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Der große Schulraub

Der große Schulraub

Staatliche Bildungsanstalten sollen zu Renditemaschinen werden.

Für alles, womit sich Geld machen lässt, gibt es eine Messe. Die „Schulbau. Internationaler Salon und Messe für den Bildungsbau“ existiert seit knapp acht Jahren und steigt immer genau da, wo das große Geschäft winkt. Wer an den „Etats der großen deutschen Kommunen partizipieren will“, wer Lust hat auf „intensives Netzwerken“, auf „Neuheiten“ und „Inspirationen“, darf auch beim nächsten Branchentreffen Mitte September in Berlin nicht fehlen. Einen besseren Schauplatz hätten die Veranstalter nicht wählen können: Die Hauptstadt ist ein wahres Eldorado an maroden Schulbauten und mit Rot-Rot-Grün ein Baumeister am Werk, der zur Generalüberholung rüstet, mit allem, was er hat – und nicht hat.

Insgesamt 5,5 Milliarden Euro will der von SPD, Grünen und Die Linke gestellte Senat in den kommenden zehn Jahren in die Instandsetzung der in Jahrzehnten heruntergewirtschafteten Schullandschaft stecken. Bis zu vier Milliarden Euro sollen aus der Haushaltskasse beziehungsweise dem „Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt“ (SIWA) mobilisiert werden. Das ist das, was man hat oder gemäß Finanzplanung zu haben glaubt. Die restlichen 1,5 Milliarden Euro hat man nicht. Deshalb müsse das Geld anderweitig besorgt werden, auf dem freien Kapitalmarkt, das zumindest behaupten die Verantwortlichen.

Aber muss das wirklich sein? Wieso nimmt man nicht die vier Milliarden Euro aus Eigenmitteln und legt damit los? Das mag vielleicht nicht reichen, gleich alle Baustellen auf einmal zu beheben. Aber mit über zwei Dritteln der projektierten Gesamtsumme ließe sich doch allerhand bewegen. Und nach der Darstellung von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) bewegt sich ja auch schon etwas. Wie sie jüngst mitteilte, befänden sich zehn sogenannte Schnellbauschulen bereits in der Realisierung. Mehr Geduld ist allerdings bei der Umsetzung der weiteren 50 Neubaumaßnahmen gefragt. Da macht man sich frühestens 2020 an die Arbeit, in etlichen Fällen erst 2021, mitunter noch viel später.

„Bildung zweitrangig“

Nur was gibt es Wichtigeres zu tun bei einer „Schulbauoffensive“, als Schulen zu bauen? Hier kommen besagte 1,5 Milliarden Euro ins Spiel, also die Mittel, die der Senat zusätzlich auftreiben will. Genaugenommen soll die Kredite nach den Plänen nicht das Land Berlin heranschaffen, sondern die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge. Damit die das kann, das heißt vor allem, damit sie künftigen Gläubigern etwas zu bieten hat, will man sie kurzerhand zur Herrin über Dutzende Schulen machen. So soll das Unternehmen in den kommenden acht Jahren nicht nur 29 große Schulneubauten planen und errichten sowie zehn Großsanierungen bestehender Gebäude bewältigen. Ihr werden fortan auch noch sämtliche Grundstücke für Jahrzehnte übertragen, samt Hausrecht und dem Anrecht, die Immobilien auf eigene Rechnung zu bewirtschaften.

Für die Gegner des Vorhabens läuft das Ganze auf eine versteckte Privatisierung hinaus. Zwar befänden sich die Schulen weiterhin formal in Staatsbesitz. Mit der Überführung der öffentlichen Infrastruktur in eine privatrechtliche GmbH würde diese allerdings den Gewinninteressen der Howoge sowie der beteiligten Banken unterworfen.

Die Schulen müssten sich nicht länger nur selbst tragen, sie müssten sich rentieren, genauso wie sich das Wohnungsgeschäft der Howogezu rentieren hat, schließlich will ja auch das Land daran mitverdienen.

