Im Februar ist der Ausnahmezustand in München ein Normalzustand. Bis auf wenige Ausnahmen wird seit 1963 alljährlich die sogenannte Münchner Sicherheitskonferenz ausgetragen. Die wird von ihren Kritikern gerne als „Unsicherheitskonferenz“ betitelt, was dem wahren Kern dieser Veranstaltung wesentlich näher kommt.
2025 begann der Ausnahmezustand in München bereits eine Woche zuvor. „DEMOKRATIE BRAUCHT DICH!“ ließ die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) in der ersten Februarwoche über ihre Anzeigetafeln die Fahrgäste wissen. Entgegen seinem politischen Neutralitätsgebot als öffentlicher Dienstleister bekannte sich der ÖPNV-Anbieter als Unterstützter der Großdemo. Nicht nur, dass auf den Anzeigetafeln aktiv für diese Demo geworben wurde — es wurde sogar auf den entsprechenden Linien die Taktung erhöht, damit auch wirklich jeder Verteidiger der Demokratie den Austragungsort, die Theresienwiese, erreichte. Zusatzfahrangebote sind an und für sich nichts Ungewöhnliches. Sie gibt es beispielsweise auch bei Fußballspielen — jedoch ohne dass die MVG Partei für eine Mannschaft ergreift.
8. Februar: Großdemo „Demokratie braucht DICH“
Schon beim Verlassen der Haustüre begegneten mir die ersten Menschen mit „Fck AfD“-Schildern. Es schien, als würde sich halb München zur Theresienwiese aufmachen. Auf den Zufahrtsstraßen blieb der Bus lange im Stau stecken. Die Menschenansammlung stand in ihrer schieren Menge dem Zulauf beim Oktoberfest am gleichen Ort in nichts nach. Es wollte sich wohl niemand entgehen lassen, das eigene Gutsein und den verkappten Gratismut unter dem Schleier des Rebellentums „instagramable“ in Szene zu setzen.
Auf der Theresienwiese versuchte ich zwischen den vielen Menschengrüppchen Gesprächsfetzen rauszuhören. In dem lauten Geschnatter war das alles andere als einfach.
Was ich mitunter hören konnte, war das Klagen über nervenzehrende Diskussionen, die die Demobesucher mit andersdenkenden Kollegen oder Familienmitgliedern alltäglich führten. Das Wertegerüst, das nur Gut und Böse kennt, war wohl schon fest verinnerlicht.
Vielfach waren Eltern mit ihren Kindern zugegen. Bei den Demo-Teilnehmern handelte es sich wahrscheinlich auch zu einem nicht unerheblichen Teil um zugereiste Demonstranten. So erkannte ich aus der Ferne Menschen, von denen ich wusste, dass sie von weiter her kamen.
Die Kreativität bei der Protestgestaltung hielt sich eher in Grenzen. Abgesehen von einem als Hitler verkleideten Mann, der sich auf seinem Schild darüber echauffierte, dass „er“ als Kommunist bezeichnet wurde, bewegten sich die Demoschilder und -banner vom Einfallsreichtum her in dem Spektrum „Fck X, Y, Z“ oder „Kein Bock auf X, Y, Z“ oder auch „lieber X als Y“.
Vom sogenannten Kotzhügel aus konnte man die gesamte Dimension dieser Veranstaltung erblicken. Die Menschen hatten sich in von Absperrbändern eingegrenzten, quadratischen Blockflächen versammelt. Im Gutsein geeint. Wie bestellt schien die Sonne am wolkenlosen Himmel und lieferte das für die Demo passende Licht.
Foto: Nicolas Riedl
Während ich durch die Menschenmenge zurück zum Bus ging, hoffte ich inständig, nicht erkannt zu werden. Wie weit die proklamierte Toleranz reichen würde, wenn man einen Andersdenkenden erspähte, kann jeder mit Blick auf die letzten Jahre erahnen.
13. Februar: Anschlag und Demo „gegen Rassismus und Instrumentalisierung“
Am Mittag rangierte #Muenchen auf Platz eins der X-Trend-Charts. Nicht wegen der am Folgetag stattfindenden Sicherheitskonferenz, sondern wegen des Anschlags. Um halb elf lenkte ein 24-jähriger ausreisepflichtiger Afghane einen Mini Cooper mit hoher Geschwindigkeit in die Menschenmenge einer Gewerkschaftsdemo von ver.di. Die traurige Bilanz: 39 teils schwer Verletzte, von denen zwei verstarben, nämlich eine deutsch-algerische Mutter und ihr zweijähriges Kind.
