätten sich bestimmte, „unbelehrbare“ Milieus, speziell im Osten, in ihren Meinungsblasen verschanzt, nicht mehr zugänglich den „Vernunftsargumenten“, die ihnen westliche, mittige und linke Kreise gern nahebringen wollen. Wenn etwas nicht funktioniert, versuchen es die Polit-Missionare einfach mit „Mehr des Gleichen“. Vielleicht jedoch haben die Vertreter „unserer Demokratie“ ihre Überzeugungskraft unwiederbringlich verloren. Nicht weil die AfD so gut ist, sondern weil sie selbst so schlecht sind.
Flucht aus bekannten Höllen
Es bräuchte eine grundlegende Ein- und Umkehr, eine Rücktrittswelle, verbunden mit flehentlichen Entschuldigungen für das, was man der Bevölkerung angetan hat, eine gründliche und schonungslose Aufarbeitung, ein komplett neues Personal oder — besser noch — eine von Grund auf erneuerte Parteienlandschaft, gekennzeichnet nicht durch weniger, sondern durch mehr Demokratie.
In Ansätzen ist so etwas schon zu erkennen. Ob die Formationen, die jetzt neu die politische Bühne betreten haben, eine wirkliche Verbesserung bedeuten, müssen wir aber erst sehen. Wo Friedrich Merz kaum als wünschenswerte Alternative erscheint und Wagenknechts BSW noch zu klein ist, um ins Gewicht zu fallen, sehen viele die AfD als die einzige verbleibende Schnittmenge aus „rebellisch“ und „aussichtsreich“. Das ist im Grunde traurig. Ich hätte mir gewünscht, dass die Linke die Rolle einer dritten Kraft jenseits des „bürgerlichen“ und des rot-grünen Lagers einnehmen könnte. Aber die hat in der Corona-Krise so fundamental versagt, dass Wunden geschlagen wurden, die ohne eine konsequente Umkehr der Partei wohl nicht mehr geschlossen werden können.
Wenn die AfD keine schwerwiegenden Fehler mehr begeht, könnte sie nach einer Beliebtheitsdelle, ausgelöst durch die großen Demonstrationen, rasch wieder Tritt fassen. Dies könnte schon allein deshalb geschehen, weil Friedrich Merz ausgerechnet den Grünen schöne Augen macht, jener Partei also, die seiner Wählerschaft am wenigsten vermittelbar erscheint und die als die Hauptverantwortliche für die politischen Verwerfungen der letzten zwei Jahre gilt. Der Eindruck könnte entstehen:
„Wenn ich einen wirklichen Politikwechsel will, komme ich an der AfD nicht vorbei. Lieber ins Risiko gehen, als weiter in bekannten Höllen schmoren.“
Zusätzlich ist die Union von zwei Gefahren bedroht: Einmal von der Werteunion, die in Wahlumfragen derzeit noch gar nicht vorkommt, weil sie sich gerade erst offiziell gegründet hat. Und zum zweiten besteht die Möglichkeit, dass die CSU dem nächsten Bundestag gar nicht mehr angehört, sofern ihr Wahlergebnis knapp unter 5 Prozent liegt, da das neue Wahlgesetz, verhindern wird, dass sie allein aufgrund von Direktmandaten im Parlament vertreten sein wird.
Ein Bundestag ohne CSU, FDP und Linke?
Weiter kann es passieren, dass die FDP in naher Zukunft kein relevanter Faktor im politischen Leben Deutschlands mehr sein wird. Laut derzeitigen Umfragewerten erreicht sie etwa 3,5 Prozent. Eine mögliche Zustimmung zum Demokratiefördergesetz könnte den Sargdeckel über der schon im Todeskampf liegenden Partei schließen.