Dasselbe gilt für den ebenfalls landeseigenen Krankenhausbetreiber Vivantes, von dem Dorothea Härlin von der Volksinitiative „Unsere Schulen“ unlängst in einem Interview sagte: „Die wirtschaftlichen Interessen haben absolute Priorität, Patienten stehen da an zweiter Stelle. Genauso wird es bei den Schulen auch sein.“ Die Aktivistin kann sich bereits ausmalen, was passiert, wenn die Howoge „auf dem Schulgelände das Sagen hat“ und nicht länger die Bezirke. „Ob sie nun die Wände als Werbeflächen an McDonalds, Bundeswehr und Co. vermietet oder außerhalb des Unterrichts zahlkräftige Außenstehende in die Räumlichkeiten lässt, steht ihr frei“, vermutlich würden auch Vereine die Sporthallen nicht mehr umsonst nutzen dürfen. Härlinmachen die Aussichten Angst: „Wenn das Privatrecht in den Schulen regiert, dann ist Bildung zweitrangig.“

Teure Schattenhaushalte

Vorrangig für den Senat ist einstweilen die Schaffung einer komplexen Konstruktion, wofür nach Lage der Dinge noch mindestens zweieinhalb Jahre ins Land gehen werden. Alles andere muss dafür zurückstehen. Nach dem Mitte April vorgelegten „Schulbaufahrplan“ sollen die Projekte unter Howoge-Regie erst 2020 angepackt werden – aber längst nicht alle. Zum Beispiel würde die Modernisierung der Martin-Buber-Oberschule in Spandau erst 2024 beginnen und 2027 abgeschlossen sein. Auch für die geplanten neuen Grundschulen, wo der Bedarf am größten ist, könnte der erste Spatenstich frühestens 2023 erfolgen. Manches landet auf der ganz langen Bank, zum Beispiel das Leibniz-Gymnasium in Kreuzberg. Der Startschuss für dessen Gesamtsanierung soll 2026 fallen. Bis dahin haben die Berliner schon die Nachfolgeregierung der amtierenden und eine weitere Schülergeneration eine ganze Schullaufbahn in schimmelbefallenen Klassenzimmern hinter sich gebracht.

Die Howoge schwingt nicht zufällig erst ab 2020 die Maurerkelle. Von da an unterliegen die Bundesländer den Vorgaben der sogenannten Schuldenbremse. Dann ist es auch Berlin qua Landesverfassung untersagt, neue Kredite aufzunehmen. Die Howoge, obwohl einhundertprozentiger Landesbetrieb, darf dies aber sehr wohl, weil sie als privatrechtliche Gesellschaft nicht unter das Reglement der Schuldenbremse fällt. Der Trick ist so einfach wie folgenschwer: Was sich das Land in punkto Schulbau nicht leisten kann oder will, lagert es flugs an die Howoge, das heißt in Schattenhaushalte aus. Die sammelt sich Geld bei Banken oder Investoren ein und erledigt das, was bis dahin ureigenste Aufgabe des Staates war, auf eigene Faust. Dass die langfristigen Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Gläubigern die Kosten einer klassischen staatlichen Beschaffung am Ende übersteigen werden, ist dabei so sicher wie dies Zweck des Ganzen ist. Irgendwo muss die Rendite ja herkommen.

Aufschlussreich ist das Beispiel Hamburg: Dort erfolgen Neubau, Sanierung und Bewirtschaftung der allgemeinbildenden Schulen seit 2010 unter Regie des Landesbetriebs „Schulbau Hamburg“ (SBH). Auch der ist zu 100 Prozent staatlich, darf sich aber als Hüter von über 400 Schulen mit 3.000 Gebäuden am Kapitalmarkt verschulden. Nach Recherchen des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB)lagen die durchschnittlichen Kreditzinsen für die angestoßenen Geschäfte im Jahr 2015 bei 7,8 Prozent, im Folgejahr bei 5,3 Prozent und damit um drei beziehungsweise fünf Prozent über den Raten anderer landeseigener Betriebe. Und noch etwas: Die SBH arbeitet wie selbstverständlich in öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) mit Investoren wie zum Beispiel den Bauunternehmen Strabag und Otto Wulff zusammen.