Es dauerte nicht lange, bis sich unter anderem Markus Söder am Tatort blicken ließ. Dass dieser sich mittlerweile nicht einmal mehr Mühe gibt, seinen Narzissmus zu verbergen, ist nichts Neues. Doch inzwischen macht er nicht einmal mehr dort halt, wo Pietät geboten wäre. Und so inszenierte sich Söder am Tatort im — wie bestellten — Regenwetter mit gespielt betroffener Miene auf Hochglanzfotos. Eine Geschmacklosigkeit, wie man sie bislang nur von Robert Habeck, in noch extremerer Form, kannte.
Am späten Nachmittag nahm ich einen Umweg, um mir — natürlich aus gebührender Entfernung — ein Bild vom Tatort zu machen. Als ich am Stiglmaierplatz eintraf, waren die meisten Spuren bereits beseitigt, der Ort des Geschehens weiterhin mit Absperrbänder umzäunt. Die Polizei verrichtete dort die noch übrige Arbeit. Drumherum gingen der Verkehr und das Treiben der Stadt weiter, als sei nichts geschehen. Dennoch war die Atmosphäre gespenstisch.
Dass sich dieser Anschlag einen Tag vor der Sicherheitskonferenz und eine Woche vor der Bundestagswahl ereignete, wirft die legitime Frage auf, ob hier von bestimmten Kräften „nachgeholfen“ wurde. Rückblickend auf den Anschlag am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 und die dubiose Rolle des Verfassungsschutzes und weiterer Behörden, muss diese Frage erlaubt sein, die zum aktuellen Zeitpunkt nicht abschließend beantwortet werden kann.
Am Nachmittag brodelte bereits das Netz, genauer gesagt X. Die eine Fraktion mahnte davor, den Vorfall politisch zu instrumentalisieren.
Politiker setzten ihre mittlerweile standardisierten Textbaustein-Kondolenzschreiben ab, die sich nur noch hinsichtlich des Städtenamens voneinander unterscheiden.
Andere Fraktionen drückten ihre mehr als nachvollziehbare Wut, Trauer und Fassungslosigkeit aus, manchmal verbunden mit der Forderung nach konsequenter Remigration illegaler Einwanderer sowie einem „Jetzt erst recht“-Wahlaufruf für die AfD. Es wurde auch — teils nicht ernst gemeint — darüber spekuliert, ob am kommenden Wochenende wieder eine Demo gegen rechts stattfinden würde. Daraus wurde schneller Ernst, als manche glauben mochten: Denn dieser Protest sollte noch am gleichen Tag folgen. ver.di hatte zu einer Demo „gegen Rassismus und Instrumentalisierung“ um 19 Uhr am Odeonsplatz aufgerufen.
Ich wollte verstehen, wie die Demoteilnehmer und Organisatoren diese schizophren anmutende Aktion begründeten, und machte mich zu besagtem Veranstaltungsort auf. Vor der Feldherrenhalle hatten sich rund 500 Menschen versammelt, überwiegend mit ver.di-Fahnen über den Schultern. Ich mischte mich unter die Teilnehmermenge und versuchte wieder Gesprächsfetzen aufzugreifen. Erneut keine einfach Sache. Als die Demo eröffnet werden sollte, ertönte aus dem hinteren Bereich der Veranstaltungsfläche ein aufgebrachtes Gebrüll, gepaart mit „Alerta, alerta, antifascista!“-Rufen. Eine Menschentraube strömte zum nördlichen Teil des Odeonsplatz. Was genau sich zutrug, erfuhr ich erst im Nachhinein. Zwei Reporter von NIUS waren erkannt und von der Antifa bedrängt worden.
Nachdem die Lage sich wieder beruhigt hatte, wurde die Veranstaltung eröffnet, und ich versuchte, den Redebeiträgen argumentativ zu folgen.
Das einzige der vorgetragenen Argumente, welches mir einigermaßen einleuchte, war, dass sich unter den Anschlagsopfern ebenfalls Menschen mit Migrationshintergrund befanden. Es sei daher doppelt verwerflich, nun Ressentiments gegenüber bestimmten Menschengruppen zu schüren, wenn sowohl Täter und Opfer einen Migrationshintergrund haben.