Zwar ziert sich die FDP derzeit, dem Gesetz zuzustimmen, jedoch eher nur deshalb, weil sie Geldzahlungen an „Linksextreme“ befürchtet, nicht aus einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber der Instrumentalisierung demokratischer Institutionen im Kampf gegen Parteienkonkurrenz heraus. Man kann — ähnlich wie bei der Impfpflicht — davon ausgehen, dass Lindners Truppe verführbar ist. „Nein“ heißt bei ihnen „Vielleicht“, „Vielleicht“ wird schließlich zu „Ja“. Wolfgang Kubicki fungiert dabei als Fleisch gewordenes Feigenblatt einer Umfallerpartei. Mit seiner Hilfe könnten freiheitsbewusste Parteianhänger als Zuschauer für die von Rot und Grün inszenierte Beerdigung der Freiheit rekrutiert werden.
Die „Gefahr“ eines Bundestags ohne FDP, CSU und Linke — falls dies irgendjemand schlimm finden sollte — ist real. In diesem Fall wäre sogar das Szenario einer AfD als stärkster Partei im Bereich des Denkbaren. Eine Kanzlerin Alice Weidel wäre dann nur noch durch eine Allparteien-Koalition der Brandmaurermeister zu stoppen. So wie es schon jetzt für die drei ostdeutschen Bundesländer zu erwarten ist, in denen demnächst Wahlen stattfinden.
Wo sollte ein solcher dann vermutlich wirrer, in sich zerstrittener Zusammenschluss von Verlierern plötzlich gutes politisches Personal herbekommen, wenn sich dieses in den vergangenen Jahren nicht gezeigt hat? Woher sollten die Ideen kommen, um die durch die letzten beiden Regierungen angerichteten Verwüstungen zu reparieren, zumal der nächste Kanzler mit einer noch desaströseren Finanzlage wird operieren müssen? Es dürfte klar sein, wem eine solch ganz große Koalition des Kleingeists helfen würde. Sie würde „die Ränder“ stärken, also die dann wohl einzigen verbleibenden Oppositionsparteien: AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht, eventuell noch die Werteunion.
Mit dem Rücken zur Wand
In der Summe steht die herrschende Koalition mit dem Rücken zur Wand, kann sich vielleicht nicht einmal mithilfe der eingebetteten CDU-Konkurrenz im Sattel halten. Sie hat es nicht nur mit Gegnern zu tun, die recht effizient sind und — zu Recht oder zu Unrecht — beliebt, sie ist ihr eigener schlimmster Feind, da sie mit traumwandlerischer Sicherheit immer genau das tut, was ihre Wähler provoziert, demütigt und schädigt. Auch diejenigen Sympathisanten, die bisher im Rahmen einer „Besser-als-nichts“-Beziehung den Koalitionären bei Umfragen noch die Stange hielten, könnten nach und nach abwandern. Wenn sie von den bisherigen Maßnahmen der Regierenden nicht vertrieben wurden, könnten die nächsten dies bewerkstelligen.
Und was dann? Düstere Aussichten! Da sie sich mit fairen Mitteln kaum noch über die Runden zu retten vermag, hat die Regierung längst begonnen, sich unfairer zu bedienen. Da ihr die Demokratie Angst macht, weil das Wahlvolk naturgemäß auch einmal zu anderen als den von ihr gewünschten Ergebnissen gelangt, kann die Demokratie weg. Mithilfe von Gesetzen und Maßnahmen zur Förderung des Demokratieverfalls. Das ist ein so durchschaubares wie perfides Manöver.
Im Gegensatz zu den Corona-Maßnahmen, welche die Grundrechte angeblich zum Wohle von Gesundheit und Hygiene zurückgedrängt haben, helfen die Maßnahmen „gegen rechts“ gerade jene Demokratie zu zerstören, zu deren Schutz sie angeblich gedacht sind. Es ist eine Teufelsaustreibung mit Beelzebub als Exorzist. Kein Wunder, dass gerade kritischen und aufmerksamen Bürgern derzeit verteufelt unwohl zumute ist.
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