Gekaufter Sachverstand

Für Berlin undenkbar? Nach Darstellung der Landesregierung und vorneweg der Linkspartei haben ihre Pläne mit Privatisierung oder gar einem Ausverkauf der Schulen nichts zu tun. Viel lieber spricht man von einer öffentlich-öffentlichen Partnerschaft (ÖÖP), eben weil hier ein Land mit einem Landesunternehmen Geschäfte macht und anders als bei den umstrittenen ÖPPs kein Privatinvestor (direkt) mit im Boot sitzt. Die GiB-Aktivisten halten das für Augenwischerei. Viele der geplanten Neuerungen zeigen „haargenau“ die Merkmale, die auch ÖPPs auszeichneten, mit dem einzigen Unterschied: „Jetzt soll der Staat selbst die privatwirtschaftliche ÖPP-Projektgesellschaft stellen.“

Vielleicht am augenfälligsten wird dies in der Ansage durch Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD), mit Generalplanern arbeiten zu wollen. Die würden quasi alles aus einer Hand liefern, also Planen und Bauen, und damit der Politik das im Moment wohl drückendste Problem abnehmen: die grassierende Personalnot in den kaputtgekürzten bezirklichen Bau- und Planungsämtern. Dazu passt die Ankündigung durch Howoge-Geschäftsführerin Stefanie Frensch, mit kümmerlichen 15 neu zu schaffenden Stellen als Bauherr auftreten zu wollen. Damit lassen sich gewiss nicht mal eben Projekte im Umfang von 1,5 Milliarden Euro stemmen. Der Sachverstand muss zugekauft werden, was bedeutet: die Planung wird ausgelagert, man könnte auch sagen: privatisiert.

Auch die Laufzeit der Kontrakte ähnelt denen von ÖPPs. Das wirtschaftliche Eigentum an den fraglichen Schulen soll der Howoge für die Dauer von 25 bis 30 Jahren übertragen werden. In dieser Zeit müssen die Bezirke die Gebäude zurückmieten, wobei bisher nicht klar ist, zu welchem Preis. Die Grundstücke sollen lediglich in Erbpacht vergeben werden. Damit bleibt das Land zwar formal Eigentümer und gibt der Howoge lediglich das Recht, darauf zu bauen. Wie allerdings die Berliner Zeitung schrieb, würde ihr das Erbbaurecht „über eine Laufzeit von bis zu 32 Jahre buchstäblich geschenkt“.

„BER im Quadrat“

Wohl erst durch diesen Deal erhält die Gesellschaft genug Eigenkapital, das sie als Sicherheit für künftige Bankenkredite oder beim Einstieg von Investoren vorhalten müsste. Zudem soll das Land eine Zahlungsgarantie für die Howoge übernehmen, die ja lediglich in „beschränkter Haftung“ auftritt. Dadurch könne sie die Höhe der Zinskosten deutlich senken, heißt es in dem Zeitungsbericht, wobei auch dieser sogenannte Einredeverzicht „hochproblematisch“ sei. Demnach dürfe das Land Zahlungen an die Banken auch dann nicht einstellen, „wenn Baumängel bestehen; nicht einmal wenn Neubauten gar nicht existieren, müssten Mieten gezahlt werden“. Zudem könnten die Baurisiken in den Mietpreis einfließen und „im Projektverlauf zu Kostensteigerungen führen“. Es entstehe „eine Art finanzielle Zwangsjacke“.