Tiefer ging man dann aber nicht vor. Es wurde nicht die Frage gestellt, warum immer wieder Anschläge nach den gleichen Mustern, mit den immer gleichen Tatwaffen von Menschen mit den immer gleichen Täterprofilen durchgeführt werden. Es wurde nicht gefragt, ob dahinter ein System stecken und wer gegebenenfalls davon profitieren könnte.
Ungestört konnte ich der Demo allerdings nicht weiter lauschen. Ein junger Mann Anfang zwanzig, begleitet von zwei Gleichaltrigen, näherte sich mir und fragte, ob ich hier auf der richtigen Demo sei. Ich erwiderte, dass ich nicht wüsste, wovon er sprach.
„Ist das hier eine SA-Demo?“, fragte er nun im aggressiven Ton. Er habe mich als „Corona-Leugner“ erkannt und ich solle mich „verpissen“.
Ich ahnte schnell, dass es zu einem großen Theater kommen würde, wenn ich länger hierbliebe. Zu gewinnen gab es also nichts, und so ging ich zum U-Bahn-Eingang, von wo aus ich den restlichen Redebeiträgen lauschte, ohne jedoch sonderlich viel mitzubekommen. Die unschöne Begegnung mit einem der „Guten“ wirkte in mir weiter.
14. Februar: Beginn der Sicherheitskonferenz
Die Ereignisse des Vortages schlugen globale Wellen. Medien aus aller Welt berichteten über den Anschlag. Selbst US-Vize J. D. Vance griff den Vorfall in seiner „historischen Rede“ im Ballsaal des Bayerischen Hofes auf und machte daraus eine weltpolitische Angelegenheit. Der Vorfall sei Symbol und Ausdruck einer verfehlten Migrationspolitik. Viel zu oft hätten sich in letzter Zeit derlei Vorfälle gehäuft.
Als „historisch“ wurde die Rede auch deswegen bezeichnet, weil Vance den europäischen, ganz im Speziellen den deutschen Politikern die Leviten las. In der „kritischen Szene“ wurde diese Rede leider sehr unkritisch, dafür umso begeisterter rezipiert. Getreu dem Motto: „Endlich sagt‘s mal jemand!“.
Und zweifelsohne hat Vance viel Richtiges gesagt. Doch bekanntermaßen klafft bei Politikern nicht selten eine große Kluft zwischen Wort und Taten. Und so wird bei der Vance-Rede die Meta-Ebene nicht gesehen, nämlich das, was das Weltwirtschaftsforum (WEF) letztes Jahr ganz oben auf die Agenda gesetzt hatte: „Rebuilding Trust“.
Innerhalb des Systems wird einfach das Personal ausgetauscht und damit eine Infragestellung des Systems selbst verhindert. An dieser Stelle sei zur Vertiefung auf Tom-Oliver Regenauers Text „Die Eloi“ verwiesen.
Leider war die euphorisch-unkritische Rezeptionsweise von Vances Rede teilweise auch auf der Friedensdemo am Folgetag zu beobachten …
15. Februar: Friedensdemo des Bündnis „Macht Frieden“
Zwischen zwei- und dreitausend Teilnehmer hatten sich laut dem Veranstalter des Bündnisses „Macht Frieden“ auf dem Königsplatz anlässlich des Friedensmarschs versammelt, um anschließend durch die abgesicherte Münchner Innenstadt zu ziehen. Die Stimmung war durchgehend ausgelassen und friedlich. Als Redner geladen waren der Arzt und Ex-BSW-Mitglied Friedrich Pürner, die Politologin Ulrike Guérot, der Anwalt Dirk Sattelmeier, der Liedermacher Diether Dehm sowie die Ärztin Ingrid Pfanzelt. Per Zoom zugeschaltet waren der Waffeninspekteur Scott Ritter, der ehemalige CIA-Offizier Ray McGovern und die Bürgerrechtlerin Helga Zepp-LaRouche.
Foto: Nicolas Riedl
Der Bayerische Hof war wie jedes Jahr massiv abgeriegelt. Foto: Nicolas Riedl
Ein Schulterschluss mit der traditionellen Anti-SiKo-Bewegung war auch dieses Jahr nicht möglich. Die Kooperationsbereitschaft von „Macht Frieden“ stieß beim Anti-SiKo-Bündnis auf wenig Gegenliebe.