Das sei „ein Traum für die Banken“ und ein Albtraum für die Steuerzahler, befürchtet man beim Verein GiB.

Die Geldgeber bekämen ihr Geld, „selbst wenn die Schule abbrennt“ und die Bezirke müssten in Unkenntnis der Kosten und möglicher Mehrkosten „einen Blankoscheck unterschreiben“. Die Initiative sieht deutliche Parallelen zum Berliner Pleiteflughafen BER. Der Airport sollte anfangs eine Milliarde Euro kosten, verschlang inzwischen aber das Fünffache. Was, wenn für die „Schulbauoffensive“ am Ende nicht 5,5 Milliarden Euro, sondern 25 Milliarden Euro draufgehen? Das wäre laut GIB „der BER im Quadrat“.

Man betrachte das alles in gesamtstaatlicher Perspektive. Auf der Webseite besagter „Schulbau“-Messe erfährt man von anderen großen Investitionsvorhaben. So werde Hamburg 3,5 Milliarden Euro in seine Lehranstalten stecken, Köln zwei Milliarden, die Rhein-Main-Region vier und München sogar stolze neun Milliarden Euro. Man wundert sich nur: Wo wollen die chronisch klammen Kommunen das ganze Geld hernehmen – in Zeiten von „schwarzer Null“ und „Schuldenbremse“?

Bund pusht Schul-ÖPP

Aber eine Lösung ist in Arbeit, allerdings keine, die Eltern, Schülern und Lehrern lieb sein wird. Die Bundesregierung hat dieser Tage eine wegweisende Neuerung auf den Weg gebracht. Union und SPD haben beschlossen, das sogenannte Kooperationsverbot im Bildungsbereich weiter zu lockern. Dieses war 2006 per Föderalismusreform in die Verfassung gehievt worden und verbot es dem Bund fortan, dauerhaft in Kitas, Schulen und Universitäten zu investieren. Für die Hochschulen wurde der Passus vor drei Jahren entschärft und auch für die Schulen sieht das Grundgesetz schon jetzt Abweichungen vor.

Dabei geht es um eine ziemlich unbeachtete Randnotiz der durch die Vorgänger-Groko im Vorjahr vollzogenen Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Mit dem neu geschaffenen und im Juli 2017 in Kraft getretenen Artikel 104c kann der Bund „finanzschwachen Gemeinden“ Unterstützung im „Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur“ gewähren. Im zugehörigen Begleitgesetz wurden dafür zunächst 3,5 Milliarden Euro veranschlagt. Allerdings gibt es das schöne Geld nicht für alles und jeden. Vielmehr sind im novellierten Kommunalinvestitionsförderungsgesetz ausdrücklich „Vorabfinanzierungs-ÖPP“ benannt, bei denen „sich die öffentliche Verwaltung (…) eines Privaten im Rahmen einer vertraglichen Zusammenarbeit bedient“.

Was für Berlin gilt, ist fast überall im Land bittere Realität: Die öffentlichen Verwaltungen sind technisch und personell so ausgezehrt, dass sie ohne Zuarbeit von außen nicht an die Fleischtöpfe des Bundes herankommen.

Die schöne „Hilfe“ aus Berlin entpuppt sich so in Wahrheit als die Nötigung zur Privatisierung des Schulbaus.

Der Mechanismus soll nun sogar salonfähig werden. Die neue Groko will nämlich die Beschränkung auf „finanzschwache“ Kommunen aus der Verfassung streichen. Dadurch könnte künftig jede Gemeinde, ob arm oder reich, an Bundesmittel gelangen, mithin auch Hamburg oder München, wo es reichlich zu bauen und für die Privaten mehr zu holen gibt als in Castrop-Rauxel oder Pirmasens.

Vorwand „Schuldenbremse“

Überhaupt bahnt sich gerade ein gigantisches Geschäft an. Nach Berechnungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beläuft sich der bundesweite Sanierungsstau allein bei den Schulen auf 34 Milliarden Euro. Riesig ist auch der Nachholbedarf bei Hochschulen, Kitas, bei Brücken und Straßen. Und nie war der politische Handlungswille stärker als heute. Von rechts bis links ertönt es unisono (und mit vollem Recht), endlich die verschlissene Infrastruktur in Schuss zu bringen. Die Frage ist nur: Zu welchem Preis soll das geschehen, das heißt zu welchen Folgekosten, nicht nur den monetären, sondern für die ganze Gesellschaft?

Dabei könnte alles so einfach sein. Nach der neuesten Steuerschätzung dürfen Bund, Länder und Gemeinden weiter mit kräftig steigenden Einnahmen rechnen. Im Jahr 2022 sollen es schon 900 Milliarden Euro sein, während es 2017 noch 675 Milliarden Euro waren. Ohne „Schuldenbremse“, „schwarze Null“ und „Haushaltsdisziplin“ wäre es ein Leichtes, das in Jahrzehnten Unterlassene mit staatlichem Geld und in staatlicher Regie binnen eines Jahrzehnts abzuarbeiten. Aber wie reagiert Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auf die Nachricht von den neuerlichen Milliardenüberschüssen? Er parliert von „Konsolidierung“, davon, dass kommende Generationen nicht von der „Schuldenlast“ erdrückt werden dürften – während die heranwachsende Generation bei drückender Hitze in Klassenräumen mit defekten Jalousien schmort.

Noch ein Täuschungsmanöver: Die neue, alte Bunderegierung ist mit dem Versprechen einer „Investitionsoffensive für Schulen“ angetreten. Dabei muten die in Aussicht gestellten Mittel angesichts der Erfordernisse an sich schon kläglich an. Und dennoch sollen die Investitionen des Bundes nach dem jüngst durch Scholz vorgelegten Finanzplan sukzessive zurückgefahren werden, von knapp 38 Milliarden Euro im laufenden Jahr auf rund 33 Milliarden Euro im Jahr 2022. Würde die Regierung nicht insgeheim und auf längere Sicht mit anderen als staatlichen Geldern kalkulieren, wäre zum Beispiel die geplante Digitalisierungskampagne für die allgemeinbildenden Schulen niemals zu meistern.

Staat unterm Hammer

Denn: Wer soll die Anschlusskosten tragen, wenn nach fünf Jahren Laptops und Tablets den Geist aufgeben? Wer besorgt die technische Unterhaltung der Geräte, wer schafft neue an, wo kommt die Software her, wo die pädagogischen Konzepte? Sollen all dies die ohnehin schon voll auf Verschleiß schuftenden Lehrkräfte leisten, wo derzeit praktisch allerorten Lehrermangel herrscht – auch das eine Folge der „Sparpolitik“. Nein!

Der „DigitalPakt#D“, für den die Bundesregierung fünf Milliarden Euro locker machen will, ist in aller erster Linie ein Geschenk für die IT-Industrie und die will sich nicht nur einmal beschenken lassen.

Vor allem aber eröffnet sich mit dem Projekt ein riesiges Betätigungsfeld für private Schulbetreiber.

Die Konzeption zur Privatisierung des Schulbaus liegt schon länger vor. Ein Strategiepapier der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (pwc) liest sich in Teilen wie die Vorwegnahme der Berliner „Schulbauoffensive“. Das Gutachten hatte Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) als Initiator der 2014 einberufenen „Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in Deutschland“ (Fratzscher-Kommission) bestellt. Darin wird beschrieben, wie sich neben Fernstraßen auch staatliche Schulen in hochprofitable Anlagen für die unter Niedrigzinsen ächzenden Banken und Versicherungen verwandeln lassen.