Der Gegenprotest — sofern von einem solchen überhaupt die Rede sein konnte — bestand aus lediglich einer Einzelkämpferin, einer jungen Frau, die mit ihrem kurzen grünen Haar jedes Woke-Klischee erfüllte.
Mit wirklich bewundernswerter Ausdauer ging sie dem Demozug mit etwa hundert Metern Vorsprung voran und rief dabei, ohne heiser zu werden, allen Passanten, die es — nicht — hören wollten, warnend zu: „Das ist keine Friedensdemo! Das sind SchwurblerInnen, VerschwörungstheoretikerInnen, ImpfgegnerInnen.
Wer für Putin und für Trump ist, der ist nicht für Frieden!“ Ob das schon ein Anzeichen ist für die ausbleibenden Finanzmittel aus dem Topf des gecancelten USAID?
Der „Gegenprotest“. Foto: Nicolas Riedl
Auffällig war die diesjährig signifikant höhere Polizeipräsenz. Vorne und hinten war der Demozug von einer ganzen Karawane aus Polizeibussen abgeschottet. Man fürchtete offenkundig, dass sich etwas Ähnliches zutragen konnte wie am vorletzten Tag. Ebenso waren am Königsplatz Absperrungen errichtet worden, um potenziellen Amokfahrten vorzubeugen.
Foto: Nicolas Riedl
Foto: Nicolas Riedl
Der Demozug trifft auf Bundeswehr-Werbung. Foto: Nicolas Riedl
Der Anschlag von Donnerstag hatte auch Auswirkungen auf die Demoroute, die ursprünglich genau an dem Ort des Geschehens hätte vorbeiführen sollen. Da an diesem Tag der Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz zum Gedenken eintraf, wurde die Route entsprechend umgeleitet.
Der Demozug und im Hintergrund der Tatort. Foto: Nicolas Riedl
München in der Eskalationsspirale
Die Kettenreaktion von München wird erst so richtig sichtbar, listet man die einzelnen gefallenen Dominosteine hintereinander auf:
- Eine Viertelmillion Menschen demonstrieren „gegen rechts“ und für „unsere Demokratie“.
- Fünf Tage später wird eine Demo des gleichen politischen Milieus von einem ausreisepflichtigen Afghanen angegriffen. Die ganze Welt berichtet darüber.
- Der Tatort wird inszenatorisch als Wahlkampffläche missbraucht.
- Die sich widersprechenden Informationen über den Täter ändern sich mehrmals.
- Bereits am Tag des Anschlags geht das Gerücht um, dass die Mutter und ihr Kind verstorben seien. Bestätigt wird dies jedoch erst am Samstag, dem 15. Februar. Der Eindruck entsteht, als sollte diese Nachricht bewusst zurückgehalten werden.
- Noch am selben Tag organisiert die angegriffene ver.di eine Demo „gegen Rassismus und Instrumentalisierung“, auf der Journalisten und Andersdenkende bedroht werden.
- Am Tag darauf webt US-Vize JD Vance den Vorfall in seine vielfach als historisch empfundene Rede ein.
- Unter besonders hoher Polizeipräsenz werden die Münchner Sicherheitskonferenz und die Gegenproteste abgehalten.
In nur einer einzigen Woche erlangte das zuvor schon bestehende innenpolitische Spannungsfeld durch die Ereignisdichte eine gänzlich neue Intensität, die weit über München hinausstrahlt — und das eine Woche vor der möglicherweise historischen Bundestagswahl.
Das Land befindet sich dieser Tage in einer gesellschaftlichen Lage, da die Zündschnüre so kurz und die Nerven so blank liegen wie seit Jahrzehnten nicht mehr — die Zeit der Fake-Pandemie mal ausgenommen. Es ist naheliegend, dass es Kräfte gibt, die Interesse haben an einer Eskalation bis in bürgerkriegsähnliche Zustände hinein. Denn das daraus entstehende Chaos wird die Sehnsucht vieler Menschen nach einer regelnden Ordnungsmacht nähren. Und diese wie auch immer geartete Ordnungsmacht wird das, was sie dann macht, sicherlich nicht im Sinne der Menschen tun.
Foto: Nicolas Riedl
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