Schon der Titel der Studie lässt keine Fragen offen: „Rechtliche und institutionelle Voraussetzungen zur Einführung neuer Formen zur privaten Finanzierung öffentlicher Infrastrukturvorhaben unter Einbindung einer staatlichen Infrastrukturgesellschaft.“ Skizziert wird ein „neues Finanzierungsmodell“, das „durch einen nutzenstiftenden Risikotransfer von den Kommunen an institutionelle Investoren eine echte Alternative zu den bestehenden Beschaffungs- und Finanzierungsformen schaffen und damit zusätzliche Impulse für höhere Infrastrukturinvestitionen der Kommunen liefern“ solle. Schließlich heißt es noch frank und frei: „Insbesondere kleinere institutionelle Anleger – etwa Pensionsfonds und berufsständische Versorgungswerke – erhalten die von ihnen seit längerer Zeit gewünschte Möglichkeit, Gelder in öffentliche Infrastruktur zu investieren und dabei eine attraktive Rendite zu erzielen.“

„Saure Gurke für Steuerzahler“

Es geht bei all dem um viel mehr als „nur“ die Modernisierung von Bildungsanstalten. Nach demselben Muster könnten und sollen auch Bibliotheken, Schwimmbäder, Finanzämter oder Rathäuser auf Vordermann und unter den Hammer gebracht werden. Ein großer Schritt ist bereits vollbracht. Durch den Beschluss zur Schaffung einer zentralen Autobahngesellschaft in Bundeshoheit hat die Vorgängerregierung den roten Knopf zum vielleicht schon bald flächendeckenden Ausverkauf des Fernstraßennetzes gedrückt. Dafür musste der Laden nicht, wie zunächst diskutiert, in private Hände übergeben werden. Es genügte, ihn ins Privatrecht zu überführen, damit er, losgelöst von öffentlicher Kontrolle, über diverse Kanäle privates Kapital einbindet, zum Beispiel mit dem Instrument ÖPP.

Der Betrogene ist am Ende stets der Steuerzahler. Der Bundesrechnungshof (BRH) hat staatlich-private Finanzierungsmodelle wiederholt getadelt, weil die langfristigen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Gläubigern und Investoren die Kosten einer klassischen staatlichen Beschaffung in aller Regel übersteigen. Für fünf ÖPP-Projekte im Straßenbau hatten die Prüfer 2014 Mehrausgaben von 1,9 Milliarden Euro und einen Nachteil von 38 Prozent gegenüber einer herkömmlichen Finanzierung ermittelt. Ganz aktuell hat der Europäische Rechnungshof nach Prüfung von zwölf ÖPPs in Frankreich, Griechenland, Irland und Spanien konstatiert: „ÖPP mit EU-Kofinanzierung können nicht als wirtschaftlich tragfähige Option zur Verwirklichung öffentlicher Infrastrukturvorhaben angesehen werden."

Anschauungsunterricht liefert der Fall des Autobahnbetreibers A1 mobil. Dieser bewirtschaftet die sogenannte Hansalinie zwischen Bremen und Hamburg, streicht dabei aber weniger Profite ein als erhofft. Weil das nicht sein darf, hat das Konsortium die BRD auf Schadensersatz in Höhe von knapp 800 Millionen Euro verklagt, verbunden mit der Drohung, in die Insolvenz zu gehen und den Betrieb einzustellen. Der erpresserische Akt wird am 18. Mai vor dem Landgericht Hannover verhandelt und ganz egal, wie die Richter urteilen, die Dummen werden am Ende die Bürgerinnen und Bürger sein. Der Verwaltungswissenschaftler Holger Mühlenkamp von der Universität Speyer brachte die Causa ÖPP kürzlich so auf den Punkt: „Das ist für den Steuerzahler oft eine saure Gurke.“

Startklar zur Megaenteignung

Den Sündenfall im Bereich Schulbau gibt es auch schon. Im Landkreis Offenbach wurden 2004 fast 90 Schulen auf einen Schlag in die Obhut von Investoren gegeben, damit die sie sanieren und für 15 Jahre managen. Die Angelegenheit wurde um vieles teurer als veranschlagt. Heute wird der Schulbetrieb nur mehr mit Kassenkrediten aufrechterhalten und aus der einst zweitreichsten Gemeinde Hessens ist mittlerweile die zweitärmste geworden.

Aber um ÖPP gehe es doch gar nicht in Berlin, beteuern die Koalitionäre. Eben doch, auf dem Papier steht nur etwas anderes. Gemeingut in BürgerInnenhand verweist auf Erfahrungen in Großbritannien. Auch dort wären Kommunen und Landkreise nach der Finanzkrise 2008 vielfach selbst als ÖPP-Investoren aufgetreten. Weil die Projekte trotzdem „zu 90 Prozent kapitalmarktfinanziert“ seien, führten sie am Ende zu „enormen Kostensteigerungen“. Auch die starren Verträge hätten fortwährend Mehrkosten verursacht. „Teilweise mussten sogar öffentliche Krankenhäuser schließen, damit die (unkündbaren) Raten für die ÖPP-Krankenhäuser weiterbezahlt werden konnten.“

Mitte April hatte die Berliner Linkspartei zum Landesparteitag unter dem Motto „Die Rückeroberung des Öffentlichen“ geladen. In seinem Leitantrag plädierte der Parteivorstand unter anderem für „Enteignungen gegen Spekulation und Leerstand“.

Der Begriff „Schulbauoffensive“ tauchte in dem Text nicht auf, so wenig wie das Eingeständnis, einen Enteignungsangriff ungeheuerlichen Ausmaßes gegen die Menschen in Berlin und der ganzen Republik vorzubereiten.

Gehen die Pläne auf, wird die „Schulbauoffensive“ schnell Nachahmer finden, schließlich gilt die „Schuldenbremse“ in zwei Jahren für sämtliche Bundesländer. Macht dann Berlin Schule, wird eine Umverteilungsmaschinerie in Gang gesetzt, die es in der BRD-Historie so noch nie gegeben hat.

Kein Schutz vor Renditejägern

Statt sich der perfiden Logik der „Schuldenbremse“ zu unterwerfen, indem man sie auszutricksen vorgibt, wäre es die Pflicht einer linken Partei, den Kampf gegen dieselbe aufzunehmen und ihre Ideologie zu entblößen. Sie dient der Legitimierung einer Politik, die darauf abzielt, die öffentliche Infrastruktur in Bund, Ländern und Gemeinden zur Verfügungs- und Bereicherungsmasse von Konzernen zu machen und institutionellen Anlegern staatlich garantierte Renditen auf Kosten der Allgemeinheit zuzuschanzen. Sie nötigt den Staat scheinbar, weil unter dem Vorwand des Schuldenabbaus, zur Übertragung seiner Aufgaben an Private. Sie bremst keine Schulden aus, sie vermehrt sie und das Gros der Politikerzunft spielt das böse Spiel gerne mit. Auch Die Linke.

Ganz geheuer ist die Sache den Berliner Genossinnen und Genossen aber wohl doch nicht. Bei ihrem Delegiertentreffen votierten sie mit knapper Mehrheit für einen Antrag des Neuköllner Bezirksverbands, der die Offenlegung aller Verträge zur „Schulbauoffensive“ verlangt. Außerdem will man sich für einen Vorbehalt des Abgeordnetenhauses bei öffentlichen Verkäufen und eine in der Verfassung verankerte Privatisierungsbremse einsetzen. Damit ließe sich beispielsweise die Veräußerung der Howoge vereiteln, etwa dann, wenn die Linke nicht mehr mitregieren darf. Dumm nur, dass man dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament braucht, die die Koalition nicht hat. Niedergestimmt wurde übrigens die zweite Vorlage aus Neukölln: „Schulen vor Renditejägern schützen.“ Wer wollte denn auch sowas?


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